Kunst: Yasmina Reza. Rez.: I. Reichel
Ingrid Reichel
LIEBEN SIE NOCH, ODER KÜNSTELN SIE SCHON?
KUNST
Yasmina Reza
ART aus dem Französischem von Eugen Helmlé
Landestheater NÖ - großes Haus, 10.05.07
Gastspiel des Wiener Burgtheaters 2006
Regie: Felix Prader
Bühne: Dieter Klaß
Ausstattung: Tobias Hoheisel
Musik: Johannes Schmölling
Mit: Udo Samel, Gerd Wameling, Peter Simonischek
Das Burgtheater gastierte über drei Tage im Landestheater NÖ mit dem Stück „Kunst“ von Jasmina Reza, der meistgespielten, zeitgenössischen Dramatikerin. Sie ist Französin mit ungarisch-iranischen Wurzeln und schrieb bereits 1994 den Einakter „ART“, welches im selben Jahr in Paris uraufgeführt wurde. Schon 1995 übersetzte Eugen Helmlé das Stück ins Deutsche. Helmlé ist eine wunderbare Übersetzung gelungen, in der sich die deutsche Sprache endlich mal der französischen Ausdrucks- und Denkweise anpasst. Faszinierend, so fand die Autorin selbst, ist die Tatsache, dass dieses Stück, obwohl es eine Tragödie ist, mehrfach als Komödie ausgezeichnet worden ist – Prix Molière, den Evening Standard Award for Best Comedy und den Tony Award. Mittlerweile wurde das Stück in 35 weitere Sprachen übersetzt. Die erstklassige Bühneneinrichtung von Dieter Klaß aus dem Renaissance-Theater in Berlin, wurde 2006 im Wiener Burgtheater und auch hier in St. Pölten 2007 übernommen. Wunderbare Musikeinspielungen von Johannes Schmölling tragen zum sensationellen Gesamtbild des Stückes bei.
Es sei Isabella Suppanz gedankt, dass sie dem interessierten Publikum in Abänderung des Spielplans dieses Erfolgstück zu sehen ermöglichte.
Kunst, ein Titel, der verspricht mit der Modernen aufzuräumen, mit dem unverständlichen Kunstmarkt, mit der Lächerlichkeit und den Spott der hochgeschissenen Gesellschaft, pardon, der Yuppies und Adabeis, der Möchtegern-Intellektuellen … Doch Yasmina Reza überrascht das Publikum und nimmt die Kunst als Klischee, bedient sich ihrer, und verwandelt sie in das Transportmittel, um in die Tiefen des menschlichen Seins zu gelangen.
Der geschiedene Dermatologe Serge, gespielt von Gerd Wameling, plündert seine Ersparnisse und kauft sich ein Bild eines bekannten Malers, namens Antrios - eine Leinwand 1,60 m x 1,20 m mit weißen Streifen, ein monochromes, ein minimalistisches, ein dekonstruktivistisches Gemälde, einen Scheiß meint sein Freund Marc, gespielt von Udo Samel, der sich erhitzt und in Unruhe gerät, als Serge ihm stolz seine neue Errungenschaft zeigt. Yvan, gespielt von Peter Simonischek, ist der Dritte in diesem alternden Freundschaftsbunde, und erweist sich auch belastet durch seine bevorstehende Hochzeit als Feigling, weil er keine Partei ergreift, sondern zwischen den zwei Hitzköpfen zu vermitteln versucht. Bei einem Treffen à trois verspätet er sich und es kommt zum Eklat. In dieser Szene erfährt man die Spitze der Unerträglichkeit – als Simonischek in der schon aufgestauten, gespannten Atmosphäre und des zusätzlich belasteten Wartens auf den Dritten, hereinplatzt und seine zwei Freunde noch zusätzlich mit seinen desaströsen familiären Verhältnissen konfrontiert. Unvorstellbar großartige Schauspielkunst der drei Darsteller manifestierte sich hier auf der Bühne vor dem St. Pöltner Publikum! Die französischen Charaktere blieben dank dieser drei Mimen erhalten, auch wenn Gerd Wameling in zwei Szenen einen Hauch zuviel Louis de Funès interpretierte.
Das weiße Bild, das Bild der Unschuld, das Bild des Unsichtbaren macht alles sichtbar und erweist sich als Auslöser der Selbsterkenntnis. Wie eine Leiche liegt das Verhältnis der drei Freunde nackt aufgebahrt auf der Bühne. Du sollst dir kein Bildnis machen …, so heißt es in der Bibel. Du sollst dir kein Bildnis machen von denen, die du liebst…, so meinte Max Frisch. Denn eines ist klar, hast du einmal das Andere im Anderen erkannt, gibt es kein Zurück.
Das Publikum lacht ob der Absurdität - ein Bild des Nichts wird zum Freundesverrat und dient als sein Ersatz. Ist das möglich? Ja es ist … leider … möglich. „Kunst“ – ein Meisterwerk in Sprache und Inhalt, welches dem Lachen und dem Spott trotzt und tief erschüttert.