33/ Kuba Reisebericht: Robert Eglhofer

Robert Eglhofer
HASTA LA VICTORIA SIEMPRE!
Bis zum immerwährenden Sieg!

 

Da stand er auf seiner 20m hohen Steinsäule und blickte entschlossen hinüber in die Sierra, wo er vor fast einem halben Jahrhundert zusammen mit Celia und Vilma, mit Camillo, Juan, Raul, Fidel und anderen barbudos die fuerzas rebeldes zusammengeschweißt hatte. Mit eiserner Disziplin und manchem aufmunternden Wort hatte er dort seine quarto columna gedrillt, mit der Hitze, der Feuchtigkeit, mit den primitiven Lebensbedingungen des Dschungels fertig zu werden, immer das große Ziel vor Augen: die Beseitigung des verhassten Tyrannenregimes, die Beseitigung der schreienden sozialen Ungleichheit auf dieser schwer geschundenen Zuckerinsel und die Bildung einer neuen, gerechteren Regierung.

 

Hier stand er nun auf seiner Steinsäule. Der Bildhauer hatte es sich nicht nehmen lassen, seine gebrochene Linke in der Schlinge darzustellen, aber in der Rechten durfte er sein geliebtes Revolutionssymbol halten, seinen Karabiner. Hatte ihn doch Jahre nach seinem Tod ein Sänger aus dem fernen Alemania als “Christus mit der Knarre” bezeichnet. “Knarre” ja, aber mit Christus hatte er weniger am Hut gehabt, pardon an seiner Revolutionsmütze, die der fünfzackige Revolutionsstern zierte.

 

Da stand er jetzt hoch über dem Platz der Revolution und den Hütten und  Palästen von Santa Clara, die jetzt gleichermaßen bewohnt waren von den Befreiten, den Nachkommen der ehemaligen Sklaven, den Plantagenarbeitern und den Pflanzern, soweit sie sich nicht abgesetzt hatten zum Erzfeind, zu den “estados unidos”.

 

Unweit von seinem jetzigen Standplatz entfernt lag die Stätte seines brillantesten Sieges, seines größten militärischen Triumphes, der schmerzlichsten und folgenschwersten Niederlage, die er mit seiner einfach bewaffneten columna der hochgerüsteten Batistatruppe zugefügt hatte. Am 29. Dezember 1958 hatte der Tyrann wieder einen seiner gepanzerten Züge an die Front geschickt, beladen mit Maschinengewehren, Kanonen, reichlicher Munition und allem, was er zu Erhaltung seiner Macht brauchte. Er - Ernesto - hatte gewusst, dass seine kubanischen Guerilleros keine Chance hatten gegen diese Waffen, gegen diesen tren blindado, er hatte aber auch die einzige Schwachstelle des anrollenden Feuerarsenals erkannt, die Geleise. Er - Dr. med. Ernesto Guevara de la Serna - hatte es sich nicht nehmen lassen - trotz seiner verletzten Hand, den einzigen verfügbaren Bulldozer zu erklettern und die Geleise auf mehrere Meter aufzureißen. Als der Zug kurz darauf dort entgleiste, hatten die schwer durchgebeutelten und verdutzten Batista-Soldaten keine Chance gegen seine angreifenden Männer. Sie streckten nicht nur die Hände in die Höhe, sondern auch die Waffen. Und der Despot im fernen La Habana hatte gewusst, dass seine Zeit abgelaufen war, und hatte in einer Nacht- und Nebelaktion das Weite gesucht, nicht ohne die Staatskasse mitzunehmen, versteht sich.

 

Tief unter ihm tummelten sich jetzt allerlei Schaulustige, Bewunderer und Touristen. Aber was wussten sie schon von der Revolution, dem Hunger, dem Durst, der Hitze, den feindlichen Kugeln in der Sierra? Manche kamen aus Europa, wo man sein Bildnis kannte, das ein Fotograf der Revolution geschossen, aber ein italienischer Verleger verkauft hatte. Vor vierzig Jahren - ein Jahr nach seinem Tod - hatte man ihn dort hochgejubelt zur Galionsfigur der Studentenrevolten, man hatte ihn dort - wie seine kubanischen Freunde - “Che” genannt, aber ihr Kampf gegen die herrschende Klasse war gescheitert. Sie hatten wohl ein paar Zugeständnisse ertrotzt: Mädchen durften ihre männlichen Kollegen im Studentenheim besuchen und in den Vorlesungen wurde auch moderne Literatur besprochen, aber die Macht des Klassenfeindes, des “Establishment”, wie sie es genannt hatten, blieb ungebrochen. Einige von ihnen, Ulrike, Gudrun, Andreas und Holger, waren in die Gefängnisse der Ausbeuter gewandert und hatten dort reale, nicht nur strukturelle Gewalt erfahren. Der Großteil hatte sich uninteressiert von der Bewegung abgewandt und seinen Privatfrieden mit dem Gegner geschlossen und wieder andere hatten sich sogar von dem einst von ihnen bekämpften System kaufen lassen und dienten ihm sogar als Minister oder Parlamentarier.

 

Da unten standen noch ein paar Alt-68er. Eine hatte in ihrer Jugend als Brigardistin in seinem Kuba gewerkt und eine Palme gepflanzt, direkt zu seinen Füßen. Und der Beitrag ihres Begleiters zur Revolution bestand im gelegentlichen Verweis auf seinen roten Namensvetter in der Münchner Räterepublik. Beide waren sie im Wohlstand Europas grau geworden und hatten sich in ihrem kalten und nebeligen Dezember in das wohltuende Klima der Karibik geflüchtet. Jetzt waren sie gerade dabei, einem armen Campesino, der dort unten auf Touristen lauerte, den roten 3-Peso-Schein, der sein - Ches - Bild trug, um seinen zehnfachen Wert abzukaufen. Touristen, die nichts verstanden von der Revolution, von der Sierra und von Socialismo Cubano.

 

Aber auch die Enkel seiner von ihm mit Schweiß, Blut und Tränen, um einen anderen Imperialisten zu zitieren, befreiten Kubaner verstanden die Revolution nicht mehr. Er und seine Companeros hatten nicht dafür gekämpft, um das Land im Sumpf des Konsums versinken und im Mittelmaß der Bequemlichkeit ersticken zu lassen. Musste doch unlängst sein einstiger Mitkämpfer in der Sierra, Raul, seinen Landsleuten ausrichten, sie sollten härter arbeiten und sorgfältiger wirtschaften, um die Revolution zu vollenden.

Er aber würde weiter hier stehen mit dem Blick in die Sierra, er würde weiterhin von den Plakatwänden mahnen, er würde weiterhin aufrufen zum Durchhalten: Hasta la victoria siempre - bis zum immerwährenden Sieg!

 

Biografie: Robert Eglhofer

Geboren 1944, ehem. Lehrer am BORG St. Pölten, Publikationen in Zeitschriften und Anthologien, Reise  zuletzt nach Kuba (2007).