35. Internationales Jazzfestival Saalfelden 28. bis 31. August 2014
Eva Riebler
Ein Festival, das lustvoll gegen den Mainstream schwimmt.
Bei der Eröffnung des Jazzfestivals durch Politiker und Veranstalter auf der MainStage wird eine erfreuliche Bilanz gezogen. Nach 35-jährigem Bestehen und einem Fast-Zusammenbruch 2006 sind die Finanzierung und somit der Fortbestand langfristig abgesichert. Die Unterstützungen konnten erhöht werden. Die MainStage-Veranstaltungen im Kongresscenter Saalfelden sowie die täglichen zwei ShortCuts im NEXUS sind voll ausgebucht.
Gratis wie jedes Jahr sind die Veranstaltungen auf der CityStage, die Konzerte im Zelt am Rathausplatz. Diese beginnen bereits am Donnerstag 18.30 Uhr mit dem Titi Robin Trio, anschließend mit der Budapest Bar, Freitag mit Fatima Spar & Jazzorchester Vorarlberg und Roy de Roy, Samstagvormittag mit 5/8erln in Ehren sowie Klangkombinat Kalksburg.
Kostenlose Konzerte werden je zwei Almkonzerte um 11 Uhr am Samstag (Nicolaj Efendi and the Red Wine Conspiracy, Cafe Drechsler) und am Sonntag angeboten auf Almen zwischen Saalfelden und Leogang (Alma, Stelzhamma) sowie eine Kinderbühne mit dem Kinderkonzert: Jakobs Manege.
Mit den Gratis-Events ist auch für nahe Wohnende oder Saalfeldner das Verständnis für mögliche Unbill (Sperrung des Rathausplatzes ..), die vielleicht so viele Konzertbesucher verursachen könnten, oder die Anbindung an Jazzmusik gegeben. So gewinnt ein internationales Festival auch die Herzen der Einheimischen.
Donnerstag 28.8.14 ShortCuts im Kunsthaus NEXUS
21:30 Uhr Hang Em High
Bond -2 String slide bass, low end modulation
Lucien Dubuis - Sax, Clarinets
Alfred Vogel - Drums, Pots & Pans & Junk Percussion
Dies war der Westerntitel der ersten CD, nun wird die zweite CD, die seit wenigen Tagen am Markt ist, vorgestellt. Titel: "Beef and Bottle". Mit Nice pieces, Circius Maximus, Adges oder The low high ist eine gute Mischung von zart bis kräftig, von lustvoller Interpretation und Soundvariationen gelungen. Ein guter Einstieg in das Festival!
23:00 Uhr Nels Cline & Marc Ribot
Nels Cline - Guitar, Marc Ribot - Guitar
Marc Ribot wird morgen als Solist und Nels Cline im Laufe des Fetivals mit Ben Goldberg spielen. In diesem Konzert geht Marc Ribot intensiv auf Nels Cline ein und wandert parallel, dann wieder kontrastiert er und endet schließlich in den letzten beiden Pieces bei einer äußerst starken Klangplatte des Synthesizer-Noise. Keine Spur von Softtonic, ein unablässiges und sehr metallenes, verschliffenes Trommelfeuer.
Freitag 29.8.14 MainStage
19:00 Uhr Philipp Nykrin`s Wire Resistance, Österreich
Wie von der Festival-Organisation gefordert, bringt Nykrin als Starter auf der MainStage neue Kompositionen inklusive neuem Arrangement an Musikern auf die Bühne. Mario Rom - Trumpet, Fabian Rucker - Tenor Sax, Clarinet, Synthesizer, Stephan Kondert - Bass, Andreas Lettner - Acoustic, Electronic Drums.
An der Schnittstelle zwischen klassischem Jazz und Elektronik bringt Nykrin seine wohl temporierten, ruhigen Stücke. Er überbrückt die Gegensätze zwischen elektronischen und akustischen Sounds gekonnt. Teils kontemplatorisch teils luftig tragisch, stets inbrünstigen in der Interpretation.
20:30 Uhr Marc Ribot Solo "Protest Songs", USA
Marc Ribot ist in Saalfelden gern gesehen, er ist ein vielseitiger Musiker, der meint: Auf der Gitarre kann man auch spielen! Nun im Gegensatz zum vort&aaumlgigen Elektronik-Jazz auf der Gitarre, begleitet er seine Protestsongs mit der einfachen Gitarre. Dass das keine schlichten Songs wie bei Bob Dylan sind, ist klar. Er bricht die Strukturen des Liedhaften und des Textes, witzelt und ist dialektisch unterwegs. Im Mittelpunkt seiner Vorlagen und handschriftlichen Aufzeichnungen, die wie achtlos verstreute Papierschnitzel anmuten, sitzt er und erzählt lakonisch, wogegen er protestieren möchte. Zum Beispiel gegen "The Empire State Building", gegen die "White People", die sich selber mit ihren Abbildungen oder in den Movies beklatschen und so attraktiv finden. Auf diesen Protestinhalt kam er beim Anschauen eines Hollywoodfilms von Julia Robert, den er ohne Ton im Flugzeug hörte. Sein skurrilster Songtext war der Anti-Santa-Claus Song. Santa Claus als Motherfucker und Kinderschänder ist wohl etwas Neues! "Presents I like sometimes" als Schlusszeile bricht dann die Beleidigungen an den Wheinachtsmann. Genauso verhält sich der Inhalt seines Songs, handelnd von einer mexikanischen Frau, die ihren/einen Mann aufs Gröbste betitelt und beschimpft und trotzdem mit ihm zusammen ist.
Dazu passen seine persönlichen Protestsongs "Beeing Insane" und "I´m a Pilgrim of Sorrow", "Protest against my Body". Dieser letzte Song ist wie der "Master of the Internet" aus seiner CD "Ceramic Dogs" entnommen. Man höre - auch gegen Brücken kann man sein: "Against Bridges" ist gegen die Brooklyn-Bridge, in seiner Heimatstadt NY.
Seine Songs leben nicht von den Gitarreklängen und nicht von seiner tollen Stimme, sondern vom Text: Auf Österreichisch würden wir sagen, seine irrwitzigen Inhalte leben von Schmäh & Schmähung!
22:30 Uhr Amir ElSaffar Quintet "Alchemy", USA, Norwegen, UK
ElSaffar, überbrückt zwei Kontinente: 1977 in Chicago geboren, suchte 2002 im Iran die Wurzeln seines väterlichen Erbes und verband in seiner Two River-Music beide Musikströmungen. Hier auf der MainStage brachte er exzellenten ausgewogenen Jazz mit einem unheimlich talentierten Saxofonisten, mit Ole Mathiesen, auf dessen Klänge man wartete und dem man viel länger und öfter gern gelauscht hätte. Ein Lied brachte die Reminiszenz an den Irak in diesem ruhigen, levantinischen Maqam-Stil. Ein kraftvolles, großartiges Konzert!
23:20 Uhr The Young Mothers, USA, Norwegen
Eine tolle, lautstarke Performance des norwegischen Bassisten Ingerbrit Haker-Flaten und seinen Musikern aus Austin und Texas. Zum ersten Mal in "good old europe" spielend brachten sie wirklich eine unorthodoxe Mischung, die an die 70er Jahre genauso wie an Rap oder Hip-Hop erinnerte. Wunderbar exzessiv malträtierte Jonathan Horne mit dem Geigenbogen seine Gitarre und Haker-Flaten sein Bassinstrument! Man dachte: Keine Spur von Konsens oder Homogenität und doch fügten sich und fanden die Instrumente wieder klanglich zusammen eine wunderbare Überbrückung und Zusammenführung!
Eine varianten- und zitatreiche Vorstellung, die wirklich extrem wild, frech und hervorragend war! Disziplin in Lautstärke und Konzept war trotzdem vorhanden. Will man das junge Publikum anziehen ann auf diesem gelungenen Weg.
Samstag 30.8.14
15:30 Uhr Mühlbacher´s USW, Österreich
Die 17-köpfige Band spielt seit 1997 und gab eine grandiose Vorstellung zwischen Noise, Klang und perfektem Rhythmus. Immer wieder Reibungsflächen und dann ein großartiger homogener Ensembleklang!
17:00 Uhr Ben Goldberg Quintett "Unfold Ordinary Mind" USA
Viele Titel aus der Geometrie, wie "Elliptical", "Parallelogramm" machten neugierig auf die Umsetzung. Der Aufbau war stets ausgewogen und geometrisch angelegt. Ben Goldberg gab mit seiner Klarinette dem Gittaristen Nels Cline oder seinem Lieblings-Saxophonisten Rob Sudduth sein Kontra. Der stete Zusammenklang aller Instrumentalisten nach einem Soli ergab einen vollen, choralartigen Klang.
18:30 Uhr KAZE "Tornado", Quartett aus Japan, Franc
Satoko Fujii/P, Natsuki Tamura/Tr, Christian Pruvost/Tr, Peter Orins/Dr
Ein wunderbares minimalistisches Konzert! Die Instrumente erklangen als Tierstimmen, fauchten oder miauten wie Katzen, muhten, blökten, vibrierten ungestüm, gaben einander Antwort oder redeten durcheinander. Ein ausgelotetes Tonarsenal, das aus dem Hintergrund zuerst verhalten klang, sich entfesselte und in den Vordergrund drängte. Akustischer Jazz in voller Breite, aufregend, spannend und dynamisch!
21.30 Uhr Henry Threadgill "Ensemble Double-Up", USA
In Remembrance of Lawrence D. "Butch" Morris "Old Locks and Irregular Verbs"
So frei und oft fröhlich sich die Solostimmen in den vorangegangen Konzerten entfalten konnten, so beengend und ernst geht es nun auf der Bühne zu. Threadgill ist der Prototyp eines Masters of Conductor. Autoritär führt er sein 7-köpfiges Ensemble, im ersten Akt vom Stehpult seitlich und dann mittig dirigierend. Die Hommage an den im letzten Jahr verstorbenen Butch Morris ist ihm ein Anliegen. Dieser hatte keine Noten, keine Partitur sondern 32 vereinbarte Zeichen mit seinen Instrumentalisten ausgemacht. Threadgill benützte ebenso bloß grafische Aufzeichnungen und keine Noten im klassischen Sinn dies ist sein Widerstand. Vielleicht ist auch sein sparsames, sporadisches Eingreifen in das Ensemble-Geschehen Programm des Widerstandes. Das gleichzeitige Kontrastieren z. B. der beiden Pianisten (Jason Moran, David Virelles) im gemeinsamen "Double Up" ist Umsetzung des Namens sowie Programm! Das Einhalten der Form hat Vorrang und siegt dann stets mit oder ohne Eingreifen Threadgills über den individualistischen Cuts. Daher vielleicht weniger lustvoll, dafür kompositorisch geschlossen!
Die anschließenden Konzerte: 23:20 Uhr Erik Friedlander "Black People", USA, Japan und 00:50 Uhr Roy Paci & Corleone "Blaccahenze" mit seiner 6-köpfigen Band aus Italien waren sicher hochkarätig, fielen jedoch leider der Müdigkeit der Rezensentin zum Opfer.
Sonntag 31. 8. 2014, 14:00 Uhr
Gradischnig/Sax, Nagl/Sax, Herbert/Bass, Vatcher/Dr "A Day in My Life"
Der Beatles-Song diente als Konzept und Assoziations-Vorlage für eine Reihe von kurzen harmonischen Pieces, die jeder der 4-köpfigen Band entwarf. Max Nagl steuerte mehrere kurze Stücke,wie z.B. "unterwegs", "half hours" oder auch "Roy Nest", das Nestroy gewidmet ist, bei. Facettenreich und jeweils individuell geprägt, steht meist ein Instrument im Vordergrund, auf das sich die anderen einlassen. Das Altsaxophon tauscht sich mit dem Tenorsaxophon aus und Michael Vatcher antwortet einfühlsam mit den Drums. Bei "half hours" oder "Traumschlaf" denkt man an eine romantische Reise. Das Elegische, die gleichförmig aufgebaute Melodie, z.B. auch in der Zugabe mit dem Titel "bipolare Nachtruhe", wird stets wieder abgeschüttelt und lustvolle Rhythmen und Klänge herrschen vor.
15:45 Uhr Sylvie Courvoisier Trio "Double Windsor", Ch, USA
Sylvie Courvoisier/P, Drew Gress/Bass, Kenny Wollesen/Drums
Auch hier ist der Dialog der Instrumente angesagt! Ein Aufeinander-Eingehen und harmonische Linienführung sind ein Muss! Nuancenreiche, akzentuierte Klänge in äußerst raschem Tempo. Gratulation der Klaviervirtuosin!!
17:30 Uhr Get the Blessing "Lope and Antilope", England
Jim Barr/ Bass, Jake McMurchie/Sax, Pete Judge/Trump, Clive Deamer/Dr
Englisch diszipliniertes Spiel im schwarzen Anzug, kräftig, zwar laut, aber nicht furios! Das erste und das letzte Stück "Cake" überzeugten in ihrer subtilen Abweichung von den übrigen besonders!
19:30 Uhr Stirrup "Sewn" USA
Fred Lonberg-Holm, Nick Macri, Charles Rumback
Das Trio entstand aus der Band Horse´s Ha. Der Name Stirrup heißt bezeichnender Weise Steigbügel. Der Galopp war sozusagen vorprogrammiert und äußerst intensiv und gleichbleibend wie gleichförmig. Durch den ständigen starken Elektronik-Einsatz war der Klang stets "psychedelic", jedoch etwas stereotyp von Anfang bis Ende durchgestylt!
20:50 Uhr Trio Joachim Kühn invite Archie Shepp "Voodoo Sense"
Germany, USA, Morocco, Spain
Archie Sheep/Sax, Joachim Kühn/ P, Majid Bekkas /Guembri, Vocals, Kalimba, Balafon, Ramon Lopez/Drums, Percussion
Joachim Kühn hatte in den frühen 60ern bereits als einer der Ersten NY besucht und dort wie Archie Shepp John Coltrane kennen und lieben gelernt. Beide spielen intensiv die Kadenzen rauf und runter und laden zur Bewegung ein. Das Saxophon positioniert sich immer wieder selber und nimmt sich diskret zurück, um andere Instrumente in den Vordergrund zu lassen. "Nina", eine Kostprobe aus der neuen CD, in der Archie Shepp mit Joachim Kühn am Piano spielen wird, fand begeisterten Anklang beim Publikum.
Dass dies das Highlight des 35. Jazzfestivals war, versteht sich von selber! Ein freudiger Tribut an den Afro-Amerikanischen instrumentalen Jazz der guten alten Zeit! Die Singstimme Majid Bekkas zu seiner Guembri gab dem Konzert die epische nordafrikanische, marokkanische Note!
Joachim Kühn genauso wie Satoko Fujii und Sylvie Courvoisier waren das Publikum begeisternde Klaviervirtuosen mit extrem schnellen Tempi.
Ein glanzvoller Schlusspunkt für eine heuer besonders gelungene Auswahl der internationalen Spitzenklasse-Musiker, Musikgruppen und Musikarrangements!
Die zahlreichen weiblichen wie männlichen Klaviervirtuosen sowie das widerständische Kontrastieren und anschließende Brückenschlagen waren sicher ein gelungenes Markenzeichen des heurigen Jazzfestivals.
Jazzfestival-Saalfelden, ein auch organisatorisch bestens betreutes Festival, das man so in Österreich nicht findet!