Woyzeck: Georg Büchner. Rez.: E. Riebler
Eva Riebler
DER GROSSE VERLIERER
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WOYZECK
Georg Büchner
Dramenfragment
Werkstattbühne
NÖ Landestheater
Premiere: 13.01.07
Regie: Johannes Gleim
Woyzeck von Georg Büchner ist eines der meist gelesenen und gespielten Werke dramatischer Weltliteratur des 19. Jahrhunderts. Das Stück führt die Szenentechnik des Sturm und Drang-Theaters weiter und begründet u. a. die neue Darstellung von form- und themengeschichtlichen Traditionszusammenhängen. Nicht nur Alban Berg wurde zu einer Oper angeregt, vor allem Bert Brecht, Max Frisch oder vor ihnen G. Hauptmann, f. Wedekind und G. Heym, Rilke und Hofmannsthal sahen in Büchner ein Vorbild und einen Vorläufer eigener Bestrebungen.
In dieser Aufführung wurde uns durch den Regisseur Johannes Gleim und die schauspielerische Leistung des gesamten Ensembles klar vor Augen geführt, dass die Figur des Woyzeck ein Getriebener sein muss, der der Geringste in der sozialen Hierarchie ist. Thomas Mraz glänzte vor wenigen Wochen noch als phlegmatischer Butler und nun legt er los, was das Zeug hält, prustet und pustet, hastet und hetzt, mit einem Satz: Er verkörpert tatsächlich den schwer darstellbaren Prozess der Selbstentfremdung. Glaubhaft bringt er den intermittierenden Wahnsinn auf die karge Bühne.
Besonders erfreulich ist das schauspielerische Ergebnis, hat man doch als Vergleich Klaus Kinski in der Rolle als Woyzeck vor Augen.
Vielleicht weniger überzeugend, da etwas spröde, spielte Antje Hochholdinger die Marie. Mehr weibliche Zeichnung der Figur hätte dem Selbstverständnis gut getan. Das zarte, kleine Krallen der Finger beim Ausspruch „eine Brust wie ein Löw`“ oder das dreimalige „Rühr mich an“ wirkten fast wie ein Hänger.
Philipp Scholze als Andres ließ in der Eingangsszene unbeteiligte Steifheit vermuten, konnte dies jedoch durch seine weitere schauspielerische Leistung mehr als wettmachen.
Bei Helmut Wiesinger erkennt man ja von der ersten Sekunde an den Vollblutschauspieler und man ist jedes Mal gespannt, wie viel man von ihm selber in der Rolle erahnt. Er war ganz der Hauptmann und ganz er selber – einfach wunderbar.
Beim Kostüm des Doktors stutzte man und überlegte, ob nicht doch der weiße Arztkittel angebracht gewesen wäre. Aber da er ja in erster Linie einen Wissenschaftler, der die unsterblichsten Experimente machen möchte, und keinen Onkel Doktor darstellt, fügte sich das saloppe Gilet passend in das Erscheinungsbild. Othmar Schratt gab einen authentischen Doktor ab.
Thomas Richter als Tambourmajor war weniger als balladesker, brünstiger, behaarter Löwe angelegt, lief jedoch profimäßig zur vollendeten Form des coolen Verführers auf und konnte die richtige Spannung zwischen Nehmen und auf Distanz halten herstellen. Die Sexszene war wie die Prügelszene etwas deftig und effektvoll, aber das wollte die Regie wohl. Die Tragik und die Ernsthaftigkeit des Schicksals des Verlierers Woyzeck wurden dadurch unterstrichen.
Sehr gekonnt war das Ersetzten der Märchen erzählenden Großmutter und des Jahrmarktschreiers mit dem Esel und dem Affen durch die Allroundfigur des Narren. Hier wie bei der Einsparung des Juden als Messerverkäufer erkannte man die positive, einfallsreiche Umsetzung und Zusammenarbeit von Dramaturgie, Regie und Ausstattung. Matthias Lühn meisterte mit diesem Derivat hinter Woyzeck wirklich gekonnt und situationsgerecht die schwierigste schauspielerische Rolle.
Das Ensemble der Werkstattbühne lieferte eine ansprechende und anspruchsvolle Bühnenfassung und erzielte eine plausible Lösung der Interpretation des Büchnerschen Textfragmentes.