47/Pöbel/ Künstlerportrait: Christian Lackner. Ingrid Reichel

Christian Lackner
iPhone-Kunst. Eine Bestandsaufnahme.

 

Ingrid Reichel lernte den spritzigen und humorvollen Künstler Christian Lackner bei seiner Ausstellung in der Wiener Galerie Bilderwerkstatt im Frühjahr 2011 kennen. Im Trend der heutigen Zeit unterhielten sie sich per Mail und via Facebook über digitale Kunst. www.christianlackner.net

Was ist Kunst?, fragt man sich immer wieder. Tausend Bücher von Experten, doch nicht wirklich eine befriedigende Antwort. Eine seltsame, weil rückschrittliche Frage aus vergangener Zeit holt die Gegenwart ein: Arbeitest du noch mit Pinsel oder schon mit den Fingern? Die Frage hat sich als Zukunftsvision herausgestellt: Touchscreens ermöglichen Fingermalerei. Willkommen in der Zukunft!

Der Kunst wurde mehr als einmal der Tod vorhergesagt, doch mit der technischen Evolution gibt es auch eine künstlerische Weiterentwicklung. Wohlgemerkt nicht die Künstler sind die Visionäre der Technologie, aber sie bedienen sich dieser, um ihre Vorstellungen und Beobachtungen umzusetzen. Sowie die Fotografie sich rasant digitalisiert hat - nebenbei ist sogar die Firma Kodak insolvent geworden, weil sie sprichwörtlich die Digitalisierung verschlafen hat - so schafft es nun auch das Tafelbild durch Smartphones und Computer-Tablets zur Virtualität. Interessant hierbei ist, es bedurfte dafür der Mobilität. Gibt es doch seit Anfang der 80er Jahre bereits das elektronische grafische Zeichenbrett Wacom, auf dem man mithilfe eines speziellen Stiftes wunderbar digital zeichnen, malen oder schreiben kann, vorausgesetzt man besitzt einen Standrechner oder einen leistungsfähigen Laptop mit einem guten Grafik bzw. Fotoprogramm. Obwohl das digitale Zeichenbrett ein übliches Utensil vieler Berufe geworden ist, so hat es die Künstler nicht besonders inspiriert. Grund hierfür könnte eine zu teure Gesamtanschaffung mit null Mobilität sein.

Ganz anders die heutigen erwähnten Kleingeräte, die zwar im Vergleich zu ihrer Größe und Leistung auch teuer sind, aber dafür in die Hosentasche passen, überall benutzt werden können und keinerlei Zusatzutensilien bedürfen. Weg mit dem Pinsel und der Farbpalette, weg mit der Staffelei und der Leinwand, weg von all den sperrigen Werkzeugen! Dabei ist alles erlaubt, es gibt keine Regeln. Warum? Wohl, weil eine neue Form der Kunst NOCH nicht akademisiert ist und daher keiner Ordnung unterliegen kann. Und auch das ist eine Art von Revolution, eine gewaltlose, ja stille Form der Anarchie der unbekannten Künstler. Doch halt!

Natürlich machen sich schon wieder Superstars ans Werk. Unlängst wurde in den Medien groß angekündigt: David Hockney macht auf iPad-Art. Der 1937 geborene, renommierte britische Multitasking-Künstler konnte mit seinen überdimensionalen landscapes im Januar 2012 in der noblen Royal Academy in London Einzug halten. [1] Damit hätte der 75-jährige Hockney seinen Anschluss an die moderne Technologie bewiesen, doch das Revolutionäre an dieser Stilrichtung verschlafen haben. Wozu auf einem iPad arbeiten, wenn es um diese Formatübergröße mit hoher Bildauflösung geht, und sie zu erreichen letztendlich eines schnellen guten Rechners bedarf? Man soll nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Es wird sich weisen, in welche Richtung diese Technik sich entwickeln wird.

Unser Heftkünstler Christian Lackner ist auch ein Multitasking-Künstler, seine Situation unterscheidet sich allerdings gravierend von Hockneys Glamour. Gleich als 2007 das iPhone auf dem Markt erschien, kaufte sich der junge Wiener Künstler eines und fand passende Apps [2] dazu. Seither kann unser bildender Künstler und Musiker die Hände von seinem iPhone nicht mehr lassen. Mittlerweile besitzt er auch ein iPad. Insgesamt über 300 Werke sind in kurzer Zeit entstanden und konstant auf seiner Homepage und auf Facebook weltweit virtuell sowie lokal real in Ausstellungen in manchen Bars, Cafés, Restaurants und Galerien in Wien und NÖ zu sehen. Fernab großer Institutionen ist er bestrebt diese neue Stilrichtung in der Kunst zu etablieren, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei sei erwähnt, dass die Arbeit am iPhone eine mühsame ist. Es bedarf einer großen Fingerfertigkeit, sich auf solch einem kleinen Touchscreen zu behaupten und vieler Klicks, bis das Werk vollendet ist.

Alles nur Spielerei? „Die Kunst ist allgemein eine Spielerei, sie spielt genauso mit dem Betrachter wie er mit ihr.”, antwortet Lackner. Im Prinzip könne man alles als adäquate Kunstrichtung bezeichnen und demzufolge am Kunstmarkt etablieren, vorausgesetzt, man will es und kann es sich leisten, meint Lackner. Entscheidend sei der richtige Zeitpunkt: „Wenn der Künstler passt, dann wird es für Sammler von Wert sein, egal was er macht.” Lackner kennt persönlich keine weiteren iPhone-Künstler. „Die iPhone-Art ist nicht sehr verbreitet. Für die meisten wird es zu mühsam sein und oder zu spielerisch. Für mich ist es purer Ernst. [...] Wenn mehr es machen würden, wäre mehr Konkurrenz und mehr Markt, das wäre gut für alle, aber unwichtig für den Künstler, der sich eines Werkzeugs bedient. Ich mach’ deswegen auch sehr viel Unterschiedliches. Das ist so wie mit Aktien spekulieren - ein bisschen da, ein bisschen dort, nur nicht zu viel wegen des Risikos, aber auch nicht zu wenig und schauen, dass man am Puls der Zeit bleibt. Ich denke, in der heutigen Szene musst du als Künstler sehr, sehr aufmerksam sein und alles bedenken und beobachten, ansonsten verpasst du vielleicht deinen Zug und kommst nicht zur richtigen Zeit an.”

Bereits im Alter von 10 Jahren begann Lackner mit Bleistift Fratzen und anders Unheimliches zu malen. „Meine Eltern waren begeistert, aber auch besorgt und schickten mich in eine Zeichenschule und zu einem Psychologen (einmaliger Termin). Dieser meinte, ich hätte anscheinend irgendetwas Schlimmes erlebt oder in meinem Leben davor, oder so. Ich weiß von nichts, bis auf den üblichen Wahnsinn, den man so erlebt. Tja, später so mit 13 Jahren habe ich’s dann auf der Graphischen probiert. Dort musste ich Glühbirnen und Werkzeuge zeichnen. Das war anstrengend, aber okay. Ich hab’ mich gar nicht so schlecht angestellt, aber es dennoch nicht geschafft.”

Als 15-Jähriger hat er sich in die Gitarre verliebt und schaffte es nach kurzer Vorbereitung mit 20 Stunden Üben am Tag, scherzt Lackner, ans Konservatorium. Mit ca. 18 Jahren hat er angefangen, Möbelstücke und Schranktüren mit Lack zu bemalen. „Trashi-Poppi-Schlampi-Irri! Hatte dann keine Möbel mehr (fast) und habe dann vom Müll Türen geholt. Irgendwann hatte ich aber keinen Platz mehr und auch keine Verwendung, deshalb habe ich sie entweder verschenkt oder MA 48 [3] überstellt. Teile davon gibt es aber noch bei mir.” Mit 20 etwa kaufte er sich zum ersten Mal eine Leinwand, bis 10 Jahre später die Wohnung voll war. Nun stand Lackner vor der Entscheidung: “...entweder weg damit - MA 48 - oder verkaufen. Oder zu probieren öffentlich auszustellen und Feed-back zu holen, weil das muss gemacht werden, ansonsten sehe ich keinen Sinn darin mit dem Ding so aufzublühen.” Dazwischen hat er die Kunst gemixt, einige “komische CDs” gemacht, bei einigen “komischen Veranstaltungen” mitgewirkt. Er selbst sieht sich als Instrumentalist seiner Musik, aber auf keinen Fall als Entertainer. „Manchmal mach’ ich auch Spaß, das gefällt den Leuten anscheinend, aber das ist die pure Angst davor, dass sie mir nicht richtig zuhören.”

Lackner fasst sich kurz. Seine Sätze sind im Telegrammstil gehalten, man merkt seine Ruhelosigkeit, seine Freude am Tun. Seine Werke auf Leinwand unterscheiden sich von den digitalen nur im Medium, nicht im Inhalt. Im Moment durchlebt er betreffend der Leinwand und Holzplattenbilder eine Rahmenphase. „Daher ist der Unterschied einerseits das Medium, auf dem es dann sichtbar wird (wie Du ja schon weißt, kann ich meine iPhone-Art auch auf Leinwand oder Fotopapier drucken), zum anderen die Impulsivität des Entstehungsprozesses:

Kleine Leinwand, kleine Möglichkeiten, aber viel Humor und Frechheit und Trash machen es teilweise wieder wett. Bei großer Fläche bin ich freier und kann mehr atmen, aber die Qualität soll bitte nicht verglichen werden. Egal ob 2 MB [4] Bild mit 13 Patzen Farbe oder 10 cm Bild mit 1500 Farben. Es gefällt oder nicht. Es ist eine Stimmung, nach der mir sein muss.”

Auf die Frage, ob es ihm inhaltlich auch um Politik, Mobilisierung, Meinungsbildung geht, antwortet er: „Nö, das kotzt mich ziemlich an sowas. Alles, was mit dem Ding zu tun hat, wie Politik oder Bewegen oder Diskussionen oder so, mich bitte damit in Ruhe lassen, dafür bin ich auch nicht gebildet genug, um da mitzusprechen und Politik ist eigentlich überall, deshalb kann man, wenn man sucht und will, sicher auch bei meinen Sachen etwas davon finden. Selbst ich kann das. Das ist dann der offizielle Reiz an der Kunst. Ich glaub’ dann wird sie wertvoller, aber trotzdem, mir egal. Hauptsache, die kaufen meine Bilder und hängen sie in ihre Kanzleien, dann kann ich mit meiner Bestrahlung beginnen.”

Bei der iPhone-Art stellt sich unweigerlich die Frage nach dem Original. Wie löst Lackner dieses Problem? „Ich habe mir ein Siegel mit meinen Initialen “CL”- soll zugleich auch mein Künstlername und Erkennungsmerkmal sein - anfertigen lassen und verwende unterschiedliche Wachssiegelfarben. Plus, ich signiere die iPhone-Bilder auf dem Ausdruck immer. Manche limitiere ich auch mit einer gewissen Stückzahl. Das machen schließlich alle und hat was von Künstlertradition. Auch im Street-Art-Bereich [5], der mir gerade sehr wichtig ist, kannst du das vermehrt finden. Ich habe seit ein paar Monaten damit geflirtet und es gefällt mir. Mal sehen.”

Lackner macht auch Skulpturen und Installationen. Gartenzwerge sind ein immer wiederkehrendes Thema. Welchen Reiz strömen sie aus, was verbindet Lackner mit ihnen?

„Gartenzwerge sind stresslos. Sie sind friedlich und blöd und komisch und naiv und stehen in jedem Ö Garten. Hätte ich einen Garten, würd’ ich nur echte reinstellen. Die kann ich bemalen und müsste nicht aufpassen, dass ich den Kunstmarkt der Gegenwart treffe, oder doch? Naja, das, was mir gefällt, wird von mir behandelt und da schleicht sich auch ab und zu ein Gartenzwerg ein. Aber politisch oder sozialkritisch soll es von mir nicht sein, kann aber, mir egal. Was der Betrachter interpretieren will, soll er selbst entscheiden dürfen. Fakt ist: Die sind irre, wer hat die erfunden?”

Sein persönliches Statement zum Thema Pöbel?

“Bäckerschupfen - Pelztragen - Jugend wird von Alter respektlos abgewertet - Respektlosigkeit allgemein - Pöbel ist ziemlich vom Aussterben bedroht! Man muss das ändern - gebt dem Pöbel ein paar Möbel! Danke.

 

[1] David Hockney RA: A Bigger Picture 21.01. - 09.04.2012, Royal Academy, Main Galleries, London
Video: http://www.royalacademy.org.uk/exhibitions/hockney
[2] engl. Kurzform für application: Anwendungsprogramme bei Smartphones und PC-Tablets
[3] Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark des Magistrats der Stadt Wien
[4] Kurzform von Megabyte. Byte ist die Maßeinheit in der Digitaltechnik und Informatik mit Faktor 210 = 1024: 1 Kilobyte (kB) = 1024 Byte, 1 Megabyte (MB) = 1024 Kilobyte = 1024
[5] Kunstbewegung, die sich ausschließlich im öffentlichen Raum abspielt: Graffitis, Murals, Bodenmalereien, Stencils (Schablonenkunst), Aufkleber, Stickers, Pasts-Ups (mit Kleister und Leim aufgezogene Plakate), Straßenmöbel und Installationen.

Christian Lackner
Geb. 1979 in Wien. 1993-1995 SDV (Schule für Datenverarbeitung), 1995-2002 Vienna Konservatorium mit Hauptfach Jazz/ Rock/ Fusion-Guitar bei Fritz Steiner. Ab 2000 parallel “VMI” (Vienna Music School), Abschlussdiplom in Jazzgitarre. Beruflich viele Studentenjobs: Marktforscher, Flyerverteiler, Fiakerkutscher (Das war wohl das Irrste!), Museumsaufsicht, Rettungssanitäter. Brotjob zurzeit als IT-Administrator einer Firma in Wien. Seit 1998 Beschäftigung mit Malerei in Lack, Acryl, Vinyl auf Holz und Leinwand u.v.m.
2007 Entstehung der CL iPhone-Art Ausstellungstätigkeit seit Herbst 2010 in Wien und NÖ in Cafés, Restaurants, Bars, Galerien: Fratz: Trotzki-Bar, Wien; Sehfeld: Kantine Schauspielhaus, Wien; Mutante Fratz: Café Wirr, Wien; Von Amore bis Zipf: Café Club International, Wien; iPhone-Art the next generation: Café XI, Wien; eSel Cubicle Opening/ Schließfachinstallation: eSel Rezeption/ Quartier 21, Wien; A(C)LL: Galerie Bilderwerkstatt, Wien; 2. Puchberger Kunststraße: Hansis Red Zac Shop, Puchberg am Schneeberg; Vulkan: Kantine Museumsquartier, Wien; Café Lokal So, Wien.
Ab März 2012: Kantine Schauspielhaus, Wien!