Franziska Bauer: Auszeit am Schreibtisch
Franziska Bauer
Auszeit am Schreibtisch - Corona und die Krone der Schöpfung – ein Virus als Denkanstoß
Viel ist schon gesagt und geschrieben worden über die Natur des Menschen, ob er nun gut sei oder schlecht, oder vielleicht beides zugleich, wie es sich gerade ergeben mag. Der Mönch Pelagius hielt den Menschen in seinem inneren Wesen für grundsätzlich gut, Augustinus jedoch sprach ihm die Fähigkeit zum Gutsein ohne die Gnade Gottes rundweg ab. Terry Pratchett lässt in seinen Scheibenwelt-Romanen den Tod bewundernd über den Menschen sagen, dass es beispielsweise keine Gerechtigkeit im Universum gäbe, hätte sie der Mensch nicht kraft seines Vorstellungsvermögens herbei-imaginiert. Stanisław Jerzy Lec nennt den Menschen die Krone der Schöpfung, allerdings mit dem Vorbehalt, dass es eine Dornenkrone sei.
Fest steht, dass der Mensch als Spezies in der Evolution primär deshalb erfolgreich war, weil er die Fähigkeit zur Kooperation hatte. Nichts wäre der Mensch ohne seine Mitmenschen. Von unseren Mitmenschen erfahren wir Hilfe und Unterstützung, wo wir uns nicht selber helfen können. Ohne Solidarität, Nachbarschaftshilfe und Sozialstaat wird das Leben zum angstbesetzten Hochseilakt. Daran ändert auch das neoliberale Pseudoaxiom von der ausschließlichen Verantwortung des Einzelnen für sich selbst nichts. Natürlich sind Individuen für ihr ureigenstes Tun selbst verantwortlich, aber ohne gesellschaftlichen Konsens und ein tragfähiges soziales Netz gibt es Chancengleichheit nicht einmal ansatzweise. Der Mensch ist und bleibt ein Gemeinschaftswesen, unsere Rettung liegt – neben unserer Findigkeit – nicht in Gewinnmaximierung, wie es uns der Neoliberalismus suggerieren will, sondern im gegenseitigen Erbarmen und im sozialen Zusammenhalt.
Das bringt uns momentan die von dem Virus Covid-19 ausgelöste Lungenkrankheit mehr als deutlich ins Bewusstsein, auch ins Bewusstsein derer, die unsere soziale Verantwortung verleugnet, verdrängt oder vergessen haben. Im Dezember 2019 begann Dr. Li Wenliang aus Wuhan wegen der neuartigen Krankheit Alarm zu schlagen, wurde von den chinesischen Machthabern vorübergehend zum Schweigen gebracht und erlag schließlich selbst dem Coronavirus. Exponentielle Kurven lassen sich aber nicht durch Realitätsverweigerung beeinflussen: Hochansteckend, wie es offenbar ist, wurde das Virus durch diverse Reisebewegungen rasch über den ganzen Erdball verschleppt. Im März wurde Italien zur Sperrzone erklärt, und die WHO erklärte die Seuche zur Pandemie. Nach einer kurzen Schreckensphase wurde man sich darüber klar, dass es künftig gilt, den Anstieg der exponentiellen Kurve so weit abzuflachen, dass die Zahl der Neuinfektionen die Gesundheitsversorgung der betroffenen Länder nicht zum Kollabieren bringt. Verläuft bei Jungen und Gesunden die Krankheit fast symptomlos, so fordert sie bei Vorerkrankten, Immunschwachen und Alten einen unerbittlichen Todeszoll, wenn nicht die notwendigen Intensivbetten zur Verfügung stehen. Man muss also einen zwar winzig kleinen, aber höchst gefährlichen und mächtigen Feind in Schach halten, und dazu bedarf es eines globalen Schulterschlusses. Und, siehe da, der Schulterschluss scheint zu gelingen.
Hiezulande reagiert die nach langwierigen Koalitionsverhandlungen noch nicht lange im Amt befindliche türkis-grüne Bundesregierung prompt und entschlossen, und die Bevölkerung trägt die durchaus einschneidenden Maßnahmen, wie es scheint, solidarisch mit. Na also, meinen viele, es geht ja. Und fragen weiter: Wieso geht es beim Coronavirus, und bei anderen drängenden Problemen wie Klimakrise, Plastikflut und Wegwerfwahn geht es nicht?
Nun heißt es ja, das Hemd stünde einem näher als der Rock, besonders, wenn es das eigene Hemd und der Rock von jemandem ist, der vielleicht weit weg ist und den man gar nicht persönlich kennt. Covid-19 aber berührt und bedroht uns unmittelbar, jeden und jede von uns, da fällt es uns offenbar leichter, solidarisch zu denken und zu handeln. Paradoxerweise führt die durch das Coronavirus erzwungene Entschleunigung zu messbar besserer Luftqualität, da bedeutend weniger Autos unterwegs sind und auch der Flugverkehr drastisch abnimmt. Der teils staatlich verordnete, teils aus Vernunftgründen selbstauferlegte Hausarrest führt dazu, dass man (sofern man nicht mit dem Aufrechterhalten der Grundbedürfnisse in Handel und Gesundheitswesen, da auswärts unentbehrlich, vermehrten Belastungen ausgesetzt ist) dem Hamsterrad vorübergehend entkommt und wieder zu sich selber findet. So wird uns ein Virus zum Denkanstoß, die Auszeit am Schreibtisch eröffnet uns neue Aus- und Einsichten. Der deutsche Trend- und Zukunfstforscher Matthias Horx sieht im Coronavirus nicht von ungefähr ein großes sozialevolutionäres Experiment, eine Übung in globaler Resilienz und Zusammenarbeit. Mag es auch nur aus kooperativem Egoismus geschehen und nicht aus reiner Selbstlosigkeit, zielführend ist es allemal.
Der Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Žižek sieht in der Lektion, die Covid-19 uns gerade erteilt, gar eine philosophische Revolution, nach der der Mensch nicht mehr derselbe sein wird.
Ob das stimmt, wird die Zeit weisen. Der österreichische Finanzminister mit den türkisen Socken jedenfalls scheint schon Wirkung zu zeigen: Er rüttelte für das laufende Finanzjahr an einem der Dogmen gläubiger Neoliberaler, am Nulldefizit, indem er sagte, dieses Budget werde keines sein, wo man von einem ausgeglichenen Haushalt sprechen könne. Es werde vielmehr ein Budget sein, welches die bittere Wahrheit der Krise in Zahlen abbilden wird.
Fahren wir nun mit einigen Ratschlägen zur Alltagsbewältigung in Covid-19-Zeiten fort, wie sie der Kölner Arzt Dr.Oliver Gralla in einer Videobotschaft formulierte:
1) Covid-19 verbreitet sich am effektivsten durch Tröpfcheninfektion. Deshalb gilt: Nicht anhusten lassen! Wenn im Öffi jemand hustet oder niest, einige Meter weggehen und dabei die Luft anhalten, damit man das Virus nicht einatmet.
2) Händewaschen nicht vergessen! Besondere Sorgfalt ist beim Waschen der Fingerkuppen angesagt, es sind die Fingerkuppen, die das Virus ins Gesicht bringen, deshalb auch die Fingernägel kürzen, unter denen sich das Virus verstecken kann.
3) Kein Händeschütteln! Man kann sich auch durch Zuwinken oder Zunicken begrüßen.
4) Womöglich nicht ins Gesicht greifen – und die Ursachen dazu beseitigen: Wenn die Brille rutscht und ständig zurecht gerückt werden muss, ein Brillenband tragen, lange Haare, die im Gesicht kitzeln, zum Zopf binden, trockene juckende Haut eincremen, gegen juckende Augen Tropfen verwenden!
5) Nicht von gemeinsamen Gläsern trinken, sein eigenes Besteck benützen, niemanden von seinen Happen abbeißen lassen!
6) Das körpereigene Immunsystem stärken, indem man
6.1. einen etwaigen Vitamin-D-Mangel dadurch beseitigt, dass man häufiger fetten Seefisch isst oder entsprechende Vitaminpräparate einnimmt
6.2. Selen verhindert, wie Studien belegen, bei Pneumonie die drohende Sepsis.
6.3. Auch Zink stärkt das körpereigene Immunsystem.
7) Das sogenannte Mikrobiom – also die „gesunden“ Bakterien, die unseren Körper besiedeln, kann man stärken, indem man fermentierte Lebensmittel – wie beispielsweise Sauerkraut, Misosuppe, Kimchi und Kombuchatee – zu sich nimmt.
8) Sozialkontakte einschränken: Risikogruppen, das sind Vorerkrankte und über Sechzigjährige, sollen am besten zu Hause bleiben! Das gilt natürlich auch für diejenigen, die den Verdacht hegen oder gar die Gewissheit haben, das Virus schon in sich zu tragen.
Wie lange uns Covid-19 noch beschäftigen wird, ist noch nicht mit Gewissheit voraussagbar. Der Berliner Virologe Dr. Christian Drosten, der täglich einen Podcast auf NDR gestaltet, vermutet einen Höhepunkt im Juli und August 2020 und ein Persistieren der Pandemie bis über den Winter. Allerdings dürfte bis dorthin auch ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung stehen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, wie es so schön heißt.
Großhöflein, am 14.3.2020