Kasimir und Karoline: Ödön von Horváth. Rez.: I. Reichel

 

 

 

 

 

 

Ingrid Reichel
SUPER KRISENSTIMMUNG!

 

 

 

KASIMIR UND KAROLINE
Ödön von Horváth

Volksstück
Landestheater NÖ, großes Haus
Premiere: 05.12.09
Dauer: 1 Stunde 55 Minuten inkl. Pause
Regie: Thomas Richter
Dramaturgie: Rupert Klima
Bühne: Christian Weißenberger
Kostüme: Katharina Polheim
Mit:
Roland Düringer, Julia Schranz,
Hannes Gastinger, Helmut Wiesinger
Klaus Haberl, Oliver Rosskopf,
Dietrich Siegl, Antje Hochholdinger,
Katharina von Harsdorf, Anna Maria Eder,
Christine Jirku, Jürgen Weisert

 

 

Es ist unter der Leitung von Isabella Suppanz Tradition im Landestheater NÖ geworden, Zeitgeschehnisse, die uns alle betreffen, wie selbstverständlich in das Programm zu integrieren. Es ist Isabella Suppanz Gespür für Theater und sein Publikum, das sie wie ein Seismograph arbeiten lässt. Mittlerweile ist das kleine Theater des größten Bundeslandes zu einem ganzösterreichischen Insidertipp geworden. Hier in St. Pölten geht man nicht mehr ins Theater, um gesehen zu werden, sondern, um etwas zu sehen! Und dies ist eine Erfolgsstory par excellence …

 

Mit Ödön von Horváths Volksstück „Kasimir und Karoline“ steht die Weltwirtschaftskrise auf der Bühne. Das Stück welches im November 1932 im Schauspielhaus Leipzig unter dem Untertitel „Ein Abend auf dem Oktoberfest“ uraufgeführt wurde und welches von der Zeit der Weltwirtschaftskrise von 1929 in Deutschland handelt, hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt.

 

Kasimir hat seine Stellung als Chauffeur verloren. Seine Verlobte Karoline aus besserem Hause will sich jedoch auf dem Oktoberfest amüsieren und träumt von einer besseren Zukunft. Der Zeppelin, der über das Gelände fliegt, als Zeichen von Hoffnung und Weiterentwicklung, wird Auslöser zum Streit, der schließlich zum Bruch der Beziehung führt.

„Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wäre man nie dabei gewesen.“, sagt Karoline zu Kasimir als sie nach ihren Eskapaden reumütige zurückkehren will. Doch da ist es bereits zu spät, denn für in Not Geratene gibt es kein Zurück.

 

Plausibel wird in dem Stück die Konsequenzen der Arbeitslosigkeit vorgeführt: Das angeknackste Selbstwertgefühl und die eigene Ausweglosigkeit in der Wirtschaftskrise, die beide in der Kombination schließlich zur Kriminalität führen.

 

Während Kasimir und Karoline mitten im Biergetümmel sich ihrer Probleme bewusst werden, treiben sich noch andere Gestalten herum. Da wäre der Merkl Franz, er ist berühmt berüchtigt, und ist auch schon mal wegen Diebstahls gesessen. Gespielt wird er von Dietrich Siegl, bekannt aus dem Film „Erdsegen“. Zurzeit ist er in den Fernsehserien „Um Himmels willen“ und SOKO-Donau zu sehen. Der Merkl behandelt außerdem die Frauen schlecht, ganz speziell seine Erna, die er zum Diebstahl anstiftet. Ensemblemitglied Antje Hochholdinger spielt die Rolle der Erna überzeugend. Die Figur der Erna steht repräsentativ für alle Frauen, die sich von einem Mann demütigen lassen, weil sie finanziell von ihm abhängig geworden sind. In Kasimir sieht Merkl ein leichtes Opfer seiner betrügerischen Machenschaften. Er soll Schmiere mit Erna stehen, während er Autos aufknackt. Schlussendlich wird Merkl selbst zum Opfer.

 

Nebenbei laufen dem Protagonistenpaar Kasimir und Karoline immer wieder zwei lebenshungrige junge Mädel über den Weg: Katharina von Harsdorf als Elli und Anna Maria Eder als Maria. Sie sind ebenfalls auf der Suche nach etwas Glück, ein Glück der Bescheidenheit, in Form eines Mannes mit etwas Geld, der ihnen etwas Vergnügen gönnt, sie tröstet und ablenkt.

Auf wen könnten Frauen auf einem Oktoberfest stoßen, um diesem Glück zu begegnen, wenn nicht auf Männer mit Ehre, die mal so richtig einen drauf machen und in dieser Situation Frauen für einen Moment der Verjüngung missbrauchen. Da wären also die übertakelten, feinen Herren der Gesellschaft, wie der Landesgerichtshofsdirektor Speer und der Kommerzienrat Rauch, die so richtig schön voll durchs Oktoberfest rauschen. Ensemblemitglied Helmut Wiesinger als Speer und Hannes Gastinger als Rauch haben sich in diesen Rollen der vertrockneten, schleimigen, korrupten reichen Mannskerle selbst übertroffen. Oder die andere Variante Mann, der schüchtern sich anbiedernde Schmalspurverdiener Schürzinger, der in seinem Beruf als Zuschneider schon bald zum Aufschneider avanciert. In der Rolle des Intriganten setzt Ensemblemitglied Oliver Rosskopf seinen zu Untreue neigenden Chef Rauch gehörig unter Druck. Horváth zeigt große Sensibilität für gesellschaftliche Konstellationen, die ins Absurde gehen. Natürlich wird Schürzinger, wie schon sein Name verrät, Karoline im fliegenden Wechsel bekommen, bildet doch seine selbstgerechte Art eines Niemands die ideale Symbiose zur am Tiefpunkt angelangten Karoline. Ist der Job einmal weg, schwindet die Liebe im Handumdrehen. „Ohne Geld ist man der letzte Dreck.“ (Kasimir). Bei einem Volksfest dürfen natürlich auch Jahrmarktsattraktionen, wie eine nicht wieder erkennbare Christine Jirku als singende Affenfrau und Klaus Haberl als Ausrufer, sowie Eisverkäufer und Kellner, alles in einem von Jürgen Weisert gespielt, nicht fehlen. Als Bühnenbild diente ein schmuckloser mannshoher Holzzaun. Die Absperrung zum Oktoberfest als Grenze nach draußen oder drinnen ist wunderbar minimalistisch angelegt. Ein facettenreich auslegbares Bühnenbild von Christian Weißenberger.

 

Bleibt nur mehr etwas über die beiden Hauptdarsteller zu sagen. Das Ensemblemitglied des Landestheaters NÖ Julia Schranz hat die sich vom Leben mehr erwartende und etwas desorientierte und verwöhnte Karoline hervorragend gemimt. Star des Abends war allerdings Roland Düringer. Der Kabarettist, der immer wieder durch Filmrollen wie in „Hinterholz 8“ und zuletzt in Stefan Slupetzkys Krimiverfilmung „Der Fall des Lemming“ sein schauspielerisches Talent zeigte, überzeugt nun in dieser schwierigen Rolle des arbeitslos gewordenen und damit sinnentfremdeten Kasimirs auch auf der Bühne.

 

Ein herausragender Theaterabend mit einem hervorragenden Stück, inszeniert vom Ensemblemitglied Thomas Richter, dramaturgisch umgesetzt von Rupert Klima und dargestellt von einem gut konstellierten Schauspielteam.

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