Endstation Sehnsucht: Tennessee Williams. Rez.: Alois Eder

Alois Eder
ENTZAUBERUNG EINES KLASSIKERS?

 
ENDSTATION SEHNSUCHT
Tennessee Williams
Gastspiel: Koproduktion des St. Pauli Theaters Hamburg
mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen
Landestheater NÖ, Großes Haus
08. und 09.02.2008
Regie und Bühne: Wilfried Minks

Stehende Ovationen beim Schlussapplaus: ein Beweis, dass das St. Pöltner Kulturpublikum die bestechende Ensembledarbietung der Gäste ebenso zu schätzen wusste wie die Einzelleistungen Emanuelas von Frankenberg als hysterische Lehrerin Blanche DuBois, Ben Beckers als ihres Proleten-Schwagers Stanley Kowalski oder Johanna Christine Gehlens als dessen schwangere Gattin Stella. Braucht es mehr als Beweis dafür, dass die nicht zuletzt sozial begründeten Friktionen zwischen dem hochgestochenen Anspruch der verarmten Gutsbesitzer-Tochter auf zwischenmenschliche Kultur und dem Benehmen des auf seine Pokerrunde fixierten Polacken-Barabers auch heute noch in den Bann schlagen können?

Immerhin lebt die heutige innenpolitische Debatte von der Frage nach der Integration der Personen mit Migrationshintergrund, wie man’s jetzt nennt, und die LehrerInnen haben in der Öffentlichkeit schon aus Revanchegründen ihrer ehemaligen Schüler noch dasselbe zickige Image wie im New York der Uraufführung des Jahres 1947 ...

Warum dann doch dieses unbestimmte Gefühl eines Unbehagens über das seinerzeit Pulitzer-Preis-dekorierte Stück und den Gang seiner Handlung, bei der während der durchs Einsetzen der Wehen bewirkten Abwesenheit Stellas der ordinäre Kraftprotz von Gatten über die Schwägerin herfällt, was endgültig den Grund für deren Einweisung in die Psychiatrie liefert, die gleichzeitig die Familie Kowalski von deren lästig gewordener Einquartierung befreit.

Es liegt wohl an der letztlich doch traditionellen Theatertechnik des oberflächlich so naturalistischen Stücks. Wenn die Vorgeschichte der Blanche DuBois bis auf den Verlust des Familienguts Belle Rève nur dank der Nachforschungen ihres Schwagers enthüllt und damit ihre geheuchelte sexuelle Unerwecktheit entlarvt wird, mit der sie den Pokerpartner Mitch beinahe zu einer Ehe herumgekriegt hätte, dann ist es ebenso unbefriedigend, weil nicht auf der Bühne herausgespielt, wie die Statik im Proletarier-Hausstand trotz herannahender Entbindung: Naturalismus ohne den zugrunde liegenden Realismus sozusagen. Und dementsprechend wirkt die poetische Klammer des ganzen, die Endstation Sehnsucht leicht aufgesetzt - kein Wunder, wenn man aus der Theatergeschichte erfährt, dass der Autor lange in Verlegenheit war, wie er das Stück nennen sollte. Die Streetcar named Desire war da also wohl nicht die Seele des Plans, sondern nur die nachträgliche gefällige Verpackung. Es wird ja dem Publikum, wenn wir es uns nur eingestehen, nicht ganz klar, was denn Blanche nach dem Scheitern sämtlicher Lebenspläne noch ersehnen könnte, oder was das Ehepaar Kowalski noch ersehnt, außer dem raschen Abgang der Schwägerin, damit die Pokerrunden wieder ohne Störungen ablaufen können ...

Wäre es verwunderlich, wenn eine so klar fokussierte Aufführung, die die des Hamburger St. Pauli-Theaters den modernen Klassiker eher entzaubert als in der Gültigkeit seiner Wertschätzung bestätigt? Ganz abgesehen davon, dass man seine genialen Bühnenfiguren auch ganz einfach als Person gewordene Vorurteile auffassen könnte, die nichts dazu beitragen, altjüngferlichen Lehrerinnen oder rüden Polacken mit mehr Verständnis zu begegnen. Die vielen anwesenden Lehrer im Publikum – von Polacken wird man das ja nicht erwarten - nahmen aber jedenfalls keinen Anstoß daran ...

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