A. Nischkauer/Kalle Laar: Mir war, als ob es klopfte
Astrid Nischkauer u. Kalle A. Laar (Hg.und Übersetzungen):
Mir war, als ob es klopfte.
Neue Gedichte aus Lettland,
Parasitenpresse, Köln
2023, 122 Seiten
ISBN: 978-3-988050-25-0
Erweiterung. Es gibt zweifellos Länder, in denen Schreibende eine bessere Ausgangslage finden als in Lettland. Das potentielle Lesepublikum der Originaltexte ist auf weniger als zwei Millionen beschränkt. Dazu kommt die jüngere Geschichte des Landes zwischen dem deutschen und dem russischen Imperialismus, die dazu geführt hat, dass die Grenze zwischen Opfer und Täter nicht selten mitten durch Personen verläuft.
Vielleicht ist das mit ein Grund für den erzählenden Tonfall in einer Reihe von Gedichten: „Wir können alle möglichen Geschichten erzählen / und alle möglichen Kleider tragen, / wir können unseren Göttern Schnurrbärte malen", stellt Anna Auziņa fest. Eindeutigkeit wird dabei nicht angestrebt. Als „allzu introvertiertes und egozentrisches Genre", bezeichnet Krista Anna Belševica Gedichte. Um am Ende des Textes Zustimmung oder Ablehnung einzufordern: „Was soll das heißen – dass es nie wieder so sein wird, wie gewohnt? / Schau, das wissen wir nicht / (und es ist ganz gut so, dass wir es nicht wissen)."
Es sind freilich nicht unbedingt die großen Themen wie Geschichte oder Erkenntnis, über die berichtet wird. Artis Ostups macht sein Publikum mit ebenso poetischer wie augenzwinkernder Prosa zur Reisebegleitung: „Die Schlaflosigkeitsmaschine / mit von Betrunkenen vernebelten Fenstern schleuderte / mich auf Europas tiefsten / Punkt." Selten taucht in dem Band Banales auf, das man getrost ignorieren kann: „Gedichte sind wie / Käse. / Aus fünf Litern Milch / Einer. // Und / Nicht nur das." Uns sollte die Zusammenstellung neugierig machen, auf die Literatur der Ausgewanderten wie Gunars Saliņš oder David Bezmozgis etwa und natürlich auf Lettland, das selbst für Reisefreudige hierzulande exotischer ist als Thailand oder Kuba.
Schließlich findet die Erweiterung unseres Verständnisses von Europa nicht in Brüssel statt, sondern in unseren Köpfen.