Draußen vor der Tür: Wolfgang Borchert. Rez.: Ernst Punz
Ernst Punz
DER LIEBE GOTT UND DAS MÄDCHEN
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DRAUSSEN VOR DER TÜR
Wolfgang Borchert
Landestheater NÖ, Großes Haus
Österreich-Premiere, 12. 01. 2012
Regie: Luk Perceval
Mit:
Barbara Nüsse, Felix Knopp, Peter Maertens
und mit Darstellern aus den Eisenhans-Theaterprojekten:
Nora Fiedler, Nikolas Gerlach, Josefine Großkinsky,
Mila-Zoe Meier, Joana Orth, Paul Kai Schröder,
Daniel Tietjen, Swatina Wutha
Musiker: Martin Dog Kessler, Dirk Ritz, Marco Schmedtje
Bühne: Katrin Brack
Kostüme: Anja Sohre
Musik: My Darkest Star (live in concert)
Gastspiel - Thalia Theater Hamburg
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
„Theater gelingt für mich erst, wenn das ein Traumort ist.
Ein Ort, wo ich die Wirklichkeit vergesse und
erst über die Verfremdung der Wirklichkeit
zurück zur Wirklichkeit kommen kann.“
Luk Perceval
Die Elbe hat Beckmann nach St. Pölten gespült. Der liebe Gott hat Beckmann an Land geworfen – respektive ans Landestheater Niederösterreich. Der Oberst samt Frau, Kindern und Schwiegersohn, der zynische Kabarettdirektor und auch die Kramers haben Beckmann alle nicht willkommen geheißen, sondern sich um ihr biederes Leben und um ihr Eigentum gesorgt. Einzig der liebe Gott und das Mädchen wollten, dass sich Beckmann nicht das Leben nimmt, sondern dass er sich das Leben nimmt – und zwar das wirkliche Leben. Die beiden sollte man sich merken: Den lieben Gott und das Mädchen.
Der gelernte Buchhändler Wolfgang Borchert, geboren 1921 in Hamburg, kam 1941 an die Ostfront, wurde wegen angeblich staatsgefährdender Briefe verhaftet und zur „Bewährung“ erneut nach Russland geschickt. 1945 zurückgekehrt, arbeitete Borchert, obwohl bereits chronisch fieberkrank, als Regieassistent und Kabarettist. In nur acht Tagen schrieb er das Drama, von dem er meinte, es sei „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“. Ein von Freunden ermöglichter Kuraufenthalt in der Schweiz kann ihm nicht mehr helfen. Einen Tag vor der Premiere von „Draußen vor der Tür“ in Hamburg am 21. November 1947 fällt für Wolfgang Borchert die Tür endgültig zu.
Der heimgekehrte Soldat Beckmann mit dem steifen Bein findet bei seiner Frau einen anderen Mann. Seine Verantwortung für im Krieg gefallene Kameraden will er vergeblich seinem ehemaligen Oberst zurück geben. Der Kabarettdirektor kann mit Beckmanns „Schwarzbrot“ nichts anfangen - die Zuschauer wollen „Biskuit“ - und empfiehlt ihm, zum Zirkus zu gehen. Der Direktor behält seinen Kopf oben, Beckmann lässt ihn hängen. Der Schluss vom Lied heißt Schnaps, mit dem sich Beckmann ansäuft, bevor er schließlich in der Elbe absäuft.
Luk Perceval hat mit Felix Knopp und den Musikern von „My Darkest Star“ live in concert die Quintessenz von „Draußen vor der Tür“ noch einmal konzentriert. Das was bei Borchert bereits hochprozentig war, dampft und quillt mit bedrückenden Scheindialogen, schräg gespiegelten Bildern und lauter, impulsiver, retardierender Musik von der Bühne in den Zuschauerraum. 65 Jahre nach der Premiere ein neuer und zeitgemäßer Zugang zu dem, was die Kriegsgeneration erlebt hat. Barbara Nüsse überzeichnet die Charaktere, die sie spielt und macht sie somit lebensnah und zeitlos. Genauso sind die Menschen jetzt auch noch. Genauso kann man auch heute noch gegen die Wand rennen. Wer hier zu sehr in Gefühlen schwimmt, wie die Darsteller mit Down-Syndrom es auf dem Bühnenboden zeigen, geht unter. Peter Maertens findet in seiner Rolle als einbeiniger Kriegsheimkehrer, den steifbeinigen Beckmann bei seiner Frau, dem Mädchen von der Elbe. Jedes Opfer ist zugleich auch Täter. Der gebrochene Soldat wird mit Steinen beworfen, wirft wieder Steine, wird mit Steinen beworfen, wirft wieder Steine, wirft den Stein ins Wasser, wirft sich selbst ins Wasser, zieht Kreise und geht unter.