Nava Ebrahimi:
Wer ich geworden wäre, wenn alles ganz anders gekommen wäre.
Literaturverlag Droschl
96 Seiten, 2024
ISBN: 978-3-990591-567
Sich aus der Herkunft heraus freischreiben. Poetikvorlesungen, die sich mit der Kunst des Schreibens auseinandersetzen, haben seit vielen Jahren Tradition.
Ob in Frankfurt, Bamberg, Salzburg oder eben in Graz, wo Nava Ebrahimi zu Gast war. Hinter dem gewählten Titel der Vorlesung verbirgt sich keine Nabelschau der Autorin, wie der Lesende zunächst vermuten könnte.
Der Aufbau des Buches unterteilt sich in zwei Hauptkapitel: Im ersten Abschnitt erkundet Ebrahimi ihr Ich und gibt Einblicke in ihren Werdegang als Künstlerin. Im zweiten Teil fokussiert sie sich auf das Schreiben und die vielfältigen Formen der Sprache.
„Die Kunst des Schreibens beginnt für mich mit Schreiben, lange bevor sie Kunst wird“, S.5, bekennt Ebrahimi, und stellt Fragen nach den Bedürfnissen des Schreibens sowie dem Gefühl der Bedeutsamkeit: „Ob notwendige Voraussetzung fürs Schreiben ist, dass man glaubt, etwas Besonderes zu sagen zu haben“, S.8. Einen wichtigen Aspekt hebt die Autorin hervor: Das „Bedürfnis, mich mit anderen Menschen, die mit ihren Erfahrungen an meine anknüpfen, zu verbinden“, S.9. Sich mit einem Gegenüber zu verbinden, setzt voraus, genauer in den Spiegel zu schauen. „Herkunft flüstert uns permanent ein (…), woher wir eigentlich kommen.
Sie entscheidet, wogegen wir ankämpfen“, betont Ebrahimi und sieht Schreiben als „lebenslangen Versuch, sich aus der Herkunft heraus und von ihr frei zu schreiben“. Selbstkritisch merkt sie an: „Das Ich ist mir zu wenig, das WIR zu anmaßend“, S.9.
Ebrahimis Poetikvorlesung ermuntert dazu, der eigenen Herkunft (und dem eigenen Schreiben) nachzuspüren und Gewissheiten auf den Kopf zu stellen.
Nava Ebrahimi, 1978 in Teheran geboren, studierte Journalismus und Volkswirtschaftslehre in Köln. Sie erhielt zahlreiche Preise: 2017 den Österreichischen Buchpreis in der Kategorie Debüt und 2019 den Morgenstern-Preis, jeweils für „Sechzehn Wörter“, 2021 den Ingeborg-Bachmann-Preis.
Sie lebt mit ihrer Familie in Graz.