Cabaret. Rez.: Stefan Koch

Stefan Koch
ZUM LACHEN ODER ZUM WEINEN?

 

CABARET
Stadttheater St. Pölten
Musikal. Leitung: Josef Stolz
Joe Masteroff (Buch); John Kander (Musik);
Fred Ebb (Gesangstexte)
R: Reinhard Hauser
Bühnenbild: Eszter Kovasznay
Choreographie: Christian Zmek
D: T. Mraz, M. Bach, S. Hermann…

Mit den Worten „Willkommen! Bienvenue! Welcome!“ begrüßt der Conférencier die Zuschauer im „Cabaret“ zu einer Revue, die sich allein aus halbnackten, aufreizend tanzenden Damen zusammenzusetzen scheint. Eine dieser „Girls“ namens Sally Bowles verliebt sich zu Beginn der dreißiger Jahre in den amerikanischen Schriftsteller Cliff Bradshaw, der erst kürzlich in Berlin angekommen ist und dank dem Schmuggler Ernst Ludwig eine Wohnung gefunden hat. Vorerst ist die Freude über das junge Glück noch ungetrübt, doch bald fallen Schatten auf die Beziehung, die nicht nur privater, sondern besonders politischer Natur sind. Doch selbst die sich tragisch zuspitzende Liebesgeschichte ist nur Teil der Revue, die der Conférencier unaufhaltsam vorantreibt.
Diese Szenen finden sich im 1966 uraufgeführten Musical „Cabaret“ von Joe Masteroff (Buch), John Kander (Musik) und Fred Ebb (Gesangstexte), dass nun im Stadttheater St. Pölten seine Premiere feierte. Dort wird die Rolle des ständig präsenten Conférenciers von Thomas Mraz obszön, zynisch und manchmal diabolisch verkörpert und vermag dadurch als eigentliche Hauptperson des Musicals zu glänzen. Neben ihm verblassen die die Handlung tragenden Darsteller wie Marion Bach als Sally Bowles und Michael Duregger als Cliff Bradshaw beinahe völlig. Besonders die Glaubwürdigkeit des Zweiteren litt stark bei der Darstellung von Zornesausbrüchen. Das der vorerst sonst so gutaufgelegte und eher in sich gekehrte Clifford bei der Nachricht von Sallys Schwangerschaft als erste Reaktion seine Schreibutensilien von seinem Schreibtisch auf den Boden fegt, nimmt man Michael Duregger nicht ab. Doch vielleicht ist dieser „Fehler“ auch Regisseur Reinhard Hauser anzulasten.
Dessen Inszenierung orientiert sich zu stark daran, mithilfe des Bühnenbilds von Eszter Kovazsnay, wie auch der Choreographie Christian Zmeks, die dreißiger Jahre auf der Bühne wiederaufleben zu lassen und wird dadurch der modernen Form und Thematik bis zum Schluss nicht gerecht. Bis zum Schluss wohlgemerkt, denn in den letzten zehn Minuten des Musicals finden sich alle Ideen Hausers, die die übrigen zweieinhalb Stunden gefehlt haben. Im Marilyn-Manson-Stil gekleidete und tanzende Revue-Damen, Mann und Frau, die gemeinsam singend, von sie typisierendem blauem und rosa Licht getrennt werden, ein sich als Nazi herausstellender, vorerst unscheinbarer Schmuggler und ein erschreckendes Schlusstableau von salutierenden Nationalsozialisten, demonstrieren das Können des Regisseurs und doch noch seinen Willen zur modernen Gestaltung. Hauser meinte im Programmheft, er wolle einen „Untergang, der sich von Beginn weg abzeichnet, konsequent und scheinbar unaufhaltsam“ zeigen. Die Ausgestaltung des vollkommenen Untergangs ist ihm am besten gelungen.

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