Ulrich Berger: Das Wunder der Lichtnahrung. Ingrid Reichel
Ulrich Berger
Das Wunder der Lichtnahrung
oder Wo viel Licht, ist starker Schatten (Goethe)
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Am 17.09.2010 hatte der Film „Am Anfang war das Licht“ des österreichischen Filmkritikers P. A. Straubinger Kinopremiere. Der Kinostreifen wird als Dokumentarfilm gehandelt, der sich mit der Lichtnahrung beschäftigt. Straubinger bereiste die Welt, um nach Menschen zu suchen, die sich vorwiegend oder ausschließlich von Licht ernähren und interviewte Wissenschaftler über das Phänomen. Ingrid Reichel recherchierte und fand im Internet im ScienceBlog „Kritisch gedacht“ über Pseudowissenschaft und verwandte Themen von ao. Univ.-Prof. Dr. Dr. Ulrich Berger, Mathematiker und Wirtschaftwissenschaftler an der Wirtschaftsuniversität Wien, eine Filmkritik [1] und einen offenen Brief [2] an den geschäftsführenden Leiter der Jugendmedienkommission des BMUKK gegen die Positivkennzeichnung [3] des Films. Ulrich Berger ist seit Frühjahr 2010 als Nachfolger von Astrophysiker Univ.-Prof. Dr. Heinz Oberhummer der neue Präsident der GkD (Gesellschaft für kritisches Denken) sowie Mitglied der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften). Ulrich Berger gab bereitwillig Auskunft über diese mysteriöse kalorienarme Wundernahrung. (September 2010)
Lieber Ulrich, Du bezeichnest den Film als wertlos. Außerdem schwanke er zwischen naiv und manipulativ. In der ORF Sendung Konkret vom 24.09.2010 [4] betitelst Du ihn als „anti-aufklärerisches Machwerk“. Der Kabarettist Martin Puntigam sprach in derselben Sendung von einem „esoterischen Propagandafilm“. P. A. Straubinger meinte, er habe ein Drittel des Filmes zur Warnung vor Lichtnahrung verwendet. Den Film hätte er gemacht, damit die Wissenschaft sich endlich mit der Lichtnahrung beschäftige. Ist ihm dies gelungen?
Nein. Das Problem ist, dass sich P. A. Straubinger sehr viel mit Lichtnahrung beschäftigt hat, aber sehr wenig mit Wissenschaft. Der wissenschaftliche Diskurs findet in Fachzeitschriften und auf Fachkonferenzen statt, teilweise auch in Fachbüchern. Eine absolute Minimalforderung ist dabei, dass die Diskussionsbeiträge einen Filter durchlaufen, das sogenannte peer-review. Das heißt, diese Beiträge werden von unabhängigen Gutachtern geprüft, ob sie wissenschaftliche Standards erfüllen. Zur Thematik „Lichtnahrung“ gibt es in der gesamten wissenschaftlichen Literatur nur eine einzige Studie, auf die dies zutrifft. Dabei handelt es sich um den Bericht zu einem Test der Behauptungen des Lichtnahrungs-Anhängers Michael Werner, der angab, ohne feste Nahrung zu leben. Bei diesem Test ist Werner grandios gescheitert. Für die Wissenschaft ist Lichtnahrung kein Thema, bevor nicht saubere und ernstzunehmende Hinweise auf deren tatsächliche Existenz auftauchen.
Straubingers einziger angeblicher Beweis für Lichtnahrung ist der Untersuchungsbericht über den Inder Prahlad Jani, der 2003 in einem indischen Spital getestet wurde. Dieser Bericht ist aber nie wissenschaftlich publiziert worden und wird daher von der Fachwelt ignoriert. Dass der Bericht nicht publiziert wurde, hat aber einen ganz einfachen Grund: Er genügt den wissenschaftlichen Standards in keinster Weise. So wird etwa der aussagekräftigste Parameter, nämlich das täglich gemessene Körpergewicht Janis, im Bericht einfach verschwiegen. Andere Messungen sind unvollständig und es fehlen sämtliche Referenzwerte.
Zusätzlich unterliegt der Erstautor des Berichts einem massiven Interessenskonflikt, da er ein aktiver Anhänger der Religion des Jainismus ist, die Nahrungslosigkeit als Ziel propagiert.
Wir erleben besonders in Österreich einen Esoterik-Boom. Nicht nur Otto Normalverbraucher sondern auch Akademiker werden zunehmend von diesem, ich möchte sagen, Virus befallen. Die Esoterik beginnt die Universitäten und somit die Wissenschaft zu unterminieren.
Haben die Universitäten keine Schutzmaßnahmen?
Im Grunde schon, aber diese Schutzmechanismen sind stellenweise zu schwach. Ein Problem liegt im ehemaligen universitären Dienstrecht. Bis vor wenigen Jahren waren die meisten Wissenschaftler an österreichischen Unis spätestens mit Ende 30 pragmatisierte Beamte und damit unkündbar.
In so einer Position kann man sich so gut wie alles erlauben und jeden denkbaren Unsinn verzapfen, ohne dass dies dienstliche Folgen hat. Mir hat ein Rektor über einen pragmatisierten Pseudowissenschaftler einmal sinngemäß gesagt, er würde diesen liebend gerne feuern, dürfe das aber leider nicht.
Ein zweites Problem ist der zunehmende kommerzielle Druck, dem die Unis ausgesetzt sind. Da vom Staat zuwenig Geld kommt, werden ständig Lehrgänge etabliert, die kostenpflichtig sind und sich an Berufstätige wenden. Die Ausrichtungen und Inhalte dieser Lehrgänge werden natürlich großteils durch die Nachfrage bestimmt. Im Bereich der Medizin gibt es eine starke Nachfrage nach esoterischen Therapiemethoden und deshalb bildet sich langsam ein entsprechendes Angebot. An Volkshochschulen und am WIFI ist das ja längst etabliert, doch jetzt erreicht es auch die Unis.
Um diesen Unfug abzustellen, muss man diese Unis an ihrem wunden Punkt erwischen, nämlich bei ihrer Reputation. Das heißt, man muss dieses Unwesen öffentlich machen und in die Medien bringen. Erst wenn sie den guten Ruf ihrer Uni gefährdet sehen, reagieren die Verantwortlichen meist. Das war beim Feng-Shui-Kurs der Donau-Uni nicht anders als jetzt in Deutschland beim Energiemedizin-Modul der Universität Frankfurt/Oder.
Warum lassen sich, Deiner Ansicht nach, Akademiker, Ärzte … zu unwissenschaftlichen Äußerungen, wie sie im Film gezeigt wurden, vor laufender Kamera hinreißen?
Ist dies nicht Rufschädigung der Wissenschaft? Wer ist seitens der Wissenschaft verantwortlich und könnte etwas dagegen unternehmen? Oder handelt es sich, wenn wir von der Wissenschaft sprechen, um einen handlungsunfähigen, erlahmten Körper?
Manche der Protagonisten ziehen schon seit Jahrzehnten mehr oder weniger als one-man-show durch die Lande. Sie klammern sich an widerlegte Theorien, weil diese ihr Lebenswerk darstellen. Die Freiheit der Wissenschaft ist ein wichtiges Gut, und daher sollte man gar nicht versuchen, diesen Leuten den Mund zu verbieten. Die Selbstreinigungsmechanismen der Wissenschaft funktionieren in dieser Hinsicht noch gut genug. Da diese Personen ihre Theorien ohnehin nie belegen konnten, werden sie innerhalb der Wissenschaften schlicht nicht ernst genommen.
Wissenschaft ist ein kollektives Unternehmen, das nach ganz bestimmten Regeln funktioniert. Sie ist aber völlig dezentral, es gibt weder einen Hauptverantwortlichen noch ein zentrales Amt oder einen Geschäftsführer für „die Wissenschaft“. Das hat immense Vorteile, zum Beispiel ist die Wissenschaft als Ganzes – im Gegensatz zu einzelnen Wissenschaftlern – nicht korrumpierbar. Andererseits muss sie dafür gelegentlich auch Nachteile in Kauf nehmen. Wenn ich heute etwa verkünde, Almdudler sei krebserregend, dann werde ich vermutlich – und zu Recht – von der Firma Almdudler Limonade wegen Rufschädigung verklagt. Wenn ich dagegen verkünde, die Wissenschaft habe bewiesen, dass Lichtnahrung real ist, dann kann sich „die Wissenschaft“, selbst wenn sie wollte, dagegen nicht wehren, weil sie keine juristische Person ist. Das Manipulative am Film liegt jetzt genau darin, dass eine Reihe von Außenseitertheorien als state-of-the-art der modernen Wissenschaft präsentiert werden. Wenn zum Beispiel der Salzburger Mediziner Prof. Hacker im Film das mittels Kirlianfotographie vermessene „Energiefeld“ einer russischen angeblichen Nahrungslosen analysiert, dann bekommt der Zuschauer den Eindruck, die moderne medizinische Wissenschaft beschäftige sich mit der menschlichen „Aura“ und könne diese dank neuester Technologie messen und daraus sogar Diagnosen ableiten. Die Wahrheit, die der Zuschauer freilich nicht erfährt, ist, dass die Kirlianfotographie wissenschaftlich als nutzloses Spielzeug eingestuft wird, das nur in Quacksalberkreisen vermarktet wird. Oder wenn der längst emeritierte Prof. Jahn von der Princeton-Universität im Film davon spricht, dass der „Geist“ die Materie beeinflussen könne, dann klingt das im Kontext der Lichtnahrung so, als habe ein Professor der Elite-Uni Princeton gesagt, Lichtnahrung sei durchaus plausibel, wenn der Geist nur stark genug ist. Tatsächlich wissen nur Eingeweihte, dass Jahn von seinen vergangenen Experimenten zur „Mikro-Psychokinese“ spricht. Dabei sollen Zufallsgeneratoren durch Gedankenkraft so beeinflusst worden sein, dass sie Abweichungen von der Zufallsverteilung von einem Bruchteil eines Promilles erzeugen. Das ist erstens ebenfalls in der Fachwelt nicht anerkannt und hat zweitens nicht das Geringste mit Lichtnahrung zu tun.
Die Bewertung [3] der Jugendmedienkommission (JMK) des BMUKK ist erschütternd! Wie, denkst Du, konnte es zu solch einer positiven Bewertung des Films kommen? Hat Dein offener Brief etwas bewirkt …(Wie beabsichtigst Du weiter vorzugehen?)
Der Film ist ja handwerklich geschickt gemacht und das gilt auch für die Manipulation. Wenn man selbst kein Naturwissenschaftler ist oder sich in der Grenzwissenschaftsszene nicht auskennt, dann fällt man sehr leicht darauf herein. Genau das ist der JMK offenbar passiert, wie man aus der Begründung der Bewertung schließen kann. Aber immerhin – da muss ich dem Geschäftsführer der JMK Recht geben – hat der Film nur die schwächste aller Positivkennzeichnungen erhalten und ist ausdrücklich als „Diskussionsfilm“, also als Basis für eine kritische Auseinandersetzung empfohlen. Ich wurde jedenfalls eingeladen, die Filmbeschreibung konstruktiv umzuformulieren, und man hat angeboten, auf der Webseite kritisches Material zum Film zu verlinken.
Was würdest Du raten, jemandem zu antworten, der es mit Menschen zu tun bekommt, die diesem Phänomen Glauben schenken? Bzw. wie kann sich ein unerfahrener Mensch vor angeblich wissenschaftlichen Beweisen, die aber nie erbracht wurden, schützen?
Wer daran glaubt, weil er daran glauben will, der wird sich durch rationale Argumente auch nicht davon abbringen lassen. Man sollte ihn oder sie jedenfalls auf die dokumentierten Todesfälle hinweisen und eindringlich davor warnen. Wer aber eigentlich kritisch denkt und nur auf die Masche des Films hereingefallen ist, den kann man durch Hinweise auf die zahlreichen verschwiegenen Fakten durchaus zur Vernunft bringen. Auf den Webseiten der GWUP findet man eine Menge seriöses Material zum Bereich Wissenschaft vs. Pseudowissenschaft, Aberglaube und Esoterik. Aber auch das Wiki von Esowatch.com bietet dazu eine riesige Sammlung von kritischen Artikeln, inzwischen übrigens auch zum Film von P. A. Straubinger. Unbescheidenerweise empfehle ich natürlich auch meinen eigenen ScienceBlog namens „Kritisch gedacht“ zum Stöbern.
Eine spekulative Frage noch: Kannst Du Dir als Wirtschaftstheoretiker vorstellen, warum diese Lichtnahrung in unserer Zeit zum Thema geworden ist?
Ich sehe das recht profan: Jasmuheen hat in Australien in den 1990ern damit begonnen, Lichtnahrung populär zu machen. Bei uns hier war es kein Thema, bis im Frühjahr 2010 Berichte zum zweiten Test an Prahlad Jani als Kuriosum in den Medien auftauchten. Momentan gibt es einen Hype um den Film, aber bis vor ein paar Wochen dachte doch noch jeder vernünftige Mensch bei „Lichtnahrung“ an einen dummen Scherz.
Könnte eine Politik der falschen Hoffnung in der Verbreitung solcher Filme wie „Am Anfang war das Licht“ stecken, indem man behauptet: Wenn du nur auf der richtigen geistigen Ebene bist, dann brauchst du nur Licht, um zu überleben?
Ich würde da nicht zu viel hinein interpretieren. Der Film ist, glaube ich, in erster Linie einem unglücklichen Zufall zu verdanken. Mit dem Esoterik-Virus sind ja schon viele Menschen infiziert. Nun hat es eben auch einmal einen Filmexperten auf der Suche nach einem Filmstoff erwischt, der damit leider zum Superspreader geworden ist. So etwas passiert einfach hin und wieder.
[1] www.scienceblogs.de/kritisch-gedacht/2010/09/am-anfang-war-das-licht.php
[2] www.scienceblogs.de/kritisch-gedacht/2010/09/lichtnahrung-unterrichtsministerium.php
[3] www.bmukk.gv.at/schulen/service/jmk/detail.xml?key=12657E48DFC64E49B7A4B24CA804727A
(Stand: Sept. 2010)
Positivkennzeichnung: „P. A. Straubinger hat sich eines sehr interessanten Themas angenommen und es von jeder Seite beleuchtet und detailliert erklärt. Dabei ergeben sich Botschaften, sodass die Form der Weltbetrachtung der letzten 400 Jahre ins Wanken gerät, weil durch Versuche bewiesen wurde, dass wir mit unserem Bewusstsein mehr bewirken können, als wir glauben, und somit die Gesellschaft mitgestalten können. Annehmbar als Diskussionsfilm ab 12 Jahren.“
Alterskennzeichnung: „Es konnten keine jugendschutzrelevanten Inhalte festgestellt werden, daher jugendfrei.“
[4] www.youtube.com/watch?v=7hNmwryuGs
Ulrich Berger
Geb. 1970, studierte Mathematik und Volkswirtschaft. Lehrt und forscht als ao. Univ.-Prof. auf dem Gebiet der Spieltheorie an der Wirtschaftsuniversität Wien. Als Mitglied im Wissenschaftsrat der GWUP und als Präsident der GWUP- Regionalgruppe Wien („Gesellschaft für kritisches Denken“) plädiert er für wissenschaftlichkritisches Denken und wehrt sich gegen die Anmaßungen von Pseudowissenschaftlern und Scharlatanen.