95 / Kafkaesk / Lyrik / Sylvia Bacher: ausgeliefert

ausgeliefert mit dem erbe
vor und weiter nach kafka
ungleiche anlagen ungleiche fähigkeiten
im übermaß der angebote quälen
verwirrende zukunftsgedanken
hoffnungen und träume
ziehen an uns vorüber
wer glaubt er hätte freie wahl – eine utopie
verbissen sind wir bemüht
unzulänglichkeit auszugleichen
ängste und selbstzweifel
zu überwinden beharrlich auf dem weg
uns in visionen zu verwirklichen
mit der weigerung niederlagen hinzunehmen
schonungslos bedingungslos rücksichtslos
nützen wir einander aus
benützen den freund als steigleiter
unfähig brücken zu schlagen
sind wir machtspielen ohnmächtig
ausgeliefert in einem leben
so wie andere wollen
der horizont er kommt uns nicht entgegen
wir werden nie das ziel erreichen
niemals die gipfelfahne hissen
nie uns selbst und anderen genügend
auf des lebens leiter treiben
unzufriedenheit neugier ehrgeiz
uns immer weiter zu dem fiktiven
ziel das unserem leben sinn geben soll
wir gewinnen und verlieren
sich bescheiden ist nicht die option
ohne sehnsucht kein streben
nur das unerreichte unvollendete
gibt uns motivation zum weiterleben
ein aufbegehren auf dem kurzen weg
zum nicht vorhersehbaren ende

 

Sylvia Bacher
Geb. 1945 in Wien. Studierte Leibeserziehung, Französisch, Geschichte, dann Medizin. Veröffentlicht in Periodika und Anthologien.
Zuletzt: Haiku im Nebel des Verbrechens. Beschauliche Augenblicke. ÖHG, Wien 2023.
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