47/Pöbel/ Bericht: 21. GWUP-Konferenz. Franz Reichel

Franz Reichel
Mit Vernunft und Wissenschaft gegen esoterischen Unfug

21. GWUP-Konferenz: „Fakt und Fiktion“, 2. - 4. Juni 2011. Die „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V.“ ist der Verein für deutsche Skeptiker. Die für 2011 organisierte 21. Jahreskonferenz wurde dieses Mal in Wien von der österreichischen Gruppe (GkD: Gesellschaft für kritisches Denken) veranstaltet. Der Eröffnungstag fand im Naturhistorischen Museum statt und anschließend im Kuppelsaal der Technischen Universität.

Die GWUP hat das Ziel, Themen, die in den öffentlichen Medien kontrovers diskutiert werden, unwissenschaftliche sowie außerhalb der anerkannten Wissenschaften aufgestellte Behauptungen zu überprüfen. Zweifelhafte Methoden, Verfahren, Geräte und Produkte werden unter die Lupe genommen, auf ihre Sinnhaftigkeit in der Anwendung und ihre Seriosität getestet. In unserer Gesellschaft finden sich in der Esoterikszene, in der Gesundheits- und Ernährungsbranche, bei der Lebenshilfe unzählige Anbieter, die mit pseudowissenschaftlicher Werbung und geschicktem Marketing völlig wirkungslose Produkte zu horrenden Preisen an den ahnungslosen Konsumenten bringen. Die GWUP bietet mit ihren Wissenschaftlern sachliche Information bei oft emotional stark besetzten Themen und leistet für die Gesellschaft einen seriösen Beitrag zur Aufklärung. Die der Öffentlichkeit zugängliche Eröffnungsveranstaltung mit der abschließenden Verleihung des Goldenen Bretts wurde zum absoluten Erfolg. Viele Gäste fanden in dem vollen Saal keinen Einlass mehr. Christian Köberl, Direktor des NH-Museums, Amardeo Sarma, Vorsitzender der GWUP und Ulrich Berger Vorsitzender der GkD eröffneten gemeinsam die Tagung.

Ausführliches zum ersten Tag finden Sie auf der LitGes Homepage.

Es ist nicht von ungefähr, dass man ausgerechnet Edzard Ernst, der die erste Professur für Komplementär- und Alternativmedizin (CAM) in Großbritannien erhielt, als Gast der Konferenz einlud. Der gebürtige deutsche Arzt mit engl. Staatsbürgerschaft wurde erst zum Skeptiker der CAM, als er anfing darüber wissenschaftlich zu recherchieren. Seit dem Bestseller, den er mit dem britischen freien Wissenschaftsjournalisten Simon Singh herausgab Trick or Treatment? Alternative Medicine on Trial (2008) oder Gesund ohne Pillen (Hanser Verlag, 2009) gab es eine Wende in seinem Leben. Sogar Prince Charles deklarierte ihn zu seinem „Feind“. Dabei wäre schon der Name dieser medizinischen Methode irritierend. Alle fünf Jahre wird er gewechselt. Von der Randmedizin zur unorthodoxen, zur gesamtheitlichen, zur natürlichen, zur komplementären oder alternativen Medizin ist die Rede. Wohin geht sie nur, die CAM? In ihrer Vielfalt bestimmt sie einen unkontrollierten Markt von Behandlungsmethoden und Heilmitteln. Ernst gab nicht nur eine Übersicht über die Umsätze, die Verbreitung in Praxen und medizinischen Einrichtungen, vielmehr wies er mit Nachdruck darauf hin, dass jegliche Qualitätskontrolle selbst bei bekannten Verfahren wie Homöopathie, Akupunktur, Chiropraktik, chinesischer Kräutermedizin etc. fehlen. Laut seiner Definition ist die CAM der Bereich des Gesundheitswesens, in dem jeder jedwede therapeutische Behauptung ohne Angst vor Strafverfolgung aufstellen kann. Der gutgläubige Konsument sollte sich klar sein, dass unwiderlegbare Argumente nichts beweisen. Aussagen über die natürliche Wirksamkeit x-beliebiger CAM Behandlungen sowie deren subjektiv positive Erfahrungen bilden jedoch die Basis für das CAM Geschäft. Der Großteil der CAM ist nicht evidenzbasiert (EBM), daher von der Naturwissenschaft nicht überprüft. Da bis auf Ausnahmen die Einnahme von CAM-Mitteln wie Globulis kaum mit Gesundheitsrisiken verbunden ist, floriert die Branche! „Those who can make you believe absurdities can make you commit atrocities“*

Den Gegenpart lieferte die Kultur- und Sozialanthropologin Michaela Noseck-Licul mit ihrem Vortrag Energie als Metapher in der österr. Heilerszene. In ihrer Forschung geht es um eine UNESCO Konvention zum Schutz des immateriellen Kulturerbes, hier speziell der traditionellen Heilmethoden. Mit der Medizinanthropologie sollen soziologische, politische, philosophische und kulturelle Dimensionen erfasst werden. Man unterscheidet messbare und nicht messbare Energie in der CAM, welche spirituelle Komponenten mit nicht physikalischen Eigenschaften sind. Ihr Schwerpunkt liegt demnach nicht in der objektiven messbaren Kraft, sondern in der Kommunikation. Klar, ein Arzt, der einem Patienten zuhört, kann Wunder bewirken.

Wer aber hat noch nicht vom Mozarteffekt gehört? Womöglich wäre dies eine Millionenshowfrage... Dabei handelt es sich beim Mozarteffekt um einen hartnäckigen Mythos, weiß Psychologe Jakob Pietschnig. Durch Hören von Mozarts Musik soll Gesundheit, Erziehung und Wohlbefinden gesteigert werden und dies nicht nur beim Menschen sondern auch bei Tieren und Mikroben. So ließen sich werdende Mütter in den 90er Jahren ihren Bauch mit Mozart beschallen in der Hoffnung auf ein glücklicheres und intelligenteres Kind. Aber schließlich erwies sich auch dieser Effekt als Chimäre und man kann sich getrost anderen Komponisten widmen.

Wie aber arbeiten Wissenschaftler? Woran arbeiten sie und wie veröffentlichen sie ihre Ergebnisse? Der Biochemiker Tim Skern zeigt als Beispiel, dass von 400 wöchentlich publizierten Arbeiten über den Zelltod, gerade zwei wert sind, gelesen zu werden. Die Fülle und Qualität der Veröffentlichungen bilden ein Spannungsfeld zwischen den Wissenschaften und den Medien. Medien diktieren was die meisten Menschen über wissenschaftliche Debatten wissen. Am Beispiel der Vogelgrippe (H5N1 Virus) zeigt Skern, wie die Medien einen Hype bezüglich einer potentiellen Pandemie erzeugen. Skern hält ein Plädoyer darüber, Studenten zu unterrichten, was Wissenschaft ist, ihre Philosophie, ihre Datenaufbereitung und deren Interpretation, denn schließlich, argumentiert Skern, erfordere das Fahren mit einem Navi mehr geistige Anstrengung wie ohne dessen Hilfe.

Der Wirtschaftswissenschafter und Obmann der GkD Ulrich Berger zeigte bei dieser Konferenz, wie man mit Statistiken tricksen kann. Die pseudostatistischen Effekte seien jedoch hinlänglich bekannt. Eindrucksvoll belegte er die positiven Erwartungen freiwilliger Probanden und ihre Auswirkung auf ihre Aussagen. Dabei handelt es sich um selektive Erinnerungen, Bestätigungstendenzen, Gefälligkeiten gegenüber dem Studienleiter, suggestive Fragestellungen, die zur einer systematischen Verzerrung (Bias) führen. Oft handelt es sich dabei um unverblindet durchgeführte Studien. Negativ ausgefallene Studien werden noch nicht mal veröffentlicht, somit bleibt ihr Scheitern unbekannt!

Deshalb halten sich die Gerüchte, vor allem, wenn sie mit Ängsten zu tun haben und diese genährt werden. Einer der beliebtesten Ängste im westlichen Wirtschaftsraum ist die vor Handystrahlen. Der Referent Manfred Ruttner hat Landschaftsplanung und Landschaftsökologie studiert.

Nun arbeitet er für A1-Telekommunikation in der Abteilung Umwelt. Oft werden Beschwerden wie Kopfweh, Schlafstörungen und Schlafqualität mit der Präsenz von Handys und Handymasten in Verbindung gebracht. Ruttner erklärte sehr verständlich die Technik dieser Geräte, die Notwendigkeit eines dichten Netzes von Mobilfunkanlagen, deren Leistung und die Grenzwerte, aber vor allem, was ein Handy macht, wenn es inaktiv ist. Ruttner spricht von dem SAR-Wert (SAR = Spezifische Absorptionsrate in W/kg in biologischem Gewebe), was er bedeutet und welche Grenzwerte in Österreich von Seiten der Betreiber einzuhalten sind. Anhand internationaler Untersuchungen konnte kein Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern des Mobilfunks unterhalb der Grenzwerte und Schlafstörungen gezeigt werden. Hingegen finden sich subjektive, psychologische Faktoren sowohl in Richtung Placebo- wie Noceboeffekt. Die Untersuchungen laufen weiter, um noch offene Fragen zu klären, doch kann man davon ausgehen, dass eine Gesundheitsgefährdung durch Mobilfunk wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden kann. Es ist davon auszugehen, dass bei Einhaltung der Grenzwerte keinerlei Gesundheitsgefährdung für den Menschen besteht. Das wird von der WHO und zahlreichen nationalen Strahlenschutzbehörden bestätigt. Also keine Angst, dass das Ohr beim Telefonieren zu heiß wird!

Der Psychologe Andreas Hergovich zeigt die aktuellen Entwicklungen in der Parapsychologie (PP), die sich heute durch hohe methodische Kompetenz auszeichnet und ihre Publikationen in anerkannten Journalen lanciert. Aktuelle Trends in Naturwissenschaften und Psychologie werden inhaltlich und methodisch auf die Parapsychologie umgelegt und die Vertreter versuchen, im Rahmen der harten Wissenschaften, dialogfähig zu bleiben. Die Neurowissenschaften und die Quantenphysik werden bereits in einer neuen Zeitschrift „Neuroquantology“ vermählt, welcher es gelungen ist, in den wissenschaftlichen Zitationsindex aufgenommen zu werden. Kritisch zu sehen, sind die immer wieder angeführten Analogien, spirituellen Facetten und Wissenschaftler, die quasi überlaufen und damit der PP ein medienwirksames Potential verleihen. Trotz dieser Präsenz und positiver Studien bleiben aber Erfolge offensichtlich aus.

Dass man sich auf Wissenschaftler und Universitätsprofessoren nicht immer verlassen kann, zeigt das Beispiel der Innsbrucker Professorin Claudia von Werlhof, die 2010 mit der Behauptung Aufsehen erregte, dass das HAARP-Experiment** dazu diene, künstliche Erdbeben auszulösen und die US-Regierung mit dem verheerenden Erdbeben in Haiti als Verursacher in Zusammenhang gebracht wird.

Hierfür wurde sie sogar für den Skeptic Award des Jahres 2011 - dem Goldenen Brett - nominiert. Der Physiker und Meteorologe Holm Hümmler meint hierzu, Werlhof sei Frauenforscherin und nicht naturwissenschaftlich tätig. Abgesehen davon gibt es ähnliche Sendeanlagen mit vergleichbaren Leistungen, von denen diese Gefahr offenbar nicht ausgeht. Ein Beispiel wie viele andere, dass auch UniversitätsprofessorInnen Verschwörungstheorien aufsitzen.

Die Experimente in der Arktis verfolgen das Ziel, die oberen Atmosphäreschichten insbesondere die Ionosphäre zu untersuchen. Trotz der Öffentlichkeit dieses Experiments, es nehmen zahlreiche Universitäten an dieser Forschung teil, halten sich die Vermutungen, dass dort geophysikalische Kriegsführung erforscht wird. Hümmler ging ebenfalls auf die Chemtrails ein, ein alltägliches Phänomen, das die Kondensstreifen von Flugzeugen betrifft. Diese halten sich je nach meteorologischen Bedingungen unterschiedlich lange, welches zu einer weiteren Verschwörungstheorie führt, nämlich dass dunkle Mächte uns mit Chemikalien besprühen.

Aber das ist noch nicht alles. Sie können sich sicher erinnern, 2010 bemühte sich die Presse, dank vieler naturwissenschaftlich unterbelichteter Journalisten, möglichst breitbandig von der „Schwarzen-Loch-Maschine“ zu berichten, die möglicherweise die ganze Erde verschlingen könnte. Das Experiment läuft nun bereits fast ein Jahr und die erregte Presse nimmt kaum Notiz, berichtet der Quantenphysiker Florian Aigner. Aufgeregte Akteure u.a. der dt. Biochemiker Otto Rössler wollten gar eine einstweilige Verfügung zur Einstellung dieses Grundlagenexperiments erwirken. Im CERN*** hatte man schon vor Jahren (2003) diese Mechanismen untersucht und die experimentellen Gefahren des LHC (Large Hadron Collider) ausgelotet. Aigner ging auch auf die Strangelets und Strange-Quarks ein und entschärfte durch verständliche Beispiele diese Horrorvisionen.

Soviel zu Fakt und Fiktion in Wien, es bleibt nur mehr die nächste Skeptiker-Konferenz für heuer anzukündigen, denn dieses Mal ist in Berlin vom 18. bis 20. Mai 2012 der 6th World Skeptics Congress: Promoting Science in an Age of Uncertainty angesagt.

Anmeldungen: www.worldskeptics.org oder www.gwup.org

* Die, die dich Absurditäten glauben machen, können dich Abscheulichkeiten begehen lassen.
** High Frequency Active Auroral Research Program
*** Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire
mehr...

47/Pöbel/ Bericht: 15. Philosophicum Lech. Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Zum Halali!

Zusammenfassung 15. Philosophicum Lech: Jagd nach dem Glück. Perspektiven und Grenzen guten Lebens. (21. - 25.09.2011)

Das Thema Glück betrifft uns alle, denn wir alle haben ein individuelles Streben danach. Ein glückliches Leben gelingt jedoch nur in einem glücklichen, sozialen Umfeld, das es nur geben kann, wenn es gerecht auf dieser Welt zugeht.

Die Jagd nach dem Glück stellt sich somit als eine heiße Kontroverse zwischen einer individuellen Glückssuche und einem gelebten harmonischen Gemeinschaftsglück dar.

In Zeiten der Weltwirtschaftskrise, der Revolutionen und der Aufmunterung zur Empörung, ist es wohl müßig über die vielen Glücksdefinitionen zu sprechen, die im 15. Philosophicum sehr wohl u.a. durch den Vortrag des Mathematikers Rudolf Taschner über das Spielglück und die geringe Wahrscheinlichkeit eines Gewinns behandelt wurden. Denn verlangt das Thema Pöbel nicht die Konzentration auf das langfristige Glück, jenes, welches wir im Casino nicht erreichen können? Das kurzfristige Zufalls- und Wohlfühlglück ist laut dem dt. Philosophen Wilhelm Schmid sowieso überbewertet.

Der als Vater des Liberalismus geltende britische Vordenker der Aufklärung John Locke (1632-1704) beeinflusste mit seiner politischen Philosophie nachhaltig die Aufsetzung der Unabhängigkeitserklärung (04.07.1776) und der Verfassung (17.09.1787) der USA. Lockes dreiteilige Assoziationskette:

life, liberty, estate* wurde von Thomas Jefferson (1743-1826) in life, liberty, and the pursuit of happiness abgeändert. Der Philosoph Dieter Thomä nimmt diese Umgestaltung zum Anlass, die Divergenz zwischen Individuum und Gemeinschaft aufzuzeigen: Ein intellektueller Streit in einem liberalistischen Doppelspiel, welcher die gegenwärtige amerikanische Politik in dem Zweiparteiensystem zwischen Republikanern und Demokraten weiterhin kennzeichnet. Die in der Proklamation enthaltene Kritik am Utilitarismus wurde zum Freibrief für Bedürfnisbefriedigung, die jedoch wegen ihrer mangelnden Erfüllungsmöglichkeiten in ihrer Konsequenz zu einem unqualifizierten Streben nach Glück führte.

Lockes Prinzip wurde ebenfalls im Leitsatz der Franz. Revolution (1789-1799): liberté, egalité, fraternité** und auf diesem Weg in den meisten Verfassungen liberaler Staaten verankert. Lockes Auffassung war, wenn eine Regierung diese drei von ihm genannten Bedingungen nicht erfüllt, so wäre das Recht auf Widerstand seitens der Bevölkerung legitim. Auch wenn die Franz. Revolution nur eine Ablöse der Herrschenden, doch keine Veränderung der hierarchischen Struktur gebracht hatte, rückte die Idee der Menschenrechte näher. Das liberalistische Glücksmodell des schottischen Moralphilosophen Adam Smith (1723-1790), demnach durch Vernunft die Menschlichkeit in eine natürliche Gleichheit mündet, hatte ebenfalls politische Wirkung.

Schließlich hat es die Menschheit bis zur Glücksforschung gebracht und daraus viele Erkenntnisse gewonnen. Doch ist man dem Vortrag des Makroökonomen und Experten in Sachen Glücksforschung Karlheinz Ruckriegel gefolgt, überkommt einem nach dem aufkeimenden Zorn eine unsägliche Traurigkeit: Letztendlich wurden die Einsichten von heute schon in den 1960er Jahren gewonnen. Dem Anschein nach gibt es nichts mehr, was wir nicht schon wussten. Das Recht auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit bleibt eine Sehnsucht nach Glückseligkeit, doch all dies ist nicht einklagbar und offensichtlich auch nicht umsetzbar. Wir streben nach Höherem, nach Profit und haben dabei übersehen, dass ab einer gewissen Stufe der Lebensbefriedigung, uns MEHR nicht glücklicher macht, weder individuell noch kollektiv. Auch Ruckriegels Referat zeigt uns eindeutig den Zusammenhang zwischen Zufriedenheit (Bedürfnisbefriedigung) und Eigentum (Wirtschaftswachstum) des Einzelnen für sich und in der Gemeinschaft.

Wenn wir also bis dahin nicht in der Lage waren, Voraussetzungen zu einem glücklichen Leben zu schaffen, so stellt sich die Frage, ob wir es dann erlernen könnten? Die Soziologin Sabine Meck meint: ja, und plädiert für Gelassenheit. Diese sei ein innerer Schlüssel und stehe in engem Zusammenhang zur Konzentration, sie sei innere Ruhe, Sammlung, Übung, Energie und Vitalität und gehe einher mit Disziplin und Interesse. Z.B. könne man einen Raum der Stille bereits im Kindergarten einführen. Wer achtsam lebe, lebe intensiver.

Durch Anschauung und Mitgefühl, durch Miterleben oder Mitleiden könne der Mensch Lebendigkeit erlangen und dadurch authentisches Glück empfinden, urteilt der Philosoph Peter Strasser und warnt zugleich vor falscher Lebendigkeit, denn der Mensch sei kein glückbegabtes Wesen.

Mitunter erweise sich die Suche nach dem Glück als wahre Sucht. Das ungeheure Angebot und die Nachfrage an Suchtmitteln sprechen für sich, erklärt Suchtexperte und Psychiater Reinhard Haller. Es liege jedoch am kulturellen Background, den Zeitgeist mit seinen ideologischen Strömungen festzustellen, in welcher Disposition sich eine Gesellschaft bezüglich Drogengebrauchs und dessen psychischer Wirkung befindet. Die Frage nach dem Glück sei untrennbar mit der Sinnfrage verknüpft, argumentiert die Philosophin Beate Rössler, denn nur in einem selbstbestimmten Leben, das über die Subjektivität hinauswachse, könne sich autonomes Glück entfalten.

Öfters wurde in diesem Philosophicum das in Südasien liegende Königreich Bhutan erwähnt, das politisch gesehen Wertschätzung auf das Glück seiner Bürger legt und es auch rechtlich umsetzt. Demzufolge mutet das bhutanische Konzept schon wie eine Zwangsbeglückung an. Haben wir kein Recht auf Unglücklichsein?, fragte kritisch der phil. Leiter des Philosophicums Konrad Paul Liessmann bereits in seinem humorvollen Einführungsvortrag.

Die kritische Reflexion über unsere Lebensformen an sich war Thema der Philosophin Rahel Jaeggi. Die Gesellschaft sei einerseits eine Erfüllungsinstanz, andererseits auch eine Plattform zur Entwicklung von Erwartungshaltungen. Es gelte, die Lebensformen zu durchleuchten und die Kritikfähigkeit zu sensibilisieren. Das Scheitern einer in Krise geratenen Lebensform geschehe durch äußere sowie durch innere Hindernisse. Sie scheitere jedoch nicht nur funktional, sondern in Bezug auf ein normativ verfasstes Problem. Letztendlich ginge es um einen Lernprozess, mit dessen Evaluierung wir den gesuchten Maßstab der Kritik von Lebensformen finden, so Jaeggi.

Unsere Kritikfähigkeit könnte auch durch Informationen der Medien erhöht werden. Die These zur Medienentwicklung des Starphilosophen Peter Sloterdijk gab einen Rückblick auf die Renaissance und ihren Bezug zur Gegenwart. Kein geringerer als der Florentiner Autor und Poet Giovanni Boccaccio (1313-1375) hatte die Novelle erfunden und das, als die Pest die halbe Menschheit dahinraffte. Sloterdijks ausführlicher Exkurs bezeugt, dass in Krisenzeiten die Religion sowie die Wissenschaft versagten. Boccaccios Zehn-Tage-Buch Decamerone verordnete der Gesellschaft eine Medikation von einer 100er-Packung Novellen für eine Dekade, davon sollten zehn Novellen am Tage gelesen oder vielmehr erzählt werden. Novellen, die durch Abwechslung und Zerstreuung einen Neuanfang versprechen, Nachrichten also, die besser sind als die tatsächliche Lage. Im Verlauf dieser Kur sollte die Kunst des guten Lebens wieder erlernt werden.

Sloterdijk spricht von einem Menschenrecht, das älter ist als alle übrigen Menschenrechte, vom Recht auf GUTE Nachrichten. Boccaccio führe die Entstehung der modernen Information aus dem Prinzip der Reanimation vor, es geht um die Entdeckung der mentalen Immunsysteme. Doch wir sitzen nun mal alle in einem Boot. Sowie die guten Dinge (Exportwaren) und die schlechten Dinge (Pesterreger) mit an Bord sind, so werden die guten von den schlechten Nachrichten nicht sortiert. Wer Nachrichten lanciert, muss wissen, dass er durch sie das menschliche Klima mit erschafft (intrinsische Qualitäten). Alleine in diesem Klima, behauptet Sloterdijk, konnte die Figur des Spielers auftauchen, der selbst mit den Einflüssen verhandelt, der sich mit Fortuna in ein erotisches Verhältnis begibt. Waren stellen nichts anderes dar als Hypothesen über Einflüsse, unter welchen die möglichen Käufer zu geraten wünschen. Kreditvergeber müssten sich bewusst sein, dass Geld nichts anderes als abstrakte Einflussenergie ist, die sich auf Umwege über die Kalküle und Wünsche der Menschen in konkreten und diskreten Einfluss umwandelt.

So kehren wir zurück zur Spielernatur des Menschen, der der Wahrscheinlichkeitsrechnung zum Trotz und gar nicht devot, wie es Religionen an sich lehren, in seinem kindlichen Gemüt doch nur Gewinner sein mag, und sich in letzter Instanz vor dem Neid und der Rache der Götter - heute eher der Nachbarn, Kollegen und Angehörigen - fürchtet und dafür Opfer bringen will.

Vielleicht bleibt uns Menschen, wie der Kulturwissenschaftler Thomas Macho den Polykrates-Komplex erläutert, doch nur die Homöostase, die Vorstellung, dass Glück und Unglück einander die Waage halten müssten, um die kosmische Ordnung, den tugendhaften Grundgedanken der Mitte, zu erhalten?

Und dennoch, wir wären keine österreichische Literaturzeitschrift, wenn wir zum Abschluss nicht auf Alfreds Trinklied in der Fledermaus*** verweisen würden: Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist. Aber nebenbei, auch das ist nur auf einen Aphorismus Senecas zurückzuführen:

Heilmittel wider Ungerechtigkeiten ist das Vergessen.

Fazit: Mit Ausnahme der Theorie hat sich seit der Antike in Sachen Glück kaum etwas verändert.

Näheres zu den einzelnen Vorträgen: www.litges.at

* Leben, Freiheit, Eigentum
** Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
*** Operette von Johann Strauss - Sohn (1874) Höhepunkt der Goldenen Operettenära der Wiener Operette.

16. Philosophicum Lech, 19. - 23.09.2012:
Tiere. Der Mensch und seine Natur.
Anmeldung: www.philosophicum.com
mehr...

45/ LitArena 5 - Wettbewerbsbericht: Thomas Havlik

Thomas Havlik
WETTBEWERBSBERICHT, DIE ZEITSPUR

Intensiv auseinandergesetzt mit den rechtzeitig eingelangten, anonymisierten Prosaarbeiten haben sich in diesem Jahr die als Jurymitglieder fungierenden Autorinnen Patricia Brooks und Anna Kim sowie der Autor Thomas Havlik.
Was sich aus den Beiträgen gut herauslesen ließ, waren der Wille zur handwerklichen Arbeit als auch der Wunsch, „sich selbst auszudrücken“. Wenn dabei oft (noch) der bestechende Schritt hin zum „tatsächlich Eigenen“ fehlte, hat es doch auch gefunkelt.

Jessica Linds Arbeit „35mm“ überzeugte zum Beispiel in vielerlei Hinsicht. Zum einen ist da ihre souvären gehandhabte Lakonie, die sich nie dazu verleiten läßt, noch eines darauf zu setzen, wo durch Aussparung bereits alles gesagt ist. Dieses Zelloloid brennt. Andererseits bemüht sich die Autorin, keine Geschichte zu schreiben, die aus „Anfang, Mitte und Schluß“ besteht, sondern versucht, wie es im Text heißt, die „Einheit von Zeit, Raum und Handlung aufzulösen“. Dadurch wird eine künstlerische Haltung sichtbar - und man hört einen individuellen Sound.

Worüber er erzählen will und auf welche literarischen Mittel und Kniffe er zurückgreifen kann, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, weiß auch der Autor Daniel Zipfel genau.
Geschickt tänzelt er in seinem Text „Bescheid“ zwischen Orten, Perspektiven und, damit einhergehend, zwischen den Charakteren. An die verschiedenen Orte, einem österreichischem Asylamt sowie einem syrischen Dorf andererseits, folgt man ihm gespannt. Dass er es dabei beläßt, die Dinge darzustellen, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben, ist sehr gelungen.

Eine der Stärken von Stefanie Schweins' „Wer ist Peter Marshall?“ liegt in der Auslotung dessen, inwieweit es möglich ist, das Traumhafte in realistischer Sprache darzustellen. Lustvoll wird anstatt der Syntax die Wirklichkeit gebrochen. Das Surreale dunkelt herüber ins Alltägliche, Gewohnte, um es - ohne die eventuellen Auswirkungen vorwegzunehmen - zu infiltrieren und um, nicht zuletzt im Leser, Fragen aufzuwerfen. Etwa die nach der Künstlichkeit der eigenen Existenz. Das prallt. Und prallt aus einem kunstfertigen Abstand zu biografischen Tendenzen zurück.

Zusätzlich zu den ausgewählten Wettbewerbstexten, deren Vielfalt einen Ausschnitt der aktuellen jungen Prosawelt hervorheben möge, wurden auch dieses Jahr zum Teil bislang unveröffentlichte Frühwerke von im Literaturbetrieb arrivierten österreichischen Autorinnen aufgenommen, die, abgesehen vom Entstehungszeitraum und etwaiger Publikationsorte, für sich alleine stehen. Allen, die sich daran beteiligt haben, an dieser Stelle ebenfalls noch einmal ein herzliches Dankeschön.

etcetera 45/ Oktober 2011/ Litarena 5 mehr...