Anselm Kiefer: Werke aus der Sammlung Essl. Rez.: Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
DER ARCHÄOLOGE DER ZUKUNFT

 
   
 

ANSELM KIEFER
Werke aus der Sammlung Essl

Essl Museum, Galerien, Klosterneuburg
Pressegespräch: 02.02.1012, 10.30 Uhr
Ausstellung: 03.02. - 29.05.2012
Kurator: Karlheinz Essl sen.
Organisation: Günther Oberhollenzer, Anna Szöke

Zur Ausstellung erschien ein zweisprachiger (deutsch-englisch) Katalog:
ANSELM KIEFER
Werke aus der Sammlung Essl
Hg. Essl Museum

Klosterneuburg: Edition Sammlung Essl, 2012. 138 S.
Ins Englische: Susanne Watzek
ISBN 978-3-902001-65-8
Preis: 25.- Euro

Seit beinahe zehn Jahren sammelt das Ehepaar Essl Werke von Anselm Kiefer, einem der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Künstler der Nachkriegszeit. Zu diesem Ereignis schlüpfte der Hausherr selbst in die Rolle des Kurators und eröffnete mit Kiefer die erste Ausstellung des Jahres 2012 im Essl Museum. Zum Werk sprach Peter Iden, der mit Anselm Kiefer schon viele Ausstellungen durchgeführt hatte und den man daher als Kenner seines Œuvres schätzt. Der Künstler selbst ließ sich entschuldigen. Die Ausstellungsvorbereitungen für die Schau ArtandPress im Martin-Gropius-Bau Mitte März in Berlin, für die er eine große Installation vorbereitet, befinden sich im Endspurt.

 

Anselm Kiefer: The Fertile Crescent, 2009.
Mischtechnik auf Leinwand. 330 x 762 x 7 cm.
© Anselm Kiefer
Fotonachweis: Ulrich Ghezzi courtesy Galerie Thaddaeus Ropac Paris • Salzburg

 

Diese Ausstellung sei etwas anders als gewohnt, verspricht Essl im Pressegespräch, verlangen Kiefers überdimensionale Werke doch viel Platz, benötigen viel Freiraum, um sich nicht gegenseitig zu konkurrieren. Essl legte Wert darauf, dass die Werke mit der Architektur des Hauses in Einklang kommen und verzichtete daher auf jegliche Chronologie in der Behängung, die alleine große Professionalität voraussetzt. Das größte Werk wurde auf einem Gerüst auf Rollen montiert und diagonal vor eine Ecke aufgestellt. Es ist ein vierteiliges Gemälde mit insgesamt 7,62 m Länge und 3,3 m Höhe und trägt den Titel The Fertile Crescent - Fruchtbarer Halbmond (2009).

Ehepaar Essl fand ziemlich spät zu den Werken des renommierten Künstlers. Erst 2003 überzeugten sich Karlheinz und Agnes Essl von Kiefers Schaffen mit einem Besuch in seinem einstigen Atelier in Barjac in der Region Languedoc-Rousillon in den Cevennen in Südfrankreich, das Kiefer 1993/1994 bezog. Der Weg zur stillgelegten Seidenfabrik La Ribaute am Gipfel eines Hügels ist umsäumt von Marterl ähnlichen Glasobjekten, Werken Kiefers, und mündet in eine 35 ha große Fabriklandschaft mit Lastwagen und Kränen mitten in der Einschicht, erzählt Essl angetan von seiner ersten Begegnung mit Kiefer. Mittlerweile lebt Kiefer auf einem Werkgelände außerhalb von Paris.

 

Anselm Kiefer:
Horlogium (Sternenfall)
, 2003.
Öl, Emulsion, Acryl auf Leinwand mit Gipspflanzen;
Bleibücher, Karton, Metall und Glas.
280 x 500 x 32 cm
© Anselm Kiefer
Fotonachweis: Stefan Fiedler – Salon Iris, Wien

 

In dieser Schau zeigt Essl mit den in den letzten zehn Jahren entstandenen Werken des Allround-Künstlers einen guten Überblick seines Schaffensprozesses der letzten Jahre.
Das Werk, das Essl als erstes von vielen kaufte, war Horlogium und dürfte damals frisch entstanden sein, denn es ist mit dem Jahr 2003 datiert. Es ist ein 5 m langes und 2,8 m hohes Gemälde aus Öl, Emulsion auf Leinwand mit Gipspflanzen. Seit seiner Übersiedlung nach Frankreich haben sich Kiefers Werke verändert, schreibt die Kunsthistorikerin Mela Maresch in ihrer Bildbeschreibung im Katalog über Horlogium. Das Werk gehört einem Bilderzyklus an, welches Kiefer dem britischen Philosophen Robert Fludd, der die Idee vertrat, jede Pflanze auf Erden sei in einem Sternenbild zu erkennen, widmete. Die Farben, die Natur der frz. Region und die Weite des Himmels inspirieren Kiefer noch heute. Die Gestaltung des Universums wurde zu seinem Thema.

Die Namensgebung Horlogium (Pendeluhr) entlieh Kiefer einem Sternbild des Südens. Kiefer sieht beim Betrachten der Sternbilder die Willkür des Erfindens wachsen. Eigenmächtig zieht Kiefer seine eigenen Sternbilder und erlebt dabei die Sinnschaffung und den Schöpfungsakt. So vermag der Künstler Kosmos, Materie, Raum und Zeit in Einklang bringen. Einem Zitat von Kiefer nach, seien wir Menschen mit der ersten Explosion (Urknall) geboren. Daher bestünden wir aus Elementen des Kosmos. Wir trügen in uns das Unendliche, das unendlich Kleine wie auch das unendlich Große. So versetzt sich Kiefer in den Mikro- und den Makrokosmos.

Dabei ging es Kiefer zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn noch um ganz andere Dinge ...
Anselm Kiefer wurde 1945 am Ende des 2. Weltkriegs im Luftschutzkeller eines Krankenhauses in Donaueschingen (Baden-Württemberg) geboren. In Freiburg in Breisgau begann er 1965 mit dem Studium der Rechtswissenschaften, Romanistik und Literatur (1965-1970) und widmete sich zugleich der bildenden Kunst in Breisgau bei Peter Dahrer und in Karlsruhe bei Horst Antes (1966-1968). Seine Abschlussarbeit löste einen Skandal aus und stieß auch unter den Professoren auf Ablehnung. Sie bestand aus einer fotografischen Dokumentation einer Performance unter dem Titel Besetzungen. Diese stellte er 1969 in Form eines Zyklus von acht Gemälden nach den Fotos in Karlsruhe aus.

Für diese Fotodokumentation besuchte Kiefer verschiedene Länder Europas (Schweiz, Holland, Frankreich, Italien) und führte dort gekleidet in Front-Uniform seines Vaters den Hitlergruß aus. Kiefer äußerte sich zu dieser Arbeit: „Ich muss ein Stück mitgehen, um den Wahnsinn zu verstehen“ und: „In diesen ersten Bildern wollte ich mich selbst fragen: Bin ich faschistisch? Es ist eine sehr schwerwiegende Frage. Man kann darauf nicht auf die Schnelle antworten. Das wär ja einfach. Autorität, Konkurrenzgeist, Überlegenheitsgefühle […], all das gehört zu meiner Persönlichkeit, wie zu jedem Menschen.“ (Quelle Wikipedia: Interview mit Anselm Kiefer von Steven Henry Madoff, In: Art News. Bd. 86, Nr. 8, Oktober 1987)

Der Skandal verhalf ihm zwar zu einem gewissen Bekanntheitsgrad, jedoch mit negativen Vorzeichen. Kiefer setzte sein Kunststudium bei keinem geringeren als Josef Beuys in Düsseldorf fort, der die kritischen Absichten Kiefers nicht in Zweifel stellte.
Auch der 1938 in Polen geborene deutsche Kunstkritiker und Essl Ehrengast Peter Iden hatte seine Probleme mit Kiefers Frühwerk und Wirken und verfasste einst eine negative Kritik. Mittlerweile hätte er einen anderen Zugang zu Kiefers Werk gefunden und verstehe sein damaliges Ansinnen, erzählt er während der Pressestunde. Dennoch blieb man im Museum bedeckt. Es wurde nicht erzählt, worum es wirklich ging. Die gesammelten Werke sind, wie schon erwähnt aus den letzten zehn Jahren und auch im Katalog fehlt in der Biografie jeglicher Hinweis auf Kiefers Ansinnen gelebte Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands. Das Tabu der braunen Vergangenheit hing wie ein Damokles Schwert in der Luft.

Kiefer ist ein Kind der 68er Generation. Gleichaltrige sympathisierten mit der RAF oder blieben bieder angepasst ohne zu hinterfragen. Im Gegensatz zu Österreich, hat die Rezensentin das Gefühl, dass in Deutschland das aufgearbeitet wurde, was es zu aufarbeiten galt. Kiefer gehört zu der nicht aggressiven selbsttherapeutischen Liga. Er ist der Auffassung, dass die Kunst, die aus einem traumatisierten Volk entspringt, Heilung bringen könnte. Laut Iden sei Kiefers Rückblick verheerender als Beuys', da absolut kein utopischer Glanz zu verspüren sei.
Die Vergangenheit ist für Kiefer ein endloser Fundus. Er der sich mit der deutschen Geschichte, ihren Mythen und Geistesgrößen befasst(e), sagt von sich selbst: "Meine Biographie ist die Biographie Deutschlands."

 

Anselm Kiefer:
Nur mit Wind mit Zeit und mit Klang
, 2011.
Öl, Emulsion, Acryl, Schellack und Blei auf Leinwand.
380 x 560 x 30 cm
© Anselm Kiefer
Fotonachweis: Ulrich Ghezzi courtesy Galerie Thaddaeus Ropac Paris • Salzburg

 

In den 80er Jahren setzt er sich mit der Kabbala auseinander. Weitere Einflüssen unterlag er durch seine ausgedehnten Reisen in Europa, USA und den Mittleren Osten. Hierbei entstanden auch Aquarelle und Holzschnitte. Kiefer behauptet sich ebenfalls als Skulpteur, vor allem hat es ihm das Material Blei angetan.

Es entstehen mit Vorliebe aus Blei gegossene Flugzeuge, Schiffe und Bücher, die er u.a. auch in seinen Gemälden montiert oder als Skulptur oder Gesamtinstallation für sich stehen lässt. Charaktereistisch in seinem Werk sind Schriftzüge von Menschen, Sagengestalten oder geschichtsträchtige Orte. Dabei spielen Werke von Paul Celan und Ingeborg Bachmann eine herausragende Rolle.

Kiefers Gemälde sind nicht nur komplex an Inhalt, sondern auch schwer im Materialgehalt. Er verarbeitet Ölfarben en gros. Bis über 5 cm dicke pastos aufgetragene Schichten dieses edlen Malmaterials, verströmen noch nach Jahren einen aufregenden und betörenden Geruch der Ölfarbe. Beinahe orgastisch wirken sie in ihrer Konstellation: ihre Größe, ihre lehmige, erdige, nur scheinbar naturbelassene Erscheinung. Und dann, kaum fühlt man sich in Geborgenheit dieser Architektur oder Landschaft, durchkreuzt, wider jeder Kompositionslehre des Goldenen Schnitts, ein völlig zentral in das Tafelbild montiertes und eingewebtes Objekt, zerstört die Zweidimensionalität, geht in den Raum, ergreift uns in ihrer Dreidimensionalität und erzählt seine Geschichte, für jeden Betrachter, für jeden Kopf eine eigene.

 

Anselm Kiefer:
Für Paul Celan
, 2005.
Öl, Emulsion, Acryl, Kohle, Bleistift und Gips auf Leinwand.
190 x 280 x 50 cm
© Anselm Kiefer
Fotonachweis: courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, Paris

 

Seine Bleiskulpturen sind von gigantischem Ausmaß. Das schwerste Objekt in Essls Sammlung wiegt 3 Tonnen, vermutlich: Skulptur mit Sternen aus dem Jahr 2003 (Bleibücher, Karton, Metall, Glas). Trotz Kiefers schwergewichtiger Kost an Geschichte oder universeller kosmischer Betrachtung ist sie eine durchwegs positive Kunst. Wie Iden bemerkt, die Frage nach der Wahrheit nimmt alle Elemente in Anspruch und werden in einem offenen System zusammengefügt. Niemals sei der Tod die Antwort. Die Wahrheit, wie wir sie uns wünschen würden, gibt es schlußendlich nicht. Für Kiefer gibt es die Vorstellung der Gegenwart nur durch die Vergangenheit. Er "ergräbt" sie sprichwörtlich mit seinen Werken: Nur rückblickend gewinne ich Zukunft. Auch wenn Kiefer Schmerzen verursacht, so vereint er sie mit der Schönheit der Natur und der Bejahung zum Leben.

Zur Ausstellung erschien ein querformatiger Katalog der 15 ausgestellten Werke. Der bekannte Kunsthistoriker Wieland Schmied schrieb einen ausführlichen Essay zu Kiefers Œuvre. Zu jedem Werk gibt es eine Bildbeschreibung. Werkverzeichnis, Bio- und Bibliographie sowie eine Ausstellungsliste sind am Ende des Katalogs zu finden. Leider fehlen jegliche biografische Angaben zu den Verfassern der Texte und die sich innenseitig befindliche Paginierung ist kontraproduktiv. Dennoch ein ausgezeichneter Katalog mit hochqualitativen Fotos der Werke zu einer sehr empfehlenswerten Ausstellung.

LitGes, Februar 2012

 

Weiterer empfehlenswerter Katalog zum Gesamtœuvre Anselm Kiefers:
ANSELM KIEFER
Daniel Arasse
 
München: Schirmer/ Mosel Verlag, 2007. 344 S.
ISBN 978-3-8296-0275-4

 

 

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