Der rosarote Balkon: Axel Karner. Rez.: Klaus Ebner

Klaus Ebner
Tod der Idylle

 

Der rosarote Balkon
Axel Karner

Prosa
Klagenfurt: Wieser Verlag, 2012. 50 S.
ISBN 978-3-99029-033-0

Ein rosaroter Balkon, frisch getüncht, mit Blick ins Dorf. Das Bild evoziert eine rosarote Brille, die jedoch, nach dem kurzen Eindruck eines ländlichen Idylls, sehr rasch abgenommen wird oder gar zerbricht. Der 1955 in Kärnten geborene und heute in Wien lebende Schriftsteller und Lehrer Axel Karner legte mit Der rosarote Balkon ein schmales Büchlein Prosa vor. Es kann als Erzählung gelesen werden, als eine Ansammlung von Kurzprosatexten mit einzelnen Gedichten oder als eine Art Tagebuchaufzeichnungen; auf den Verlagsseiten ist sogar von einem Drehbuch die Rede.

Szenen und Sätze erscheinen einfach aneinandergereiht; zusammen ergeben sie ein Stimmungsbild, die Beschreibung einer ganz und gar nicht beschaulichen Welt, geprägt nicht nur von Kuriositäten, sondern von tief verwurzelter Gewalt und politischen Anschauungen, die längst verschwunden sein sollten. Laufend Referenzen auf den Krieg, und die Dorfbewohner haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, ein Hakenkreuz zu entfernen. Die braune Ideologie, eine stets immanente Gewaltbereitschaft und die Nähe der katholischen Kirche zum Leben der Menschen scheinen unentflechtbar miteinander verwoben. »Der Krieg hat viele nicht heimgebracht.«, aber »Der Friedhof wächst auf den Schlachtresten und dem Schutt.« (S. 36) Zwar spielt das Buch offensichtlich in der unmittelbaren Nachkriegszeit, doch stellt sich die Frage, inwieweit manche der Eindrücke nicht auch zeitgenössische sind.

Direkte Reden werden zumeist im Dialekt wiedergegeben, etwa wenn ein Bub seine frische Narbe so kommentiert: »Vom Våta sein Giatl.« (S. 47) Anfangs mögen diese Passagen den Lesefluss etwas bremsen, doch man gewöhnt sich sehr rasch daran und meint bisweilen, den Kärntner Akzent im Hinterkopf zu hören.

Um sich vom Alltag, vielleicht auch von der Erinnerung an den Krieg zu betäuben, fließt viel Schnaps, es wird getanzt, es wird gegrölt. »Die Lust am Grölen wurde überwältigt von der Lust am Quälen.« (S. 26) Die einzelnen Abschnitte, symbolische 24 an der Zahl, und sogar einzelne Absätze wirken wie Puzzleteilchen, die beim Lesen zusammengesetzt werden wollen. Dabei sind durchaus unterschiedliche Anordnungen möglich, denn eine allgemeingültige Auflösung zum Rätsel gibt es nicht.

Schockierend dann die Szenerie, in der zuerst eine Sau geschlachtet, ja geschächtet wird, und dann schwenkt alles um auf einen Ritualmord an einem männlichen Kind. Ausgeweidet hängt es an einem Haken, und als der Arzt der Mutter ein Beruhigungsmittel da lassen soll, bemerkt er lapidar: »Gscheita wär gwesn, sie hätte aufgepasst.« (S. 24)

Die Ereignisse im Dorf werden aus einer Beobachterposition heraus wiedergegeben, doch manchmal schiebt sich ein Icherzähler in den Vordergrund, ein Kind ganz offensichtlich, und flugs denkt man beim Lesen: hoffentlich nicht jenes, das getötet wurde. »Fleisch zu Fleisch, Asche zu Asche, Staub zu Staub.« (S. 36) heißt es, und die Anspielungen auf Kirche, Pfarrer und Bigotterie sind zahlreich. Dem ganzen Buch stellte der Autor ein Zitat aus Johannes voran, welches das Fleisch ebenso evoziert wie den Sohn. Beides spielt im Buch eine große Rolle, in unterschiedlichen Bedeutungen und verschiedenen Auslegungen, mit intrinsischen Querverbindungen, die einem erst allmählich bewusst werden.

Der rosarote Balkon ist ein zwar kurzes, aber in seinem lakonischen Ton äußerst aufwühlendes und einprägsames Buch. Ein guter Magen kann nicht schaden. Die Kürze des Buches lädt durchaus zum mehrmaligen Lesen ein, und genau diesem Impuls sollte man nachgeben. Jedes Wiederlesen macht neue Aspekte sichtbar und zeigt, auf welche Weise Axel Karner die geschilderten Ereignisse mit christlichem Gedankengut verquickt. Dies lässt eine Vielzahl von Interpretationen offen und die Leserinnen und Leser wohl sehr nachdenklich zurück.

LitGes lange Version. Kurzversion im etcetera Nr. 50/ Wozu Literatur?/ November 2012