55/verloren/Bericht: Philosophicum Lech: Der Weg des Verlustes
Eva Riebler-Übleis
Der Weg des Verlustes
Philosophikum Lech 2013, Bericht Teil 2, 28. 9.2013
Für die LitGes war dabei: Eva Riebler-Übleis. Von der Identität (Meckel) zur postmodernen Selbstauflösung (Pfaller) zur Duldsamkeit gegenüber anderen (Demand), bis zur eigenen Ich-AG (Wiesing) und schließlich zum Selbstverlust (Reuß).
Miriam Meckel/St. Gallen iDENTITY. Das Ich im Netz. Anhand einer fast poetischen Erzählung eines Internetdiskurses zweier Männer, der eine jung und der andere alt, zeigt Miriam Meckel, dass die Welt im Internet offen steht, jedoch eine allgegenwärtige Transparenz und somit Kontrolle lauert. Ihrer Meinung nach hat das Internet die Welt zu einem großen Exhibitionistencamp gemacht. Und trotzdem gilt: Will man etwas oder sich vor der Öffentlichkeit gut verstecken, tut man es im dichten Netz, denn jeder starrt auf den Vordergrund und hat kein Auge für das, was dahinter liegt. Ist man auf der Suche nach der Identität, so fragen wir heutzutage das Internet. Es könnte eine Gruppe im Sinne Charles Taylors „identity politics“, die auf die Wiederbetonung der inneren Stimme des Menschen und seiner Authentizität angelegt ist. Dann geht es wieder um Echtheit und nicht totale Offenlegung. Die Mitglieder werden anerkannt, weil sie sich der Logik des digitalen Lebens verweigern und nicht unterwerfen. Somit zeigt sich ihrer Meinung nach: Die Geschichte verläuft nicht linear!
Robert Pfaller/Wien. Die anmaßenden Gesten der Bescheidenheit. Über das Narzisstische postmoderne Selbstauflösungsverfahren. Traurig sind unsere Bestrebungen vernünftig zu sein. Sei es in der Bildungspolitik, wo wir etwas für die Studienmobilität oder gegen hohe Studienabbrecherzahlen tun wollen, jedoch nichts verbessern sondern die Unis als Orte des neugierigen Nachdenkens und kritischer Selbstreflektion zerstören – oder sei es die Gesundheitsvorsorge, die nun oberstes Prinzip ist und die Menschen verpflichtet für die Gesundheit da zu sein. Seine Ethik ist: vernünftig vernünftig zu sein und auch nicht maßlos in der Mäßigung zu sein. Auch höflich muss man auf höfliche Weise sein und auf geschmackvolle und nicht penetrante weise geschmackvoll sein. So verdoppelt sich alles und man muss nicht nur darauf achten, sondern sich auch eingestehen, dass man nicht müssen muss! Wir selbst haben nach Verboten oder Übergriffen, die uns das Leben verderben, gerufen und sind nicht ohnmächtige Ohnmächtige! Mehr moralische individuelle Solidarität ist gefordert und der Abbau von struktureller, politischer, gesellschaftlicher Solidarität! Sein Rat: das Leben mit Humor zu würzen und nicht das Glück dem anderen neidig sein sowie, wenn wir an das Über- Ich Siegmund Freuds glauben, können wir uns selbst aus Distanz betrachten und über uns immer noch lachen.
Christian Demand/Berlin. Unsichtbare Fäden. Wie viel Wir bin ich? Anhand einer biografischen Erzählung über den Geschmack bezüglich Gebrauchsdesign, sprich Wohnzimmersofa, erläutert er die Prägung seines Geschmacks durch den Vater. Den ästhetischen Geschmack wollen wir allerdings auch den anderen aufs Auge drücken, vor allen denen, die mit uns wohnen, denn die Umgebung prägt. Kant muss er widersprechen, der da meinte: Wir seien im spezifischen Gemütszustand ästhetischer Lust, denn: „Schön ist das, was ohne Begriffe allgemein gefällt“. Am Beispiel vom Zweck-Mittel-Kalkül des Aussehens von Dachkonstruktionen erläutert er, dass andere Werte die ästhetischen überlagern können. Zu beachten ist natürlich stets der Wandel des Menschen, seiner Tradition und seines Geschmacks. Siehe Le Corbusiers: der Mensch des technischen Zeitalters sei im Begriff allmählich auch ästhetisch ein anderer zu werden. Die ästhetische Präferenz ist zugleich Ausdruck der erstrebenswerten inneren Haltung! Sein Ratschlag: Wichtiger als die Schulung des Auges ist es, für die eigenen Vorlieben zu argumentieren und die Duldsamkeit gegenüber anderen Vorlieben zu erlernen oder auszubauen!
Lambert Wiesing/Jena. Vom: Ich zum Mich der Wahrnehmung: eine Verstrickung. Ich bin meine eigene Ich-AG meiner Wahrnehmung, denn mein Verstand, Gehirn, Bewusstsein, mein Ich, mein Geist stellen diese Wahrnehmung her. Allerdings ist der heutige Forschungsauftrag jener, die unbewussten Tätigkeiten und Prozesse zu ergründen, rekonstruieren und zu beschreiben. In seinem Vortrag handelt er den historischen Forschungsstand (18. Jhdt. Thomas Reid, Schottland, 19. Jhdt. Konrad Fiedler Sachsen … ) ab und meint u.a.: Allerdings wählen wir aus, um unsere Wahrnehmung zu entlasten: Wir sehen einen Baum und übersehen unbewusst viele andere – so z.B. Arnold Gehlen. Er setzt fort, dass man streiten kann, ob es einen Geist oder ein Ich gibt oder ob man nicht besser rational sagen soll: Es gibt ein System der Wahrnehmung. Das Nicht-Wahrnehmbare wird mal Empfindung, mal Information, mal Impression oder Sinneseindruck genannt. Jedenfalls wird unsere Zeit von dem Mythos bestimmt, dass wir mit einem unbewussten Prozess die Wirklichkeit machen oder konstruieren. Problematisch ist es, wenn wir den Prozess nicht als Modell sehen, sondern mit dem Wirklichkeitsanspruch versehen. Fazit: Die Relation zwischen Mensch und Wirklichkeit ist anders zu denken, als es die Ich-AG tut! Und: Nicht die Genese der Wahrnehmung ist wichtig, sondern die Kenntnis ein Wahrnehmender zu sein! Ich bin in einer unzweifelbaren realen Wirklichkeit selber persönlich dabei. Die Wirklichkeit zwingt mir die Wahrnehmung auf. Ich bin räumlich, zeitlich ein sichtbares Subjekt, weil ich wahrnehme! Bilder befreien uns von dieser vernetzten Wirkung der Wahrnehmung. Sie lassen uns Zuschauer sein!
Roland Reuß. Selbstbewerbung und Selbstverlust. Da die Universitäten tatsächlich es nötig haben, sich „Kompetenzzentrum“ zu nennen, leuchtet ein idiosynkratisches Warnlämpchen auf. Kritisch betrachtet ist ja seit Fr. August Hayeks Vorstellung „alles sei ein Unternehmen und wie ein solches zu führen“ auch auf den Einzelnen die Wirkung sichtbar geworden. Heute im PC-Zeitalter wird das „Sichtbare“ als Wert propagiert und nicht Leistung, z-B. einer Publikation. Hier entstehen Probleme, der Ego-Googler bemerkt, dass sein Eigenempfinden nur nach innen gestülpte Außenwelt ist. Dazu kommt nicht nur seit Hegel die bekannte Tatsache, dass das Ich seine Meinung durch die Sprache nicht ausdrücken kann. (Die Sprache drückt überhaupt nur Allgemeines aus und Ich ist ein absoluter Ausdruck, den sagen alle von/ zu sich. Das Wort „Meinen“ ist außerdem zweideutig, es heißt im Sinne von „Meineid“ auch Täuschung. Dies ist der Startschuss der Sprachkritik Wittgensteins.) Außerdem ist es jedem Staat eigen, zu lenken. Laut Patrick Schnur werden „wir von Personen regiert, deren Namen wir noch nie gehört haben. Sie beeinflussen unsere Meinungen, unseren Geschmack, unsere Gedanken. Doch das ist nicht überraschend, dieser Zustand ist nur eine logische Folge der Struktur unserer Demokratie. Wenn viele Menschen möglichst reibungslos in einer Gesellschaft zusammenleben sollen, sind Steuerungsprozesse dieser Art unumgänglich.“ Die neue Situation, die durch die Selbstvermarktungsplattformen im Internet eingetreten ist (vor allem Facebook und Twitter) verschärft die Entfremdungserscheinungen des Waren-Selbst auf eine historisch bislang einzigartige Weise – so Reuß – nämlich durch den allgegenwärtigen Einsatz von Schrift. Der Markt und seine Advertising-Gesetze fordern vom Unmündigen, der sich unterworfen hat, Tribut. Reuß spricht vom „Durchschuss durch den Ich-Panzer“. „Die scheinbar widerstandslose Ausdehnung des Selbst in der öffentlichen Wahrnehmung findet sich nach Durchlaufen der Such- und Posting-History als Verlust desselben wieder.“ Fazit: Der wahre Status eines Selbst markiert den eigenen und öffentlichen Durchhänger und kommt immer weniger zu Rande!
Erschienen im etcetera Nr. 55 / verloren / März 2014