50/Wozu Literatur?/Prosa: Termin bei Midas. Erich Sedlak
Erich Sedlak
Termin bei Midas
Irgendwie hatte er ja recht, mein alter Freund Beppo, als er eines Tages sagte: „Bei deinem außergewöhnlichen Talent als Schriftsteller brauchst du unbedingt einen erfahrenen Manager, jemanden, der die richtigen Leute der Branche wie seine Hosentasche kennt - Verleger, Regisseure, Theaterdirektoren, Filmemacher. Also jemanden, der dir endlich Tür und Tor für deine zukünftige Weltkarriere öffnet!“
Als ich daraufhin in einem einschlägigen Verzeichnis nachsah, stieß ich dort unter anderem auf eine Künstleragentur Midas, die mit dem einprägsamen Slogan Alles was wir angreifen, verwandelt sich in pures Gold! um neue Klienten warb.
Der Chef höchstpersönlich meldete sich am Telefon und wir vereinbarten für den kommenden Vormittag einen Termin. Der Künstleragentur Midas schien es noch nicht gelungen zu sein, irgend etwas in pures Gold zu verwandeln, denn das Büro befand sich im fünften Stockwerk eines unansehnlichen Zinshauses, in dessen Stiegenhaus es nach gekochten Rüben roch. Herr Midas selbst, der sich als Professor Magister Bruno von Scheckenburg vorstellte, machte mir, ebenso wie seine Arbeitsstätte, die ihm auch als Wohnung zu dienen schien, auch nicht gerade den Eindruck übertriebenen Reichtums.
Doch was soll´s, dachte ich, jetzt bin ich schon einmal hier und übergab ihm meine Biografie samt Werksverzeichnis und harrte gespannt auf die Reaktion des Professors. Dieser blätterte ein wenig lustlos in meinen Papieren und lehnte sich dann zurück.
„Sie sind also tatsächlich Schriftsteller?“, fragte er aufblickend.
Ich nickte.
„Und etwas anderes können Sie nicht ... nur schreiben?“
„Genügt das nicht?“, entgegnete ich verunsichert.
„Aber mein lieber Herr“, fuhr Scheckenburg fort, „sogenannte Schriftsteller gibt es bei uns doch wie Sand am Meer, da sehe ich für uns beide keine Möglichkeit zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Wenn Sie hingegen eine andere, sagen wir, außergewöhnliche Fähigkeit aufzuweisen hätten, oder wenigstens irgendeine winzige Abnormität, dann könnten wir miteinander ein Vermögen verdienen.“
„Geschichten schreiben ist in Ihren Augen also keine außergewöhnliche Fähigkeit?“, meinte ich mit bereits resignierender Stimme. „Aber nein, wo denken Sie denn hin“, antwortete Scheckenburg, „wenn Sie aber zum Beispiel zwei Meter fünfzig groß wären ... bei den Basketballspielern der amerikanischen NBA-Liga handelt es sich durchwegs um Dollar-Millionäre ... von denen habe ich zwei Stück in meiner Kartei ...“
„Zwei Meter fünfzig nennen Sie eine winzige Abnormität?“, unterbrach ich ihn, doch er ließ sich in seiner Argumentation nicht beirren.
„Andererseits würde es auch genügen, wenn Sie nur vierzig Zentimeter klein wären. In diesem Fall könnte ich Sie sofort als hoch bezahlten Liliputaner in einer Clowngruppe unterbringen ... außerdem werden die auch immer wieder für durchaus lukrative Rollen in diversen Märchenfilmen und sogar am Burgtheater engagiert.“
„Ich bin leider nur ganz gewöhnlicher Durchschnitt“, sagte ich.
Der Professor überhörte meine Feststellung und sprach weiter, während er sich mit seiner drehbaren Kartei spielte.
„Oder wenn Sie ein drittes Auge hätten, vierzehn Finger oder wenigstens zwei Köpfe. Ich würde Sie sofort unter Vertrag nehmen. Aber nur als Schriftsteller ... nein, tut mir leid.“
Da ich in meinem Inneren bereits vor Zorn kochte, entgegnete ich, um mich für sein Desinteresse ein wenig zu rächen: „Mit vier Ohren oder dergleichen kann ich leider nicht dienen ... allerdings verfüge ich über eine Fähigkeit, die über das Schreiben von Geschichten bei weitem hinausreicht.“
„Und die wäre?“
„Ich kann jederzeit unsichtbar werden.“
Der Mann hinter dem Schreibtisch sprang auf.
„Unsichtbar? Das möchte ich aber auf der Stelle sehen!“
„Bitte sehr, bitte gleich“, sagte ich ironisch, stand auf, öffnete die Tür seines Büros und verschwand.
Wieder um eine Hoffnung ärmer geworden, schlenderte ich danach ziellos durch die Straßen der Stadt, wo die Menschen geschäftig umherliefen. Doch keiner von ihnen schien mich zu beachten.
So als ob ich wirklich unsichtbar wäre, dachte ich und betrachtete mich wie einen Fremden im Glas eines Schaufensters.
Erich Sedlak
Die Neuerscheinung
Der unbekannte Autor Wilfried Fiebanek betritt eine Wiener Buchhandlung und sucht dort verzweifelt nach seinem eben erst erschienenen Roman. Doch vergeblich – keine Spur davon! Schließlich tritt er mit resigniertem Gesichtsausdruck ans Kassenpult, wo sich zwischen ihm und einer etwa 50-jährigen Dame, die sich etwas später als die Geschäftsinhaberin entpuppt, folgender Dialog entwickelt:
B: Kann ich Ihnen behilflich sein, mein Herr?
WF: (verunsichert- stotternd) Ja schon, ich suche ein Buch.
B: (leicht ironisch) Aha, ein Buch suchen Sie …
WF: Ja, aber ein ganz bestimmtes Buch, eigentlich eine Neuerscheinung.
B: Wissen Sie vielleicht den Titel?
WF: Natürlich weiß ich den … Zugvögel nach Trinidad.
Die Buchhändlerin beginnt daraufhin mit ihren rosa lackierten Fingernägeln auf der Tastatur ihres PCs zu klimpern.
B. Und um welchen Autor handelt es sich?
WF: Fiebanek, Wilfried Fiebanek.
B: (zu sich) Zugvögel in … in welchem Land sagten Sie? Helgoland?
WF: Nein! Trinidad!
B: Aha! Trinidad… so wie die Insel in der Karibik… und von Wilhelm … wie?
WF: Nicht Wilhelm! Wilfried! Und Fiebanek!
B: Okay! Und den Verlag … den kennen Sie zufälligerweise auch?
WF: Rumpelstilz & Pegasus.
B: Was? Rumpelstilzchen und Albatros?
WF: Nein, Rumpelstilz, so wie im Märchen und Pegasus … wie das Dichterpferd. Edition Rumpelstilz & Pegasus!
B: Edition? Aber das ist doch kein Verlag!
WF: (unbeirrt) Ein Verlag in Attnang Puchheim.
B: In Attnang Puchheim gibt es einen Verlag? (kichert)
WF: Ja!
B. Wissen Sie, ich bin jetzt schon über zwanzig Jahre in der Buchbranche tätig … aber von dieser (spöttisch) Edition Rumpelundsoweiter habe ich noch nie etwas gehört.
WF: Versuchen Sie es bitte trotzdem…
B: Ah, da haben wir es schon!
WF: (triumphierend) Na, sehen Sie!
B: Ist aber leider nicht lagernd.
WF: Schade!
B: Nachdem sich aber diese Rumpel & Dingsda in Österreich befindet, könnte ich das Buch für Sie bestellen.
WF: Und wie lange würde das dauern?
B: Das kommt ganz darauf an. Falls die einen Vertrieb haben, dann nicht länger als zwei Tage.
WF: Und wenn nicht?
B: Dann? Mindestens drei Wochen. Ah, ich sehe schon … kein Vertrieb.
WF: Was, drei Wochen? Das dauert mir zu lange. Ich brauch’ das Buch schon in zwei Tagen für ein Geburtstagsgeschenk.
B: Das wird sich schwer ausgehen, mein Herr.
WF: Kaum!
B: Eine Frage: Müssen es denn unbedingt diese komischen Zugvögel sein?
WF: (zögernd) Eigentlich schon…
B: Schenken Sie Ihrem Geburtstagskind doch irgend ein anderes Buch … den neuen Schenk zum Beispiel, oder unsere posthume Sonderausgabe Kishons beste Satiren … sehr empfehlenswert. Auch der Grieser mit seinem böhmischen Großvater. Das hätten wir alles hier.
WF: Na ja, vielleicht versuche ich es noch in einer anderen Buchhandlung.
B: (Lachanfall) Wo anders wollen Sie es versuchen? Na, da wünsche ich Ihnen viel Glück! Ihre Zugvögel nach Hawaii werden Sie in ganz Wien nicht bekommen!
WF: (erzürnt) Und warum sind Sie sich da gar so sicher?
B: Weil ein Buch, das von keinem verlangt wird, sich auch kein Buchhändler auf Lager legt, und noch dazu von einer sogenannten (pikiert) Edition Rumpelpegasus aus Attnang Puchheim.
WF: Aber ich … ich habe es doch gerade von Ihnen verlangt!
B: Sie sind auch der Allererste, seitdem dieses Buch erschienen ist!
WF: (wütend) Um ganz ehrlich zu sein: Ich bin auch gar kein Kunde.
B: Sondern?
WF: Der Autor selbst! Wilfried Fiebanek!
B: (giftig) Das hab ich mir fast gedacht.
WF: Und warum haben Sie sich das fast gedacht?
B: Weil das alle unbekannten Autoren so machen!
WF: Was machen die so?
B: Na, dass sie in allen Buchhandlungen nach ihrer Neuerscheinung fragen, und so lange danach fragen, bis so ein armer bis aufs Blut gequälter Buchhändler schließlich völlig entnervt dieses Buch bestellt … natürlich unverkäuflich … einen Restseller … einen Remittenden…
WF: Remi…was?
B: Retourware!
WF: Tut mir leid… aber man wird ja noch fragen dürfen…
B: (grimmig) Und mir stehlen Sie damit meine wertvolle Zeit!
WF: (ebenfalls böse) Wie kommen Sie denn auf diese absurde Idee? Ich habe Ihnen Ihre wertvolle Zeit nicht gestohlen … ich möchte das Buch wirklich bestellen!
B: (erstaunt) Was? Sie als der Autor … Sie wollen Ihr eigenes Buch bei mir bestellen? Warum rufen Sie denn nicht bei Ihrer Edition an?
WF: Weil ich mich mit der total zerstritten habe … wegen der Tantiemenabrechnung. Und weil ich nur noch ein einziges Belegexemplar besitze – noch dazu eines, bei dem jede zweite Seite fehlt … und weil ich das Buch unbedingt als Geburtstagsgeschenk benötige. Notieren Sie also: Wilfried Fiebanek… Zugvögel nach Trinidad… und bitte dringend!!!
Erich Sedlak
Geb. in Wien, lebt in Wiener Neustadt; veröffentlichte bisher 21 Bücher, zuletzt: Alles nur Gerüchte?“ (Hörbuch, 2010); Thomas und der Club der Kristallhöhle (Jugendkrimi, 2011); Drehbücher, Bühnenstücke, Hörspiele, zahlreiche Literaturpreise; Mitgliedschaften: P.E.N., podium, ÖSV, IG AutorInnen; Präsident des NÖ P.E.N.-Clubs. www.erichsedlak.at
LitGes, etcetera Nr 50/ Wozu Literatur?/ November 2012