11. Philosophicum Lech: 2. Tag, Ednan Aslan - Part 8

2. Tag

 
Ednan Aslan

Der Nachmittag des 2. Tages des Philosophicums war dem Islam gewidmet.

Ednan Aslan sieht den „Säkularismus als eine Herausforderung an die Muslime“. In seinem Vortrag „Gottes Erde ohne Gott“ beschreibt er den Islam nicht als Religion, die einen Anspruch erhebt, ein geschlossenes Gebilde darzustellen. Es bedürfe, wie in allem, einer Entwicklung.

Woran Muslime glauben, bzw. glauben sollten, resultiere aus den vielen verschiedenen Denkschulen. Schon zu Lebzeiten Mohammeds wurde vielfältig interpretiert und gab es verschiedene Auslegungen. Mohammed ist nicht als Prophet verstanden worden, sondern als Mensch, daher könne er sich immer wieder neu definieren. Eine Reflektion über die Säkularisierung und Integration der Muslime in Europa folgt. Der Islam kenne geschichtlich verschiedene Gesellschaftsmodelle, in denen unter islamischer Legislatur unterschiedliche Kulturen und Religionen zusammenlebten. „Die Präsenz des Islams in Europa fordert die Muslime also heraus, ihre Religion in ihrer neuen Gesellschaft neu zu definieren.“ Da diese neue Gesellschaft ihre Regeln nicht aus dem Glauben bezieht, ist sie eine Herausforderung.
Und zwar einerseits für die europäischen Muslime, weil sie nun in einer pluralistischen Gesellschaft leben, andererseits für die Politiker Europas, aber auch für die islamische Theologie, da die ausgewanderten Muslime Europa als neue Heimat empfinden
Die Stellung der Religion im Leben müsste neu definiert werden. Wenn der Prozess der Integration positiv verläuft, kann man, so Aslan, auf das Verständnis der Säkularisation bauen.

Das Wort Säkularisation selbst ist im Arabischen eine schwierige Übersetzung. Global könnte man es mit Verweltlichung oder Verwissenschaftlichung übersetzen. Aslan weist daraufhin, dass im Persischen Säkularisation als Atheismus oder gar Verirrung bezeichnet wird, während man im Türkischen das französische Wort Laizismus übernommen hat. Da es auch im Westen für diesen Begriff keine Vereinheitlichung gibt, verstärkt sich die Problematik der Sprache bei der Übersetzung. Daher könne man nur in sozialwissenschaftlichen Diskussionen zu einem Konsens kommen. In islamischen Ländern bedeute Säkularismus Diktat des Staates und entspräche nicht der Wirklichkeit der Völker.

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Am Beispiel Algerien, Pakistan und der Türkei beschreibt Aslan die problembehafteten Erfahrungen der Säkularisierung durch Fremdeinwirkung – Bsp. Kolonialismus - im Islam.
Radikale Eingriffe, wie Verbot der Sprache und der Gottesdienste, Unterdrückung der Sprach-, Religions- und Pressefreiheit fanden einst in Algerien statt. Der Islam wurde bestenfalls als archaische Religion geduldet. Der 11. September hat das Klima nicht verbessert. Da die patriarchalische Struktur beibehalten wurde, gab es auch keine positive Weiterentwicklung.
Es schiene, dass die Verbindung vom Islam und der Demokratie zum Scheitern verurteilt sei. Muslime leben in der Gegenwart in einer „Parallelgesellschaft“. Talibankulturen wurden entwickelt, um das zu schaffen, was der Staat nicht verwirklichen konnte. Ein weiteres Problem bestehe darin, dass der Islam keine institutionalisierte Religion sei. Er schreibe kein politisches System vor, sondern regle das Zusammenleben durch eine gesellschaftliche Ordnung. Demzufolge wäre der Islam auch keine politische Religion. Auch wäre das Verständnis der Muslime vom Christentum falsch. Im westlichen Islamverständnis, auch von wissenschaftlicher Seite, würden dem Islam nach wie vor weder moralische noch rationalistische Fähigkeiten zur Modernisierung der Gesellschaft zugeschrieben. Eine solche Auffassung reduziere den Islam auf den Koran und sehe die anderen Bestandteile des Islam, sowie die Leistungen der Muslime nicht. „Die europäische Islam-Forschung weigert sich oder zögert den Wandel in der islamischen Welt als eine Realität anzuerkennen. […] Das Koranverständnis der Muslime und auch der innere Demokratisierungsprozess werden weder wahrgenommen, noch werden den Muslimen entsprechende Kompetenz überhaupt zugeschrieben. […]. Dieses […] versteinerte Islambild […] in Europa trifft leider auf ständige Berichte über Gewalt, die in den islamischen Ländern selbst oder von extremen Gruppen in Europa ausgeübt wird.“

Als Schlusspunkt bringt Aslan drei unerlässliche Voraussetzungen um den Säkularismus als eine religiöse Ethik unter den Muslimen verwirklichen zu können:
1. Identifikation: Eine Identifikation der Muslime mit dem Säkularismus muss stattfinden. Dazu benötigt es Zeit, um demokratische Erfahrungen zu sammeln. Den europäischen Muslimen komme hier eine wichtige Brückenrolle zu.
2. Universalisierbarkeit: Demokratische Werte müsse man als universale Werte verstehen, die theologisch begründet sind.
3. Realisierbarkeit: Nur durch Demokratisierung der innermuslimischen Strukturen kann der Säkularismus verwirklicht werden.

Aslan schließt seinen Vortrag in guter Hoffnung mit dem Beispiel der Türkei, die mit einer Wahlbeteiligung über 85 % der Muslime die gegenseitige Befruchtung des Islams und des Säkularismus beweise.

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