Ingrid Reichel
Zum Halali!
Zusammenfassung 15. Philosophicum Lech: Jagd nach dem Glück. Perspektiven und Grenzen guten Lebens. (21. - 25.09.2011)
Das Thema Glück betrifft uns alle, denn wir alle haben ein individuelles Streben danach. Ein glückliches Leben gelingt jedoch nur in einem glücklichen, sozialen Umfeld, das es nur geben kann, wenn es gerecht auf dieser Welt zugeht.
Die Jagd nach dem Glück stellt sich somit als eine heiße Kontroverse zwischen einer individuellen Glückssuche und einem gelebten harmonischen Gemeinschaftsglück dar.
In Zeiten der Weltwirtschaftskrise, der Revolutionen und der Aufmunterung zur Empörung, ist es wohl müßig über die vielen Glücksdefinitionen zu sprechen, die im 15. Philosophicum sehr wohl u.a. durch den Vortrag des Mathematikers Rudolf Taschner über das Spielglück und die geringe Wahrscheinlichkeit eines Gewinns behandelt wurden. Denn verlangt das Thema Pöbel nicht die Konzentration auf das langfristige Glück, jenes, welches wir im Casino nicht erreichen können? Das kurzfristige Zufalls- und Wohlfühlglück ist laut dem dt. Philosophen Wilhelm Schmid sowieso überbewertet.
Der als Vater des Liberalismus geltende britische Vordenker der Aufklärung John Locke (1632-1704) beeinflusste mit seiner politischen Philosophie nachhaltig die Aufsetzung der Unabhängigkeitserklärung (04.07.1776) und der Verfassung (17.09.1787) der USA. Lockes dreiteilige Assoziationskette:
life, liberty, estate* wurde von Thomas Jefferson (1743-1826) in life, liberty, and the pursuit of happiness abgeändert. Der Philosoph Dieter Thomä nimmt diese Umgestaltung zum Anlass, die Divergenz zwischen Individuum und Gemeinschaft aufzuzeigen: Ein intellektueller Streit in einem liberalistischen Doppelspiel, welcher die gegenwärtige amerikanische Politik in dem Zweiparteiensystem zwischen Republikanern und Demokraten weiterhin kennzeichnet. Die in der Proklamation enthaltene Kritik am Utilitarismus wurde zum Freibrief für Bedürfnisbefriedigung, die jedoch wegen ihrer mangelnden Erfüllungsmöglichkeiten in ihrer Konsequenz zu einem unqualifizierten Streben nach Glück führte.
Lockes Prinzip wurde ebenfalls im Leitsatz der Franz. Revolution (1789-1799): liberté, egalité, fraternité** und auf diesem Weg in den meisten Verfassungen liberaler Staaten verankert. Lockes Auffassung war, wenn eine Regierung diese drei von ihm genannten Bedingungen nicht erfüllt, so wäre das Recht auf Widerstand seitens der Bevölkerung legitim. Auch wenn die Franz. Revolution nur eine Ablöse der Herrschenden, doch keine Veränderung der hierarchischen Struktur gebracht hatte, rückte die Idee der Menschenrechte näher. Das liberalistische Glücksmodell des schottischen Moralphilosophen Adam Smith (1723-1790), demnach durch Vernunft die Menschlichkeit in eine natürliche Gleichheit mündet, hatte ebenfalls politische Wirkung.
Schließlich hat es die Menschheit bis zur Glücksforschung gebracht und daraus viele Erkenntnisse gewonnen. Doch ist man dem Vortrag des Makroökonomen und Experten in Sachen Glücksforschung Karlheinz Ruckriegel gefolgt, überkommt einem nach dem aufkeimenden Zorn eine unsägliche Traurigkeit: Letztendlich wurden die Einsichten von heute schon in den 1960er Jahren gewonnen. Dem Anschein nach gibt es nichts mehr, was wir nicht schon wussten. Das Recht auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit bleibt eine Sehnsucht nach Glückseligkeit, doch all dies ist nicht einklagbar und offensichtlich auch nicht umsetzbar. Wir streben nach Höherem, nach Profit und haben dabei übersehen, dass ab einer gewissen Stufe der Lebensbefriedigung, uns MEHR nicht glücklicher macht, weder individuell noch kollektiv. Auch Ruckriegels Referat zeigt uns eindeutig den Zusammenhang zwischen Zufriedenheit (Bedürfnisbefriedigung) und Eigentum (Wirtschaftswachstum) des Einzelnen für sich und in der Gemeinschaft.
Wenn wir also bis dahin nicht in der Lage waren, Voraussetzungen zu einem glücklichen Leben zu schaffen, so stellt sich die Frage, ob wir es dann erlernen könnten? Die Soziologin Sabine Meck meint: ja, und plädiert für Gelassenheit. Diese sei ein innerer Schlüssel und stehe in engem Zusammenhang zur Konzentration, sie sei innere Ruhe, Sammlung, Übung, Energie und Vitalität und gehe einher mit Disziplin und Interesse. Z.B. könne man einen Raum der Stille bereits im Kindergarten einführen. Wer achtsam lebe, lebe intensiver.
Durch Anschauung und Mitgefühl, durch Miterleben oder Mitleiden könne der Mensch Lebendigkeit erlangen und dadurch authentisches Glück empfinden, urteilt der Philosoph Peter Strasser und warnt zugleich vor falscher Lebendigkeit, denn der Mensch sei kein glückbegabtes Wesen.
Mitunter erweise sich die Suche nach dem Glück als wahre Sucht. Das ungeheure Angebot und die Nachfrage an Suchtmitteln sprechen für sich, erklärt Suchtexperte und Psychiater Reinhard Haller. Es liege jedoch am kulturellen Background, den Zeitgeist mit seinen ideologischen Strömungen festzustellen, in welcher Disposition sich eine Gesellschaft bezüglich Drogengebrauchs und dessen psychischer Wirkung befindet. Die Frage nach dem Glück sei untrennbar mit der Sinnfrage verknüpft, argumentiert die Philosophin Beate Rössler, denn nur in einem selbstbestimmten Leben, das über die Subjektivität hinauswachse, könne sich autonomes Glück entfalten.
Öfters wurde in diesem Philosophicum das in Südasien liegende Königreich Bhutan erwähnt, das politisch gesehen Wertschätzung auf das Glück seiner Bürger legt und es auch rechtlich umsetzt. Demzufolge mutet das bhutanische Konzept schon wie eine Zwangsbeglückung an. Haben wir kein Recht auf Unglücklichsein?, fragte kritisch der phil. Leiter des Philosophicums Konrad Paul Liessmann bereits in seinem humorvollen Einführungsvortrag.
Die kritische Reflexion über unsere Lebensformen an sich war Thema der Philosophin Rahel Jaeggi. Die Gesellschaft sei einerseits eine Erfüllungsinstanz, andererseits auch eine Plattform zur Entwicklung von Erwartungshaltungen. Es gelte, die Lebensformen zu durchleuchten und die Kritikfähigkeit zu sensibilisieren. Das Scheitern einer in Krise geratenen Lebensform geschehe durch äußere sowie durch innere Hindernisse. Sie scheitere jedoch nicht nur funktional, sondern in Bezug auf ein normativ verfasstes Problem. Letztendlich ginge es um einen Lernprozess, mit dessen Evaluierung wir den gesuchten Maßstab der Kritik von Lebensformen finden, so Jaeggi.
Unsere Kritikfähigkeit könnte auch durch Informationen der Medien erhöht werden. Die These zur Medienentwicklung des Starphilosophen Peter Sloterdijk gab einen Rückblick auf die Renaissance und ihren Bezug zur Gegenwart. Kein geringerer als der Florentiner Autor und Poet Giovanni Boccaccio (1313-1375) hatte die Novelle erfunden und das, als die Pest die halbe Menschheit dahinraffte. Sloterdijks ausführlicher Exkurs bezeugt, dass in Krisenzeiten die Religion sowie die Wissenschaft versagten. Boccaccios Zehn-Tage-Buch Decamerone verordnete der Gesellschaft eine Medikation von einer 100er-Packung Novellen für eine Dekade, davon sollten zehn Novellen am Tage gelesen oder vielmehr erzählt werden. Novellen, die durch Abwechslung und Zerstreuung einen Neuanfang versprechen, Nachrichten also, die besser sind als die tatsächliche Lage. Im Verlauf dieser Kur sollte die Kunst des guten Lebens wieder erlernt werden.
Sloterdijk spricht von einem Menschenrecht, das älter ist als alle übrigen Menschenrechte, vom Recht auf GUTE Nachrichten. Boccaccio führe die Entstehung der modernen Information aus dem Prinzip der Reanimation vor, es geht um die Entdeckung der mentalen Immunsysteme. Doch wir sitzen nun mal alle in einem Boot. Sowie die guten Dinge (Exportwaren) und die schlechten Dinge (Pesterreger) mit an Bord sind, so werden die guten von den schlechten Nachrichten nicht sortiert. Wer Nachrichten lanciert, muss wissen, dass er durch sie das menschliche Klima mit erschafft (intrinsische Qualitäten). Alleine in diesem Klima, behauptet Sloterdijk, konnte die Figur des Spielers auftauchen, der selbst mit den Einflüssen verhandelt, der sich mit Fortuna in ein erotisches Verhältnis begibt. Waren stellen nichts anderes dar als Hypothesen über Einflüsse, unter welchen die möglichen Käufer zu geraten wünschen. Kreditvergeber müssten sich bewusst sein, dass Geld nichts anderes als abstrakte Einflussenergie ist, die sich auf Umwege über die Kalküle und Wünsche der Menschen in konkreten und diskreten Einfluss umwandelt.
So kehren wir zurück zur Spielernatur des Menschen, der der Wahrscheinlichkeitsrechnung zum Trotz und gar nicht devot, wie es Religionen an sich lehren, in seinem kindlichen Gemüt doch nur Gewinner sein mag, und sich in letzter Instanz vor dem Neid und der Rache der Götter - heute eher der Nachbarn, Kollegen und Angehörigen - fürchtet und dafür Opfer bringen will.
Vielleicht bleibt uns Menschen, wie der Kulturwissenschaftler Thomas Macho den Polykrates-Komplex erläutert, doch nur die Homöostase, die Vorstellung, dass Glück und Unglück einander die Waage halten müssten, um die kosmische Ordnung, den tugendhaften Grundgedanken der Mitte, zu erhalten?
Und dennoch, wir wären keine österreichische Literaturzeitschrift, wenn wir zum Abschluss nicht auf Alfreds Trinklied in der Fledermaus*** verweisen würden: Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist. Aber nebenbei, auch das ist nur auf einen Aphorismus Senecas zurückzuführen:
Heilmittel wider Ungerechtigkeiten ist das Vergessen.
Fazit: Mit Ausnahme der Theorie hat sich seit der Antike in Sachen Glück kaum etwas verändert.
Näheres zu den einzelnen Vorträgen: www.litges.at
* Leben, Freiheit, Eigentum
** Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
*** Operette von Johann Strauss - Sohn (1874) Höhepunkt der Goldenen Operettenära der Wiener Operette.
16. Philosophicum Lech, 19. - 23.09.2012:
Tiere. Der Mensch und seine Natur.
Anmeldung: www.philosophicum.com mehr...