Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer: Robert Musil. Rez.: I. Reichel
Ingrid Reichel
FREUNDERLWIRTSCHAFT
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VINZENZ UND DIE FREUNDIN BEDEUTENDER MÄNNER
Robert Musil
Posse in drei Akten
Landestheater NÖ, Großes Haus
Premiere: 10.10.09
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten inkl. Pause
Regie: Jürgen Kaizik
Bühne: Nora Scheidl
Mit Nicole Beutler, Julia Schranz, Philipp Brammer,
Hannes Gastinger, Klaus Haberl, Joseph Lorenz,
Oliver Rosskopf, Heinz Trixner, Helmut Wiesinger, Hendrik Winkler
Das Landestheater NÖ beginnt die Saison 2009 mit Robert Musils „Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer“. Ein Stück, welches 1923 in Berlin uraufgeführt wurde. Ein Stück der Nachkriegs- und Inflationszeit, welches als Satire bezeichnet und als Kritik an die surrealistisch-burleske Possenhandlung empfunden werden kann.
Der 1960 in Wien geborene Regisseur Jürgen Kaizik, der mit einer Dissertation über Robert Musil sein Studium der Germanistik abschloss, dramatisierte Musils bekanntestes Werk „Der Mann ohne Eigenschaften“ und inszenierte es 2001 im Theater an der Josefstadt. Es ist ihm zu verdanken, dass nun auch ein anderes Werk dieses Autors in die heutige Zeit transponiert wurde und so einem breiteren Publikum nahe gebracht werden kann. Zieht man die Weltwirtschaftskrise und das Yuppietum in Betracht, unterscheidet sich die heutige Gesellschaft kaum in ihrem Gehabe von der einstigen.
Kathi, die sich nun Alpha nennt, trifft ihre Jugendliebe Vinzenz wieder. Ein Gespräch, welches nie zu Ende geführt worden ist, wird nach 17 Jahren wieder aufgenommen. Alpha lebt mittlerweile von ihrem homophilen und vermutlich impotenten Ehemann Dr. Apolejus-Halm getrennt und hat als Ersatzglück einen Kreis bedeutender Männer an sich gefesselt, die da wären: ein Gelehrter, ein Musiker, ein Nationalrat, ein Systemtheoretiker und ein junger Mann. Jeder für sich hat einen Schlüssel zu ihrer Wohnung, aber keinen Zugang zu ihrem Herzen. Alpha, die von ihrer Mutter in jungen Jahren quasi mit Halm zwangsverheiratet worden war, rächt sich nun unbarmherzig an der Männerwelt, indem sie ihren Ehemann der Lächerlichkeit preisgibt und die bedeutenden Freunde untereinander ausspielt. Als der Großkaufmann Bärli ihr einen Heiratsantrag macht, tritt Vinzenz wieder in ihr Leben und ihre Scheinexistenz gerät ins Wanken.
Schauplatz des Dreiakters ist das Zuhause von Alpha, eine moderne Stadtwohnung mit Terrasse und Blick auf die Skyline, ein wunderbar minimalistisch gehaltenes Bühnenbild von Nora Scheidl, welche mit ihrem Talent Musil nicht zum ersten Mal in die Gegenwart bringt.
Im ersten Akt eröffnet der neueste Verehrer Alphas mit den albernen Namen Bärli, der sich von ihrem bedeutenden Freundeskreis nicht zuletzt dadurch unterscheidet, dass er einen Namen hat, seine Liebe zu ihr und bittet sie um ihre Hand. Hans Gastinger, der schon in der Rolle des Malvolio in Shakespeares „Was ihr wollt“ in St. Pölten aufgetreten ist, konnte überzeugend die Rolle des verschmähten heiratsgeilen und machtbesessenen Mannes, der unter einer starken Frau den Dominakick erfährt und zu einer wimmernden würdelosen Figur ausartet, darstellen. Zur Rettung seiner Ehre zieht er nur mehr die Möglichkeit einer erpressten Heirat oder den Tod beider in Betracht. Die Figur der heiß begehrten, unnahbaren Frau verkörpert Nicole Beutler, bekannt aus vielen Filmen und Fernsehserien, mühelos. Gemeinsam mit Joseph Lorenz, der erstklassig die Hauptrolle des Vinzenz besetzt, stand sie bereits in Molières Menschenfeind und zuletzt in Schnitzlers Anatol auf der Bühne des Landestheaters. Alpha, die in ihrer Haarbürste mehr Phantasie als in den offen gelegten Leidenschaften ihres Werbers Bärli sieht, ruft in ihrer gefesselten Notlage Vinzenz um Hilfe, der im Liegestuhl auf der Terrasse das Geschehen, ohne selbst sichtbar zu sein, verfolgen konnte. Vinzenz gelingt es am nächsten Tag das versäumte Gespräch mit Alpha fortzuführen und die alte Liebe zwischen Alpha und ihm wieder zu entfachen. Kurz entschlossen, berichtet er ihr von seinem Plan mit einer von ihm entdeckten unfehlbaren Formel, die Spielbanken der Welt zu sprengen. Doch das Glück währt nicht lange und Vinzenz wird im Laufe der Posse als Intrigant und Betrüger enttarnt. Den leidenden Bärli erlöst er mit einer Inszenierung eines Mordes an Alpha und eines Suizids an sich selbst von seiner Leidenschaft, und Alpha erlöst er von ihren bedeutenden Freunden. Widerlich gut gespielt von den Schauspielern des Landestheaterensembles Philipp Brammer, Klaus Haberl, Oliver Rosskopf, Helmut Wiesinger und Hendrik Winkler, und ihrer hinterhältigen, bisexuellen Freundin, Julia Schranz, die sie alle in Anbetracht der unmoralischen Beziehung zu Vinzenz, diesem Hochstapler, wieder gerne an der beschützenden Seite ihres zwar zweifelhaften, aber dennoch legalen Ehemanns Halm sehen würden. Heinz Trixner, ebenfalls bekannt aus vielen Filmen und Fernsehserien, mimt genussvoll und schillernd den dekadenten und krankhaft obsessiven Charakter Halms.
Vinzenz zieht die Konsequenzen und verabschiedet sich. Er selbst sieht seine einzige Hochstapelei darin, dass er kein Hochstapler ist. Die Tatsachen alleine wären schon fantastisch genug, und Lügen kämen nur dort durch, wo sie auch erwartet werden. Liebe zwischen zwei Menschen von Bedeutung sei eben keine Privatangelegenheit, sondern stehe in einem Gesamtverhältnis zur Welt. So zieht sich Vinzenz aus der Beziehung zu Alpha und beschließt konsequent fortan als „Bedienter“ zu arbeiten: „Findet man sein eigenes Leben nicht, so muss man hinter einem fremden dreingehn.“
Alpha, die sich selbst als Anarchistin sieht, entschließt sich den zuerst abgewiesenen Heiratsantrag des schwerreichen Baron Ur auf Usedom per Telefon anzunehmen.
„Nach einem unglücklichen Kriege muß man Komödien schreiben.“ heißt es bei Novalis, so steht es in Kindlers Literaturlexikon. Und in der Tat hat sich dieses Rezept geschichtlich bewahrheitet. Die besten Witze entstehen in den ärgsten Krisen, denn der letzte Luxus, den man sich leisten kann, bevor der Vorhang fällt, ist Lachen, und wenn man daran erstickt.
Ein Abend, der zum Nachdenken anregt und Lust auf Musil macht!
Nach der Premiere: betörender Applaus und Rosenregen für Joseph Lorenz, der Eigenschaften in einen Mann ohne Eigenschaften brachte…
LitGes, Oktober 2009