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Drosendorf 6. - 11. 8. 23
Die 21. Schreibwerkstatt der Litges

Seit 2003 ist die Litges Schreibwerkstatt unter der Leitung von Eva Riebler im Schloss Drosendorf, mit Ausnahme der beiden letzten Jahre. Da fand sie am lauschigen Ententeich in der Werkstatt des Stiftes Geras statt. Und nun gings zurück mit Begeisterung in das alte Schlossgemäuer, in die stilvoll eingerichteten Zimmer und Aufenthaltsräume!

Die Renovierung ist fast gleich Null, jedoch sind wir froh, dass uns der alte Barockraum mit einem über drei Meter hohen Kamin zur Verfügung steht! Hier gestaltet sich das Schreiben besonders intensiv und vielseitig. Den Sonntag verbrachte die 10-köpfige Gruppe zur Ideensammlung im Atelier von Eleonore Hettl und Willhelm Kollar (Heftkünstler des Heftes TURM) in Buchbach bei Waidhofen an der Thaya. Ein paar Bilder mit italienischem Flair fanden ihren Weg in unseren täglichen Schreibraum und verströmten die kräftigen Farben des Südens.

Diesmal arbeiteten wir besonders viel, da das Wetter nass und kalt war. Die Schreibzeit zum Aufwärmen betrug 50 Sekunden und ansonsten 15-20 Minuten. Für allzu viele Schnörkel und manieristische Side-Stepps war da keine Zeit. Selten war das Genre, die Gefühlslage (Einfühlung in die handelnden Personen), nie die Textsorte oder die Ausgangsoder Endsituation vorgegeben. Das Trivialste, was wir uns auferlegten, war die einfühlsame Fortsetzungsgeschichte, begonnen von Elfriede Starkl mit zwei Personen, die sich näher kommen. Und zwar die Blumenfrau und der Poet. Ihr Titel, der von anderen Autorinnen durchaus abgeändert wurde, hieß: DIE MUSE. Ihr letzter Satz lautete: "Was soll ich damit" (gemeint war der Geranienstock, den sie dem Poeten schenken wollte). Die vorgegebene Schreibzeit war nur!15 Minuten.

 

Elfriede Starkl
Lebt und arbeitet in St.Pölten. Nun im Unruhezustand, schreiben, tanzen, Drachen bauen und steigen lassen, Yoga, Französisch, Kinder, Enkelkinder, FreundInnen.....Rummy, würdegern unverbesserliche Liedertexte schreiben.

Elfriede Starkl
DIE MUSE

Zwei gegensätzliche Figuren rücken näher zusammen.
Ein einsamer Dichter, introvertiert, versunken in seiner Fantasiewelt, Trost findend in den Worten, die er niederschrieb. Er lebte auf der einen Seite einer schmalen Dorfstraße in einem alten Haus. Ihm gegenüber lebte eine junge quirlige Frau, eine Gärtnerin mit üppigem Blumengarten vor ihrem Haus. Sie war beliebt, lustig und lebensfroh. Obwohl die beiden im selben Dorf lebten, schienen ihre Welten unvereinbar. Der Mann tauchte in seine Gedankenwelt ein, die Frau wühlte in der Erde und kommunizierte mit ihren Blumen. Die Gärtnerin lief einmal durchs ganze Dorf und stellte vor jeden Eingang einen Topf mit blühenden Geranien. Die Nachbarn freuten sich darüber und bedankten sich. Nur vom Nachbarn schräg gegenüber kam keine Reaktion. Er hatte nicht einmal den Stock ins Haus gebracht. Auch am nächsten Tag standen die Blumen noch unberührt da. Langsam ließen sie alles hängen. Die Frau goss die Geranie und läutete an. Lange rührte sich nichts. Dann kam ein verschlafener Poet aus der Tür, verwirrt und erstaunt. Die Farben der Blüten zogen seine Blicke an und dann tauchte er ein in die Farben der Augen seines Gegenübers. Ihm, dem Wortgewaltigen, fiel nichts ein zu sagen. Murmelte höchstens, was soll ich damit. Die junge Frau nahm den Topf, drückte ihn dem Poeten in die Hand. „Stell ihn ans Fenster und gieß ihn regelmäßig”. Die Blüten sollen dir Freude machen. Sprachs֙ und verschwand. Den Topf unschlüssig haltend, fielen dem Mann die Augen seiner Nachbarin ein. Ein klares Blau, wie ein Bergsee, in dem sich Himmel und andere Gipfel spiegelten. Er eilte ins Haus und versuchte die Erinnerung an diesen Blick in Worten festzuhalten. In nächster Zeit dachte er immer wieder an das Ereignis zurück und plötzlich fiel ihm ein, nach dem Blumenstock zu schauen. Er hatte ihn komplett vergessen. Die Blätter waren verdorrt. Ratlos und völlig überfordert nahm er ihn und schmiss ihn in den Garten. Regentage folgten. Er schrieb Seite um Seite, viel ging ihm durch seinen Kopf. Er vergaß die Geranie und das Blau der Augen. Trank zu viel Kaffee. Augenringe und Nervosität machten sich breit. Seine Gedichte waren voll Schmerz und Traurigkeit. Eines Abends trat er in den Garten und Rotes leuchtete aus dem wuchernden Grün. Die Geranie hatte Blüten angesetzt und seinem Garten wilde Schönheit verliehen. Er setzt sich davor und das erste Mal seit langem, schrieb er Texte ohne Wehmut und Melancholie. Dann war das Bild der Augen, in die er damals so tief eingetaucht war, wieder da. Er schaute durch das dichte Grün hinüber in den üppigen Blumengarten. Hier nur eine Blume unter soviel Unkraut, dort ein Blütenmeer. Da tauchte der Kopf der Gärtnerin auf, sie sah ihn und winkte herüber. Zaghaft winkte er zurück, über sich selbst erstaunt. Sie war schon wieder verschwunden, um alsbald neben ihm aufzutauchen. Lächeln breitete sich aus. Der Dichter wagte es, der Gärtnerin seinen Geranien-Text vorzutragen. Sie saßen in seinem Garten und tranken Wein und naschten Erdbeeren. Beide fühlten sich wohl.

 

Marlen-Christine Kühnel
Geb. in Wien. Sprach- und Wirtschaftsstudium. Laufende Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften/ Anthologien. Mitglied des NÖ-PEN, der Lyrikfreunde und der LitGes. Veranstalterin des "Literatursalons im Palais". Liebeslyrik (ins Russische übersetzt).

Marlen-Christine Kühnel
DIE MUSE
(Fortsetzung der Erzählung von Elfi Starkl)
„Was soll ich damit?“
Dann verfiel er in Schweigen und blickte zu Boden, dann wieder zu ihr und das Blau ihrer Augen zog ihn plötzlich magisch an. Er räusperte sich, trat einen Schritt nach vor und stieß fast an ihre großzügige Oberweite. Dann trat er erschrocken wieder zurück.
„Warum stören sie mich?“, fragte er.
Sie lachte, sie lachte lauthals und konnte gar nicht mehr aufhören. Tränen rannen über ihr Gesicht und ihr Busen wackelte direkt vor seinen Augen. Er zog die Augenbrauen nach oben und griff nach der Türschnalle. Abrupt hörte sie zu lachen auf; das Blau ihrer Augen trübte sich leicht ein.
„Mögen sie keine Blumen?“, fragte sie.
„Wieso? Sollen sie mich inspirieren?“
„Inspirieren?“
„Zu meinem nächsten Kapitel. Da stecke ich derzeit fest.“
„Das tut mir wirklich leid, das wollte ich nicht.“ Sie trat von einem Fuß auf den anderen, senkte den Blick, nur der Atem bewegte noch immer den wogenden Busen.
„Wie spät ist es eigentlich?“
„Fast Mittag! Die Sonne scheint, die Blumen sprießen, die Vögel zwitschern, die Kinder spielen auf der Straße, die Ziege vom Nachbarn ist ausgebüxt …“
„Stopp, Stopp, das will ich gar nicht alles wissen, das lenkt mich ab, sie lenken mich ab. Das vertrage ich zu nächtlicher Stunde gar nicht!“
„Nächtlich?“
„Für mich schon, oder haben sie bis fünf Uhr in der Früh geschrieben?“
„Was, so lange arbeiten sie?“
„So lange, ja!“ Sein Blick blieb wieder an ihren Augen hängen.
Sie erinnerten ihn plötzlich an den Gardasee, die Möwen, das Segelboot eines Freundes. Es war, als würde das Bild vor seinen Augen aufstehen, als würden die Möwen auf seiner Schulter sitzen und von da ihr Geschrei in den Garten krächzen, es war, als würde die Tiefe des Wassers ihn magisch anziehen und verschlingen.
„Ich hab’s“, rief er, dränge sie hinaus und schlug ihr die Tür vor der Nase zu.
Dann eilte er an den Schreibtisch, setzte sich zum begonnenen Manuskript und tippte Seite für Seite bis in die nächste Nacht.
Sie staunte nicht schlecht, als um dreiundzwanzig Uhr an ihr Fenster geklopft wurde. Hastig richtete sie ihr Nachthemd, zog eine Jacke darüber und spähte hinaus. Da stand der Poet mit einer Flasche Wein.
„Waren sie schon einmal eine Muse?“
„Muse, wie?“
„Ich erklär’s ihnen!“ Er drängte an ihr vorbei und lachte. Er lachte und sagte: „Und jetzt liebe Muse, erzähl mir von dir!“

 

Ros Hartmann
Autorin, Therapeutin für Altchinesische Medizin, Energielehre, Trend Analytik, Taiji und QiGong Lehrerin, bildende Künstlerin. Wohnhaft in Kreuzlingen Schweiz

Ros Hartmann
Der verschlafene Poet und die quirlige Gärtnerin

„Was soll ich damit?”
…verwirrt und erstaunt steht er da, unerwartet konfrontiert mit dem lichtvollen Wesen und der Lebensfreude dieser jungen Frau, die er noch gar nie wirklich wahrgenommen hat: seine Nachbarin schräg gegenüber.
Instinktiv umklammert er die Türklinke, als ob er Halt suchen müsste in seiner ihm vertrauten Welt. Dunkel zwar, aber ihm Geborgenheit und Sicherheit bietend. «Warum tun sie das?» hört er sich sagen – «Blumentöpfe verschenken?» Ihr helles Lachen bahnt sich einen Weg, hinter ihm durchs dunkle Treppenhaus und liegt wie ein bunter Teppich im Flur.
Eigentlich ängstigt ihn dieses Neue, völlig Unerwartete.
Gleichzeitig spürt er eine grosse Sehnsucht nach Wärme und Vertrautheit. In seinem sonst so geordneten Kopf tanzen Buchstaben, und auf einmal spürt er die Leere und Sinnlosigkeit seines Tuns, obwohl er es liebt. Er ist Poet von ganzem Herzen. Nächtelang schreibt er wunderbare Geschichten und Gedichte.
Aber jetzt? Durstig saugt er die Lebendigkeit und Unbeschwertheit auf, die seinem Leben fehlt.
Fröhlich streckt ihm die Nachbarin den Geranienstock hin: «Nehmen sie in ins Haus, er ist frisch gegossen, aber er braucht ihre Aufmerksamkeit!»
Sie dreht sich um, winkt fröhlich, und bevor er reagieren kann, ist sie schon um die Ecke verschwunden.
Nachdenklich geht er die Treppe hinauf, schreitet über das helle Lachen im Flur. Er überlegt sich, wo er den Blumenstock hinstellen könnte. Gedanken versunken probiert er einige Plätze aus. Verwundert stellt er fest, dass sich in der Wohnung eine neue Energie auszubreiten beginnt.
Zudem scheint ihm, als würde die Pflanze enorm schnell wachsen. Schon reichen die Zweige und Blüten weit über den Tisch, ranken sich an den Wänden hoch und verbreiten einen geheimnisvollen Duft. Dschungelartig wachsen Blätter und Blüten – der ganze Raum füllt sich damit. Beim Öffnen des Fensters reckt sie ihre Zweige zum Licht und wachsen unaufhörlich.
Eine Schere? Abschneiden und ordnen? Aber bevor er sich entscheiden kann, öffnet sich die Türe und die Nachbarin steht im Raum. «Ach wie schön!! Dem Geranienstock geht es aber gut!!», ruft sie. Scheinbar ist alles normal, kein undurchdringlicher Dschungel!
Er legt die Schere weg.
Im hellen Blau ihrer Augen spürt er eine Wende in seinem Innern, eine wunderbare Rückkehr in ein Leben, in dem auch das Lachen seinen Platz hat.

 

Milena Orlando
Lebt in Scheibbs, sie hat zwei Lyrikbände „Milenas Poesie” und „Milenas Sprachbilder” veröffentlicht. Lyrikpreis Forum Land 2011. Schreiben ist ihr Lebenselixier.

Milena Orlando
Text Vorgabe: „Was soll ich damit“
Der verschlafene Poet und die quirlige Gärtnerin

Rote Geranie

Sie sieht den Poeten mit ihren dunkelbraunen Augen freundlich an, und drückt ihm mit einem festen Händedruck eine rote Geranie in seine abwehrende Hand.
Dann dreht sie sich auf ihrem Absatz um und geht mit ihrer leichten Gangart in ihr Reich, in ihren blühenden Garten. Der verschlafen wirkende Poet steht regungslos da, die Blume an seinen Bauch gedrückt und starrt der quirligen Frau nach, bis sie seinem Blickfeld entschwunden ist.
Er setzt sich an sein kleines Tischchen vor seinem Haus, holt einen Bleistift aus seiner rechten und ein kleines Notizbüchlein aus seiner linken Jackentasche.
Der verschlafene Poet beginnt Buchstaben zu malen und ein kalligraphisches Bild entsteht.
Ein hellgrüner Grashalm und ein verwelkter braungelber Halm wachsen mit wenigen schwungvollen Strichen.
Nach einer Weile hebt er seinen Kopf Richtung Himmel, das aufbrechende Blau breitet sich weiter aus.
Der Poet merkt es kaum, er lächelt und seine Lippen formen lautlos einen Vers, den er vor langer Zeit geschrieben hat. „Reifen in Stille und Gott webt die Spur“, sein Lächeln wird breiter, er gibt sich einen Ruck, steht auf und macht einen Spaziergang in seine Heimatstadt. Beim Gehen beobachtet er das bunte geschäftige Treiben der Menschen in der Fußgängerzone und sein wacher zärtlicher Gesichtsausdruck spiegelt sich an den Fensterscheiben der alten Häuser wider.

 

Eva Riebler
Geb.1952 in Steyr, studierte Germanistik u. Geografie in Salzburg, Bildende Künstlerin. Seit 2003 Obfrau der LitGes und HG v. "etcetera" und Leiterin der Jour-fixe Schreibstätten und Schreibwochen im Schloss Drosendorf oder Stift Geras.

Von Eva Riebler
Rosarot und himmelblau

„Was soll ich damit!“.
Fast hätte sie einen Rückzieher gemacht und geantwortet: „Entschuldigung” und den Blumentopf mitgenommen. In Wirklichkeit hörte sie ihre Stimme: „ich wollte den Bewohnern dieser Straße eine Freude machen.”
Er meinte lakonisch: „Sie meinen sich selbst eine Freude machen – wenn sie die Straße z.B. heimwärts gehen und überall so blumiges Zeugs sehen! – in meinem Garten hat das nichts zu suchen” und rums flog ihr die Tür vor der Nase zu.
Na bums! – dachte sie – das war in die Hose gegangen – und kehrte um, nachdem sie betont hochmütig zu seinem Fenster neben der Tür, wo sie ihn vermutete, geblickt hatte.
Beinahe wäre sie über den Topf gestolpert. „Der bleibt.”, murmelte sie zu den rosa Blüten: „Er soll sich an seine Grobheit erinnern! – Der feine Poet.”
Damit hatte sie Recht. Er starrte morgens, mittags und abends bis zum Einbruch der Dunkelheit auf die rosarote Geranie. Sein Blick wurde milder, denn das Abendrot war genauso rosa wie die Blüten und auch blau wie ihre Augen –naja – wenigstens eine Farbkomposition, die Eingang in sein Geschriebenes fand. Er war abends besonders produktiv und an diesem holte er sein Schreibpensum nach, das er in den unproduktiven Stunden der mürrischen Wortund Satzlosigkeit des Tages versäumt hatte.
Er war dabei die Erinnerungen an seine Mutter zu Papier zu bringen. Nun war es ihm, als wären sie in ein mildes, perlmutt(er)artiges Licht getaucht. Es kamen seine Vorwürfe weniger streng und drastisch einher. Ob seine Mutter vielleicht auch viel Gutes im Sinn gehabt hat und es nur nicht rüber gebracht hat?
Ja- vielleicht. Eine so strenge Erziehung! Hätte sie womöglich dazu dienen sollen, ihm als Bub einen geeigneten Rahmen zu geben, ihm Grenzen zu setzen und auf das Leben vorzubereiten? Auf das Leben in Zeiten der Arbeitslosigkeit und Lebensmittel- wie Geldknappheit? Sparte sich die Mutter vielleicht etwas vom Mund ab oder verzichtete sie auf eine schöne Dirndlbluse, um ihm das Nötigste oder mehr als das, kaufen zu können?
„Ach – gute Nacht!”, sagte er zu sich und „guten Morgen” hörte er am nächsten Morgen die Blumenfrau bei jedem Zaun, an dem sie vorüber ging, rufen. Nur an seine Blume im Vorgarten richtete sie keinen fröhlichen Gruß.
Dabei hatte er den Topf vom Zaun weg, direkt unter sein Küchenfenster gestellt, um sie schneller überraschen zu können, falls sie in den Vorgarten käme. Fast, nein wirklich, freute er sich darauf, sie zu sehen.
Wie sollte er dies anstellen? Er hatte von der Mutter eine himmelblaue Brokatschürze – die würde zu den Augen der Blumenfrau und zu ihrem Dirndl passen!
Er musste sich wohl aufraffen und diese ihr als Wiedergutmachung selber bringen – oder sollte er sie bloß vor die Haustür legen?

 

Tatjana Eichinger
Geb.1968, Diplomsozialpädagogin, lebt und arbeitet in St. Pölten. Für mich sind Worte: der rote Faden im Labyrinth meiner Ichs. Seit 2014 im LitGes Vorstand.

Tatjana Eichinger
Poet: “Was soll ich damit?“

„Geranien“, sagt die Gärtnerin, als hätte er das gefragt, und schenkt ihm ihr strahlendstes Lächeln: „Guten Morgen, Schreiberling! Schon ausgeschlafen?“ – bückt sich nach der Pflanze und hält sie ihm unter die Nase. Er weicht einen Schritt zurück. Der Anblick der wogenden Blütenpracht verschlägt ihm die Sprache. Folgsam atmet er ein.
Die Verwirrung krabbelt ihm als Rosenduft aus dem so gar nicht rosenähnlichen Stock die Nase hoch, versetzt seine feinen Nasenhärchen in Schwingung und explodiert in Kopf und Herz zu einem warmen Rosa. „Rosengeranie“, grinst die kecke Frau, „die brauchst‘, damid‘st a‘moi wos scheen‘s schreibst. Morg’n komm‘ i zum Kaffee zu dir. Den Kuch’n nimm i mit. Dann kannst‘ ma’s vurles’n dei G’schicht“, und weg war sie.
Der Poet, stocksteif, die Geranie in Händen, klappt seinen Mund zu, macht am Absatz kehrt und verschwindet, diesmal mit der Pflanze, in seinem Schreibkämmerchen. Dort platziert er sie auf dem Sekretär, beäugt sie von links nach rechts, dreht sie und riecht erneut an den Blüten. Dieser Duft! Er denkt an die Gärtnerin, Chanti wird sie gerufen - wahrscheinlich eine Chantalle – und an ihr Dekolletee, das weiche, hüpfende Rundungen zur Schau stellte, als sie sich vor ihm bückte. Dieser Duft - Chantalle -… Er greift zu einem Bogen Papier, schüttelt den Kopf, kramt in einer Lade und zieht handgeschöpftes Büttenpapier hervor.
„Damid‘st amoi wos scheen‘s schreibst“. Frechheit – doch er nimmt die Herausforderung an.
Wort für Wort, Zeile für Zeile. Fremdwörter: durchstreichen, neue Formulierung. Keine Aphorismen, keine Schachtelsätze. Einfach sollte es werden und doch poetisch. Wie sie in der Erde wühlt und dabei ihr Gesäß gegen den Himmel reckt als bräuchten die verborgenen Geheimnisse die Kraft der Sonne. Zeit und Raum werden eins - Wort für Wort, Zeile für Zeile. Die ersten Sonnenstrahlen zaubern bereits Lichtpunkte und Schatten auf das Papier, als er sich zufrieden zurücklehnt. „Chantalle“, flüstert sein Mund und kribbelt sein Bauch. „Chantalle“, säuselt die Röte seiner Wangen, seine belebten Finger, jede seiner Zellen vom Scheitel bis zu Sohle.

 

Michael Klaus Miller
Lebt in Tulln, Mag. Phil., studierte Politwissenschaften, Verwaltungsangestellter in St.Pölten. Spielt Gitarre, singt und freut sich auf Drosendorf!

Michael Klaus Miller
Poet: “Was soll ich damit?“

Zwei Personen, die nahe beeinander wohnten. Eine Gärtnerin, ein Poet. Sie kannten sich nicht. Ihre Begegnungen erschöpften sich in Blickkontakten.
Eines Tages stellte die Gärtnerin einen Blumenstock vor die Haustür des Poeten. Obwohl dieser mit seinen Gedanken noch bei seinem Roman war, öffnete er die Tür, bemerkte die Gärtnerin und sprach: “Guten Morgen! Ich sehe, Sie haben mir einen Blumenstock gebracht. Danke, aber darf ich Sie fragen, welche Bewandtnis es damit hat?“ „Wissen Sie“, antwortete die Gärtnerin, “das Geschenk kam mir aus dem Herzen. Die Pracht der Blumen hat mich dazu veranlasst. Ich übergab mich“ und da wurde sie poetisch “diesem Meer an Blumen und schwamm mit!“ „Da staune ich aber“, meinte der Poet und lächelte. „Da kann man wirklich auf gute Nachbarschaft anstoßen!“ Und er holte zwei gefüllte Weingläser aus seinem Haus und beide prosteten einander zu.

 

Ingrid Messing
Lehrerin i.R., geb. 1949 in Metzingen, BRD; lebt seit 10 Jahren in Frauendorf NÖ. Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien, schrieb ersten Roman über ihren Vater.

Ingrid Messing
Was soll ich damit?, fragte er.

Für Sie von mir, sagte sie laut, starrte ohne Lidschläge in seine Augen.
Warum? Er sah scharf an ihrem linken Ohr vorbei.
Warum nicht? Sie suchte seine Augen, vergebens hielt sie ihm den Topf mit leicht gestreckten Armen hin.
Er griff nicht zu. Das ist keine Antwort, sagte er.
Sie meinte schon im Ansatz sein Von-ihr-Wegdrehen zu erkennen.
Sie ließ den Topf fallen. Erde spritzte auf seine Pantoffeln. Tonscherben lagen zwischen seinen Füßen. Er würdigte dem Desaster keinen Blick, schaute nicht in ihre jetzt schmalen Augen, sondern sah wieder scharf-dieses Mal rechts- an ihrem Ohr vorbei.
Mit Worten haben Sie es nicht so, was? Sie zitterte leicht, hörte ihre Geranie um Hilfe rufen.
Er senkte den Blick, erkannte Tonscherben: Prima Tonscherben zum Beschriften, Altertum, sagte er.
Er bückte sich, ging langsam in die Hocke, um Tonscherben aufzusammeln; sie schnellte mit ihrem Kopf nach unten, um ihre geliebte Pflanze zu retten. Ihre Köpfe stießen zusammen, sie zuckten zurück. Jeder grabschte nach seinem gewünschten Objekt. Sie standen sich gegenüber, drehten sich nicht weg, maßen sich.
Kommst du mit rüber, Kaffee und Kuchen, sagte sie.
Er öffnete den Mund, sagte nichts. Kein Ansatz zum Wegdrehen.
Sie packte seine Faust mit der unbeschrifteten Tonscherbe darin, zog ihn mit fort über ihr Blumenfeld in ihr Haus.
Sie kamen nie mehr heraus.

 

Lakshmi Seitz
Geboren, lebt und wirkt in St. Pölten. Studium an der UNI Wien, Unterricht an der UNI Birmingham, in Darlington; Herzdenkerin, Kulturgenießerin, romantische Gartenbesitzerin, liebt Yoga , Tanzen, kreatives Schreiben ...

Lakshmi Seitz

Was soll ich damit?, fragte er.

Das Geschenk
In einer alten Hütte am Ende einer verwachsenen Dorfstraße lebte eremitisch der Dichter Matthäus Mann. Später an jenem Vormittag, an dem seine Nachbarin Zelia Sala ihm Geranien geschenkt hatte, wurde er auch von seinem Bruder Reinhold besucht. Reinhold war begeistert von den roten Geranien, goss sie, kaufte im Dorfladen eine Nougatschokolade und schenkte sie Zelia.
Matthäus empfand dies als übergriffig und schüttelte missmutig den Kopf. Wollte Reinhold gar mit Zelia flirten, ihm seine Bewunderin, etwa ausspannen? Er bemerkte, dass er Zuneigung zu Zelia empfand. Ebenso schnell wie eröffnet, war ihm der Weg, ihr diese zu zeigen, von seinem Bruder scheinbar wieder verschlossen worden.
Matthäus fehlte jedes Mittel, sich in der Rolle des Verehrers stark zu machen. Im Gegenteil– die wirkenden Erdkräfte widerstreben gewöhnlich dem Gewünschten und der Wächter am Tor zur erstrebten Ebene sagt –kein Eintritt–. Diesen muss sich jeder selbst erkämpfen, durch den Einsatz von Mut, Vertrauen und Handlungsgeist. Doch jene Kräfte fehlten Matthäus. Dunkel, vage erahnte er, dass sie da waren. So verband er sich jetzt mit ihnen: Mut, Vertrauen, Tun. Reinhold war inzwischen zu Zelia in den Garten gegangen und sie erklärte ihm ihre Pflanzen: Alter, Dienlichkeit, Eigenheiten, Wirkungsweise.
Matthäus saß in seiner Küche und blickte die roten Geranien an. Ihnen entströmte ein Frischeduft. Da erinnerte er sich an Zelias moosgrüne Augen, deren Goldumrandung ihn erschreckt hatte. Lachen und Geschäker drang aus Zelias Garten an sein Ohr. In seinem Herzen machte sich eine Trauer breit über das Fehlen solcher Leichtigkeit und solchen Freundschaftsgeistes, die jene Klänge und Worte an sein Ohr transportierten. Sein Leib wurde schwerer und schwerer. Er legte sich auf sein Sofa, um zu schlafen.
„Komm mit, Matthäus, wir wollen mit dem Rad an den Fluss fahren!”, weckten ihn Reinholds Worte und schon bannten ihn wieder Zelias grüngoldene Augen.
Er setzte sich auf und beschloss, Zelia, die in seine Küche, an sein Sofa, auf dem er zu schlafen und nachzudenken pflegte, vorgedrungen war, erst einmal einen Orangensaft anzubieten. Alle drei tranken und begannen zu plaudern. Zelia fragte Matthäus nach seiner Arbeit, seinen Vorlieben, seinen Werten und schließlich, ob sie Freunde sein könnten.
Dann machten sie einen Radausflug. An der Traisen zeigte Matthäus den beiden ein Baumhaus mit geheimer Schlaf- Wohnstätte, das er entdeckt hatte.
Reinhold – in seiner überschwänglichen Gesprächigkeit das Gegenteil von Matthäus – unterhielt alle mit Anekdoten über Radfahrer.
Doch es war wohl klar, dass es zwischen Matthäus und Zelia funkte, denn die beiden hörten ihm zwar schweigend zu, aber sahen einander sehr intensiv an und ein Näherrücken Matthäus an Zelias Seite, waren Anzeichen wachsender Sympathie.
Als Reinhold am Abend wieder nach Hause fuhr, hatten die Drei einen zauberhaften Tag hinter sich. „Bis bald, ihr beiden!“, verabschiedete er sich fröhlich und Zelia fragte Matthäus:
„Gibst du mir ein Abschiedsbussi?“
Verschreckt blickte Matthäus drein, dann beugte er sich vor und berührte seine Lippen mit ihren. Jubilierende Weite in der Brust, glückliches Kichern, erleichterndes Hüpfen des Herzens machten sich bemerkbar und wuchsen stetig an, von Augenblick zu Augenblick.
Die Geranien am Fenster strahlten den Duft eines Blumenmeeres aus und Matthäus schwamm darin – hinein in neue Gefilde. Elektrische Funken durchsprühten beide erfüllend mit einem verheißungsvollen Strahlen. Ein Tor hatte sich in Matthäus Herzen wie von Geisterhand selbst geöffnet, jenes zu Mut, Vertrauen und Tun, denn er war eingetreten in das Reich, in dem es diese Werte gab. Gemeinsam mit und für Zelia. Dies empfand er als das größte Geschenk seines bisherigen Lebens. Er wollte aus einem plötzlichen Impuls heraus Zelia etwas zurück schenken, die in ihm die Öffnung der freien Räume des Mutes, Vertrauens und Tuns veranlasst hatte.
Matthäus ging zum Schrank und holte das Geschenk heraus.
Es war der Schlüssel zu seiner alten Hütte, den er Zelia mit einem Lächeln zum Abschied in die Hand drückte. „Schlaf gut”, lächelte er mit einem zweiten Kuss zum Abschied.
„Du auch”, Zelia strich ihm über die Wange und schwebte fröhlich nach Hause. Auch ihr Leben war nun befreit.