Der Spieler: Fjodor Dostojewski. Rez.: Ernst Punz

Ernst Punz
DER SPIELTHERAPEUT

 
Der Spieler
Fjodor Dostojewski
Bühnenfassung für das Landestheater NÖ: Helmut Peschina
Landestheater NÖ, Großes Haus
Premiere: 05.03.2011, 19.30 Uhr
Regie: Johannes Gleim
Bühne und Kostüme: Markus Meyer
Dramaturgie: Barbara Nowotny
Mit:
Alexej Iwanowitsch: Valentin Schreyer
Polina Alexandrowna: Katharina von Harsdorf
Antonida Wasiljewna: Else Ludwig
General: Helmut Wiesinger
Mademoiselle Blanche de Cominges: Antje Hochholdinger
Mr. Astley: Paul Matic
Marquis de Grieux: Rainer Doppler
Croupier: Jürgen Weisert

„Dabei wäre alles so einfach. Sie müssten nur ihre
Nächsten lieben, wie sich selbst. Harr, harr, harr!“

Irgendwann im zweiten Akt von Helmut Peschinas Bühnenfassung von „Der Spieler“ kommt der Casinocroupier an den vorderen Bühnenrand und betätigt sich paradoxerweise als bibelbelesener Spieltherapeut. Der Mann arbeitet an der Abschaffung seines Berufsstandes. Leider vergeblich – das hört man auch an seinem höhnischen Gelächter.
Fjodor Dostojewski, der sich im Original als Ketzer und Barbar bezeichnet, hat in seinem frühen Drama eigenes Erleben verarbeitet. Gott sei Dank nicht umsonst, denn er hat der Nachwelt zahlreiche Werke hinterlassen, die teilweise unter höchstem Existenzdruck entstanden sind. Bereits in seinem Frühwerk ist es ihm gelungen, in verdichteter Weise das Wesen der Spielsucht in höchst dramatischer Weise zu zeigen. Jener Sucht, die von Therapeuten als die am schwersten zu therapierende bezeichnet wird.

Die St. Pöltner Inszenierung von Johannes Gleim beginnt ein wenig matt – vielleicht ist es Premierenunsicherheit. Doch nach ungefähr zehn Minuten ist plötzlich Spannung da, die beginnt, die Zuseher mit in das Spiel hineinzuziehen. Sehr schnell ist zu spüren, worum es allen geht: Um das Geld und um das nackte Überleben. Und an dieses Geld könnte man kommen, wenn es bald zum Ableben von Großmutter „Babuschka“ Antonida Wasiljewna kommt – überzeugend gespielt von Else Ludwig. Und höchst lebendig, denn plötzlich ist die Todgeglaubte da, auch wenn es um ihre Gesundheit nicht zum Besten gestellt ist. Ihr möchte man am liebsten über die Stufen zum hochgelegten Casino hinauf- und wieder herunterhelfen. Und wenn ihr scheinbar die Knie versagen, geht ein Zucken durch die Zuschauerreihen; bei ihren gespielten Herzanfällen spürt man selbst ein Ziehen in der Brust.

Ganz gesund ist auch Mr. Astley – gespielt von Paul Matic – nicht. Der großkarierte Engländer hyperventiliert und muss den Sauerstoffgehalt in seinem Blut mittels Ein- und Ausatmen in ein vor den Mund gehaltenes Papiersackerl senken. Vermutlich wird im deswegen auch leicht schwarz vor den Augen und er sieht nicht wohin er mit seiner Schirmspitze sticht. Nämlich in die Weichteile von Alexej Iwanowitsch, gespielt mit sehr viel Körpereinsatz von Hauptdarsteller Valentin Schreyer. Die Schirmattacke von Mr. Astley – gespielt von Paul Matic - könnte aber auch pure Absicht gewesen sein, denn Alexej Iwanowitsch, in der Rolle Valentin Schreyer, ist einer seiner Nebenbuhler um die schöne Polina Alexandrowna. Katharina von Harsdorf gibt die verschuldete Polina als zwischen Geldgier und Haßliebe hin- und hergerissene Halbwahnsinnige, die nicht davor zurückschrecken würde, Alexej in den Selbstmord zu stürzen oder ihn als Mörder zu dingen. Sie treibt es mit dem sie Anbetenden derart auf die Spitze, dass dieser ihr gleich zu Beginn am liebsten das Messer in die Brust stechen würde. Aber das wäre dann ein ganz anderes Stück.

Ähnlich und doch ein wenig anders liegen die Dinge bei Mademoiselle Blanche. Antje Hochholdinger spielt das höchst willig zwischen Geld- und Männerliebe hin- und hereilende leichte Mädchen, das ihrem Namen zum Trotz ein kleines Schwarzes trägt. Wenn wundert es, wenn bei soviel Gier, Sucht, Geld, Sex und Gewalt dann irgendeiner einer auf dem Boden liegt. Helmut Wiesinger tut dies sehr beeindruckend als von Blanche verlassener General, mit im Rausch entblößter Brust und herzerweichend schluchzend auf russisch: Vor sich eine Wodkalache. Klaren Wein hingegen schenkt Rainer Doppler, der den Marquis de Grieux als nicht sehr sympathisch agierender Franzosen zu geben hat, dem Alexej ein, um diesem klar zu machen, wer hier wen und warum liebt – oder auch nicht.

Die im Stück eingestreuten komödiantischen Einsprengsel verwässern die Tragik der Thematik, aber vielleicht ist das auch das Russische daran. Wodka heißt ja bekanntlich Wässerchen – brennt am Anfang und nachher spürt man nichts mehr.
Insgesamt eine sehr moderne Inszenierung mit zahlreichen Anklängen an gängige Sujets der neueren Zeit, wie zum Bespiel den von Mr. Astley nasal rezitierten Beatlesliedern.
Höchst originell auch die Darstellung des Casinos als gläsernen Kasten, in dem der als Clown à la Jack Nicholson geschminkte Croupier sein Sprüchlein „rien ne va plus“ neben einem Goldenen Kalb aufsagt. Womit nach der anfangs zitierten Bibelstelle aus dem Neuen Testament auch dem Buch des ersten Bundes die Ehre gegeben wird.

Fehlt nur noch eine Anspielung und sie kommt verlässlich: Nach dem alles verspielt und die letzte Roulettekugel ausgerollt ist, will sich Alexej die Kugel geben. Er tut dies aber nicht verschwenderisch auf russische Art, sondern höchst sparsam – wie die Deutschen beim Geld. Mit nur einer Kugel im knarrenden Trommelrevolver gibt er sich seine letzte Chance, diesmal im Russischen Roulette. Und gewinnt bei einer Trefferquote von 1 aus 6 ein neues Leben.

LitGes, März 2011

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