Am Ziel: Thomas Bernhard. Re.: I. Reichel

Ingrid Reichel
ALLES GUT, ENDE SCHLECHT

 

AM ZIEL
Thomas Bernhard

Landestheater NÖ
Premiere: Samstag, 21.10.06, 19.30 Uhr
Regie: Wolfgang Hübsch
Dramaturgie: Rupert Klima
Mit Maresa Hörbiger, Katrin Stuflesser und Matthias Franz Lühn
Ausstattung: Ilona Glöckel

Intendantin Isabella Suppanz öffnete die Türen des Landestheaters für das St. Pöltner Literaturfestival „Blätterwirbel“. Nach der feierlichen Eröffnung des Festivals im Stadtmuseum St. Pölten begaben sich die Literaturfreunde ins Landestheater zur Premiere von Thomas Bernhards Stück „Am Ziel“.
Es kommt nicht von ungefähr, dass ausgerechnet dieses Stück zum Auftakt des ersten gemeinsamen literarischen Großprojekts des Landes NÖ und der Landeshauptstadt St. Pölten gewählt wurde. Angenehm stimulierend verbindet der künstlerische Geist des Hauses nicht nur rot-schwarze Synopsen, sondern setzt dem noch immer etwas trägen St. Pöltner Publikum auf wohlwollende Art und Weise immer wieder den Spiegel vor. Sensationell!

Niclaas Thomas Bernhard 1931 – 1989 war einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zurückgezogen in seiner Finsternis, kämpfte er gegen die Volksverblödung, gegen die Krankheit und den Tod. Zu Lebzeiten galt er als Nestbeschmutzer und Staubaufwirbler. Seine Sprache, geprägt durch permanente Wort- und Satzwiederholungen, hämmert sich im Rhythmus kompromisslos in den Gehirnen seiner Leser ein. Das 1981 uraufgeführte Stück „Am Ziel“ befasst sich mit der Diskrepanz von Autor und Publikum - einer Hassliebe, welche schizophrene Gestalt in Form eines Mutter-Tochter Konflikts annimmt.

Die Handlung ist einfach und besteht aus zwei Szenen, besetzt mit einer Hauptrolle und drei Nebenrollen, wobei in dieser bearbeiteten Fassung auf die Nebenrolle des Hausmädchens verzichtet worden ist. Der erste Schauplatz ist die Villa eines verstorbenen Großindustriellen, der zweite die Sommerresidenz. Das Stück spielt in Holland.
Die machtbesessene Witwe eines Gusswerkbesitzers und ihre bewusst in Abhängigkeit gehaltene Tochter laden nach der erfolgreichen Premiere des Theaterstückes „Rette sich wer kann“ den Autor zu ihrer alljährlichen Reise auf ihren Feriensitz nach Katwijk, einem bekannten Badeort in Südholland an der Nordsee, ein.
Das karge Dialogfeld der Rollen wird dominiert von der geschwätzigen Mutter, deren Sinnierungen sich wie ein Monolog über das ganze Stück ausbreiten und die Rolle des verstorbenen Gatten, Vater und Industriellen in sich trägt.

Als Vorwort wählte Bernhard ein Zitat von Blaise Pascal: Les misères de la vie humaine ont fondé tout cela; comme ils ont vu cela, ils ont pris le divertissement. (Frei übersetzt:„Das Elend des Lebens ist ihre Grundlage, und als sie es erkannten, entschieden sie sich für die Unterhaltung.“)
Mit diesem Zitat verweist Bernhard auf die Gratwanderung auf die er sich in seinem Stück begibt. „ Am Ziel“ ist eine gelungene Mischung aus Satire und Drama.
Die unergründlichen tiefen Miseren des Lebens verkörpert durch die Rolle der herrschenden Mutter und die naive Autoritätshörigkeit in der Rolle der Tochter zeigen die Hassliebe des Publikums zur Kultur aufs Äußerste, entscheidet man sich doch laut Pascal für die Unterhaltung, den Zeitvertreib, ja, für die Ablenkung, um mit all den Ängsten und Zwängen des Lebens fertig zu werden. Der Mutter, selbst Enkelin eines Spaßmachers, der in Wirtshäusern mühsam seinen Lebensunterhalt verdiente, lernt ihren zukünftigen Ehemann und Gusswerkbesitzer auch in einem Wirtshaus kennen. GUSSWERK wird für sie zum orgiastischen Wort und zum Symbol der Rettung aus dem Nichts. Das ewig wiederholte Zitat des bedauernswerten und verstorbenen Gatten bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit: Ende gut alles gut und seine nach ihm geratene, doch der Mutter unterwürfigen und versklavten Tochter wirft das Abbild der Einfältigkeit auf die ausgefressene und daher müde gewordene gehobene Mittelschicht. Das Schweigen der Lämmer in Widerspruch mit dem Aufblöken der neidbehafteten und aufstrebenden, sowie materialgierigen Unterschicht. Die leibhaftig gewordene Gestalt der gespaltenen Persönlichkeit unserer Gesellschaft verkörpert in den Figuren dieser zwei Frauen, Mutter und Tochter. Der Schriftsteller jedoch, der seine anerzogenen gesellschaftlichen Zwänge wie eine Jacke ablegt, besitzt die Freiheit und Arroganz seinem Publikum den Spiegel vorzusetzen.
Er muss sich jedoch der Kritik aussetzen, ein Beobachter und kein Handelnder zu sein: Sie selbst sind das beste Beispiel/ Sie sinnen nach und tun nichts/ Sie sehen das Elend aber Sie beseitigen es nicht/ Sie sind der Beobachter dieser Fäulnis/ aber Sie räumen nicht auf damit…Die Entgegnung des Autors zum Statement seiner Gastgeberin: Wir machen den Versuch/ die Gesellschaft zu ändern/ aber es gelingt uns nicht…Die Gesellschaft kann nicht geändert werden…

Als Leitfaden im Stück von Bernhard zieht sich die Frage ob es klug war diesen Autor mit zum Sommerdomizil zu nehmen. Die Furcht der Mutter steigert sich bis zur Hysterie, als sie die vage Möglichkeit erkennt, die Tochter an den Autor zu verlieren. Maresa Hörbiger drückte realistisch die bange Angst wie lange er denn bleiben würde und den schier unbändigen Kampf, alles zu unterbinden, was nur möglich ist, um nicht entthront zu werden, aus. Im Raum bleibt die stille Erkenntnis als Finale: Die Frage ist gar nicht/ ob es klug war ihn einzuladen/ er ist da…
Das Stück, so Bernhard endet mit der Bestätigung der Tochter: Ich fürchte/ er wird länger als nur ein paar Tage bleiben

Bernhards drastische Übertreibungen, das Monströse in seinen Bann zu ziehen verlangt das Maximum an schauspielerischer Leistungsfähigkeit. Maresa Hörbiger in der Rolle der Mutter spielt gekonnt und überzeugend Bernhards Spiel zwischen zwei Fronten. Sie lässt das Lächerliche, Skurrile und Absurde zum Dramatischen werden. Wie wird man dramatischer Schriftsteller? (Mutter)… der Autor antwortet: …je entsetzlicher die Jacke ist/ die ihm (dem Schauspieler)der Schriftsteller verpasst hat/ desto besser/ Die entsetzlichste Jacke für den größten Schauspieler… Auch Katrin Stuflesser als Tochter und Matthias Franz Lühn als Schriftsteller waren in ihren Nebenrollen der Herausforderung gewachsen. Katrin Stuflesser völlig unattraktiv herausgeputzt schlurft in Patschen und bedient ihre elegant gekleidete Mutter. Ihr trüber Blick wandelt sich in einen leicht madonnenhaft verklärten Ausdruck als sie der junge Autor, der es wagt ihrer Mutter zaghaft Parole zu bieten, von einem gesprengten Korsett träumen lässt.

Umso verwunderlicher Wolfgang Hübschs Entscheidung die Inszenierung in die Richtung der Mutter-Tochter-Problematik zu lenken, letztendlich „Am Ziel“ zu einem Frauenpsychogramm zu machen.
Das abrupte Ende, welches den Zuschauern den Sieg des Autors über den Materialismus und der Langweile der Großbourgeoisie vorenthält, schlägt die Zuschauer vor den Kopf. Die Schauspieler verneigen sich, das Publikum applaudiert, Bravorufe, das Theater wird zur Bühne, die Zuschauer zu Schauspielern, ich befinde mich in Katwijk, ich sitze zwischen Mutter und Tochter, ich höre das Rauschen des Meeres, sein Dröhnen, den Applaus, den Erfolg, hören Sie denn die Ovation nicht…Sie müssen damit fertig werden/ Das müssen Sie aushalten/Sie müssen Ihren Triumph aushalten… am Ziel, der Autor lebt und dreht sich im Grabe um: Ach küssen Sie nicht meine Hand/ das ist einfach lächerlich/ wo haben Sie das gesehen/ in Österreich/ Mein Gott… (Mutter).

Deshalb… Rette sich wer kann…doch kein Mensch kann sich retten/ noch keiner hat sich gerettet

Gekapptes Bernhard-Ende als genialer Schachzug von Wolfgang Hübsch, der am Wiener Volkstheater als Schauspieler und Regisseur bereits in Thomas Bernhards „Der Theatermacher“ und „Der Weltverbesserer“ mitwirkte??? Oder… Gleichgültigkeit???
Die Antwort blieb Wolfgang Hübsch uns schuldig…. wir sind die Lämmer und wir haben zu schweigen.

Mehr Kritiken aus der Kategorie: