Künstlerportrait: Daniel Spoerri. EAT-ART - Keine Kunst zum Essen. Ingrid Reichel
Daniel Spoerri
EAT-ART: Keine Kunst zum Essen
Daniel Spoerri, der Schweizer Künstler und Begründer der Eat-Art feierte am 27. März seinen 80. Geburtstag. Knapp davor eröffnete er das Speiselokal und Ausstellungshaus AB.ART in Hadersdorf am Kamp, NÖ. Im November würdigt ihn die Kunsthalle Krems mit einer Ausstellung.
Was Spoerri wohl bewogen hatte, mit 77 Jahren nochmals zu übersiedeln, aus Italien nach Wien? Einen alten Baum verpflanzt man nicht so gerne. Der vielbeschäftigte und mittlerweile medienscheu gewordene Künstler überlässt die Antworten Karin Pernegger, der Co-Kuratorin der Ausstellung in der Kunsthalle Krems. Als Künstlerperson habe Spoerri keine Wurzeln. Wo seine Kunst entsteht, dort lebt er auch. Hadersdorf am Kamp in seiner Abgeschiedenheit und Wien sind daher seine Heimkehr an die Donau. Vor 80 Jahren wurde er an der Donau geboren und ist dort aufgewachsen, nur 1000 km weiter unten. Gerade wenn Europa wieder und immer wieder in Frage gestellt wird, sind Menschen wie Daniel Spoerri ein Trost. Denn es gibt sie, die wahren Europäer.
Spoerri wurde 1930 in Galaţi in Rumänien geboren. Sein Vater Isaac Feinstein war Missionar der norwegisch-lutheranischen Kirche. Mit 12 Jahren (1942) floh er mit der Mutter und den fünf Geschwistern nach Zürich. Die gesamte Familie nahm den Namen der Mutter an. Und dann wurde Spoerri Tänzer. Zuerst besuchte er die Theatertanzschule in Zürich, dann bekam er ein Stipendium in Paris und wurde Erster Tänzer am Berner Stadttheater. Nach dem 2. WK war Tanz ein starkes Ausdrucksmittel. Immer mehr freundete sich Spoerri mit Künstlern an. Bereits 1949 lernte er Jean Tinguely und Eva Aeppli kennen. Nach dem Farbenballett, den surrealistischen Dramen, Verlagsarbeiten und verschiedenen Regiearbeiten wendet er sich immer mehr der Kunst zu und unterzeichnet 1960 als Mitbegründer das Manifest des „Nouveau Réalisme“. Während sich in Amerika die Pop-Art entwickelte, arbeitete man in Europa an einer neuen Annäherung der Wahrnehmungsfähigkeit des Realen. Die Grundideen basierten auf dem Dadaismus und dessen Manifest, welches sich gegen den Nationalsozialismus und den aufkeimenden Materialismus richtete. So bekam das Infragestellen bürgerlicher Wertsysteme nach den fatalen Folgen des 2. WK ein neues Gewicht. Ziel war, die erhabene Kunst von ihrem hohen Sockel zu stoßen, indem man Objekte aus dem Alltag in die Kunst integrierte. So entstanden objets trouvés, so genannte Fundstücke, Assemblagen, Akkumulationen und Decollagen und die Aktionskunst wurde geboren.
Für Spoerri und die nouveaux réalistes, die vorwiegend aus Autodidakten bestanden, folgten viele Einzel- und Gruppenausstellungen quer durch Europa bis nach Amerika. Spoerri wurde durch seine détrompe-l’œil (Bilder, die das Auge über einen Irrtum aufklären), Fallenbilder und spätere Wortfallen (pièges à mots) bekannt. Trotz vielseitigster Projekte wie „investigations criminelles“ (Morduntersuchungen), „le musée sentimental“ und dem Skulpturenpark „Il Giardino di Daniel Spoerri“ in der Toskana, um nur einige beim Namen zu nennen, rückte das Essen und das Kochen in den Mittelpunkt seiner Kunst. Bereits 1963 fanden Ausstellungen mit 723 Kochutensilien, eine 7-Minuten-Ausstellung „bis das Ei hart gekocht ist“ und „31 Variations on a meal“ statt. 1966/67 zog sich Spoerri auf die ägäische Insel Symi zurück. Dort entstand das gastronomische Tagebuch sowie la magie à la noix (Die Magie der Nuss) – 25 Zimtzauberobjekte (betextete Objekte) und die „Sammlung Hahn“.
Am 18. Juni 1970 ist es schließlich soweit, er eröffnet das Restaurant Spoerri in Düsseldorf und begründet damit die Eat Art. Spoerri ist überall und nirgendwo. Einerseits ist er im Tessin anzutreffen, dann wieder in Paris oder in Deutschland. Er reist nach Italien, England, organisiert verschiedene Bankette wie das „Diner für Karl Marx“ und schließlich begründet er „die Küche der Armen der Welt“. Der Tisch als abgegrenzter soziokultureller Background wird somit erweitert. Es ist ein ironischer Witz, beim Organisieren einfachen Essens für Reiche mit Armen, zu spüren. Es ist der erlebte Prozess einer Inszenierung. Der Tisch als Territorium tritt gegen jegliche autoritäre Instanzen an. 1972 wurde ein Jahr lang jeden Tag ein Tisch im Restaurant fixiert. Die Tischplatte nach dem Essen mit den aufgeklebten, verwendeten Objekten ist Zeugnis eines unwiderruflichen Moments eines Gemeinschaftserlebnisses. Das Festhalten dieses Moments kommt einem Lebenszyklus gleich, beinhaltet Leben und Tod, Lebenserhaltung und Verwesung. Zusätzlich haben Geschmacksinn und Nahrungsaufnahmegewohnheiten des Menschen in seinem Werk einen zentralen Punkt eingenommen. Spoerri spielt und irritiert durch Verfremdung der Speisen und Veränderung der Menüabfolge bei seinen Diners. So beginnt das Menu gleich wie ein Palindrom z.B. mit dem Kaffee, der eine dunkle Gemüsebrühe ist.
Seit 2007 hat Spoerri Wien für sich entdeckt. Und wenn der mittlerweile 80Jährige nicht auf Reisen ist, begegnet man ihm vielleicht am Flohmarkt beim Naschmarkt, wo er unermüdlich nach weiteren merkwürdigen Objekten für seine Fallenbilder sucht. 2009 erwarb Spoerri ein altes Klostergebäude in Hadersdorf am Kamp. Es befindet sich direkt am Hauptplatz Nummer 23 und trägt fortan den Namen „AB.ART“. Laut Daniel Spoerri verbindet der Name einerseits das Abartige und andererseits das „ab origine“, das Ursprüngliche. Am 20. März 2010 erfolgte die Eröffnung des Kunststaulagers, wie Spoerri es zu nennen pflegt. Über dem Esslokal ist ein großer Ausstellungsraum mit einer Rezeptbibliothek. Hier kann man sich über Speisezubereitungen mit unüblichen Zutaten wie Blut, Hoden, Lunge usw. informieren. Die Rezepte wurden von Daniel Spoerri und seinen Künstlerfreunden illustriert. Im Schauraum und in der ehemaligen Scheune werden Spoerris neue Assemblagen gezeigt, die aus seinem reichen Fundus auf seinen jahrelangen Flohmarktspaziergängen erstandenen Objekte bestehen. Auch konnte Spoerri die eher kunstmarktscheue mittlerweile 85jährige Eva Aeppli von einer Ausstellung ihrer lebensgroßen, genähten Figuren und Köpfe überzeugen.
Fotos der Werke von Daniel Spoerri wurden mit freundlicher Genehmigung der Kunsthalle Krems abgedruckt.
Ausstellung: Daniel Spoerri. Kunsthalle Krems 21.11.2010 – 20.02.2011
Dauerausstellung: AB.ART, Hadersdorf am Kamp
Daniel Spoerri
Geboren 1930 in Galati, Rumänien. 1942 Flucht der Familie nach Zürich. 1949 besucht Spoerri dort die Theatertanzschule. 1952 Tanzstipendium in Paris. Von 1954-57 arbeitet er als Tänzer: Erster Tänzer am Berner Stadttheater; Choreographie „Farbenballett“; Inszenierung von Picassos surrealistischem Drama „Wie man Wünsche am Schwanz packt“; Deutschsprachige Erstaufführung von Ionescos „Die kahle Sängerin“. Von 1957-59 arbeitet Spoerri als Regieassistent am Theater Darmstadt. Heirat mit Vera Mertz. 1957 publiziert er die Zeitschrift für konkrete Dichtung „material“ und wohnt in der Chambre 13 im Hôtel Carcassonne in der rue Mouffetard in Paris. 1959 lernt Spoerri den Wegbegleiter des Dadaismus und Surrealismus, den Objekt und Konzeptkünstler Marcel Duchamp kennen. 1960 mitunterzeichnet er das Manifest des Nouveau Réalisme“. Entstehung der ersten Fallenbilder. 1961 erste Einzelausstellung in Mailand. Es folgen Ausstellungen in Dänemark, Deutschland, Niederlande und New York. 1963 entstehen die ersten Détrompe-l’œil-Bilder und Sammlungen wie die Optique Moderne. Ausstellung „Restaurant der Galerie J“ in Paris. Es folgen Ausstellungen in New York, Deutschland, England, Schweiz und Italien. 1966-67 Rückzug auf die ägäische Insel Symi, wo u.a. das Kochtagebuch entsteht. Mit dem „Restaurant Spoerri“ und der dazu gehörigen „Eat Art Galerie“, die er in den 1968 Jahren in Düsseldorf gründete, wurde der Künstler zum Begründer der Eat Art. 1972 „Investigations criminelles“ (Morduntersuchungen). 1983-1989 Professur an der Kunstakademie München. Neben Regiearbeiten, Bühnenbilder, Dokumentarfilme mit der Lebensgefährtin Marie-Louise Plessen wird 1997 der Künstlergarten „Il Giardino di Daniel Spoerri“ in der Toskana eröffnet. Umsetzung seiner Assemblagen in Bronzeskulpturen. Lebt in Paris und Arcidosso in Italien. 2007 Übersiedlung nach Wien. 2010 Eröffnung des Kunststaulagers in Hadersdorf am Kamp.