Verluste und Verloren geglaubtes / Etcetera 97 / Heftkünstler / Hans Sisa
"Man muss wirklich mit dem Hammer zuschlagen, damit die Leute ein bisschen aufgeweckt werden"
Der oberösterreichische Maler Hans Sisa, Opernsänger, Kostüm- und Bühnenbildner sowie Gestalter audiovisueller und multimedialer Events thematisiert Verluste und Vergänglichkeit in seinen bildnerischen Arbeiten. Nach vielen Jahren in München lebt er als Künstler in Niederösterreich, wo er in seinem Atelier von der Kulturfahrt des Landes NÖ unter Carl Aigner mit Eva Riebler besucht worden war. Cornelia Stahl sprach mit ihm im Atelier in Tiefenfucha.
Sie wurden in Linz geboren, lebten in München und sind seit vielen Jahren in Niederösterreich zuhause.
Was verbindet Sie mit der bayerischen Landeshauptstadt und was mit Niederösterreich?
Die bayerische Landeshauptstadt hat mich verbunden mit meinem ersten bzw. zweiten Beruf. Ich war ja Opernsänger, auch international unterwegs, USA etc. und am Staatstheater am Gärtnerplatz, danach war ich freischaffend. Und hier (in Niederösterreich) ist mein Atelier. In München konnte ich sehr viel malen und arbeiten, und die Vorstellungen absolvieren, die man muss, das bringt Geld. Und somit war ich unabhängig von einer Firma oder einer Galerie und konnte frei arbeiten. Ich war immer am freien Markt.
Die Zeitschrift etcetera setzt sich aktuell mit dem Thema „Verlust und verloren Geglaubtes“ auseinander. Verluste spiegeln sich auch in Ihren künstlerischen Werken wider. Ich denke konkret an das Bild “MÜHLVIERTLER HASENJAGD”. Welche weiteren Werke greifen das Thema Verluste auf?
Während einer Ausstellung in der Gegend um das Mühlviertel fragte mich ein italienischer Künstler, ob ich schon einmal im KZ Mauthausen gewesen bin. Ich bejahte die Frage. In der Schulzeit war der Besuch in Mauthausen ein Muss. Der Künstler ermunterte mich, nochmals dorthin zu gehen und mir alles ganz genau anzuschauen. Die Bilder, die dort gezeigt wurden, erschütterten mich: Es war alles so sauber, so poliert, und ich dachte, jetzt greife ich das Thema auf und es ist der Zyklus „Entartet“ entstanden, diese Bilder habe ich auch beim Internationalen Malerfest auf der Burg Reichenstein, welches von mir und meiner Gattin Sophia Larson initiiert wurde, im Mühlviertel ausgestellt. Die Reaktionen waren nicht durchweg positiv. Ich habe die Bilder natürlich karikiert, um das noch zu erhöhen, was an Großmauligkeit und so weiter existierte.
In der Ausstellung in Mauthausen stand ein älterer Herr neben mir und meinte, Sie können da nicht gewesen sein, Sie sind ja zu jung, aber es stimmt, was sie gemalt haben. Ich hatte einen Kessel gemalt, wo die Leichen geborgen waren. Er bestätigte: Das ist tatsächlich passiert. Ich ahnte es damals vom Instinkt her und habe das überzeichnet. Er erzählte mir dann Details aus seiner Arbeit im KZ Mauthausen. Ich habe dann weiter zu dem Thema gearbeitet...
Sie haben einen Zyklus zu dem Thema gemalt …
Ja, das ist richtig. Und natürlich gab es einen Aufruhr bei den Neonazis, es kamen Fragen nach dem Warum und Weshalb. Und die Monarchie hat sich dann beschwert. Ich meinte, ich stelle nur die Geschichte dar. Ähnlich war es beim Bild, das angelehnt ist an die Szene „Das letzte Abendmahl“. Alle sitzen an einem Tisch, alle Vertreter der Konfessionen, und die anderen spielen Schach auf den Grabsteinen und so weiter. Es kam der Vorwurf, man könne nicht den Papst und die Heilige Kirche so darstellen. Aber mir ist es wichtig, dass die Leute zwei Minuten vor einem Bild verharren und eintauchen in das Thema. Und die Menschen, die sich aufregten über die Darstellungen und meine Werke ablehnten, kamen nach Jahren auf mich zu und
fragten: Haben Sie das Bild noch? Also, erinnerte man sich. Das Thema sitzt (man erinnert sich auch noch nach Jahren an das Bild). Ich habe nie eine Anfrage gehabt nach einem Landschaftsbild mit einer lieblichen Darstellung. Komischerweise werden die Bilder mit den eindringlichen Themen nachgefragt. Es ging immer um Sozialverhalten, um das Humanistische. Und es macht mir auch viel Freude, weil es ja komödiantisch verpackt wird. Das war mein Fach, wobei ich die Themen nie auf die Bühne gebracht habe, obwohl ich auch Bühnenbildner bin.
Aber das ist eine andere Abteilung. Da ich oft bei den Salzburger Festspielen gearbeitet habe, in der Studentenzeit, musste ich mich auch sehr viel mit diesen Leuten auseinandersetzen. Ich war jung, es war die Zeit um 1968, ich war rebellisch und musste mich dem Establishment stellen, das habe ich auch. Und trotzdem konnte ich gut arbeiten und machen, was ich wollte.
Meine erste Ausstellung war in Salzburg mit Aquarell und Grafik, aber es waren auch thematische Sachen dabei. Anwesend war eine Ärzteschaft. Es wurde viel getrunken und die Bilder beworfen mit Gläsern und Wein. Das ist Aktionismus. Damals, in Linz, hatte ich das erste Bild gemalt und ausgestellt, da ging es um Vietnam. Im Haus wohnte ein Redakteur der Oberösterreichischen Nachrichten und fragte mich, was ich da mache. Es geht um Vietnam, antwortete ich. Von der Galerie aus gingen dann Aktionen aus: Wir haben eine Lunte gelegt bis zum Landestheater, wir zerschnitten Bilder.
Es hat sich ja leider nichts geändert! Nur wenige haben sich damit auseinandergesetzt, warum wir diese Aktionen gemacht haben. Es gab keine Diskussionen (darüber). Und da habe ich eben gemerkt, man muss wirklich mit dem Hammer zuschlagen, damit die Leute ein bisschen aufgeweckt werden. Es war meine Gewohnheit, thematische Ausstellungen zu gestalten. In meiner letzten Ausstellung in Linz sagte ich, du, ich stelle etwas Ruhiges aus, Landschaften. Dann kam die Galeristin in den Raum und schaute. Wie, fragte sie. Ich dachte, das ist Ekstase! Dann schau dir die Landschaft an, sagte ich. Das ist nicht nur Schönheit. Auch die Landschaft ist von Zerstörung bedroht.
Ich komme noch einmal zurück auf Ihre Bilderzyklen: 2007 erschien “KRAFT UND POESIE” und ein Jahr später eine Monographie mit dem Titel „DÄMONIE UND POESIE“. Das klingt zunächst gegensätzlich. Was war mit beiden Titeln intendiert?
Mit Dämonie habe ich mich schon immer auseinandergesetzt. Das fing schon in der Kindheit an, da mein Vater auch Maler war und ich das auch lernen durfte.
Grundlage waren damals in Linz fünf Künstler, fünf Menschen, die kriegsgeschädigt waren. Ein Erfinder, dann ein Blinder, Sohn eines Bäckermeisters, der lebte im Garten,
der Vater hatte ihn rausgeschmissen, er hatte kein Zuhause. Und ich ging immer zu ihm und brachte ihm etwas mit, Bruch aus der Bäckerei oder etwas anderes. Er war hochintelligent. Wir hatten wunderbare Gespräche über Brecht, über Hofmannsthal. Er meinte: Ich habe gehört, im Landestheater bringen sie „Die Räuber“ (von Friedrich Schiller -Anm.). Geh dorthin, schau dir das an und dann diskutieren wir darüber.
Dann gab es einen Schmied. Er war für mich wichtig, denn er symbolisierte (für mich) den Hagen, den Siegfried (aus der Nibelungensage - Anm.). Das war die Romantik. Ich hatte viel „Wagnerpartien“ gesungen. Unter seiner Anleitung habe ich Schweißen gelernt, ich war damals fünfzehn oder sechzehn Jahre alt. Die andere Künstlerin war eine Restauratorin, sie restaurierte alte Bauernmöbel mit Malerei.
Der Fotograf in unserem Haus hat auch für die VOESTStahlwerke gearbeitet und Fotos von jungen Mädchen gemacht.
Die Fotos verkauften sich sehr gut!
Von allen Menschen habe ich sehr viel gelernt. Auf der anderen Seite ist der Widerspruch, was der Mensch anderen Menschen und der Natur antun kann.
Die Kirche war vor Ort, hat sich aber um die Bedürftigen nicht gekümmert. Später las ich einige Schriften und so festigt sich dann die Dämonie.
Russische Literatur behandelt dies alles, jedoch kopiere ich jetzt nicht den Tolstoi. Wenn ich Tolstoi lese, kommen Bilder von Ilia Repin, wie er in der Wiese liegt und nachdenkt (Ilja Jefimowitsch Repin – Anm.). Dann kommen Bilder der Poesie und der Dämonie.
Alles fließt ineinander, Lyrik und Drama. Der größte Komiker ist der größte Dramatiker, das habe ich oft erlebt.
In multimedialen Klanggestaltungen bei Open Air Shows sowie bei Benefizveranstaltungen wie zum Beispiel „Gegen das Vergessen“, „Gegen die Gewalt“ lernen wir Hans Sisa von einer anderen Seite kennen. Wie entstand die Idee für diese Veranstaltungen?
Sie entstand zusammen mit meinem Freund, dem Dirigenten Peter Schmelzer. Damals erhielt er die Anfrage, ob wir nicht etwas gestalten könnten zu den Eröffnungen der Landesausstellungen der Steiermark (1997 / 1998 / 1999 / 2001). Das Thema Jugend 1997. Da wir beide von der Oper kamen, waren wir uns schnell einig. Rock, Pop und aktuelle Musikrichtungen sollten an diesem Abend ineinander fließen, so wollte es der Auftraggeber. Wir waren Vertreter der Klassik und schlugen vor: Machen wir doch eine Mischung! So stellten wir diese Mischung in Bad Radkersburg zusammen. Das war für mich auch eine tolle Erfahrung, da man die Schulen mit einbeziehen wollte. Wir begannen mit Beethovens „Ode an die Freude“. Ein Gitarrist hat das Ganze begleitet. Die Technik gibt uns so viele Möglichkeiten Hintergründe zu schaffen usw. Allein schon die Lichteffekte!
Wir waren beide überrascht, dass es ein ausgewogener Erfolg war!
Vielen Dank für das Interview!
Für Ihre künstlerische Arbeit wünsche ich Ihnen weiterhin viel Erfolg!
Weite Informationen über den Künstler Hans Sisa:
http://www.hanssisa.com
https://youtu.be/K93GmLKOdUQ Kurzfilm Sisa in seinem Atelier
Hans Sisa
Geboren 1948 in Linz, ist Maler, Opernsänger und Bildhauer. Er studierte von 1968-1976 an der Universität “Mozarteum”-Salzburg, Studienrichtungen: Malerei - Bühnenbild - Abschluss: Mag. art, Sologesang-Oper. Er ist verheiratet mit der Sopran-Sängerin Sophiea Larson, die eine Weltkarriere auf den Opernbühnen gemacht hat.
Seit 1976 Ausstellungstätigkeit, seit 1990 als Maler (freischaffend) tätig. Mehrere umfangreiche Kataloge seit 1988, illustrierte Bücher und Bildbände, zuletzt im Verlag Bibliothek der Provinz.
Seine wichtigsten Werkzyklen: Silentium, Entartet, Totentanz, Verbrannte Erde, Russlandzyklus, Portraits, Winterreise, Große Gestalten der Opernliteratur, städteporträts, Landschaftsimpressionen, Phantasien usw.
Der Künstler wohnt und arbeitet in seinem Atelier in Tiefenfucha bei Krems an der Donau.