Gerhard Roth: Jenseitsreise

Florian Müller

Gerhard Roth:
Jenseitsreise

Frankfurt am Main: S. Fischer
2024, 416 Seiten
ISBN 978-3-10-397112-5

Fragmentarisches Vermächtnis. Bereits seinen im Juni 2022 posthum erschienen Roman „Die Imker“ beschreibt der Verlag als „Summe seines Denkens.“ Nun veröffentlicht der S. Fischer-Verlag in einer liebevoll mit Faksimiles gestalteten Edition das letzte Romanfragment von Gerhard Roth, das in Form von handschriftlichen Notizbüchern erhalten geblieben ist.
Von der „Jenseitsreise“, so der Titel, sind nur zwei von drei geplanten Teilen realisiert worden. Die Handlung setzt dort ein, wo sie bei den Imkern aufhört. Franz Lindner begeht im ersten Teil des Buches („Mein Tod“) im Steinbuch Selbstmord. Auf diese Weise tritt er im zweiten Teil („Die Wüstenstadt“) mit seinem Compagnon Elias im Elsternflug die Reise durch das Reich der Toten an, das in Ägypten verortet ist. Als wolle er es noch einmal wissen, begegnet sein Protagonist unzähligen Persönlichkeiten aus Weltliteratur, Kultur, Kunst und Wissenschaft. Lewis Carroll, Emily Dickenson, Marcel Proust oder Franz Kafka sind dabei skurrile Figuren der Weltgeschichte. Mit ihnen diskutiert Franz Lindner leidenschaftlich zentrale Themen der Menschheit und über ihr Schaffen. Dieser Elsternflug wird zu einer Reise durch die 24.000 Bände umfassende Bibliothek Gerhard Roths, die hier besonders spürbar ist.
Während „Die Imker“ ein kompakter Roman ist, wird die Jenseitsreise nicht nur durch den fehlenden dritten Teil („Die Flussreise“) zu einem sehr experimentellen, ja angriffslustigen Buch, das an sein Frühwerk erinnert. Roths Rebellion gegen die unpolitische Elterngeneration ist dabei nicht abgeklungen. So verortet er die Despotinnen und Despoten dieser Welt etwa im „Park der Not“, wo sie Fäkalien essen und Urin trinken müssen. „Ich blickte hinauf zum glitzernden Sternenhimmel, und mir war, als würde ich in meinen eigenen Kopf schauen, der voller Gedanken war“ ist der letzte Satz des Fragments und damit der letzte Satz eines großartigen literarischen Lebenswerks.

Mehr Kritiken aus der Kategorie: