83 / Spiel/Spielerisch / Heftkünstlerin / Edith Haiderer
Zu Beginn des neuen Jahres 2021, im harten dritten Lockdown, interviewte Eva Riebler die Fotokünstlerin Edith Haiderer aus St. Pölten. Gemeinsam saßen sie in einem netten Gedankencafeé, die Beine spielerisch übereinander geschlagen und...
Liebe Edith, Du hast spät begonnen, fotografisch tätig zu werden und bist jetzt so intensiv am Gestalten von Projekten, wie der Ausstellung: „Frauen, die auf Männer schauen” 2017/18 und der Auslagen-Serie von ausgestorbenen Geschäften und bald ganzen Straßenzügen (Linzerstraße St. Pölten).
Mit 55 schloss ich die berufsbegleitende Ausbildung „Angewandte Fotografie” an der FH St. Pölten ab, aber meinen ersten Fotokurs absolvierte ich schon vor 30 Jahren. Die Projekte sind meine Reaktion auf zahlreiche Gespräche mit unterschiedlichsten Künstlerinnen und meine persönlichen Erfahrungen zum Thema Ausstellungsmöglichkeiten für Frauen. Aus verschiedensten Vorstellungen, Kunst im öffentlichen Raum zu präsentieren, entwickelten sich Möglichkeiten, die Arbeiten der Künstlerinnen in den Schaufenstern leerstehender Geschäftslokale auszustellen.
Du sagst, das Schaufenster-Projekt ist Deine kreative Spielwiese. Welche Möglichkeiten hattest Du als Kind ausgiebig kreativ zu sein?
Das Gestalten der Auslagen ist aktuell wirklich meine nicht reglementierte Spielwiese. Als Kind bin ich stundenlang in der Sandkiste gesessen und habe mit allerlei Naturmaterialien meine Phantasielandschaften gestaltet. Dann gab es da noch den großen Matadorkasten - ohne Bauanleitung! Später habe ich gezeichnet und gemalt.
Woher nimmst du die spielerische Leichtigkeit so verschiedene Themen, wie Egon Schiele, Art Dance oder das Thema Präsentation oder Fleisch, als fotografisch zu verarbeiten?
Ich liebe Vielfältigkeit und Abwechslung. Wenn sich ein spannendes Thema anbietet, beginne ich meistens gleich meine Archive zu durchstöbern, zu fotografieren und zu recherchieren. Dann habe ich manchmal zu viele Ideen. Die bringe ich beim Bergsteigen, wenn ich lange genug bergauf gehe, auf ein umsetzbares Niveau.
Mit welchen Projekten bist du besonders zufrieden?
Mit meinem Bertha Suttner Projekt - dabei sind die Fotos eher zufällig entstanden. Anlässlich der Documenta in Kassel 2017 wurde der Parthenon aus Gerüststangen in Originalgröße nachgebaut und mit Büchern verkleidet, die einst weltweit verboten waren. Später beschäftigte ich mich mit dieser visionären Friedens-Aktivistin und Denkerin. Bertha Suttners Buch: „Die Waffen nieder“ stand auf den schwarzen Listen. Diese waren die Grundlage für die öffentlichen Bücherverbrennungen 1933 im Zuge der „Aktion wider den undeutschen Geist“. Bertha Suttners Texte und Zitate haben gerade jetzt wieder große Bedeutung. Mein Lieblingszitat: Jede Zeit wie jeder Mensch hat ein gewisses Gedankenfeld, über das hinaus nichts wahrgenommen wird. .....aber das ist eine andere Geschichte.......
Die beiden Bilder in „Phantasiereich“ sind subtil. Mit einem humorvollen Augenzwinkern möchte ich andeuten, dass wir Frauen nicht alle erotischen Phantasien tatsächlich erleben wollen. Die Zutaten für diese Collage sind exquisit: Die Dame ist Gala, Muse und Ehefrau von Salvador Dali. Der Mann trägt eine Kreation von Jean Paul Gaultier.
Momentan arbeitest Du an einer Serie für eine Jugendstilausstellung, um diese Architektur der Stadt St.Pölten besonders hervorzuheben. Das ist natürlich mit Information, mit Kopfarbeit verbunden.
St. Pölten hat wirklich eine erstaunliche Anzahl geschmackvoll renovierter Jugendstilgebäuden und Villen. Mich interessieren allerdings verfallene oder zum Teil architektonisch „verschandelte” Objekte mehr. Sie lassen mir mehr kreativen Spielraum.
Wie würdest Du zum Unterschied Fotoserien für Kinder gestalten?
Auweh da bietest du mir ja schon wieder eine neue „Spielwiese” an. Fotoserien für Kinder müssen aus meiner Sicht unbedingt lustig sein und etwas Gefährliches oder Geheimnisvolles beinhalten.
Sind Kinder an laufende Bilder so gewöhnt, dass sie die Ruhe zum Betrachten von künstlerischen Fotoserien, wie Du sie machst, nicht haben?
Kinder setzt man vor laufende Bilder, wenn man gerade keine Zeit für sie hat. Sie fordern - schauen zu dürfen - geschickt ein. Mein Enkerl schaut sich meine Fotos nur an, wenn sie den zuvor genannten Kriterien entsprechen, bzw. wenn sie besonders bunt sind. Einen Großteil meiner Serien kann ein Kind nicht erfassen.
Ein harmonisches Bild beeindruckt rasch, aber wird vielleicht auch bald als Kitsch bezeichnet. Sollen Fotos Ecken und Kanten, einen Witz enthalten, z.B. eine geöffnete Banane, die einen Kaktus im Inneren als Frucht zeigt?
Ein technisch perfektes Bild mit einem schönen Motiv hat man mit einem Wimpernschlag erfasst. Wenn ein Foto länger betrachtet wird, ist es gut. Sehr gut ist es, wenn es den Betrachter zum Nachdenken anregt oder ihn sogar zum Schmunzeln verleitet.
Hat die analoge Fotografie Deiner Meinung nach noch Berechtigung ausgestellt/prämiert zu werden? Sind nicht in der Fine Art Fotografie alle bisherigen Regeln außer Kraft gesetzt?
Auf alle Fälle. Ich bewundere jeden, der das Prozedere der Ausarbeitung noch beherrscht. Die digitale Fotografie hat die Art zu fotografieren total verändert. Früher war das Experimentieren sehr kostspielig. Heute erzielen absolute Laien aufgrund von automatisierten Bearbeitungsprogrammen erstaunlich gute Ergebnisse. Im Speziellen gelingen Jugendlichen, die die Regeln für ein gutes Foto gar nicht kennen und sich auf ihre Intuition verlassen, Bilder, die eindeutig der künsterischen Fotografie zugeordnet werden könnten. Dieser Zugang gefällt mir besonders gut.
Seit Beginn der Fotografie sind immer jene Bilder aufgefallen, bei denen die auferlegten Regeln nicht befolgt wurden!!!
Was beinhaltet Dein Plan in Bezug auf das aktuelle Projekt „Hippolyt und Töchter“?
2021 sollen Künstlerinnen ein Jahr die Möglichkeit haben, das Thema Art Nouveau zu durchleuchten und verschiedenste Arbeiten zu präsentieren. Ich denke, dass es uns gelingen wird, die ambivalente „Jugendstilepoche” für die PassantInnen interessant und ansprechend aufzubereiten.
Wird hierbei auch das Thema „Machtspiel“ ausgelotet? Oder liegt der Schwerpunkt auf der Leichtigkeit und dem Fließenden oder Spielerischen z. B. bei den Frauendarstellungen im Jugendstil?
Macht wurde von Männern damals leider oft ausgespielt. Vor allem gegenüber Frauen, die sich mit Emanzipationsbestrebungen exponierten. Es bleibt den Künstlerinnen überlassen, wie sie gestalten. Ich bin mir sicher, dass sehr unterschiedliche Arbeiten mit breitgefächerten Aussagen entstehen werden.
Die Leichtigkeit und das Spielerisches im Jugendstil wie in Deinen Bildern, die in der Linzerstraße ausgestellt sind, sprechen aktuell sicher viele an. Man möchte sich an dieser kunstvollen Schönheit erfreuen. Alles andere auszublenden wäre allerdings nicht schlüssig.
Ich wünsche Dir die Verwirklichung der spielerischen Leichtigkeit! Und danke für das Gespräch, gottseidank ohne Masken, aber leider digital!
ART NOUVEAU
Weiberkunst und Pupperlwirtschaft
Willensstarke und visionäre Frauen hatten um 1900, der Epoche des Jugendstils - einer Hochblüte von Kunst und Kultur - viele Hürden zu überwinden. Künstlerinnen mussten großes Selbstbewusstsein und erhebliche Widerstandskraft aufbringen, um ihren künstlerischen Ambitionen zu folgen.
Der Zutritt zu heimischen Akademien und Künstlervereinigungen wurde ihnen verwehrt. Es mangelte an Präsentationsmöglichkeiten. Sie waren vom akademischen Leben ausgeschlossen.
Dennoch hielten zahlreiche Frauen an ihren künstlerischen Zielen fest. Sie leisteten mutige Pionierarbeit und kämpften darum, sich zu emanzipieren. Viele Männer reagierten auf die Frauenbewegung mit massiven Abwehrgesten, boykottierten und diskriminierten die Künstlerinnen. Große Persönlichkeiten hatten jedoch keine Berührungsängste und ließen Frauen am Ausstellungsgeschehen teilhaben.
Zahlreichen Künstlerinnen gelang es, die Kunstszene in allen darstellenden Sparten zu prägen – Malerei, Bildhauerei, Tanz, Fotografie, Grafik, Mode und Textilkunst sowie Produktdesign. Sie beschäftigten sich mit relevanten gesellschaftskritischen Themen, sie engagierten sich sozialpolitisch, vernetzten sich interdisziplinär und hatten eigene Künstlerinnenvereinigungen. Ihre bedeutende Rolle wurde jedoch von der Kunstgeschichte nicht entsprechend gewürdigt.
Um 1900 schwankte das geistige und kulturelle Klima extrem zwischen Höhen und Tiefen. Wirtschaftlich und sozial erlebten die Menschen die Industrialisierung und ihre Folgen.
All dies wurde begleitet von einer Sehnsucht nach Harmonie und dem Trend zum Gesamtkunstwerk - einem Durchdringen aller Lebensbereiche des Menschen mit Kunst.
Der Jugendstil hat diesem Lebensgefühl Ausdruck gegeben und sich dabei aller Möglichkeiten des künstlerischen und kunsthandwerklichen Schaffens bedient. Eine neue, unverbrauchte Formensprache wurde entwickelt: dekorative, fließende Linien, florale Ornamente, geometrische Formen und die Verwendung von symbolischen Gestalten.
In St. Pölten hat der Jugendstil vor allem in der Architektur bedeutsame Spuren hinterlassen und bereichert eindrucksvoll das Erscheinungsbild der Stadt.
Inspiriert von der zeitlosen Schönheit des Jugendstils setzen sich die Künstlerinnen der Frauenplattform „Hippolyt und Töchter” mit dieser ambivalenten Epoche auseinander.
Edith Haiderer
Geb. 1958 in St. Pölten. Verheiratet, 2 Söhne, 3 Enkelkinder. Leidenschaft: Bergsteigen, Klettern, Schitouren gehen, Mountainbiken, Yoga.
Berufliche Laufbahn: Biomedizinische Analytikerin. Vortragende für Hämatologie, Histologie und klinische Mikroskopie. Direktorin der Medizinisch-technischen Fachschule .
2011 Berufsbegleitende Ausbildung zur akademisch angewandten Fotografin an der FH St. Pölten.
Seit 2012 Teilnahme an 38 Gemeinschaftsausstellungen. Organisation der Ausstellung „Frauen die auf Männer schauen” und des aktuellen Projektes „Hippolyt und Töchter”- Kunst im öffentlichen Raum.