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Der Hund, ein Besucher des Philosophicums Lech
Foto: Ingrid Reichel |
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Ingrid Reichel
Die Krone der Schöpfung
Über das 16. Philosophicum Lech zum Thema „Tiere. Der Mensch und seine Natur.“ vom 20.09.-23.09.2012 in der neuen Kirche Lech am Arlberg.
Laut Genesis haben die christlich geprägten Menschen einen besonderen Auftrag zu erfüllen:
Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde,
unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres,
über die Vögel des Himmels und über alle Tiere,
die sich auf dem Land regen.
Der theologische Begriff des dominus terrae hat sich weltweit verbreitet und den Menschen zur Krone der Schöpfung auserkoren. Dass die Menschheit hierbei einem katastrophalen Irrtum unterlegen ist, wissen wir seit Darwins Evolutionstheorie, allerspätestens seit Freuds Kränkungsbegriff.
Beginnend mit den Erkenntnissen von Copernicus, Kepler und Galilei, dass unser Blauer Planet, den wir Menschen stetig versuchen uns untertan zu machen, nicht Mittelpunkt des Universums ist, wurde unser heliozentrischen Weltbild zerstört. Der damaligen Menschheit Stolz und Selbstwertgefühl war tief verletzt, noch heute haben wir unsere liebe Not uns damit zurechtzufinden, dass der Mensch aus dem Tierreich kommt und nicht Herr über seinen Willen ist, zumindest nicht so, wie wir es uns gerne vorstellen. So tief verwurzelt ist unser Glaube, die Krönung der Schöpfung zu sein, dass religiöse Institutionen immer noch gegen wissenschaftliche Tatbestände eifern und nicht davor zurückschrecken, das Bildungsniveau maßgeblich negativ zu beeinflussen. Auch in Österreich gibt es erschreckend viele Maturanten, die mit einem vorsintflutlichen Wissensstand gesegnet sind.
Umso begrüßenswerter war das 16. Philosophicum mit seinem Thema „Tiere. Der Mensch und seine Natur“, welches genau dort ansetzt, wo es am meisten schmerzt: Wir sind Tiere, die keinen guten Umgang mit unseren Artgenossen haben.
Zunächst gilt es einen Test zu bestehen, den Markus Wild mit dem Publikum durchführte: Wenn Sie in den Spiegel sehen, wen oder was sehen Sie? Richtig, Sie sehen sich, den Menschen! Doch sehen Sie auch das Tier? Wenn nicht, dann haben Sie die Erkenntnis über sich selbst gewonnen, dass Sie, auch wenn es schwerfällt, noch immer mit alten Wissensständen sympathisieren. Im besten Fall denken Sie, ein Tier plus X zu sehen. Doch Sie sehen, und das ist für den theoretischen Philosophen Wild ein Fakt, nichts anderes als ein Tier!
Shooting-Star des 16. Philosophicums war niemand Geringerer als der kath. Theologe, Psychotherapeut und Autor Eugen Drewermann. Sein Einsatz für Umweltschutz und Tierschutz hat u.a. auch zu seiner Suspendierung als Priester beigetragen, als er der Katholischen Kirche festgeschriebene biblische Naturfremdheit vorwarf und darin die Begründung auch sieht, dass das Christentum unfähig zum Frieden und zur Aussöhnung mit der Natur ist. Mit Drewermanns Vortrag gleich zu Beginn des Philosophicums wurde schnell klar, dass sich die gesamte Weltbevölkerung, kurzum über sieben Milliarden Menschen, unmöglich karnivor ernähren kann. Zuviel nimmt die Tiernahrung zur Tierzucht der Welternährung weg. Wenn wir noch auf die Tierhaltung zu sprechen kommen, die Drewermanns Schwerpunkt war, dann ist der Absurdität und dem Schrecken kein Ende gesetzt. Es ist längst an der Zeit umzudenken!
Einen weiteren Gesichtspunkt zeigte der Kulturhistoriker Thomas Macho mit seinem ausgezeichneten Vortrag über die Beziehung Tiere-Menschen-Maschinen für einen inklusiven Humanismus. Als Einführung in seine Materie diente ihm der revolutionäre Cyber-Punk-Film „Blade Runner“ (1982) von Ridley Scott, basierend auf dem Roman von Philip K. Dick aus dem Jahr 1968, der in einer Welt mit Androiden auf die Problematik der Unterscheidung von Mensch und Maschine hinwies. Wer glaubt, angesichts der Genforschung und der faszinierenden rapiden Evolution von Computernetzwerken, da noch an eine unstrittige Sonderstellung menschlicher Intelligenz?, fragt Macho. Bereits seit der Antike gab es Debatten um Tiervernunft und Vegetarismus, später waren sogar der Theologe Erasmus (1469-1536) und sein britischer Freund Thomas Morus (1478-1535) gegen Tiertötung und Jagd. Auch der französische Philosoph Michel de Montaigne (1533-1592) polemisierte gegen den exklusiven Rang des Menschen gegenüber den Tieren. „[…] theoretische Rangordnungen und Ambivalenzen wurden durch vielfältige Techniken und Praktiken relativiert, in deren Horizont die Frage nach einer prinzipiellen Differenz zwischen Tieren und Menschen ebenso sinnlos erschienen wäre wie die neuere Frage nach dem Unterschied zwischen Menschen und Maschinen.“ (Zitat: Macho). Erst seit der Industriellen Revolution und ihren Erfindungen ist der Mensch fähig, ohne Leistungen von Tieren, Maschinen zu betreiben. Macho vertritt die These, dass der Paradigmenwechsel von den agrarischen zu den industriellen Maschinen, dem wir zwar den wirtschaftlichen Reichtum und den technischen Triumph der letzten 200 Jahre verdanken, gerade jener Siegeszug sei, der den Menschen vom Tier getrennt und damit erst Mensch und Maschine eine theoretische Legitimation gegeben hatte. Mit dieser Wissenschaft wurde ein Humanismus bekämpft, der lange Zeit als „inklusive Humanismus“ praktiziert wurde, in dem es eine Solidarität unter allen sterblichen Wesen gab. Natürlich galt es auch René Descartes (1596-1650) Ansichten zum Thema zu durchleuchten, der das Tier als göttliche Maschine ansah, die der Mensch nicht besser hätte konstruieren können.
Ursula Pier-Jauch, die für den kurzfristig erkrankten Kollegen Jean-Claude Wolf einsprang, durchleuchtete die wechselnden Perspektiven in der Philosophie und die schwimmenden Grenzen zwischen der Anthropologie und dem Tierreich anhand Descartes Maschinalisierung des Tieres, wiewohl letzterer sich keine Freunde damit schuf, war doch das Tier zurzeit Descartes in seiner Kreatürlichkeit mit dem Menschen verbunden. Das Tier frei von der Erbsünde war auch Anstoß zur Verklärung und Dämonisierung.
Der Philosoph Reinhard Brandt hingegen wollte den Begriff des Denkens näher bestimmen, um den Unterschied zwischen Mensch und Tier zu verdeutlichen. Da die Wissenschaft bei Tieren generell noch keinen Nachweis eines Denkprozesses erbracht hat, wie Brandt glaubt, begab sich dieser zwar in amüsante, doch sehr gewagte Spekulationen. Laut seiner These seien Tiere nicht in der Lage, einfachster Strukturen zu bilden, wie einen Satz mit Prädikat und Subjekt zu bejahen oder zu verneinen. Auch könnten sie weder räumliche noch zeitliche Vorstellungen anhäufen, Begriffe erstellen, Schlüsse ziehen bzw. Urteile fällen. Vielmehr habe der Mensch in seiner Entwicklungsgeschichte irgendwann das Denken erfunden und mit der Sprache einen Faktor der Universalisierbarkeit erschaffen, doch aus den Lauten der Tiere könne sich nun mal, seiner Ansicht nach, keine Sprache entwickeln.
Für den Tierethiker Herwig Grimm steht dies jedoch nicht zur Diskussion. Es ginge nicht darum, ob Tiere denken oder sprechen können, vielmehr darum, den Anthropozentrismus zu überwinden, dessen moralische Schutzwürdigkeit von Wesen aufgrund bestimmter Eigenschaften mutmaßlich nur mit Menschen zu tun hat. Der daraus resultierende Speziesismus sei eine moralische Diskriminierung der Individuen einer Spezies gegenüber anderen. Grimm, der u.a. in der Privatstiftung zur Erforschung der Beziehung zwischen Mensch und Tier in Wien arbeitet und ausgebildeten Landwirt ist, sieht ein evolutionstheoretisches Problem, da man Tiere nie in ihrer Eigenart darstellt, ihre Anliegen somit im Tierschutz nicht vorkommen.
Wirklich spannend wird es in der Judikatur bezüglich der Tierrechte, wenn man sich überlegt, dass der Mensch als Tier ein eigenes Recht für Tiere erfunden hat, um diese zu schützen. Nur vor wem oder was? Dass Tierrechte mit Menschenrechten nicht konform gehen können, liegt klar auf der Hand und macht die Rechtslage um einiges komplizierter. Man stelle sich nur vor, ein Löwe in der Savanne wird verhaftet, weil er eine Gazelle gerissen hat. Nach den Menschenrechten wäre dies ein eindeutiger Mord mit Vorsatz, worauf in vielen Ländern dieser Welt noch die Todesstrafe steht. Dieter Birnbacher, Philosoph und Mitglied mehrerer medizinischen Ethikkommissionen konnte eindrucksvoll die Zwiespältigkeit erläutern. Einfach gesagt, das Recht der Tiere beruht auf (negativen) Anspruchsrechten, die vom Menschen bestimmte Unterlassungs- und Handlungspflichten fordern.
Schon bei der einleitenden Podiumsdiskussion des Philosophicums wurde man mit dieser schwierigen Haltung des Menschen gegenüber Tieren konfrontiert. Kurzum, man kann es bereits am Begriff Tierhaltung ausmachen, in welche pervertierte Richtung wir Menschen agieren, wenn es um Profitmaximierung geht und pflanzenfressenden Tieren wie Rindern infizierte tierische Produkte zum Fraß unterjubeln, welche u.a. das letale BSE vor Jahren als Konsequenz nach sich trug. Im Vergleich schrecken aber auch gewisse Tierschützer nicht davor zurück, fleischfressende Tiere zum Vegetarismus zu domestizieren. Lautet das Lebensmotto an sich „Fressen und gefressen zu werden“, dann hat das Tier Mensch in seiner Evolution jeden natürlichen Feind verloren. Mit Ausnahme der Insekten vielleicht, die ja bekanntlich unverwüstlich sind. Doch der Mensch ist sich selbst oft nicht genug und sucht in einem Tier einen Freund und Mitbewohner.
Der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal begeisterte das Lecher Publikum mit seinem Vortrag, der der Frage nachging: Warum Menschen mit anderen Tieren sozial sein wollen und auch können. Kotrschal leitet seit 1990 die Konrad-Lorenz-Forschungsstelle für Ethologie in Grünau und seit 2008 das Wolf-Science-Center in Ernstbrunn. Sein Buch Wolf, Hund, Mensch. Die Geschichte einer jahrtausendalten Beziehung (Brandstätter Verlag) wurde als österreichisches Wissenschaftsbuch des Jahres 2013 in der Kategorie Medizin/ Biologie ausgezeichnet. Wenn Sie also das Wort Haustier lesen, geben Sie es zu, denken Sie zunächst an einen Hund. Und tatsächlich ist der Hund historisch gesehen auch das erste domestizierte Tier. Die ältesten Funde datieren 14-16 tausend Jahre zurück, genau zu jenem Zeitpunkt als Menschen sesshaft und zu Jägern und Sammlern wurden und der Hund ihnen große Dienste bei der Jagd erwies. Das erste Haustier könnte somit ein gezähmter Wolf gewesen sein.
Über die Erfindung des Haustieres referierte die bekannte Autorin und Biologin Andrea Grill und räumte damit mit so manchem Klischee auf. Haustiere gibt es in jeder Art und sie leben nicht nur im Haus, sondern gehören schlichtweg zum Haus, um ihm zu dienen. Das vom Lateinischen herrührende Begriffsfeld der Domestikation ist hierbei selbsterklärend. Doch wer glaubt, dass nur Menschen Tiere sind, die andere Tiere züchten, hat sich getäuscht. Grill führt als Beispiel Ameisenarten an, die Schmetterlinge und Blattläuse zu ihren Diensten züchten. Doch Grill vertiefte sich weiter in die Materie und stellt anhand Franz Kafkas Käfer aus Die Verwandlung und Pico della Mirandolas Rede über die Würde des Menschen (1496-1504) fest, dass zu den größten Faszinationen der Menschheit wohl die Metamorphose der Lebewesen gehört. Wenn wir also mit dem survival-of-the-fittest des Darwinismus eine faschistoide Gefahr sehen und damit eine Unvereinbarkeit mit dem Humanismus entdecken, erläuterte Grill weiter, so liegt das wohl daran, dass wir die Evolutionstheorie noch nicht wirklich verstanden haben. Evolution ist nicht zielgerichtet und hat nicht den Auftrag, das perfekte Wesen zu erschaffen. Vielmehr ist sie Zufall einer Umwelt mit großzügiger und flexibler Vielfalt. Was also gibt es Humaneres und Bescheideneres, als sich vorzustellen, wir seien alle miteinander verwandt?, fragt Grill und unterbreitet den Vorschlag, den Menschen nicht als das Tier, das Werkzeuge, sondern als das Tier, das Sinn herstellt, zu betrachten.
Neben all den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Theorien, kamen im Mittelfeld dieses Philosophicums mehr zur Entspannung als zur Aufregung diesmal auch die Literatur und die bildende Kunst nicht zu kurz. Die Literaturkritikerin Daniela Strigl berichtete vom allseits bekannten Krambambuli bis Bambi und dem 2012 erschienen Film Die Wand, der auf den gleichnamigen Roman von Marlen Haushofer basiert, über Tiere als literarische Protagonisten. Und der Direktor der Albertina, Klaus Albrecht Schröder vergas in seinen Erläuterungen über das Tier in der Kunst nicht, Dürers Feldhasen hervorzuzaubern.
Dem philosophischen Leiter des Philosophicums Lech Konrad Paul Liessmann ist jedenfalls ein aufregendes und aufwühlendes Philosophicum zum Thema Tier und Mensch gelungen. Vielleicht spenden seine Worte aus seinem Einführungsvortrag zum Abschluss etwas Hoffnung und Trost: „Der Aufruf, dem Tier endlich angemessen zu begegnen und ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, kann nur von einem Tier kommen, das zumindest tendenziell aufgehört hat, ein Tier zu sein und deshalb sein Verhältnis zur Tierwelt nach anderen Gesichtspunkten gestalten kann als nach denen seiner Natur.“
Ankündigung: 17. Philosophicum 25.-29. September 2013, Lech am Arlberg, Neue Kirche.
Thema: „ICH. Der Einzelne in seinen Netzen.“
Anmeldungen sind ab 01. April 2013 möglich: www.philosophicum.com
LitGes, etcetera 51/viel-leicht/ März 2013 mehr...