Orfeo ed Euridice: Gluck. Rez.: Peter Kaiser
Peter Kaiser
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ORFEO ED EURIDICE
Oper von Christoph Willibald Gluck
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
08.06.2011, 19.30 Uhr
Regie & Video: Susanne Øglænd
Dirigent: Lothar Zagrosek
Solisten: Ann Hallenberg, Thora Einardottir, Sunhae Im
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
Projektchor.szene NÖ
Einführungsgespräch mit Walter Weidringer
Den Saison-Abschluss im St. Pöltner Festspielhaus macht eine Oper, welche in der Musikgeschichte eine echte Novität darstellte: Orfeo ed Euridice von Christoph Willibald Gluck (1714-1787) in der Wiener Fassung von 1762. Nicht das Thema ist allerdings das Novum, welches unzählige Male in der Kunst- und Musikgeschichte dargestellt und aufgeführt worden ist. Man denke im Bereich der Oper nur an den unerreichbaren L´Orfeo von Claudio Monteverdi, welchen manche als erste richtige Oper bezeichnen, der in Mantua 1607 uraufgeführt wurde und der in seiner formalen Strenge bis heute ein Maßstab für das Genre insgesamt ist.
Gluck als Zeitgenosse von Haydn und Mozart geht mit seinem Orfeo weit über die barocke Oper mit ihrer üblichen Gliederung zwischen den musikalisch sparsam gehaltenen Rezitativen (Secco-Rezitativen) und den Da-Capo-Arien hinaus. Die verworrenen und versponnenen Handlungen werden durch ein einfühlsames und konzentriertes Psychogramm der Figuren abgelöst.
Gemeinsam mit dem Librettisten Raniero de’ Calzabigi (1714–1795) lässt er einen Chor den Handlungsstrang fortführen (Accompagnato-Rezitative) und beim Abstieg Orfeos in die Unterwelt sogar als Erínyen und Schattenwesen auftreten („No!“). Orfeo selbst, hier von der fantastischen, schwedischen Mezzosopranistin Ann Hallenberg gesungen, gibt präzise Auskunft über sein Liebesleid, ohne sich in barocken Koloraturen zu verlieren.
In der Unterwelt verweist, unter vielen anderen, eine mit Vogelgezwitscher sehr pastoral anmutende Stelle bereits stark auf die Klassik. Barocker Pomp hat zu Glucks Zeiten endgültig ausgedient.
Die künstlerische Leitung des Abends lag bei Joachim Schloemer. Die Regie und die halbszenische Inszenierung bei der norwegischen Regisseurin Susanne Øglænd.
Die Bühne ist an diesem Abend zweigeteilt: links Mitglieder des Tonkünstlerorchestern und dahinter, aufsteigend, die Herren und Damen eines Projektchors der Chorszene NÖ. Die Mitte der Bühne bildet ein schwarzer Kubus, als Sinnbild für das Unbewusste und die Unterwelt gleichermaßen. In ihm sind Orfeos Sehnsüchte verschlossen und ihm entsteigt Euridice.
Die Sängerinnen agieren rechts der Box oder auf ihr, unterstützt von einer Harfe und einem kleinen Streicherensemble. Das Kostüm Orfeos ist schlichter Punk.
Während die ersten beiden Akte der Trauer und dem Abstieg Orfeos in die Unterwelt verschrieben sind, bildet der Dritte die Konfrontation Orfeos mit Euridice samt einer abschließenden Glorifizierung der Schönheit, welche dem höfischen Ritual geschuldet sein dürfte.
Die halbszenische Inszenierung unterstützt zu Beginn die Trauer Orfeos: Die idealisierte Fotografie Euridices wird ohne jede Hoffnung besungen bis Amor in der quirligen Gestalt der südkoreanischen Sopranistin Sunhae Im auftritt und beginnt den gesamten Abend lustvoll durcheinander zu wirbeln. Die von Gestalt und Stimme wunderbare Erscheinung ermöglicht Orfeo den Abstieg in die Unterwelt, welche auf dem Kubus stattfindet mit ihm die schon erwähnte expressive Konfrontation mit dem Erínyen-Chor. Orfeo und die Harfe stimmen die Schattenwesen schließlich um und der Eintritt in die Unterwelt gelingt.
Die Reise selbst wird vom Suchenden liegend, auf einer sich in einer Videoprojektion drehenden Spirale vollzogen (ein Effekt aus Vertigo), welche die Reise ins Traumland des Ichs symbolisiert.
Der Auftritt und die Konfrontation von und mit Euridice, einer eher undankbaren Rolle, die von Thora Einarsdottir gesungen wird, ist enttäuschend: Die Geliebte ist durch das Schattenreich den Lebenden inzwischen entfremdet und erhebt Klage gegen Orfeo, statt wie von Amor anempfohlen hinter diesem herzueilen.
Beinahe ist man zu einer Neuinterpretation des Mythos verleitet: Orfeo sieht Euridice bewusst an, um die ehemalige, jetzt nervende Geliebte für immer ins Schattenreich zu bannen und um statt dessen stressfrei ihr idealisiertes Abbild in seiner Erinnerung zu besingen. Rein ist die Liebe nur in Abwesenheit des jeweils geliebten Anderen.
Nach den beiden in der Inszenierung sehr stimmigen ersten Akten, kippt der abschließende in eine komische und lieblos anmutende Darstellung der Entfremdung der beiden Geliebten. Zu guter Letzt bleibt Euridice bei den Schatten und Orfeo kehrt mit dem von Amor überreichten, verklärenden Portrait seiner Geliebten zu den Lebenden zurück.
Dem Klangbild des Orchesters wie des Chores mangelt es manches Mal an Präzision und Strahlkraft, was zum Teil der reizvollen Inszenierung und Zweiteilung der Bühne geschuldet sein mag. Die Ausdruckkraft von Amor und Orfeo sind hervorragend.