Matthias Stadler: Beim jüngsten Bürgermeister der ältesten Stadt. Eva Riebler

 

 

 

 

 

 

 

 

Matthias Stadler
BEIM JÜNGSTEN BÜRGERMEISTER DER ÄLTESTEN STADT

 

 

Eva Riebler im Gespräch mit dem Bürgermeister der Stadt St. Pölten, Mag. Matthias Stadler.
Begleitet von der LitGes-Fotografin Ingrid Reichel im März 09.

 

Lieber Herr Bürgermeister, die Stadt feiert 850 Jahre „Stadtrecht“, bzw. Bürgerrechte! Diese Bürgerrechte wurden ja von katholischer Seite, vom Bischof, den Bürgern St. Pöltens verliehen. Wie ist das Verhältnis Stadt – Kirche heute?

 

Das Verhältnis war und ist immer korrekt! St. Pölten war immer Diözesanstadt. Seit dem Mittelalter hat sich natürlich einiges geändert. Eine Zeitspanne lang waren die Protestanten sehr prägend für die Stadt und die Gesellschaft. Heute versuchen wir gemeinsame Projekte mit der Diözese durchzuführen, wie z.B. die Umgestaltung des Domplatzes oder der Tiefgaragenbau in der Innenstadt oder Gemeinsamkeiten zwischen Diözesanmuseum und Stadtmuseum herzustellen. Ich habe den Eindruck, dass sich das gegenseitige Verstehen in den letzten Jahren noch intensiviert hat.

 

St. Pölten ist eine Barockstadt. Im Barock war der leibhaftige Tod immer anwesend. Am Domplatz waren ja Ausgrabungen, z.B. unter der öffentlichen WC-Kabine war ein Grab mit einem gut erhaltenen Skelett. Könnte man nicht wie in anderen Städten, diese Gräberfunde der Öffentlichkeit präsentieren?

 

Die Ausgrabungsfrage ist neben der Domplatzgestaltung eine sehr verschränkte, aber auch andererseits sehr sensible. Die Sache ist die, dass nicht nur im Ostteil des Domplatzes ein Friedhof, der hunderte Jahre bestanden hatte, zu ergraben und zu erforschen wäre, sondern dass Kirchenfundamente und ein Karner vorhanden sind, vielleicht auch Teile des römischen Forums, die archäologisch zu bergen wären. Die Archäologen des Bundesdenkmales haben intensives Interesse die Situation genauestens zu erforschen, wenn der Platz mit neuer Infrastruktur gestaltet wird. Es wurde schon klargestellt, dass die Bodendenkmäler erhalten werden sollen und nicht verschwinden dürfen wie am Rathausplatz. Ob und inwieweit es sinnvoll ist, archäologische Funde vor Ort sichtbar zu machen, wird sich erst zeigen, wenn die Qualität der Funde bekannt ist. Als Stadt haben wir massives Interesse an einer Präsentation der Funde, weil wir unsere lange Tradition mit diesem Fenster in die Stadtentwicklung zeigen können.

 

Als Bürgermeister haben Sie ja das Kulturressort behalten. Inwieweit kann die Kultur in der Krise bestehen, da sich Kultur ja nie rechnen kann?

 

Die öffentliche Hand hat aus meiner Sicht eindeutig den Auftrag Kultur zu fördern, in guten wie in schlechten Zeiten. Ich vertrete die Ansicht, dass es viele Bereiche zum Sparen gibt, aber nicht zuerst die Sparte Kultur und Sport sein soll. Ich sehe die Gefahr, dass dem Kulturbereich die Sponsoren fehlen werden. Diese Fördermittel, die hier der Kultur entgehen, wird die öffentliche Hand, gerade in Krisenzeiten nicht auffangen können.

 

Die Bildung hat ja den Effekt gegen die Krise zu arbeiten. Die Gründung der Fachhochschule war ja ein Plus für die Stadt. Ist aber nicht, z.B. die Lage der Fachhochschule ein Minus?

 

Das Fachhochschulprojekt hat über 1100 Studierende in 11 Studiengängen. Es gab natürlich immer wieder Diskussionen darüber, wo der richtige Standort sei. Vergleicht man mit Salzburg oder Wiener Neustadt, wo die FH wirklich dezentralisiert sind, ist unsere FH sehr zentral. Vor allem wenn man an den Ostabgang-Bahnhof oder an die Rad- und Gehwege von der Innenstadt aus denkt. Die Studenten wohnen ja zu einem beachtlichen Teil in der Innenstadt. Ich kenne alleine am Rathausplatz drei Zimmervermieter, die ein bis zwei Studenten eine Wohnung vermieten. Wir haben eine New-Design Universität und eine Privatuniversität und kommen auf über 1600 Studenten. Das neu ausgebaute Studentenheim umfasst nun 500 Wohnmöglichkeiten und bringt für die Herzogenburger Str., Eybner Straße und den Mühlweg eine ganz veränderte Situation. Der Stadtteil wird jetzt auch durch die Sperrung der Glanzstoff aufgewertet. Es wird sich städtebaulich hier noch einiges tun. Zusätzliche universitäre Einrichtungen und medizin-technische und sozialen Einrichtungen für das Landesklinikum bis hin zu Einrichtungen für die Altenbetreuung werden das Bild abrunden und ergänzen. Hier tun sich eine Fülle von neuen Berufsbildern für diesen Campus auf.

 

An welche Nutzung ist im Bereich des stillgelegten Areals des Bundesheeres gedacht?

 

Im Bereich der Kopal-Kaserne sind ja Altlasten vorhanden. Wenn die Frage des hohen Preises und der Kontaminierungshaftung gelöst ist, die seit zwei Jahren einige Investoren abstößt, er wird bald ein Verkaufserfolg erzielt werden. Von der Verwertungsgesellschaft dieses Areals wurde der Stadt St. Pölten bestätigt, dass wir die einzige Stadt sind, die einen Vorschlag und einen Masterplan vorgelegt haben. Und diese Nutzungsvorschläge seien sehr schlüssig und praktikabel.

 

Warum sollte Ihrer Meinung nach St. Pölten eine lebenswerte und liebenswerte Stadt sein?

 

Ich glaube es gibt viele Gründe, warum St. Pölten jetzt schon lebens- und liebenswert ist. Wir haben viele Freizeitmöglichkeiten, eine überschaubare Größenordnung, man kann in der Stadt alles einkaufen oder alle Dienstleistungen wie in einer größeren Stadt in Anspruch nehmen. Man hat alle Vorteile einer urbanen Stadt mit Bildungs- und Kultureinrichtungen, wir haben Hunderte von Vereinen. Auf Grund der Überschaubarkeit ist man relativ schnell in den Freizeitbereichen im Grünen. Der Grünanteil mitten in der Stadt ist außerdem groß. Die Nähe zur Bundeshauptstadt Wien und ins Alpenvorland bringt wirklich abwechslungsreiche Wohn- und Freizeitverhältnisse, die ihresgleichen sucht. Die Linzer- und Salzburger Kollegen, die hier auf Besuch weilten und sich kritisch unser Kultur- und Veranstaltungsprogramm ansahen, mussten ein positives Urteil ehrlicher Weise eingestehen und haben uns auch dazu gratuliert. Wenn nicht gerade Kulturhauptstadtjahr ist, Sommer- oder Osterfestspiele in diesen beiden Kulturmetropolen stattfinden, können wir durchaus mithalten. Wir müssen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. Wir haben zur Normalzeit mindestens so viele Kulturevents und dies in guter Qualität! Niemand kann mir sagen, dass er in St. Pölten nicht wüsste, wohin ausgehen. Ich bin gerne jedem behilflich, der da Probleme hat!

Die St. Pöltner müssen lernen wirklich stolz auf ihre Stadt zu sein! Man soll sich bewusst machen, wie es vor 5, 10 oder 20 Jahren ausgeschaut hat! Sogar in den letzten zwei oder drei Jahren kamen Dinge dazu, die eine Bereicherung für unsere Gesamtszene sind. Wir sind oft nicht fähig, das auch wirklich zu genießen! Andere müssen uns oft den Spiegel vorhalten!

 

Als Visitenkarte für die Gesamtszene bedarf jede Kulturinstitution einer Homepage. Wieso fehlen auf der Homepage des Magistrates alle Vereine u.a. auch die Literarische Gesellschaft?

 

Da ist immer das Problem der Aktualisierung und dass die Eintragungen, die vorhanden sind auch stimmen. Wir hatten alle Vereine auf der Homepage und hatten das Problem; dass Vorstände oder Vereinslokale ständig wechseln und dies nicht ersichtlich gemacht wird. Es kommen dann Beschwerden, wenn etwas vorgegaukelt wird, was nicht ist. Die Wartung ist ein Problem, daher wollen wir demnächst eine Homepage, auf der sich jeder selber eintragen kann, so wie wir es für den Veranstaltungsbereich machen. Wer sich nicht einträgt, ist dann eben nicht oben. Selbstverantwortung ist gefragt! Nicht, dass sich die Gemeinde oder die Stadt da abputzt, aber es sind so viele und vielfältige Aufgaben zu bewältigen…

 

Vorvorletzte Frage: Der Harlekin vertritt die Stadt am Messestand im VAZ bei der Seniorenmesse. Ist er ein würdiger Repräsentant?

 

Ich denke eine Stadt hat viele Gesichter und viele Typen! Der Narr ist eine Figur, die den Spiegel vorhält und vorhalten soll, der kritisch Dinge sagen soll und dem auch verziehen wird. Er muss nicht jedes Wort auf die Waagschale legen. Der Harlekin ist mit der historischen Einbettung in die 850 Jahr-Feier, vor allem durch den Bezug auf das Barock, durch den Todes- und seinem enormen Diesseitsbezug prädestiniert. Der Harlekin passt mit seiner Lebensfreude dazu.

 

Gibt es für einen früheren Harlekin in St. Pölten einen historischen Nachweis?

 

Bewusst nicht, aber auf der Außenfassade und hier im Bürgermeisterzimmer des Rathauses sind in den Ecken des Plafonds Masken-Stuckaturen, die alle Charaktere – vom lustigen bis zum närrischen – darstellen. Schon 1722 wurde den St. Pöltnern der Spiegel vorgehalten und gezeigt, wie vielfältig die Stadt und die Gemeinschaft sein können! Und das ist sie bis heute geblieben! Zum Glück gibt es in jeder Gesellschaft die lustigen Typen, die quer denken, und die sollte man auch fördern!

 

Haben sich Ihre Lesegewohnheiten seit dem Interview für das Sonderheft der LitGes „20 Jahre Hauptstadt“ vor zwei Jahren geändert?

 

Nach wie vor schätze ich Leo Perutz mit seinem Antihelden. Jetzt habe ich „Das Parfum“ von Patrick Süsskind gelesen und den Bezug zum St. Pölten-Parfum, das bei der 850-Jahr-Feier vorgestellt werden wird, hergestellt. Der Ruf, bei uns riecht es nach Schwefelwasserstoff und Schwefelkohlenstoff durch die Glanzstoff, soll vorbei sein. Durch das neue St. Pölten-Parfum soll es bei uns über die Stadtgrenzen hinaus duften.

 

Und wir warten auf die Morde der Jungfrauen, die ja für die Erzeugung des Duftes unabdingbar sind!

 

Ja, das ist die andere Facette! Mir geht’s aber um den nicht vorhandenen Geruchsinn der Hauptfigur! Weiters lese ich von Arnold Geiger „Es geht uns gut“. Und zwar geht es mir um die Familiengeschichte während der 40er-Jahre. … .

 

Und um die Großmutter Arnold Geigers, die ja aus St. Pölten stammt!

 

So ist es! Und von Bernhard Schlink habe ich mir „Der Vorleser“ vorgenommen, nachdem ich nicht dazu komme ins Kino zu gehen! Wie viele denke ich auch, dass der Film dem Buch oft nicht entspricht!

 

Ich sage, herzlichen Dank!

 

Matthias Stadler

Geb. 1966 in St. Pölten, studierte Deutsch, Geschichte und Sozialkunde an der Uni Wien. Seit 1992 tätig im Magistrat St. Pölten. für Öffentlichkeitsarbeit, Int. Kontakte und Tourismus. Seit 1995 Leitung des Kooperationsnetzwerkes Europäischer Mittelstädte u.a. Städtepartnerschaften und Arbeitsgemeinschaften. Seit 1998 an der Fachhochschule St. Pölten als Prokurist und ab 2004 als Geschäftsführer. Seit 2003 Obmann-Stellvertreter der Kulturinitiative St. Pölten und Hauptkassier der Landesorganisation NÖ des Bundes Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus sowie Beirat der Bezirksorganisation der Jungen Generation der SPÖ St. Pölten. Seit Juli 2004 Bürgermeister der Landeshauptstadt St. Pölten und Vorsitzender der SPÖ St. Pölten-Stadt.