Malina: Ingeborg Bachmann. Rez.: Alois Eder
Alois Eder
LITERATUR IM AUFWIND
MALINA
Ingeborg Bachmann
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Bühnenversion Malina
Gastspiel des Schauspielhauses Bochum
am NÖ. Landestheater St. Pölten
28.10.06, 19.30 Uhr
Bearbeitet und gespielt von Ulli Maier
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Literaturverfilmung Malina
Cinema Paradiso
29.10.06, 15 und 17.30 Uhr
D/Ö 1990
Regie: Werner Schroeter
Drehbuch: Elfriede Jelinek nach I. Bachmann 17.10.1973
Darsteller: Isabelle Huppert, Mathieu Carrière, Can Togay…
125 Min.
Seltsame Begegnung der dritten Art beim Blätterwirbel-Literaturfestival: eine Bühnen- und eine Filmfassung des einzigen fertig gestellten Romans jener Autorin, deren Achtziger man 33 Jahre nach ihrem Tod mit der Ausstellung Schreiben gegen den Krieg im Stadtmuseum und der ihr gewidmeten Allerheiligen-Literaturtagung des Instituts für Österreichkunde im Bildungshaus St. Hippolyt. Es charakterisiert die Top-Position des St. Pöltner Cinema Paradiso unter den europäischen Programmkinos, zu der man unter einem gratulieren kann ("Europa Cinemas Award 2006"), dass auch diese vermeintliche Mehrgeleisigkeit beim Publikum gut angekommen ist.
Und das, obwohl der Roman Malina selber für etliche seltsame Begegnungen gut ist, auch wenn das Personenverzeichnis nur den Erotiker Iwan, den Versorger-Typ Malina und das weibliche ich ausweist (Zeit: Heute - also wohl 1971 - Ort: Wien), vom dem Vater gewidmeten und bis zu den Friedhöfen der Töchter am Seeufer führenden Traumkapitel. Dass dem Leser in diesem Band des Todesarten-Zyklus jeglicher Boden einer verlässlichen Verortung oder Chronologie unter den Füßen weggezogen wird, ermöglicht natürlich mehr als nur zwei voneinander unabhängige, oder, wenn man Ulli Maiers Postkolloquium trauen darf, sogar gegeneinander gerichtete Interpretationen.
Elfriede Jelineks Filmdrehbuch (Leseausgabe bei Suhrkamp) muss natürlich um etliches färbiger sein als der virtuose Bühnenmonolog der Erfolgsmimin. Wo die nachmalige Nobelpreisträgerin das Misstrauen der Autorin gegen Liebesbeziehungen aus feministischen Gründen teilt und damit eigentlich den linearen Weg bis zum Verschwinden der Erzählerin in einer Verputzspalte (Es war Mord) nachzeichnen kann - Malina als Überlebender leugnet dann ihre Existenz - , lebt der Bühnenmonolog von den aus dem ganzen Konvolut ausgewählten Formulierungen der Bachmann und stellt daher, sofern man nicht sofort im Roman nachschlägt, eine größere Herausforderung für das Gedächtnis dar.
Dass der Film solchermaßen stärker auf eigenen Beinen steht, möglicherweise aber auch das Bedeutungsganze notwendigerweise verkürzt, bemerkt man erst, wenn man so divergente Interpretationen kennen lernt wie jene, die den Roman als große Racheaktion der Autorin an Partnern wie Hans Weigel oder Max Frisch liest (beide haben sich mit Mein Name sei Gantenbein und Montauk einer- oder der Unvollendeten Symphonie anderseits schon im Vorhinein machomäßig bezahlt gemacht) oder jene, die in der Figur Malinas nur sozusagen einen abgespaltene maskulinen Jung'schen Animus der Erzählerin erblickt, von der anagrammatischen Ableitung des Romantitels aus Animal einmal ganz zu schweigen. Und wenn dann noch die private Vergangenheitsbewältigung der Bachmann mit im Spiel wäre, haben wir es mit einem Vielfach-Umspringbild zu tun, das dem Leser allzu viel Freiheit lässt, sodass man beide Bearbeitungen als Konzentration auf weit weniger Varianten begrüßen kann. Eventuell ganz mit demselben Argument, mit denen kürzlich auf der Landhausbrücke-Vernissage Eva Rieblers Acryl-Zyklus Figuren werfen von Edith-Bilek-Czerny gelobt worden ist: Die reich verstreuten Konturen auf den Bildern geben dem Betrachter die Freiheit zu mehrfachem Neuansatz wie der Schattenwurf bei diversem Lichteinfall oder der je neue Faltenwurf komplizierter Roben in der alltäglichen Optik.
Die Geworfenheit des Rezipienten in die Freiheit eigener Sinnkonstrukte würde nicht zuletzt auch der Philosophin Bachmann und ihrer Dissertation über Martin Heidegger huldigen. Hoffentlich hat das dankbare landeshauptstädtische Literaturpublikum noch öfter die Gelegenheit zu solchen Erkundungen...