Künstlerportrait: Alex Katz. Von Amerika nach Österreich. Ingrid und Franz Reichel

Alex Katz
VON AMERIKA NACH ÖSTERREICH
Die Übersiedlung des graphischen Œuvres

 

Franz Reichel und Alex Katz
© Ingrid Reichel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Bereits im Herbst 2009 entschied sich der international renommierte amerikanische Künstler Alex Katz sein vollständiges graphisches Werk der Albertina zu vermachen. Die Albertina zeigte in der Ausstellung „Alex Katz: Prints“ einen Überblick des druckgraphischen OEuvres vom 27.05.2010-12.09.2010. Franz und Ingrid Reichel besuchten den jugendlich wirkenden und sympathischen 83-Jährigen, der maßgebend an der Entwicklung der Pop-Art beteiligt war, in Wien und trafen ihn vor der Ausstellungseröffnung in der Lounge im Hotel Sacher am 26.05.2010. Die Zusammenstellung der Fragen erfolgte durch Ingrid Reichel. Franz Reichel führte das Gespräch. Das Interview in Originalversion und die Kritik zur Ausstellung in der Albertina sowie zum Katalog finden Sie auf der LitGes Homepage.

Betrachten Sie Ihre Kunst als typisch amerikanisch?

Nein.
(Zu hören ist ein verlegenes Lachen, seitens der Interviewer.)

Sie sind im Amerika der 30er Jahre geboren und aufgewachsen, eine Epoche, die vom abstrakten Expressionismus stark beeinfl usst wurde. Die Frage ist: Haben Sie selbst jemals die Abstrakte der 40er und 50er Jahre in Ihrer Kunst verfolgt?

Nun, der abstrakte Expressionismus hat sich der Welt durch ein paar Menschen in N.Y. City geöffnet. Ich habe niemals abstrakt gemalt. Aber die Grammatik meiner Malerei kommt aus der abstrakten Malerei.

Was war die Ursache für die Distanz zu den Zeitgenossen und dafür in die entgegengesetzte Richtung zu arbeiten?

(Alex Katz lacht verschmitzt) Ich war mehr oder weniger eine unbedeutende Figur in der Welt der abstrakten Expressionisten.

Obwohl Ihre Arbeit keine Automatismen der Komposition und Impulse des Alltagslebens erlaubt, haben dennoch wie die Expressionisten Großformate gewählt.

Ja, sie waren inspirierend und eine Herausforderung für den Realismus in der bildenden Kunst, das war zeitgenössisch und es gab damals keinen zeitgenössischen Realismus im Großformat.

War das nicht für den Verkauf der Bilder hinderlich?

(Katz lacht) Die ersten zehn Jahre habe ich nette kleine Bilder gemalt, habe meine Techniken ausgebaut und dann begann ich in den 50er Jahren Figuren auf breitem Untergrund zu malen.
Die einzigen Menschen, die meine Kunst schätzten, waren Künstler und Schriftsteller, so entwickelte sich die Idee – bei den großen Köpfen – dass die Werke die Schnelligkeit der abstrakten Malerei aufweisen.
Soweit es mich betrifft, würden Menschen, die Wert auf ihre Einrichtung legen, keines meiner Bilder aufhängen.

Ist der Akt des Malens als reiner Prozess für Sie bedeutender als der Inhalt des Bildes?

Nun, der Inhalt des Werkes ist der Stil – das ist der Inhalt meiner Malerei. Der Akt der Malerei ist verbunden mit dem Stil. Der Akt der Malerei arbeitet mit deinem Unterbewusstsein, wissen Sie, das ergibt einen größeren Zusammenhang. Die Art wie gemalt wird, ist Teil des Stils. Das ist ein alter Hut, wissen Sie. Sie haben ein Thema und das Thema wird Inhalt und der Inhalt wird zur Form und die Form ist Inhalt … das ist der gute alte abstrakte Expressionismus. Es scheint mir, dass ich den Stil mehr als Inhalt, denn als Form bevorzuge.

Sind wir mit der Annahme richtig, dass der Inhalt ihrer Bilder keine Botschaft ist, sondern die Abbildung von Menschen als Produkt wahrgenommen, wie etwas, das konsumiert werden sollte.

Grundsätzlich ist es ein optisches Bild.

Schlichtweg Bilder?

Nur Bilder.
Bilder, Malereien sind grundsätzlich Gebrauchsgegenstände – aber dies ist ein zweiter Anhaltspunkt. Malereien sind zunächst da, etwas zu zeigen, was die Welt zu sehen hat. Das ist Malerei. Die erste Funktion und Aggression eines Werkes ist es, dir etwas sichtbar zu machen. Eine passive Malerei dient zum Dekorieren eines Hauses.

Aber ihre Werke wirken nicht aggressive. Denken Sie Ihre Malerei ist aggressiv?

Sie ist geschmackvoll. Jede Malerei aus N.Y. ist geschmackvoll oder gut genug, aber im Wesentlichen nicht dekorativ. Ein in erster Linie dekoratives Werk ist eines, welches nett über der Couch aussieht.

Aber Sie nennen sie aggressive?

Ja. Jede gute Malerei kann als dekorativ betrachtet werden. Meine Malerei ist sehr aggressiv, weil sie zeigt, was real ist.

Und das ist aggressiv?

Sagen Sie mir dieses Bild oder dieser Film oder Fotografien sind realistisch – realistisch ist variabel und durch die stärkste Person dominiert. Das ist aggressiv.

Betrachten Sie sich als Pop-Art-Künstler?

Ich bin pre-pop.

Sie sind pre-pop?

Ja, Warhol [1] und Wesselmann [2] wurden beide von mir beeinflusst. Ich wählte einen anderen Weg. Ich denke die Anwendung von populärer bildlicher Darstellung gibt der Malerei – der traditionellen Malerei - Vitalität. Ich bin grundsätzlich ein traditioneller Künstler. Aber die Pop-Art, ich meine die bildliche Darstellung: die Filme, das Fernsehen, die Werbeplakate und all das Zeugs waren wirkliche Inspirationen, es ist ein anderer Weg eine Leinwand zu gestalten und etwas daraus zu machen.

Wie sehen Sie die Verbindung zu Wesselmann?

Wesselmann nahm von mir …

Oh?

Ich war früher! Ich hatte die „großen Gesichter“ bereits 1962 entwickelt. Er hat die großen Gesichter nicht vor 1964 bis 1965 gemacht.

Und die Cut-outs?

Die Cut-outs [3], ich machte sie 1959. Er machte sie etwa 78. Warhols flight images datieren aus den 60ern, meine aus den 50ern… „Double Ada“ [4] entstand 1959, er machte sie später…

Wie sehen Sie die Tatsache, dass diese Maler besonders in Europa berühmter wurden als Sie?

Ich denke das ist … es war vom Standpunkt der Moderne leichter zu verdauen. Sie wissen, meine Werke sind nicht modern, sie sind zeitgenössisch. Und ich denke Warhol und Wesselmann gehören zur Moderne – das ist ein wesentlicher Unterschied und ich denke in dieser Hinsicht beachten mich mehr junge Maler.

Ich weiß nicht, wie es in Amerika war, aber in Europa wurden Sie in den letzten 10-20 Jahren berühmt.

Ja, in den letzten 20 Jahren explodierte es förmlich.

War es in Amerika auch so?

Nein. In Amerika war die Explosion der Stilrichtungen in den späten 50ern. Die Institutionen zeigten jedoch nie großes Interesse. Ich bekam nie Unterstützung renommierter Institutionen – weil die Werke in Konflikt mit der Idee der Moderne standen.

Warum ist dies nun anders?

Ich meine die Moderne gehört zum Faschismus, Kommunismus und zu allem möglichen Religiösen und sie hat einen fixen Standpunkt. Sie ist nicht veränderlich. Wie die Wahrheit, ist sie eine feste Größe. Modern zu sein, bedeutet für die unmittelbare Vergangenheit zu arbeiten. Schauen Sie, ich bewundere Kitagawa Utamaro. Thutmosis, ich schätze Ägyptische Skulpturen. Ich mag Filme, Werbetafeln. Ich mag Monet und Manet. Ich mag alles, was ich in meine Finger kriege. Dies ist sehr weit weg, militant modern zu sein. Der Großteil meiner Ausbildung, was die Moderne anbelangt, berief sich auf, natürlich kennen Sie: Malewitsch [5] und Mondrian [6] - selbstverständlich eine fantastische Malerei – aber sie glaubten an die absolute Wahrheit, die Abstrakte war absolute Wahrheit. Ich glaube nicht an eine Welt mit irgendwelchen Absolutismen.

Ihre Arbeit erfährt die gebührende Aufmerksamkeit in Europa seit den späten 90ern. Nun sind sie die Vaterfigur dieser künstlerischen Richtung geworden. Können Sie beschreiben, wie es dazu kam?

Ja. Nein, nein ... es passierte einfach. Zuerst kamen Menschen aus Polen und Osteuropa, um mich zu sehen, von überall her, es ist ein netter Trend. Sie kamen mit einer Idee … was will man da machen? Ich hatte zu Beginn keine Ahnung, ob die Werke überhaupt etwas taugten – gut oder schlecht. Ich wusste sie waren unkonventionell und meine Ideen ergaben Sinn für mich, obwohl sie instinktiv nicht vernünftig waren. Ich wusste, was ich wollte. So haben Leute, seit meiner Ju gend, immer von mir genommen. Nun bin ich eine ältere Person und sie bekamen eine Vaterfigur mit mir. Nein, ich möchte nicht mit den Kids wetteifern, ich möchte nicht ihr Vater sein.
(Alle lachen.)
Das ist eine Tatsache.

Warum haben Sie sich entschieden in die entgegengesetzte Richtung zu arbeiten: von der Malerei zur Druckgrafik, was ziemlich unüblich ist? Ich habe gehört, die Druckgrafik ist Ihnen wichtiger als die Ölmalerei…

Ein Druck ist der letzte Arbeitsschritt an einem Bild. Andere Leute arbeiten unterschiedlich. Ich finde gute Bilder sind schwer zu machen. Ich möchte nicht nur gute Malerei machen, ich möchte gute Bilder machen. Wenn ich ein gutes Bild gemacht habe, dann sage ich: Gut, das ist später meine Chance auf einen Druck. Viele Dinge passieren so eben nicht, z.B. Buchillustrationen. Aber grundsätzlich, wie das große Bild von Ada [7] unter dem Regenschirm, „Blue Umbrella“ („Blauer Regenschirm“) genannt, es ist ein großartiges Bild. Und so erschien es logisch, es zu einem Druck zu machen.

Ist es nicht leichter mit Druckgrafiken berühmt zu werden. Haben Sie nicht den schwierigeren Weg gewählt?

Nun, die Druckgrafiken sind verglichen mit den Gemälden grundsätzlich billig. Ab einem gewissen Zeitpunkt wurde mir klar, dass ich bereits einen Markt für Druckgrafiken hatte und ich sagte mir: Mach lieber Drucke und unterrichte! An der Yale University [8], übrigens der beste Job, den ich im ganzen Land jemals bekam, fragten sie mich nach drei Jahren: Wir würden Sie gerne im Kollegium haben. Ich hätte zweimal wöchentlich an Sitzungen teilzunehmen und so sagte ich: Bye-bye! Ich bin ein Vollzeitmaler. (Lacht)

War das Ausbilden nicht eine Herzensangelegenheit?

Es war eine intellektuelle Sache für mich zu unterrichten. Ich genoss es. Ich genoss es sogar sehr, weil man eine Menge malt, unbewusst, und es ist in deinem Kopf und ich war gezwungen, es später den Studenten zu erklären. Da waren ein paar helle Köpfe und ich habe viel zurückbekommen. Doch danach wurde es irgendwie langweilig.

Uns stellt sich in Anbetracht Ihrer amerikanischen Herkunft eine interessante Frage: Warum haben Sie Ihr gesamtes druckgrafisches Werk der Albertina vermacht?

Wissen Sie, die Albertina hat mich sehr unterstützt. Da war die große Schau mit den Cartoons [9], sie haben drei Gemälde gekauft. Ich hatte noch nie so eine große Unterstützung seitens amerikanischer Museen.

Und Sie fühlen sich sicher, dass dies die richtige Institution ist, es für die nächsten Generationen zu bewahren.

Ja! Die Ausstellung wird nach Asien gehen und das scheint mir der richtige Platz dafür. Meine Arbeit wird sehr anerkannt. Ich denke, ich bin jetzt in Europa mehr bekannt. Wirklich. Ich hatte eine Ausstellung in Kleve, Deutschland [10], wir hatten sehr viele Artikel in Magazinen und Zeitungen. Das bekomme ich in den Staaten jetzt nicht.

In den Staaten sind Sie nicht …

Sie betrachten mich als großen Maler, aber nicht mit diesem Publikum.

Haben Sie den Eindruck, dass sich die Aufnahme der Kunst in den Staaten von der in Europa unterscheidet?

Europa ist im Allgemeinen viel kultivierter als Amerika. Viel mehr!

Aber wir lieben die amerikanischen Museen. Sie sind topp!

Wir haben mehr Geld. (Lacht)
Nun, nach dem 2. Weltkrieg sind die Museen zum Hauptbestandteil des kulturellen Lebens und der Erziehung der Amerikaner geworden. Man unterrichtet Kunst, die Leute bekommen Kunsterziehung und Diplome in Kunst. Die Museen haben den Platz eines Symphonieorchesters eingenommen. Orchester in Amerika stehen gesellschaftlich am ersten Platz.

Die meisten dieser Museen sind privat wie Guggenheim.

Nein. Ja, das Guggenheim und das Whitney Museum sind privat, aber es gibt eine Menge nationaler Museen wie das Metrolpolitan in Philadelphia, Washington, Detroit und Chicago. Die Amerikaner scheinen…, es macht ihnen nichts aus eine Menge Geld auszugeben. Das ist der Unterschied, glaube ich. Amerikaner geben Unsummen für Kultur aus. Riesige Summen! Wenn ein Kerl 30 Millionen für ein Orchester oder ein Museum zur Verfügung stellt, dann ist das nicht ungewöhnlich.

In Österreich finden wir kaum einen Mäzen, der einem Museum so viel Geld gibt. Dennoch scheint Kunst in Amerika nicht so gewürdigt zu werden wie in Europa.

Ja, es gibt mehr Kultur in Europa. Aber wir haben eine ziemlich hohe Besucherzahl in Museen. Was machen Sie denn, wenn Sie nach N.Y. kommen? Sie besuchen ein Museum. Der Unterschied ist: Ich hatte in Köln eine Ausstellung und am selben Abend gab es vier Musikveranstaltungen. Wenn ich eine Ausstellung in einer Millionenstadt wie Baltimore habe, dann haben sie bestenfalls ein Fußballteam. Sie kennen keine Musik, das ist einer der Unterschiede. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel Kultur in Europa öffentlich zugänglich ist.

[1] Andy Warhol (1928-1987): US-Künstler und Vertreter der Pop-Art
[2] Tom Wesselmann (1931-2004): US-Maler und Objektkünstler, Vertreter der Pop-Art
[3] Cutouts: 1959 entstanden die ersten flachen im Raum stehenden bemalten Figuren.
[4] „Double Ada“: Porträt von Ada 1959, welches weder aus direkter Betrachtung noch von einem Foto aus entstand.
[5] Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch (1878-1935): Hauptvertreter der russischen Avantgarde, Wegbereiter des Suprematismus.
[6] Piet Mondrian (1872-1944): Niederländischer Maler der Kl. Moderne, Begründer der abstrakten Malerei.
[7] Katz heiratet 1958 in zweiter Ehe die Krebsforscherin Ada Del Moro, die sein wichtigstes Modell wurde.
[8] 1961-1963 Lehrauftrag an der Yale University, New Haven, USA
[9] „Alex Katz: Cartoons and Paintings“, Albertina, Wien 2005
[10] „Alex Katz: An American Way of Seeing“, Museum Kurhaus Kleve, Kleve, Deutschland, 2009 (Wanderausstellung: Finnland, Frankreich)

 

Kurzbiographie laut Katalog der Albertina zur Ausstellung „Alex Katz: Prints“ (Hatje Cantz Verlag, 2010):
Alex Katz
Geb. 1927 in Brooklyn, New York. Er studierte an der Cooper Union School of Arts, N.Y. von 1946-49 und an der Skowhegan School of Painting and Sculpture, Maine von 1949-50. 1950 übersiedelt er von Queens nach Manhattan, wo er in der Künstlerszene der 10th Street verkehrte, seinen Lebensunterhalt verdiente er durch Wandmalerei. Die erste Einzelausstellung erfolgte 1954 in der Roko Gallery in N.Y. Von da an entwickelte sich sein Malstil zu einer Farbflächenmalerei mit zentrierten Kompositionen. Ab 1958 gewinnt die Portraitmalerei an Bedeutung. 1964 überträgt Katz erstmals seine Bilder mittels Karton auf die Leinwand. Nach 10 Jahren Unterbrechung widmet sich Katz erneut der Druckgraphik. 1970 erster Aufenthalt in Wien. Erste Druckgraphikausstellung im Whitney Museum, N.Y. 1974. Erste Ausstellung in Europa: Marlborough Fine Art Gallery, London 1975. Viele Auszeichnungen und Anerkennungen im In- und Ausland.
Ausstellungen 2010:
Alex Katz Prints: Albertina Museum, Vienna; The Alex Katz Portraits: The National Portrait Gallery, London; Alex Katz New Works: Farnsworth Museum, Rockland, Maine. www.alexkatz.com

Die Werke wurden für das etcetera 41/ orte:wo/ Oktober 2010 mit freundlicher Genehmigung von der Albertina zur Verfügung gestellt.