Was ihr wollt: William Shakespeare. Rez. I. Reichel

Ingrid Reichel
WAS, IHR WOLLT SHAKESPEARE GEFÄLLIG?

 

 WAS IHR WOLLT

Komödie von William Shakespeare
Übersetzt und bearbeitet von Christian Quadflieg
Landestheater NÖ, Großes Haus
Premiere: 11.10.08, 19.30 Uhr
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten inklusive Pause
Pause nach 1 Stunde 15 Minuten
Regie: Johannes Gleim
Bühne und Kostüme: Daniela Juckel
Mit Philipp Brammer, Roland Düringer, Hannes Gastinger,
Klaus Haberl, Antje Hochholdinger, Christine Jirku,
Karin Yoko Jochum, Thomas Richter, Oliver Rosskopf,
Julia Schranz, Othmar Schratt, Hendrik Winkler

Das Landestheater NÖ startet die neue Saison mit „Was ihr wollt“.
„Twelfth Night“, so der Originaltitel, war zu Shakespeares Zeiten der Beginn des Karnevals, die Zeit der Narren. Es ist die 12. Nacht nach der Weihnacht, also der Dreikönigstag. In England und Frankreich feiert man heute noch diesen Tag mit einem Kuchen, darin eingebacken sich eine Bohne als symbolische Figur des Jesuskindes befindet. Derjenige, der das Stück Kuchen mit der Bohne ergattert, darf an diesem Tag, die zum Kuchen mitgelieferte Pappkrone tragen. So die überlieferte Tradition… und wieder ist es, wie so oft in Shakespeares Stücken, dass nichts ist, wie es erscheint… der Weise wird zum Narren und der Narr zum Weisen…
„What you will“, „Was ihr wollt“, so der Untertitel, drückt eben diese Entscheidungsmöglichkeit aus. Und die Entscheidung liegt, beim User, wie man heute sagt, also beim Benutzer, beim Anwender, letztendlich also beim Publikum. Wollt ihr die Komödie? Dann seht ihr die Tragödie. Sucht ihr die Frau, dann findet den Mann. Beklagt ihr den Tod, so beweint ihr das Leben. Shakespeares Spiel ließe sich endlos fortsetzen, doch die Erkenntnis bliebe schlussendlich die gleiche: Egal was Ihr wollt, das Leben spielt seinesgleichen.

 

Und so kommt es nicht von ungefähr, dass ein ungleich geschlechtliches Zwillingspärchen, dass sich wie ein Ei dem anderen gleicht, an der Illyrischen Küste Schiffbruch erleidet, unabhängig von einander strandet und jeweils den anderen für ertrunken hält. Es ist eher unwahrscheinlich, dass mit dem Ort des Geschehens die einstige römische Provinz gemeint ist, als vielmehr die Welt der Illusionen, vielleicht auch der Idylle oder gar der Lyrik… eben, was ihr wollt, sucht es euch aus.

 

In ihrer Not und Trauer beschließt Viola, der weibliche Part der Zwillinge, ihr neues Dasein als Knabe weiterzuführen. Als Cesario tritt sie in die Dienste des Herzogs Orsino ein, der in die Gräfin Olivia verliebt ist und die aber wegen ihrer unermesslichen Trauer an ihrem Bruder der Männerwelt abgeschworen hat. Cesario wird als Liebesbote von Orsino eingesetzt, Olivia verliebt sich jedoch in Cesario und Viola, die Cesario ist, verliebt sich in Orsino. Erst als Sebastian, der Zwillingsbruder erscheint, bekommt alles wieder seine Ordnung. Die Zwillinge sind wieder eins, Olivia heiratet Sebastian und Viola bekommt Orsino.
Die possenhafte Nebenhandlung des Stückes ist nicht weniger komplex und durchtrieben intrigant. Da gibt es den aufgeblasenen Gutsverwalter der Gräfin Olivia mit dem sinnigen Namen Malvolio, der um die Gunst seiner Herrin eifert und durch einen fingierten Brief von Maria, ihrem Kammermädchen mit Hilfe Sir Tobias Rülps, ein Trunkenbold und Cousin der Ladyschaft (Sir Toby Belch) und dessen Freund Sir Andreas Bleichenwang (Sir Andrew Aguecheek) in seinem Hochmut zu Fall gebracht wird. Soviel zum Inhalt des Stückes.

 

Der 1978 in Bremen geborene Regisseur Johannes Gleim ist in St. Pölten kein Unbekannter. 2007 inszenierte er mit der Bühnenbildnerin Daniela Juckel zwei Stücke am Landestheater – „Das Käthchen von Heilbronn“ und „Woyzeck“. Im selben Jahr gewann er mit ihr den Europäischen Opernregie-Preis.

 

Trotz Freude Shakespeare in St. Pölten zu sehen und trotz viel versprechender Kritiken für gute Regie und Bühnenbild enttäuscht die Inszenierung… much ado about nothing beschleicht mein Gemüt.

 

Da wäre zuerst Daniela Juckl mit einem scheinbar einfallreichen minimalistischen Bühnenbild. Ein riesiger Kubus in Form der Kaaba steht inmitten der Drehbühne. Auf der einen Seite ist er mit Efeu behangen und stellt das Haus der Gräfin dar, auf der anderen Seite ist er mit einer Fototapete beklebt und zeigt das Meer und den Strand – die Illyrische Küste. Türen ermöglichen Zu- und Abgang, sowie zwei Swimmingpool-Leitern, die den Kubus vorn und hinten nach oben begehbar und somit für jede Szene zu einer idealen Bühne machen. Scheinbar. Denn der Kubus erweist sich bei näherer Betrachtung als behäbiger, zu Bühnen füllender Klotz in diesem doch luftigen Verwechslungsspiel. Zu groß der Klotz, zu klein das Theater, was ihr wollt.

 

Johannes Gleim hingegen bleibt in einer Theatralik der 60er Jahre stecken. Die wenigen progressiven Einlagen können nicht über eine zu konservative Regie hinwegtäuschen. Mehr oder weniger lange Gesangseinlagen verstärken den Eindruck der Langatmigkeit. Elvis Presley, die Internationale, Madonna und das Proletariat sowie die Puritaner mögen zwar in aller Ewigkeit ihr Bestehen haben, helfen dem Stück jedoch nicht zu seiner angemessenen Modernität.
Wie weit wohl die Übersetzung und Bearbeitung von Christian Quadflieg dafür verantwortlich sind?

 

Interessant ist es über die vom Regisseur empfundene Notwendigkeit zweier Nacktszenen zu reflektieren, nämlich die Verwandlungsszene der Viola zu Cesario und Orsinos Austreten aus der Badewanne. Gerade weil die Nacktheit beim Ankleiden und Baden ein Natürliches und Selbstverständliches ist, scheint sie in diesen zwei Szenen seltsam aufgedrängt und daher befremdend.

Zu Shakespeares Zeiten spielten Männer auch die weiblichen Rollen. Die Ironie in diesem Stück ist also die doppelte Darstellung, einerseits der Frau und andererseits derselben Frau, die sich als Mann verkleidet. Diese Pointe fehlt natürlich in unserer Zeit und kann durch die plumpe zur Schaustellung, dass Frau doch Frau ist nicht ersetzt werden.

Orsino badet in seinem Gefühl der nicht erfüllten Liebe in einer Badewanne direkt am Strand. Er ist verzweifelt und Verzweiflung macht verschlossen. Er ist verschlossen anderen Reizen gegenüber und erkennt nicht, dass der Knabe, der ihm den Rücken schrubbt eine Mädchen ist, welches sich nach ihm verzehrt. Wäre Orsino also völlig bekleidet aus der mit Wasser gefüllten Badewanne gestiegen, hätte sich also die Tragweite seiner Gefühle um Vielfaches gesteigert. So aber steht er nackt auf der Bühne, der arme Tor und ist so klug wie nie zuvor.

 

Obwohl Gleims Interpretation eindeutig auf die zeitgenössische Gender Politik zielt, dass Mann und Frau nur gemeinsam eins ergeben und Mann und Frau in ihrer Ungleichheit gleichwertig sind, bewirkt er demonstrativ nicht nur in diesen Szenen, sondern auch in einer weiteren Szene das Gegenteil.

 

So wäre auch die Rolle der Gräfin Olivia zu überdenken. Obwohl Olivia durch ihre lange Trauer mit einem Schleier immer bedeckt die Verschlossene ist, bekundet sie mutig ihre Liebe zu Cesario, der diese Liebe nicht erwidert. In dieser Offenheit entblößt sie sich selbst und macht sich zum Narren, weshalb sie auch den Hofnarren entlässt, denn zwei Narren wären doch einer zuviel. Dennoch wird hier eine weiterhin eher zugeknöpfte Olivia präsentiert, die nach langjähriger sexueller Entsagungen tatsächlich, quasi über Nacht zu einer fickrigen Lady mutiert. In dieser Interpretation wird im Übrigen diese zappelige Geilheit der Olivia von Antje Hochholdinger sehr glaubwürdig dargestellt. Gerade aber dieser seelischen Entblößung einer nicht erwiderten Liebeserklärung wäre doch die Nacktheit zugeschrieben. Ihre schmachtende Sehnsucht nach fleischlicher Einigung hätte besser durch Entkleidung und Onanie gezeigt werden können, als durch sexuell angedeutete tätliche Übergriffe an den heiß begehrten und geliebten Cesario. Schließlich aber entscheidet nicht nackte Haut über die Modernität eines Stückes.
Es scheint als habe Johannes Gleim Angst vor seinen eigenen Ideen und deren Umsetzung.
Oder Angst vor dem Publikum. Was ihr wollt, ist gefallen… oder… Was, ihr wollt gefallen…, die Entscheidung bleibt letztlich bei einem selbst.

 

Nichts desto trotz haben das gesamte Ensemble des Theaters und seine Gäste ihr Bestes gegeben.

Julia Schranz als androgynes Wesen, pendelnd zwischen männlichen und weiblichen Gefühlen als Viola und Cesario; irritierend Antje Hocholdinger als einerseits verschlossene Trauernde und andererseits, wie bereits erwähnt, gamsige Lady; herausragend Hannes Gastinger, der gekonnt Malvolios geheimen Gelüste veräußerlichte und vom Puritanismus zum Wahnsinn fand und schließlich die intrigante dreier Bande: Karin Yoko Jochum, als intrigierende Kammerzofe, Oliver Rosskopf als verschmähter bleichgesichtige Liebhaber und sein rülpsender Freund Sir Toby, gespielt von Roland Düringer himself. In den Nebenrollen Klaus Haberl als Valentin, Diener am Hofe Orsinos; Philipp Brammer als Antonio, Matrose und Retter Sebastians; Othmar Schratt als der Kapitän und Freund Violas und natürlich nicht zu vergessen Christine Jirku als Hofnarr Feste.
Eine wenig tragende Rolle bekamen die Hauptfiguren des Stückes Thomas Richter als Herzog Orsino und Hendrik Winkler als Zwillingsbruder Sebastian.

 

Finally, das Publikum bekundete as you like it and it was very amused und danket mit langem Applaus und lauten Zurufen.
Möge sich trotz meiner Kritik das Haus weiterhin so voll füllen, wie an diesem Abend… und bleiben sie mit Shakespeare in love!

 

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