Verschüttet: Stephan Lack. Rez.: Alois Eder
Alois Eder
FAMILIENREUNION IM GRÜNEN oder
TELENOVELA MIT ERHÖHTEM KREISCHFAKTOR?
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VERSCHÜTTET
Stephan Lack
NÖ Landestheaters St. Pölten, Theaterwerkstatt
Premiere am 29. April 2006, 19:30 Uhr
Regie: Karoline Exner
Bühnenbild: Martina Berger
Die hoch verdienstvolle aktive Einschaltung des Nö. Landestheaters in den Stückemarkt als Plattform für junge Theaterautoren hat ihr erstes Ergebnis gezeitigt: Stephan Lack, Jahrgang 1981, konnte als Sieger des DramatikerInnen-Wettbewerbs sein Stück Verschüttet auf der Theaterwerkstatt vorstellen. Ein Hölzl, was man erwarten konnte, wirft der im Spielplan noch genannte Untertitel Bürgerliches Trauerspiel oder Spiel mit der Trauer, dem das Programmheft, das ihn weglässt, durch eine Zitatenlese zu den Themen Tod, Erinnern und Alzheimer von Augustinus über Hegel bis hin zu C. G. Jung und Roland Barthes gerecht zu werden versucht.
Das mitgedachte Wortspiel mit der Trauer bleibt dabei unterlegen, denn unser Fachausdruck ist ja nur eine ungeschickte Barock-Verdeutschung für den griechischen Ausdruck Tragödie, der original soviel wie Bocksgesang heißt ... Ob der resultierende Bierernst, dem die Inszenierung dann folgerichtig huldigt, nun eine Folge des St. Pöltner Werkstatt-Stils ist, Absicht des jungen Autors oder eine Marotte der unabhängigen Jury war, die vielleicht deutlicher Bocksgesänge unter den an die 60 Einsendungen dem hehren Ziel geopfert hat, lässt sich schwer entscheiden. Leider fehlt ja auch jede Einlassung auf die sonstigen Ergebnisse des Wettbewerbs.
Ohne diesen Vergleich den Jungdramatiker Lack zu würdigen, fällt schwer. Wem verdankt das Stück die Art einer eingedickter Soap oder Telenovela mit erhöhtem Kreischfaktor wirklich? Sind die Stilzüge des Familienstücks Ausfluss des neuesten Trends im Westen, sind sie Mitgift der Burgtheater-Schreibwerkstatt unter Andreas Beck, in der das Stück entstanden ist, oder kommt der Inhalt des Stückes, wie eine (zu) kurze Vorbemerkung im Programmheft mitteilt, aus persönlichen schmerzvollen Erfahrungen, die dem Stückinhalt nach mit einer Alzheimer-Erkrankung in der Familie, dem Todesfall eins Geschwisters und seiner missglückten Verarbeitung bis hin zur Scheidung der Eltern gehen könnten.
Wenn dies alles dramatisch gerafft bei einem Besuch des in Scheidung lebenden Ehepaars und seiner Tochter bei den Schwiegereltern auf dem Land ausgebreitet wird, wo wieder Othmar Schratts Großvater Philipp mit der Alzheimer-Erkrankung seiner Gattin (Caroline Richards) kämpft und trotzdem so etwas wie einen ruhenden Pol der chaotischen Gefühlsmelange darstellt, vielleicht kraft seiner Bemühung die Erinnerungen an den alkoholisiert bei einem Verkehrsunfall verstorbenen Enkel zusammenzuhalten, ergibt das schwere Theaterkost.
Dass als Bewältigungsstrategie hier auch wieder der Alkohol eine Rolle spielt, der den chaotischen Erinnerungs- oder Verdrängungsbemühungen der Schwiegertochter, sehr outrierend dargestellt von Antje Hochholdinger, gar nicht gut tut, kommt als Movens der Handlung gar nicht zur Geltung. Ebensowenig die Tatsache, dass Enkelin Dora (Charlott Kreiner) durch das Geständnis, schwanger zu sein, neue Bewegung ins Karussell der Familienemotionen bringen könnte. Auch, dass der überforderte Vater (Thomas Richter) an der seinerzeitigen Unfallstelle ebenfalls mit dem Fluss Bekanntschaft macht, aus dem der Sohn samt Freundin nicht mehr lebend aufgetaucht ist, bleibt ein verhältnismäßig blindes Motiv, und dass ihn die hochgehenden Emotionswellen so ganz nebenbei den Job kosten, nicht minder.
Für den Zuschauer zeigt sich da kein Ausweg aus dieser Häufung, am Schluss ist er es, der verschüttet bleibt, möglicherweise auch nur deshalb, weil die Ausschreibung mit dem Zeitlimit von 90 Minuten und der Beschränkung auf fünf Rollen die Straffung einer weitläufiger angelegten Handlung nötig gemacht oder deren Ausbau verhindert hat. Irgendwie führt dieser Theaterabend unter den drei Sprachfunktionen Karl Bühlers, nämlich Ausdruck, Appell und Darstellung nicht über die erste hinaus. Es bleibt bei einer Jeremiade, denn anscheinend führt kein Weg aus der Verstrickung in gegenseitige Schuldzuweisungen hinaus, und mit Ausnahme der Tatsache, dass die Alkoholisierten am nächsten Morgen wieder halbwegs nüchtern sind, kommt das Drama nicht so recht vom Fleck.
Hat sich da was entschieden, wenn die drei Besucher das Großelternpaar mit der Alzheimer-Herausforderung wieder allein lassen, oder bleibt wie beim Warten auf Godot im Grunde alles beim Alten? Die Anspielung auf den Großmeister des absurden Dramas, dessen 100. Geburtstag gerade angefallen ist, kommt nicht von ungefähr: Er und der eben erst durch den Nobelpreis geehrte Harold Pinter haben, bei gleichem Ernst der existentiellen Situation, erfolgreich den Eindruck einer Verbiesterung vermieden, auf der St. Pöltner Werkstattbühne dagegen bleibt das Spiel mit der Trauer auf der Strecke.
Vielleicht liegt es ja an der allzu großen persönlichen Nähe: als Shakespeare den Hamlet schrieb, war er wohl weniger persönlich ins Drama eines Königsmords verstrickt und hatte daher weniger Scheu zu gestalten, während Stephan Lack die Traumata Traumata sein lässt und uns nicht einmal auf die Sprünge hilft, inwiefern der verunfallte Bruder, mit dem alles Unheil begonnen hat, so eine wesentliche Klammer fürs Familienleben war ... Wenn alles ohnehin nur auf die bloßen seelischen Echos des unglücklichen Geschehens reduziert, könnte man das Werkstatt-Publikum ebenso mit einer typischen Teletext-Lokalmeldung wie der folgenden abspeisen: Nach Mord an Sohn selber tot [...] Zwischen Vater und Sohn hatte es immer wieder Streit gegeben. Grund war die Arbeitslosigkeit und Alkoholabhängigkeit des Sohnes. Am Freitag eskalierte der Streit schließlich, der Mann tötete den 40jährigen mit 2 Schüssen und jagte sich selbst eine Kugel in den Kopf usw. Eine beträchtliche Zeitersparnis wäre die Folge ...
Dass bei aller Tragik noch ein Arbeitsgang Gestaltung und Verarbeitung nötig ist, scheint beim modischen Hyperrealismus unter den Tisch zu fallen, sei es, weil in den Regalen unserer Schreibwerkstätten nur Anfängerwerkzeuge liegen oder man ihm aus Zeitmangel nicht gestatten konnte, noch an den Feinschliff zu gehen, sei es, weil es die neueste Stimmung im Westen so vorschreibt und uns auch den Trost der Absurdität auf der Bühne versagt ...