60/Unentwegt/Bericht: 38. NÖ Landesausstellung 2015: Ötscher:Reich

Literaturbasis ÖTSCHER:REICH

Eine ganz wundersame Gegend, wie sie in Büchern stehen könnte.
Von Ernst Punz, freiberuflicher Autor in St. Pölten. 

Anfahrt 
Wien hat den Semmering, die Rax und den Schneeberg. Wie kommen die Wiener dort hin? Mit der Semmeringbahn. Wer war schon aller dort? So ziemlich alle, vom normalen Zufußvolk über die neureichen Aufsteiger bis zu den Künst.lern und den Kletterkünstlern. Und was hat St. Pölten? Das Ötscherland, das jetzt ein Reich geworden ist: das ÖTSCHER:REICH. Wie kommen die St. Pöltner dorthin? Mit der Mariazellerbahn, über die jetzt eine HIMMELSTREPPE führt und fährt. Wer soll dorthin? Alle, aber ganz besonders die schreibenden Menschen. Die im Zusammenhang mit dem Semmeringgebiet entstan.denen Werke sind Legende. Einige Namen von Schriftstel.lern, die dort weilten und walteten: Arthur Schnitzler, Her.mann Bahr, Fritz von Herzmanovsky-Orlando. Aber auch Ärzte waren da, vor allem jene, die sich mit der Heilung der Seele befassten, und haben Erholung und Inspiration gefunden: Sigmund Freund, Viktor E. Frankl. Manche Wie.ner haben eben Glück und können in der Natur und in der freien Luft der Berge, ihre latenten oder manifesten Stadt.neurosen auslüften lassen, wie eine muffige Tuchent auf der Fensterbank. 
 
Einstieg
Die St. Pöltner, die es gerne in die nahe Wachau und auf die noch nähere Rudolfshöhe zieht, konnten das eigent.lich auch schon seit über hundert Jahren, aber es war viel.leicht nicht allen so wirklich bewusst. Jetzt sind sie dazu ganz besonders herzlich eingeladen. Am neugestalteten Hauptbahnhof können sie ganz bequem in Niederflurwag.gons einsteigen und sich in eine ganz wundersame Gegend gleiten lassen. Selbst des Österreichers liebster Nestbe.schmutzer, Thomas Bernhard -er selbst hat wohl andere als Nestbeschmutzer gesehen und sich selbst als Nestrei.niger - hat in seinem Buch Holzfällen von dieser Bahnstre.cke geschwärmt. Zumindest bis Obergrafendorf, dort hat er auf der ehemaligen Krumpe die Kurve gekratzt und ist weiter nach Kilb, wo ein Teil seines Romans handelt. Wäre er geradeaus weitergefahren und wäre er durchs Pielachtal gerumpelt, hätte er vielleicht die Strecke über Rabenstein, Kirchberg/Pielach, Loich bis Frankenfels-Laubenbachmüh.le beschrieben. 
 
Aufstieg 
Von Laubenbachmühle geht’s dann steil bergauf. Vom neu geschaffenen Betriebszentrum, in dem von 25. April bis 1. November 2015 ein Teil der Niederösterreichischen Lan.desausstellung stattfindet, führt die weit ausholende und kurvige Bergstrecke hinauf nach Winterbach. Auf der Stre.cke und ganz besonders von oben, hat man ganz wunder.bare Blicke ins Tal, auf Wiesen, Wälder, einsame Hütten und Bauernhäuser. Zur Bewältigung der Steigung holt die Bahn derart weit aus, dass man die direkte Wegstrecke in dersel.ben Zeit zu Fuß schaffen kann, zumindest bergab. Bergauf müsste man es ausprobieren. In England und Amerika wür.den sie daraus einen Wettbewerb machen: The Great and the Little Winterbach Challenge. 
 
Gratwanderung 
Die Strecke verläuft von Winterbach gemütlich weiter bis zum längsten Tunnel der Strecke, deren es insgesamt 21 gibt. Seitlich geht’s dafür an manchen Stellen ungemüt.lich hinunter, besonders auf den Viadukten, von denen gibt es 19. Eine Schmalspurbahn auf Gratwanderung. Im Gösingtunnel, 2369 Meter lang, befindet sich die höchste Stelle der Bahnstrecke auf 891,6 Meter. Wenn man wie.der hinaus kommt, sieht man auf die höchste Stelle des Ötschers und vor allem auf den Berggrat, der hinauf führt, den Rauen Kamm. Glücklichen wurde hier schon ein ganz besonderes Erlebnis zuteil, das angeblich gar nicht so selten ist. Bei der Anfahrt bis zu diesem Tunnel war die gesamte Strecke in Nebel gehüllt, nach dem Tunnel blau.er Himmel und der in der Morgensonne weiß leuchtende, schneebedeckte Vaterberg. 
 
Gipfelsieg 
Otcan nannten ihn die frühen Slawen und daher hat er auch seinen Namen. Der Gevatter ist zwar nur 1.893 Meter hoch, dominiert aber rundum die ganze Gegend und hat auch aus der Ferne betrachtet eine imposante und einladende Ge.stalt. Vor Jahren war im Österreichischen Fernsehen eine Sendung zu sehen, die gänzlich dem Ötscher gewidmet war. Erboste Anrufe aus einem westlichen Bundesland mo.kierten sich darüber, wo es doch bei ihnen eine ganze Rei.he Dreitausender gäbe. Die einzige gültige Antwort lautet, nur wer es erlebt hat, kann es verstehen. Kommt und seht. 
 
Panoramabild 
Moderne Fotokameras bieten eine Funktion, bei der mehre.re Fotos zu einem Panoramabild zusammen gefügt werden können. Die Mariazellerbahn überbietet das bei weitem. Auf ihrer gesamten Länge von 85 km führt sie von der Lan.deshauptstadt St. Pölten, in der Mitte des größten öster.reichischen Bundeslandes, bis in Österreichs bekanntesten Wallfahrtsort, Mariazell, in der Obersteiermark. Wer drin.nen sitzt und hinaus schaut, kann die draußen Stehenden nur bedauern. Ihm bietet sich ein dreidimensionales Pa.noramabild, das sich ständig ändert und Eindrücke bietet, die von sanft bis grandios reichen. Zum Betrachten hat der Reisende ausreichend Zeit, denn von einem Anfang zum anderen, dauert die Reise 2 Stunden und 22 Minuten. Wem unsere Zeit zu hektisch ist, der findet hier Genesung. Die Reise ist das Ziel. Und wem die Bilderflut unserer Zeit zu schaffen macht, der findet hier Abhilfe. Ein Tagebuch ins Gepäck gesteckt und die schriftstellerische Reise kann be.ginnen. Wer ausreichend Zeit zum Betrachten hat, dem er.öffnen sich neuen Welten. Bilder können zu Worten werden und später beim Lesenden wieder Bilder entstehen lassen. Und zwar genau in der Zeit, in der man das selber gerne möchte. 
 
Schreibstationen 
Die Niederösterreichische Landesausstellung 2015 bietet auf den Hauptstandorten Neubruck, Frankenfels-Lauben.bachmühle und Wienerbruck sowie auf zwölf weiteren sogenannten ÖTSCHER:REICH-Stationen wunderbare Ge.legenheiten, in die Gegend und in ihre Geschichten ein.zutauchen und mit Bewohnern ins Gespräch zu kommen. Wer sagt den, dass man diese Stationen nicht auch zum Schreiben verwenden kann. Sicher, so mancher scheut sich, geniert sich vielleicht sogar, für das von ihm zu Pa.pier gebrachte. Aber insgeheim hat bestimmt schon jeder Lesende davon geträumt, selbst einmal ein Buch oder zu.mindest Geschichten zu schreiben. Um den schriftstelle.rischen Einstieg zu erleichtern, wird an dieser Stelle eine kleine Hilfestellung gegeben. Im Folgenden findet der zukünftige Erfolgsautor Titelvorschläge und thematische Anregungen. Wer Angst davor hat, sich der nicht immer sehr zartfühlenden Öffentlichkeit preiszugeben, dem wer.den Pseudonyme zur Verfügung gestellt. Nicht einmal eine Schreibhemmung kann als Ausrede gelten, denn für alle Schreibstationen wird ein „Erster Satz“ angeboten, der be.kanntlich der schwierigste ist. Womöglich wird aus einem dieser Sätze einer der sogenannten „Berühmtesten ersten Sätze“. Und wer sich auch vom bevorstehenden Ruhm nicht locken lässt, der sieht vielleicht zwischen den Zeilen Humor hervor blitzen, der einem bekanntlich das Leben und bestimmt auch das Schreiben erleichtert. 
 
Titel: Rosamunde – Pilger der Liebe Autorin: Anna Berg Inhalt: Rosamunde ist unglücklich verliebt und will ins Kloster ge.hen. Ihr Heimatpfarrer schickt sie jedoch zuvor auf Wallfahrt, da.mit sie ihr Vorhaben überdenken und prüfen kann. Auf dem Weg in den Wallfahrtsort begegnet ihr der junge Jäger Franz und macht ihr schöne Augen, da er in seinem Hauptberuf Kosmetiker ist. Mit Franz´ Hilfe startet sie eine steile Karriere als Model, die sie in die ganze Welt führt. Im hohen Alter von vierzig Jahren, aber im.mer noch mit schönen Augen, kehrt sie in ihre Heimat zurück und stellt aus Dankbarkeit eine Kerze auf das Grab ihres ehemaligen Pfarrers und Beichtvaters. Erster Satz: Schade um die Liebe, Rosamunde, sagte der Herr Pfarrer. 
 
Über allen Wipfeln ist Ruh. In dieser Gegend ließen sich Romane schreiben. Almhütte an der Mariazellerbahn. 
 
Titel: Da wo der Hammer hängt Autor: Michel Hammer Inhalt: Die schwarze Gräfin steht unter Mordverdacht. In ihrem Schmiedebetrieb wurde eine Leiche gefunden, die mit einem handgeschmiedeten Eispickel erschlagen wurde. Der Mörder ist diesmal der Ermordete selbst, der gemeint hatte, er könne alle Spuren verwischen, weil der Eispickel ja innerhalb kurzer Zeit schmelzen müsse und somit keine Fingerabdrücke mehr nach zu weisen wären. Beim Verhör schweigt der Mörder eisern. Erster Satz: Es war wieder einmal einer jener Tage, … 
 
3
Titel: Weideplatz Autor: Thomas Bärnegg Inhalt: Ein als Stier verkleideter Rinderdieb treibt die Kühe vor sich her und in den wartenden Transporter hinein. Als er jedoch die rückwärtige Bordwand schließen will, traut er seinen Augen nicht. Die Kühe stellen sich als getarnte Soldaten heraus und halten ihm ihre STGs unter die Nase. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, der in einer sternenklaren Nacht in einer Kuhflade endet. Erster Satz: Eine Knechtschaft, besteht ja nicht nur darin die schwere, mit Mist gefüllte Scheibtruhe über die losen Bretter hi.nauf zu schieben, eine Knechtschaft besteht nicht nur darin die Scheibtruhe zu kippen und in einem Schwung zu entleeren, eine Knechtschaft ... 
 
4
Titel: Unter Strom Autor: Werner Bruck Inhalt: Starkstrommonteur Moritz Bieringer hat einen sonder.baren Plan. Er will beweisen, dass man Waldbäume mittels elek.trischer Spannung dazu bringen kann, schneller Pech abzuson.dern. Der Roman endet auf der zweiten Seite, Bieringer endet mit Verbrennungen unbestimmten Grades. Erster Satz: Brzzl, brzzl. 
 
Titel: Im Namen der Lilie Autor: Hubert Echo Inhalt: Der junge Mönch Frater Lillian wird von seinem Ordenso.beren beauftragt, sämtliche Bücher der Stiftsbibliothek abzu.stauben. Die Dinge gehen nur langsam voran, da Frater Lilian ein ausgesprochener Bücherwurm ist. Im Alter von 80 Jahren ist er gerade einmal bei Regal Nummer Zweiunddreißig angelangt. Ver.geblich haben seine Mitbrüder versucht, ihn von seiner Tätigkeit abzubringen. Frater Lillian bleibt stur und beruft sich auf den Auf.trag des Oberen, der bald nach Auftragserteilung das Zeitliche ge.segnet hat und seine Weisung nicht mehr zurück nehmen konnte. Erster Satz: Mein lieber Frater Lillian, sagte der Ordensoberste, ich hätte da eine interessante und verantwortungsvolle Aufgabe, für den man nur einen Auserwählten heranziehen kann. 
 
Titel: Das Moor hat seine Schuldigkeit getan Autor: Karl Hoch, genannt „Da Hochkoarl“ (Schüler von Hans Ernst) Inhalt: Jahrhundertelang hatte das Hochmoor den Menschen Ar.beit und Einkommen gegeben. Doch nun ist die neue Zeit einge.kehrt. Die ehemaligen Moorstecher haben ihre Schaufeln gegen Schistöcke getauscht und verdingen sich als Schilehrer. Viele lu.stige und lustvolle Erlebnisse reihen sich aneinander. Erster Satz: Geh, Resi, mach den Fensterl auf. 
 
Titel: Da wo´s dir den Arsch abfriert Autor: Lutz Amsee Inhalt: Schlittschuhläufer Axel hat alle großen Preise in seinem Metier errungen. Jetzt legt er sein hart verdientes Preisgeld in ein Seerestaurant mit Terasse an einem herrlichen Bergsee an. Im Winter läuft er zum Ausgleich nach wie vor Schlittschuh und im Sommer durchschwimmt er täglich den gesamten See, ein.mal hin und wieder zurück. Die Spannung setzt ein, als Axel vom Trampolin springt und zuvor vergessen hat, die Bundschnur fest.zuziehen und zu verknoten. Als er wieder auftaucht ist die Bade.hose weg und vor seinem Restaurant hält ein Autobus mit jungen deutschen Urlauberinnen. Axel bleibt nichts anderes über, als ans andere Ende des Sees zu schwimmen. Eine der längsten Almwan.derungen beginnt, an deren Ende ein vollbärtiger, mit Tierfellen gekleideter Mann das Seerestaurant betritt und behauptet, er sei der Chef. Erster Satz: Es war einer jener heißen Augusttage, an dem einem sogar die Badehose zu warm ist. 
 
8
Titel: Mother of Grace Autorin: Mary Cell Inhalt: Der Roman wurde auf Englisch verfasst und befindet sich noch im Übersetzungsbüro. Das internationale Übersetzerteam berät sich derzeit darüber, ob man das Wort Grace mit Gnade oder doch besser mit Huld übersetzen soll. Erster Satz: siehe Inhalt 
UNENTWEGT|Mai 2015 19 
 
Titel: Was sie schon immer über Holz wissen wollten, aber sich nicht zu fragen trauten Autor: Woody Ghostling Inhalt: Ein Holzknecht hat merkwürdige Träume. Beim Triften der Baumstämme hat sich ein Stau gebildet, der sich nun übermanns.hoch auftürmt und sich über die Wiese wälzt. Nur wenige Me.ter vor der Hütte bleibt das Holz liegen. Der Holzknecht wacht schweißgebadet auf, eindeutig ein feuchter Traum. Vorsichtig lugt der Holzknecht bei der Hüttentür hinaus und wäre beinahe über die beiden Milchflaschen gestolpert, die ihm die Sennerin auf die Schwelle gestellt hat. Aus der Ferne ist ein feminines Juchzen zu hören. Der Holzknecht weiß, was zu tun ist. Erster Satz: Mit fester Hand schob er den Baumstamm wieder hinein ins Bachbett. 
 
10 
Titel: Alpe Autor: Felix Mitterbach Inhalt: Die Ausländerfrage hat die Gebirgsregion erreicht. Nigeria.nische Asylwerber haben in einer Dorfpension Herberge gefunden und wollen sich nützlich machen. Doch das ist nicht leicht, Gesetze müssen eingehalten werden. Einwohner, die sich darauf besinnen, dass ihre Vorfahren vor Jahrhunderten aus Glaubensgründen in die.se Gegend geflüchtet sind, nehmen sich der Asylwerber an. Erster Satz: Der Zug blieb stehen und die Türen öffneten sich mit einem leisen Zischen. 
 
11 
Titel: Erdäpfel und Enzian Autor: Karl Klausner Inhalt: Anleitung zur Herstellung von flüssigen Arznei- und Desin.fektionsmitteln aus Obst, Kräutern und anderen Pflanzen. Erster Satz: Lieber Freund der hochgeistigen Naturprodukte! 
 
12 
Titel: Das Dirndl vom Tal Autorin: Cornelia Hartriegel Inhalt: Gleich wie Cornelia Hartriegls Erstlingsroman „Der Bua vom Berg“, aber diesmal versetzt mit einer leichten frauenrechtle.rischen Attitüde. Zum Schluss bekommen sie sich trotzdem. Erster Satz: Jeanette-Simone Reisinger glitt das Buch Das andere Geschlecht aus der Hand und begann zu träumen. 
 
13 
Titel: Starpeace Autor: George Buchan & Lucas Stewben Inhalt: Von der Welt völlig unentdeckt landen Venusmenschen in ei.ner der finstersten Gegenden Mitteleuropas. Sie sind auf der Flucht vor den Marsmenschen. Können sie entkommen? Ein Bergbauer und ein Hobbyastrologe, die den Anflug und die Landung heimlich beo.bachtet haben, überlegen, was sie tun sollen. Im zweiten Kapitel wer.den das gute alte Wählscheibentelefon und der Kupferdraht gelobt. Erster Satz: Ich muss die Werbeabteilung der Landesregierung an.rufen, dachte er, doch das Mobilfunknetz war aufgrund der hohen Strahlung zusammen gebrochen. 
 
14 
Titel: Der Waldschullehrer Autor: P. Trübini Inhalt: Ein Jungpädagoge gerät in Gefahr, an Vereinsamung zu Grunde zu gehen. Doch dann hält der technische Fortschritt Ein.zug auf der Waldlichtung. Es folgt eine Aneinanderreihung von ca. dreihundert unzusammenhängenden Szenen, bis die Batterien der TV-Fernbedienung den Geist aufgeben. Keine neuen Batterien im Haus und der Zufahrtsweg bleibt wochenlang zugeschneit. Die Ver.bindung zur Außenwelt ist abgeschnitten. Gibt es noch einmal ein Entrinnen? Erster Satz: Er stand auf dem Dach, justierte die Halterung genau in Richtung Satellit und freute sich wie ein kleines Kind. 
 
15 
Titel: Die Angst des Wanderers vor der Nacht Autor: P. Ötschke Inhalt: Wanderführer für das Gebiet der niederösterreichischen Ostkalkalpen mit genauer Beschreibung der Almhütten, Jausensta.tionen und Landgasthäuser inklusive Bettenanzahl. Erster Satz: Lieber Wanderfreund des ÖTSCHER:REICHES!  mehr...

58/Niemand/NIEMAND anderer als Willi Kollar!; Bericht: Eva Riebler-Übleis

Eva Riebler-Übleis

NIEMAND anderer als Willi Kollar!

Eva Riebler-Übleis zum Ausstellungskatalog KOLLAR (Galerie Vienna, Mödling, mit einem Vorwort von Makis Warlamis/Kunstmuseum Waldviertel, 72 Seiten ISBN 978-3-200-01626-2) und zur Ausstellung Abstrakte Welten in der Altstadtgalerie Hall/Tirol, Schlosserg. 6 (zu sehen bis 15. Nov. 2014, Di-Sa).

Er wurde 1950 in St. Pölten geboren, war kurzzeitig Hauptschullehrer und lebt seit 20 Jahren mit der Malerin Eleonore Hettl sehr zurückgezogen in einem zum Atelier umgebauten Wirtshaus in der Nähe von Waidhofen a.d.Thaya. Beide sind Mitglied des Künstlerbundes St. Pölten. Er begann seine Ausstellungstätigkeit 1989 in der Kleinen Galerie St. Pölten und bei der Kunstmesse in der Wiener Hofburg (Galerie Rondula) und ist heute in zahlreichen Galerien vertreten (Rondula Wien/Lienz, Galerie Andreas Lendl Graz, Art Larson Salzburg, Prisma Wien, Angerer Schwaz) und u. a.; seit über 20 Jahren (erstmals 1993) in der Galerie Maringer
St. Pölten. 2001 kam im Heimatmuseum Waidhofen an der Thaya der 40-seitige Katalog „Wilhelm Kollar: Neue Arbeiten, ISBN 3-902162-00-7 mit einem profunden Vorwort von Mathias F. Müller heraus.

Kein Künstler will ein NIEMAND sein. Sein Werk hebt ihn aus der Anonymität heraus, frei nach dem Motto: Was aber bleibt stiften die …Besonders wenn er Wilhelm Kollar heißt und quasi Vollblut-Zeichner und –Maler ist.

Nichts entgeht seiner Beobachtungsgabe und seinem Raumgefühl. Zeichnet er, so beachtet er auch den Negativraum; malt er, so finden wir ebenfalls den Raum, in dem seine Figuren auftauchen oder ein- und untertauchen. Werke ohne Raumdarstellung gibt es quasi nicht, auch wenn der Hinter- oder Vordergrund vor allem bei den zahlreichen Aktzeichnungen leer erscheint. Die Figur ist trotzdem in den Raum gesetzt und tritt uns direkt und körperlich gegenüber. Dazu braucht Wilhelm Kollar keine Augen, die den Betrachter anschauen oder sich von ihm wegdrehen. Auch wenn die Figur, die vor dem Künstler positioniert ist, eine individuelle ist, in seiner Darstellung wird sie allgemeingültig und entpersonalisiert – sozusagen vom Jemand zum NIEMAND. Niemals möchte Kollar ein erkennbares Portrait malen. Dies liefe seinem raschen Malduktus und seiner Gestik zuwider! Zwingen müsste er sich dazu! Aber das widerstrebt ihm sicher, denn dann hätte er sich bereits vor 25 Jahren gezwungen sogenannte „Verkaufsbilder“ zu malen, die dem Geschmack des/der Durchschnittskäufers/in entgegen kämen. Und so bleibt Kollar sich stets selber treu und wird in seinem Habitus, seiner Strich- und Pinselführung maximaler und intensiver.

© Wilhelm Kollar/Radikal verkehrt

Chaos, wie das das Katalog-Vorwort von Makis Warlamis (ebenfalls ein Maler aus dem Waldviertel) behauptet, herrscht auf seinen Bildern keinesfalls! Vielmehr Präzision und den Willen zur Form- und Figurgestaltung, die durch Verdichtung und Verwischung verdeckt und nur erahnbar wird. Die menschliche Figur ist in der Malerei stets Bildinhalt. Kollar bringt sie oft als letzte Strichführung zum Vorschein, sei es durch kräftiges Herauskratzen oder er akzentuiert sie mit lockerem Gestus.

Genauso locker und doch präzise sind seine Aktzeichnungen mit farbiger, oft wasserlöslicher, Caran Dache Kreide und zeigen genauso wenig einen „ambivalenten Werdeprozess“ (den behauptet Warlamis, hervorgehend aus „vager Erinnerung und Farbkomposition“). Vor allem die Akte zeugen von der Direktheit und Impulshaftigkeit. Nichts wird im Nachhinein geschönt oder verändert. Sie kommen in zwei bis drei Minuten aufs Blatt und zeigen die Kraft, die dem Model und dem Zeichner Kollar innewohnen.

Kein Rötel oder schwarzer Kohlestift alleine genügen Kollar als Aktzeichner! Nein, so wie in seiner Malerei bedarf er automatisch der Farbwelt! Die Figuren werden in Gelb, Grün, Lila Orange … angelegt und akzentuiert. Diese Zeichnungen finden wir bruchlos in seiner Malerei wieder, oft in den gleichen Farbintensitäten, nur in Acryl kommt natürlich das Weiß als Konturfarbe (das ja auf dem weißen Papier nicht möglich wäre) dazu. Die Farbe ist für Kollar unverzichtbarer Bestandteil und tritt in Interaktion mit der Form. Seine Formen sind oft ins Bild Geworfene, wie es die Menschen ins Leben sind. Daher kann man sagen, er ist nahe am Alltagsleben wie Weltgeschehen, so aufregend bunt oderdramatisch düster seine Bilder auch sein mögen.

© Wilhelm Kollar

Ein Manko des Kataloges, der in der Altstadtgalerie Hall aufliegt: Leider sind die Aktzeichnungen in der den Katalog abschließenden Legende weder angeführt noch gibt es bei den großformatigen Malereien irgendwelche Jahreszahlen.

Gott sei Dank sind die Titeln vorhanden, geben sie doch Aufschluss darüber, dass der Künstler ganz klar vom Gegenständlichen, vom Menschen, genauer gesagt vom weiblichen Akt – ausgeht, auch wenn die Titel „Erleuchtung“ S. 22, Auflösungserscheinung“ S. 36 oder „Leicht und schwer“ S. 15 und „The Vous Carré“ heißen. Wenn man die Bildinhalte nicht entschlüsseln kann, so helfen ja auch Titeln der Tempera-Arbeiten wie „Beabsichtigte Irritation“ oder „Süsses Geheimnis“ (beide 2000 und im Katalog Heimatmuseums Waidhofen) weiter!

Es bleibt Wilhelm Kollar zu seinem Werk und zu seiner unbeugsamen Haltung gegenüber seiner inneren Klarheit und seiner ihm eigenen Abstraktion zu gratulieren! mehr...

58/Niemand/NIEMAND anderer als Willi Kollar!; Bericht: Eva Riebler-Übleis

56/wunder/Bericht: Wundern, staunen, entdecken: Die Wiener Wunderkammer 2014 als Kraftfeld der Kreativität

Gertraud Artner

Wundern, staunen, entdecken
Die Wiener Wunderkammer 2014 als Kraftfeld der Kreativität

Ein Publikumsmagnet der besonderen Art führte Anfang April in den  Prechtl-Saal der Technischen Universität Wien: die Wiener Wunderkammer 2014, ein Konzeptkunstwerk von Christoph Überhuber, Initiator und Kurator der Ausstellung. Höchst unterschiedliche Künstler/innen und Wissenschaftler/innen verwandelten mittels 35 Installationen den eher weitläufigen Saal in einen dichten Parcours kurioser Objekte, darunter Maschinen, Instrumente, Schautafeln,allerlei Artefakte und Kunstwerke in zwei und drei Dimensionen. Die Besucher/innen tauchten in einen Erlebnis-Garten des Wunderns und Staunens, voller Bewegungsabläufe und audiovisueller Impulse ein, die vielfach zur Interaktion einluden.

 Über das zugrundeliegende Konzept dieser innovativen Ausstellung sagt Überhuber: „Durch ein Nebeneinander von Exponaten aus sehr unterschiedlichen Gebieten der Kunst und der Wissenschaft entsteht die Basis für neue Assoziationen und Akte der Kreativität. Es wird damit eine alte Form der Kunstpräsentation, das Wunderkammer-Prinzip, zu neuem Leben erweckt und mit neuen Bedeutungen versehen. Dadurch können gewohnte Sichtweisen, Begriffe und Zusammenhänge hinterfragt und neue Regeln gefunden werden. Ziel ist es, durch das Arbeiten mit Kontexten, Bedeutungen und Assoziationen die Fantasie zu bewegen und kreative Handlungen anzuregen.“

 

 Das Datum der Präsentation entbehrt nicht einer gewissen Symbolik, schließlich jährte sich zum ersten Mal die lang erwartete und viel beachtete Neueröffnung der Kunst- und Wunderkammer im Kunsthistorischen Museum Wien, der weltweit wohl bedeutendsten Sammlung auf diesem Gebiet. Dank der engagierten Bemühungen von Generaldirektorin Sabine Haag sind die einzigartigen Kostbarkeiten der Habsburger wieder allgemein zugänglich.

 

Früher waren Wunderkammern eine allseits beliebte Attraktion.„Staunen, entdecken, verstehen“ lautete das Credo dieser kuriosen Sammlungen, die sich Fürsten und Adelige von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts einrichteten und deren zur Schau gestellte Schätze vor allem die Interessen und Vorlieben, kurz die individuelle Weltsicht ihrer Eigentümer widerspiegelten. Als Keimzelle moderner Museen umfassten die Wunderkammern sowohl von Menschen geschaffene Gegenstände (Artificialia) als auch Objekte aus der Natur (Naturalia), wissenschaftliche Geräte (Scientifica) und allerlei Kuriositäten und Exotika. In ihrer Gesamtheit sollten die Wunderkammern als „Welt im Kleinen“ die Schöpferkraft Gottes repräsentieren. Vor allem aber symbolisierten sie die Macht und die Beherrschung der Welt durch deren Besitzer.

 

Natürlich geht es in der Wiener Wunderkammer 2014 nicht um die Fortführung oder Wiederbelebung überkommener Weltbilder. Ebenso wenig will Überhuber ein nostalgisches Universaldenken der Romantik oder gar ein Ausufern in die Esoterik unterstützen.  Im Vordergrund steht die ganzheitliche Sicht von Kunst und Wissenschaft als wichtigste Kreativfelder des Menschen, die bereits in der Antike in einer spannenden und spannungsvollen Beziehung zueinander wahrgenommen wurden, sich gegenseitig inspirierend und beflügelnd. Erst seit dem 19. Jahrhundert traten Kunst und Wissenschaft in ein Konkurrenzverhältnis. Gleichzeitig entwickelte sich ein Objektivitätsideal, das scheinbar keinen Platz für künstlerisches Denken in der Wissenschaft zuließ.

 

Demgegenüber beobachten wir seit wenigen Jahren eine neuerliche Annäherung beider Bereiche. Eine verwissenschaftliche Welt drängt die Kunst zur Auseinandersetzung mit der Wissenschaft, und die Frage nach dem eigenen Status bringt die Wissenschaft zumindest punktuell dazu, sich mit der Kunst auseinanderzusetzen. Aktionen wie die Förderung der künstlerischen Forschung im Programm PEEK (Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste) durch den österreichischen Wissenschaftsfonds dienen einer zunehmenden Auflösung der Gegensätze.

 

Einen bemerkenswerten Impuls zur Annäherung von Kunst und Wissenschaft gab es 2012 mit der Präsentation physikalischer Experimente durch den Quantenphysiker Anton Zeilinger auf der documenta in Kassel. Ein Jahr später, auf der zentralen Ausstellung der Biennale 2013 in Venedig versuchte Massimiliano Gioni mit dem „Enzyklopädischen Palast“ das Wissen der Menschheit in visueller Form zu strukturieren. Kunst sollte nicht Selbstzweck sein, sondern zurückgeführt werden auf das, was sie einmal war: ein Schlüssel zum Verständnis der Welt.

 

Folgerichtig wurde die Wiener Kunstkammer 2014 mit einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Wiener Vorlesungen eröffnet, quasi zur Einstimmung diente ein Zitat Albert Einsteins: „Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich nicht wundern, nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen tot und sein Auge erloschen.“

Unter dem Titel „Geheimnis und Entzauberung“ diskutierten die Generaldirektorin Sabine Haag und Christoph Überhuber, selbst Wissenschaftler und Künstler, über das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst. Völlig verfehlt wäre es, so Überhuber, wissenschaftliche Tätigkeit auf die lineare Komposition von Fakten und Daten zu reduzieren. Vielmehr ist jeder Paradigmenwechsel Ergebnis und Beweis des oft unterschätzten kreativen Potentials in der Wissenschaft. Wenig überraschend unterstrich Sabine Haag das Primat der Kunst in ihrem Tätigkeitsbereich, in dem der Wissenschaft eine eher dienende Funktion zukomme. Gleichwohl räumte sie gerne ein, dass Kunst- und Wunderkammern auch heute möglich und sinnvoll wären.

 

Bei der Wunderkammer 2014 handelt es sich allerdings nicht um eine Sammlung, sondern um eine Ausstellung mit Event-Charakter. Zur Teilnahme wurden Wissenschaftler/innen aller Disziplinen und Künstler/innen aller Genres eingeladen, der Öffentlichkeit Einblick in die Besonderheiten ihrer wissenschaftlichen bzw. künstlerischen Arbeiten zu geben. Aus 125 eingelangten Einreichungen wählte eine Jury aus Vertretern der Wissenschaft, Kunst und Medien (Valie Export, Elisabeth von Samsonow, Renée Schröder, Martin Bernhofer) jene 35 Beiträge aus, die schließlich in der Ausstellung präsentiert wurden:  ein Ensemble an künstlerischen und wissenschaftlichen Wunderdingen, die mit ihrer ästhetischen wie materiellen Präsenz jenen Moment der Neugierde wachrufen, den die Wahrnehmungstheorie als Voraussetzung für Forschen und Erkenntnis sieht.

 

Christoph Überhuber versteht die Wiener Wunderkammer 2014 als ein Werk der Konzeptkunst. Entscheidend ist die Idee. Ihre Art der Ausführung bleibt von untergeordneter Bedeutung und es muss auch nicht der Künstler selbst sein, der sie realisiert. Teil des Konzepts ist eine jährliche Präsentation, und demnach wird sich die Wunderkammer 2015 so wie die Wunderkammer 2016 etc. jeweils signifikant unterscheiden in ihrer konkreten Realisierung, in der Wahl der Exponate und ihrer Anordnung. Bestehen bleibt die Idee, nämlich die assoziative Auseinandersetzung mit den beiden wichtigsten Kreativbereichen: Kunst und Wissenschaft. 

 

Erschienen im etcetera Nr. 56 / wunder / Mai 2014 mehr...