Aktionsradius Wien / April 2007
ST. PÖLTEN SCHLÄGT ZURÜCK
Den zugegeben etwas reißerischen Namen dieses kleinen St. Pölten-Festivals fanden einige der vom Aktionsradius Wien kontaktierten MusikerInnen und KünstlerInnen aus der niederösterreichischen Landeshauptstadt gar nicht passend. Wer zurückschlägt, muss logischerweise ein Geschlagener sein. Als teilnehmende Beobachter einer lebendigen St. Pöltner Kulturszene, die sich als work in progress begreift, lassen sie sich nicht in die Opfer-Rolle drängen. Ihr Selbstbewusstsein strahlt aber noch zu schwach nach Wien aus: Hier finden sich noch die Reste des Provinzialismus-Klischees, und ein Ausdruck davon ist das überraschte „Do schau hea!“ der WienerInnen, wenn ihnen z.B. die Buntheit des zeitgenössischen Musikschaffens der 50.000-Einwohner-Stadt vor Augen geführt wird. Wir erklären hiermit die Tradition der Wiener Respektlosigkeit gegenüber St. Pölten für beendet. Und bleiben beim gewählten Titel. (Siehe auch Terza Pagina.)
AUSSTELLUNG DES MONATS:
INGRID REICHEL & EVA RIEBLER „FIGUREN WERFEN“
Ingrid Reichels Fotos zeigen unter anderem das St. Pöltner Regierungsviertel im Detail. Das Konzept, ein belebtes Zentrum erstarken zu lassen, schlug fehl, die gezeigten Spiegelungen auf ihren Fotoaufnahmen suggerieren Belebtheit. Weiters macht sie Schlagzeilen zum Thema "St. Pölten schlägt zurück". Ingrid Reichel ist seit 2004 im Vorstand der Literarischen Gesellschaft St. Pölten. Sie ist Malerin und hat den Blick einer kritischen St. Pöltnerin. Eva Riebler malt seit 30 Jahren, ist seit 1979 als Germanistin in St. Pölten tätig bis umtriebig und seit 2003 Obfrau der LitGes und Herausgeberin der Zeitschrift etcetera. Ihre Acrylbilder sind stets dem Figurativen verhaftet. Zu sehen sind Werke aus der Serie „Figuren werfen". Der Körper und seine freie Gestaltung dürfen ihrem künstlerischen Konzept zufolge durchaus verstörend wirken.
Dienstag, 3.4.: 19.30 Uhr, Aktionsradius Wien, Gaußplatz 11, 1200 Wien
Vernissage Ingrid Reichel & Eva Riebler
Die Literarische Gesellschaft St. Pölten
Stadt findet statt. Trotzdem.
Die Literarische Gesellschaft St. Pölten (LitGes STP) ist wieder in Wien! Nach Präsentationen und Auftritten in der Alten Schmiede und im Literaturhaus Wien zeigen sich die LitGes STP und ihre Literaturzeitschrift etcetera nun auch am Gaußplatz. etcetera ist die Nachfolgezeitschrift des Limes. Sie erscheint vierteljährlich und ist sowohl für NewcomerInnen als auch für international bekannte SchriftstellerInnen, nebenbei auch für FilmemacherInnen, bildende KünstlerInnen oder Musikschaffende Plattform. Das LitGes-Netzwerk eröffnet die Reihe „St. Pölten schlägt zurück“ abend- wie raumfüllend: Zu hören gibt's Texte und Textcollagen aus und über St. Pölten, zu sehen gibt's Acrylbilder und Fotos mit St. Pölten-Bezug. (www.litges.at)
Es lesen: Alois Eder, Thomas Havlik, Michiko Flasar, Cornelia Travnicek und Thomas Fröhlich. Fotografien & Werke von Ingrid Reichel und Eva Riebler.
Eintritt: frei
Öffnungszeiten: bis 24. April, Mo-Do 10.00-17.00 Uhr, bei Veranstaltungen und nach Vereinbarung.
Dienstag, 10.4.: 19.30 Uhr, Aktionsradius Wien, Gaußplatz 11, 1200 Wien
Konzert Cosa Nostra & 1 Quereinsteiger
MEDITERRANES CROSSOVER
Songs von Fabrizio de Andre, Zucchero, Conte, Celentano, Theodorakis, Gipsy Kings und Clapton. Akustisch aufbereitet mit: Keyboards, Bass, akustischen Gitarren, Elektrogitarre, Sax, Flöten und Bouzouki. Gespielt von: Toni Wegscheider (Gründer- und Frontman; Gesang, Gitarre, Bouzouki), Reinhard Kieninger (Gitarre, back voc), Dieter Libuda (Elektrogitarre, Percussion), Ronald Bergmayr (Sax, Flöten), Peter Völker (Bass, back voc), Werner Steueregger (Keybord, back voc). Alle außer Peter Völker sind gestandene St. Pöltner. Überraschungsgast: Pavarotti (oder Vertretung).
Eintritt: 7 Euro
Samstag, 14.4.: 19.30 Uhr, Bunkerei Augarten, Obere Augartenstraße 1a, 1020 Wien
Lames & Siluh Records Party
ST. PÖLTEN SPECIAL
LAMES (la musique et sun) ist ein St. Pöltner Künstlerkollektiv, das seit mehr als 10 Jahren die Landeshauptstadt belebt. „Berühmt" sind LAMES hauptsächlich wegen ihrer gut inszenierten Festivitäten, die in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen am LAMES Areal in St. Pölten (SKW) stattfinden. Nicht nur weil LAMES seit jeher den non profit-Gedanken hochhalten, erfreuen sich diese Festivitäten regen Zustroms. Die Qualität von audio und video, die Originalität und Detailliebe dieser Feste ist eine Konstante, die man in dieser Form in Niederösterreich nur selten findet. Neben diesen Ereignissen gibt es am LAMES Domizil auch einen stetigen "Betrieb". Neben den Musikaktivitäten (z.B. Bauchklang) wird in die Natur investiert und im Laufe der Jahre ein riesiger Park angelegt, der in dieser Form einzigartig ist. Er soll Raum für diverse Kunstprojekte bieten, aber auch auf längere Sicht der Allgemeinheit dienen. Letzten Sommer veranstalteten LAMES ebendort ein interdisziplinäres Künstlersymposium, das in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden soll. (www.lames.at)
LAMES und Siluh Records präsentieren: Das Fieber; Mina Halm (Theremin) & Alex Miksch (guitar/sounds); Masallah (live act); DJ Lichtfels (Bauchklang / LAMES) u.a.
Eintritt: 10 Euro
Dienstag, 17.4.: 19.30 Uhr, Aktionsradius Wien, Gaußplatz 11, 1200 Wien
perpetuum, lesetheaterförmig
DER FLÜSTERER IM DUNKEL
Lesetheateraufführung, die als Hommage an H.P. Lovecraft, den Begründer zeitgenössischer düsterer Phantastik anlässlich seines 70. Todestags angelegt ist. Wikipedia meint: Auch wenn sich Lovecraft bisweilen nicht ganz einfach einem literarischen Genre zuordnen lässt, wird sein Prosawerk in der Regel als „Supernatural Horror“, also als Geschichten des „Übernatürlichen Schreckens“ eingeordnet. Thomas Fröhlich wählte die Texte aus, die von ihm und Daniela Wandl, Fritz Humer, Heimo Huber und Georg Wandl gelesen werden. Sie alle zählen zum etwa 20 Menschen umfassenden Kollektiv der Theatergruppe perpetuum, eine mainstreamfeindliche Truppe, die jahrelang aus der Not, kein eigenes Theater zu haben, eine Tugend machte und „Odyssee" im Teich und „Hödlmoser" im Wirtshaus spielte, die aber nun im ehemaligen Forumkino St. Pölten ein perfektes Zuhause gefunden hat. (www.perpetuum.at)
Eintritt: 5 Euro
Freitag, 20.4.: 19.30 Uhr, Bunkerei Augarten, Obere Augartenstraße 1a, 1020 Wien
Siluh Records Night
ZWEI BANDS: EINE PARTY
In einer Kooperation mit dem St. Pölten-lastigen Musiklabel Siluh Records stellen sich zwei Bands, die die erfrischende Alternative Indie Szene der Landeshauptstadt vertreten, in der Bunkerei im Augarten vor: Tschok die Dohle und Francis International Airport. Eine stark gitarrenlastige Situation ist zu erwarten, und der Umstand, dass keine der Gruppen einen Tonträger in die Bunkerei mitbringt (immerhin werkt FIA gerade am ersten Album herum), muss so gedeutet werden: St. Pölten ist ein Laboratorium, in dem ständig neue Talente auftauchen und in dem schon stage-erprobte SängerInnen und Instrumentalisten in wechselnden Kombinationen stets Neues versuchen. (www.siluh.com)
Eintritt: 10 Euro
Samstag, 21.4.: Treffpunkt: 9.00 Uhr, Gaußplatz 11, 1200 Wien. Rückkunft: ca. 24.00 Uhr.
Stadtflucht
BUS NACH CHATTANOOGA
„Wenn man auf der Westautobahn etwa vierzig Kilometer von Wien Zentrum zurückgelegt hat, glaubt man zur Rechten die Außenbezirke von Chattanooga zu sehen. Es handelt sich aber, wie ein Blick auf die Hinweistafeln des Autobahnabzweigers lehrt, nicht um Chattanooga, sondern um St. Pölten.“ So beginnt das 8. Kapitel von Jörg Mauthes Roman „Die große Hitze“. Wir wissen nicht, wie schmeichelhaft dieser Vergleich für die St. PöltnerInnen ist. Wir wissen aber, dass die ExkursionsteilnehmerInnen eine aufregende Flanerie in St. Pölten und Umgebung erwartet. Am Vormittag empfängt uns der 1925 geborene Akkordeonsammler, Schauspieler und Träger des Fellini-Preises, Hannes Thanheiser auf dem ehemaligen Rittersitz Würmling bei Hafnerbach, den er mit Eigenmitteln restaurierte. Mit seiner Jazz-Combo "Cafe Schmalz“, in der er Geige, Klavier und Akkordeon spielt, war Thanheiser auch schon beim Aktionsradius zu Gast. Seine Privatsammlung umfasst ca. 100 Akkordeons, wobei jedes einzelne seine eigene Geschichte zu erzählen hat. Den Gästen aus Wien bietet er ein kleines vormittägliches Konzert. Nachmittags sorgt der rebellische Betriebsseelsorger Sepp Gruber für eine alternative Stadtführung – vom betonitiskranken Regierungsviertel über die Spuren des jüdischen St. Pölten und das Glanzstoff-Werk, ein in die Gegenwart gestülptes Stück österreichischer Industriegeschichte, bis zum Cinema Paradiso. Der Tagesausflug endet mit einem Fest im legendären Gasthaus Koll (Ort: Alte Reichsstraße 11-13, Beginn: 19.30 Uhr, Eintritt: 10 Euro), in dem der Jazzgeiger Matthias Jakisic mit einigen seiner St. Pöltner Musikerkollegen nicht nur für die Gäste aus Wien aufspielt.
Unkostenbeitrag: ca. 30 Euro (Bus + Führungen + Konzert)
Anmeldung bis 16. April unter Tel. 332 26 94
Dienstag, 24.4.: 19.30 Uhr, Aktionsradius Wien, Gaußplatz 11, 1200 Wien
Ben Martin & Georg Tran
TRAVELLING AGAIN
Rein technisch gesehen ist Ben Martin Singer/Songwriter, tatsächlich aber bewegt er sich musikalisch weit um den mit diesem „Genre" assoziierten Sound herum. Da wird gerockt, geswingt, mit elektronischen Sounds geflirtet, dem Alternative Country gehuldigt. Dennoch aber flackern immer wieder akustisch gehaltene, spärlich instrumentierte Songs auf – ganz Singer/Songwriter-Manier eben. Mit dem aktuellen Werk „The Tiny Bits And Pieces" (2006) und den Singles „The Heating Is On Again" und „Matt Bianco" wehrte Ben Martin sich größtenteils vehement gegen das Klischee des Lagerfeuergitarristen. Seiner Band gehört auch Tran Lap Vinh Georg an. Am Gaußplatz präsentieren sich die beiden als bewährtes Duo. Tran ist aber auch, wie Ben Martin, solo unterwegs – da singt er sanft und gefühlvoll bis energisch in Englisch gehaltene Texte, die er mit der klassischen Gitarre und ausgefallenem Finger-Picking begleitet. Seine Musik – reduziert auf ein Minimum – will nicht mehr als einen Moment, eine Stimmung festhalten und wiedergeben.
Eintritt: 7 Euro
TERZA PAGINA
Robert Sommer
(maturierte in St. Pölten)
ST. PÖLTEN SCHLÄGT ZURÜCK
Auch nach der Ernennung zur niederösterreichischen Landeshauptstadt besitzt St. Pölten nicht das beste Image unter den Städten des Landes. „Wien darf nicht St. Pölten werden“ – Graffiti dieses Inhalts auf Wiener Wänden verkünden: St. Pölten-Bashing gilt in der Bundeshauptstadt, wenn überhaupt, als lässliche Sünde. Als lässige Sünde zudem. Dem unbekannten Sprayer, der unbekannten Sprayerin kann man noch zugute halten, dass der Spruch das unsägliche „Wien darf nicht Istanbul werden“ verhöhnt, jenen Ohrwurm in Slogan-Form, mit dem bekannte Populisten ihre Quoten erreichen. Aber es ist natürlich kein Zufall, dass da nicht steht: Wien darf nicht Krems werden. Oder Wiener Neustadt. Oder Graz. Oder Berlin. Jahrzehntelang war St. Pölten Synonym für Provinzialität und Zielscheibe vieler Witze. Ihr Witzgehalt liegt im Schnitt unter dem Niveau folgenden Schüttelreims, der ja auch nicht sehr witzig ist, wiewohl in ganz Wien bekannt: „Einem Mutigen bangt selten – warum bangt dir vor Sankt Pölten?“
In St. Pölten selbst wächst das Selbstbewusstsein der BewohnerInnen. Thomas Fröhlich, ein Literat der Stadt an der Traisen, wagt eine Liebeserklärung: „Vielleicht ist es das, was St. Pölten ausmacht: dass es keine museale Glättung gibt, zumindest nicht im Übermaß, kein mentales Riesenrad, keine mentalen Fiaker, schon gar keinen Lindwurm, wenige vorgegebene Raster. Vielmehr: eine Werkstatt, in der Zweifel, Unsicherheit, Mut zum Experiment gestattet sind. Keine trampelnde Ideologie, eher eine aus Selbstzweifeln geborene Identität.“ Andreas Fränzl von Bauchklang, dem musikalischen Aushängeschild St. Pöltens, wies jüngst in einem Interview auf die – relativ zur Einwohnerzahl – sonstwo kaum erreichte Dichte der Bandszene hin: „In St. Pölten gab es schon immer saugute Musiker, aber auch Subkultur-Szenen können locker mit Wien mithalten, die brauchen sich nicht zu verstecken!“ Eines dieser subkulturellen Netzwerke ist das Künstlerkollektiv „La Musique Et Sun“ (LAMES), dessen Teil Fränzl ist.
Im kleinen St. Pölten-Festival des Aktionsradius Wien sind Thomas Fröhlich und seine KollegInnen von der Theatergruppe „perpetuum“ ebenso vertreten wie die Leute von LAMES – neben vielen anderen ganz jungen oder aber junggebliebenen ProtagonistInnen eines kulturellen Aufbruchs, der in Wien bisher höchstens von zugereisten St. PöltnerInnen, die die Fäden zur Herkunftsstadt nicht abreißen lassen, mit Interesse registriert wird.