82 / Zwischenzeit / Heftkünstlerin / Linde Waber

„Ich habe mich nicht davon abbringen lassen“, sagt die österreichische
Künstlerin Linde Waber, die heuer ihren 80.Geburtstag
feierte. Im Interview erzählt sie vom Aufwachsen im
Waldviertel, den Anfänge als Künstlerin in einem männlich
dominierten Umfeld sowie der Zusammenarbeit mit Literaten/
Literatinnen.
Cornelia Stahl traf sie zum Interview.


Paul Watzlawick vertrat die These: „Man kann nicht nicht kommunizieren“. Trifft diese These auf Sie als Bildende Künstlerin zu?
Ich bin zwar Bildende Künstlerin, ich definiere mich aber auch sehr als Familienmensch. Meine Kommunikation ist ungebrochen weitergegangen, trotz Coronakrise. habe meinen beiden Kindern einen Zettel in die Hand gedrückt, auf dem stand: Auch wenn ich kürzer lebe, möchte ich den Kontakt zu meinen Kindern und Enkelkindern nicht aufgeben“. Sie haben anfangs gezögert, sich dann aber gemeinsam mit mir isoliert und zurückgezogen, nach Zwettl. Wir waren neun Personen, drei Generationen, isoliert in einem Haus, und ich habe mehr kommuniziert wie sonst. Es war eher schwierig, zur eigenen Arbeit zu kommen, aber ich habe es irgendwie geschafft, habe den Zyklus die „Tageszeichnungen“, den ich 1988 begonnen habe, weitergemacht. Doch die Auswirkungen der Corona-Krise beutelten mich schon sehr.

Warum gebeutelt?
Ich bin 1940 auf die Welt gekommen und wir haben damals, in der Kriegszeit, in der von Russen besetzten Zone gewohnt. Damals gab es Personen mit geschwärzten, also nicht erkennbaren Gesichtern, daran erinnere ich mich. Das ist etwas, das mir ganz große Angst macht. - Ich kriege Herzklopfen, wenn ich jemanden sehe, aber nicht das Gesicht erkenne, insbesondere in der Corona-Krise ist es die Vermummung der Gesichter mit den Masken. Da habe ich ein mulmiges Gefühl. Für mich ist es wichtig, dass man Menschen erkennt und ihre Gesichtszüge.

Was genau bereitet Ihnen Angst?
Jetzt, mit der Maskenträgerei in Österreich, ist es ja ganz lustig. Die Leute geben die Maske rauf und runter, das gleicht einem Kasperl. Ich kämpfe, als emanzipierte Frau sehr für die Rechte der Frauen. Es gibt nur wenige Teile in der Welt, in der die Frau emanzipiert ist. Kleidung färbt sehr auf den Körper ab und beeinflusst.

Wie ist es Ihnen dann während des Aufenthaltes in Pakistan gegangen?
Ich war auch bei einer Ausstellung im Jemen. Es war befremdlich anzuschauen, wie die Frauen nur mit den Händen sprachen.

Das ist auch eine Art von Kommunikation, die Sie dort beobachten konnten.
Aber nur eine im negativsten Sinn. - Momentan haben wir es ganz gut im Griff. Wobei das nur die europäischen Staaten betrifft, die über ein gutes Gesundheitssystem verfügen. Die haben es gut in den Griff bekommen.

Ihr Großvater war Tierarzt. Inwieweit hat er Ihre Arbeit als Künstlerin beeinflusst?
Ich war drei Jahre alt, als mein Großvater gestorben ist. Ich selbst kannte ihn nicht, er muss ein imposanter Mensch gewesen sein. Und er war derjenige, der ins Waldviertel gezogen ist. Der Tierarzt Kuschlbacher, also mein Großvater, wollte gern nach Langenlois, seine Frau, die war sehr energisch und wohlhabend, und schon sehr alt (26 Jahre). Er hat gesagt, wenn sie ihn nicht heiratet, bringt er sich um. Er hat auch gern mal getrunken. Als er dann die Stelle in Langenlois antreten sollte, war seine Frau dagegen und sagte: „Daraus wird nichts, dort versäufst du dein Geld“. Es wurde abgelehnt, er durfte nicht nach Langenlois. Ich bin heute froh darüber, denn somit bin ich ins Waldviertel gekommen. Bin sehr gern in Zwettl, in meinem Haus, eben dem Sitz dieser Familie, wo wir hingeflüchtet sind und welches nach dem Krieg von Russen besetzt war. Das Haus hat in unserem Leben schon eine sehr wichtige Rolle gespielt und unsere Familie sehr geprägt. - Der Großvater war ein eindrucksvoller Mann, der Adalbert Stifter gelesen hat. Von einem armen Bauernbuben hat er sich hinaufgearbeitet, hat unterrichtet in Edelhof und ein spannendes Leben gehabt, denn er hat in einem Pferdehospital in Jugoslawien gearbeitet.

Wie konnten Sie sich als Künstlerin in einem männlich dominierten Umfeld durchzusetzen?
Ich glaube, da hatte ich einige Glücksfaktoren. Damals hatte ich kein großes Selbstbewusstsein. Damals gab es nur die Möglichkeit zu heiraten, und das war`s. Aber ich hatte einen Vater, er war fünfzig, wie ich auf die Welt gekommen bin, dessen Schwestern durften schon studieren. Mein Vater ermöglichte mir zu studieren. Dass ich auf die Akademie gekommen bin, ist durch die Mutter passiert, die selbst gern auf die Akademie gegangen wäre, aber stattdessen eben zuhause geblieben ist. Ich war eine wenig interessierte Studentin, ich bin hauptsächlich
ausgegangen, mich hat besonders das Leben interessiert. Das Reisen hat mich schon immer fasziniert, aber der Faktor, warum ich wirklich zur Künstlerin geworden bin, verdanke ich sicher dem Professor auf der Akademie, dem Professor Maximilian Melcher. Wir sind momentan an der Arbeit, ein Buch über ihn und seine Meisterklasse zu machen. Er war ein großartiger Lehrer, aber auch der Gütersloh, das waren Lehrerpersönlichkeiten, die Wien prägten und die österreichische Kunstszene.

Das Leben einer Künstlerin planen, ganz bewusst, geht das überhaupt?
Nein, ich habe nie vorgehabt, Künstlerin zu werden. Ich habe auch Lehramtsprüfungen gemacht. Aber, ich hatte damals Farbholzschnitte gemacht, und Professor Melcher hat mir eingeredet, ich solle nach Japan gehen. Ich bin dann auch nach Japan gegangen. Zeichen und Farbholzschnitte sind ab dieser Zeit für mich wichtig geworden. Ich bin da so hineingerutscht. Es gab auch Menschen, die mir meine ersten Ausstellungen verschafft haben. Ich hatte immer tolle Ausstellungen, ich hatte nie den Eindruck, das geht nicht für eine Frau. Ich hab` nur rundherum Schwierigkeiten erlebt, und ich hörte schon auch Aussprüche, aber das hat mich nicht gestört. Irgendwann hat mal ein Galerist zu mir gesagt: „Ich würde Sie ausstellen, wenn Sie ein Mann wären“. - Es war schon klar, dass man nicht dieselben Möglichkeiten hatte wie Männer (Künstler), aber das hat man gewusst, und ich habe es auch gewusst, aber irgendwo lernt man damit umzugehen. Die Künstlerinnen heute wissen garnicht, wie gut es ihnen geht. Das wird als selbstverständlich gesehen, das war damals nicht so, aber ich habe mich eben nicht davon abbringen lassen.

Sehen Sie sich als Feministin?
Ja, ich bin sehr für Gleichberechtigung. Das Wort Feministin müsste man jetzt näher definieren. Aber die Frau wiegt genauso viel wie der Mann, da denke ich garnicht drüber nach, aber meine Theorie, meine Idee ist, dass die Welt - Frauen sind über die Hälfte der Weltbevölkerung -, wenn diese Frauen die gleichen Rechte hätten wie die Männer, dann würde auch die Welt anders ausschauen. Aber das haben sie nicht. Und ich glaube, es ist eine Illusion, zu glauben, dass die Frau gleichberechtigt ist. Wir gehen immer von europäischen Ländern wie Österreich, Schweiz und Deutschland aus. Es gibt noch Regionen, in denen die Frau gleichberechtigt ist. Dazu gehört Amerika, Australien und zum Teil Japan. Indien hat schon ein Problem. Viele Länder in Afrika ebenfalls. Man muss sich überlegen, in wie vielen Teilen der Welt es eine Gleichberechtigung gibt, zwischen Frau und Mann. Das ist wirklich eine Illusion.

Waren Sie Mitglied in künstlerischen Verbänden, um für Ideen wie Gleichberechtigung zu kämpfen?
Ja, das war die Intakt (Künstlerinnengruppe). Die erste Chefin der Intakt war Christa Hauer, Anfang der 1970er Jahre. Und ich weiß nicht, ob ich ohne die Gruppe Intakt mein Selbstverständnis als Künstlerin gelernt hätte. Das Selbstbewusstsein bekam ich durch meinen Förderer und durch die Intakt, obwohl ich nur ab und an dorthin gegangen bin, da ich während dieser Zeit meine Kinder bekam, 1974 meinen Sohn, 1977 die Tochter. Da hatte ich überhaupt keine Zeit. Ich fing nur für wenige Stunden an, künstlerisch zu arbeiten.

Friederike Mayröcker, Bodo Hell – Kooperationen, Konfrontationen, Reibung. Was entsteht aus der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern? Wie gestaltet sie sich?
Hinzu kommt noch Liesl Ujvary. Sie habe ich in Japan kennengelernt, und sie hat mich überhaupt erst mit moderner Literatur zusammengebracht. Durch die Liesl habe ich den Bodo Hell und Friederike Mayröcker kennengelernt, und habe mit ihnen gemeinsame Buchprojekte und Ausstellungen geplant.
Es ist ein großes Glück- abgesehen von meiner Familie, die will ich nicht hintanstellen - dass ich mit diesen bedeutenden Künstlern zusammenarbeiten konnte. Großartige Musiker, wie Renald Deppe, kenne ich. Die Namensliste ließe sich jetzt fortsetzen. - Diese Lebensgefährten zu treffen, ist ein großes Glück! Oder zu sehen, wie sich Menschen entwickeln. Sie begleiten mich seit dreißig, vierzig Jahren. Eine liebe Weggefährtin - ich sag` immer zu ihr großes
Schwesterlein - ist die Lotte Ingrisch. Das sind unendlich viele Bereicherungen und wichtige Freundschaften.


Linde Waber
Geb. 1940 in Zwettl, Niederösterreich, 1964 Abschluss der Akademie der bildenden Künste Wien als Grafikerin und Malerin.1970 Japanaufenthalt. Künstlerisch folgten Farbholzschnitte. Seit 1988 entstehen täglich Tageszeichnungen, wie ein Tagebuch. Künstler/innen - Atelierbesuche bilden einen weiteren Schwerpunkt. Preise (Auswahl): 1961 Oskar-Kokoschka-Preis der Stadt Salzburg. Zusammenarbeit: mit Rainer Pichler: 1973, mit Friederike Mayröcker, Umbra. Der Schatten. Zu Arbeiten von Linde Waber. 1989, Hora Verlag Wien, mit Bodo Hell: An der Wien. Holzschnitte, Gauss Platz11- Verlag, Wien 1997, mit Bodo Hell (Prosa), Hil de Gard: Ma(h)lzeit. Bildband, Edition Thurnhof, Horn 1997. Hil de Gard (Red): Genius loci. Atelierzeichnungen Hausbesuche. 1982 – 2003. Komponisten, Statements der Künstlerinnen und Künstler, Ausstellung Künstlerhaus 2003. Mandelbaum-Verlag: Linde tröstet Schubert. Waber retrospektiv und Weggefährten Renald Deppe, Bodo Hell, Brigitta Höpler (Hg.): Buch zur Ausstellung im Leopoldmuseum. Mandelbaum Verlag, Wien, 2010.


Cornelia Stahl
Wien, Dipl. Sozialökonomin, Regionalleiterin für Bibliotheken in NÖ und Redakteurin der Sendung „Literaturfenster Österreich“ bei Radio Orange, www.o94.at ; schreibt für „bn-Bibliotheksnachrichten“ Salzburg www.biblio.at, „Die Alternative“, „Magdeburg- Kompakt“, „celluloid“. Sie ist Redaktionsmitglied der „etcetera“. Ihr Debüt-Lyrikband 2016 „Anfangen. Jetzt. Mittendrin“.

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Foto © Cornelia Stahl
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Linda Waber Atelier / Foto Cornelia Stahl
Linda Waber Atelier / Foto Cornelia Stahl

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Linda Waber Atelier / Foto Cornelia Stahl
Linda Waber Atelier / Foto Cornelia Stahl