Jour Fixe im Dez. 2020 online zum Thema "WiLD, wild, wild" von Gudrun Breyer, Elfriede Starkl, Milena Orlando
GUDRUN BREYER
Thema: Wild, wild, wild und nochmals wild
Pandemische Nikoläuse und sonstige Hirngespinste (Gudrun Breyer)
- Heuer nicht, sagt er. Schade schon, aber das lässt sich alles nachholen.
- Das ist das Gute daran, sagt sie.
- Gut, sagt er, blickt kurz vom Handydisplay auf und tippt dann weiter.
- Ich geh nicht, sagt sie.
- So, sagt er.
Seine Augen bewegen sich in kurzen Intervallen hin und her. Wie Scheibenwischer fast, denkt sie. Aber die bleiben nicht hängen. Nicht mehr, seit der Mechaniker sie bei jedem Service wechselt. Eine Latte Geld macht das am Ende aus. Am Ende eines Autolebens oder ihres Lebens und das des Mechanikers sowieso.
Sie reiht die Lebensmittel aus der Tragetasche auf dem Esstisch auf. Mandarinen, Erdnüsse, Datteln und Feigen, Dominosteinlebkuchen.
- Rote Äpfel hab ich keine bekommen, sagt sie. Bei uns daheim gab´s immer welche. Krampusapferl. Dunkelrot und herzförmig.
- So, sagt er und zieht mit Daumen und Zeigefinger etwas auf dem Display größer.
- Nimm dir die Brille, sagt sie.
Er schaut auf, besieht sich den Einkauf.
- Die Äpfel fehlen, sagt er. Ohne Äpfel riecht es nicht nach Advent. Und Schokolade. Was ist mit der Schokolade?
Sie holt einen Marzipankrampus aus der Tasche. Es folgt ein großer Schokolade-Nikolaus mit rotem Mantel und langem weißen Bart und ein kleinerer mit goldenem Gewand. Dann noch ein ganz kleiner in Lila.
- Eigentlich sind die schlecht, sagt sie.
- Und deshalb hast du lauter verschiedene gekauft?, fragt er.
- Weil ich nicht eine Firma derart unterstützen will, sagt sie.
- Die Kinder werden sich streiten, sagt er.
- Meinst du?, fragt sie.
- Tun sie sowieso, sagt er.
- Aber heuer…, sagt sie.
- Sie streiten immer, sagt er.
- Sie gehen auch nicht, sagt sie.
- Natürlich gehen sie, sagt er. Bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, sonst werden sie nicht fortgehen können oder Ski fahren oder arbeiten.
- Glaubst du, dass sie wirklich so schlecht sind?, fragt sie.
- Unsere Kinder schlecht?
Er lacht und legt das Handy auf den Sessel neben sich. Desinteressiert vielleicht, weil wir ihnen alles…
- Die Nikoläuse meine ich, sagt sie und betrachtet den großen Roten. Der ist aus Österreich, das kann doch nicht schaden.
- Weil in Österreich Schokolade wächst, sagt er.
- Kakao, sagt sie. In der Zeitung steht, es liegt am Kakao.
- Nicht am Palmöl?, fragt er.
- Wie kommen die an das Palmöl? Den Kakao ernten Kinder, aber bei den Palmen, ich weiß nicht.
- Jetzt können sie schon nicht in die Schule und zu Freunden und wir verzichten aufs Glühweinausschenken in der Garage und dann zauderst du beim Schokolade kaufen.
- Wenn´s aber ganz groß in den Nachrichten war. Kinderarbeit und Hungerlöhne und Pestizide und so lange Arbeitstage.
- Da will nur wer ein Geschäft machen. Die Nussproduzenten vielleicht oder die Apfellobby, sagt er. Wie mit den Pharmakonzernen ist das. Die sahnen ab und bekriegen sich gegenseitig.
- Deshalb geh ich ja auch nicht, sagt sie. Du kannst dich ja testen lassen, aber nicht mit mir. Und impfen lass ich mich sicher nicht. Schau ich aus wie ein Versuchskaninchen?
Er taxiert sie und grinst.
- Reg dich nicht so auf, sagt er. Wird schon nichts passieren. Nicht mit dem Impfstoff und der Schokolade. Wird Zeit, dass das alles vorbeigeht, Corona und Advent.
- Ich glaub, ich kauf noch mehr von dem da, sagt sie und hält ihm einen Nikolaus entgegen. Auf dem Werbeplakat steht „Gib denen, die von Herzen geben“. Da kann nichts falsch dran sein. Da bekommen die armen Kinder wenigsten etwas zu essen.
- Das ganze süße Zeug, das schadet ihnen bloß!
- Nicht unsere Kinder, sagt sie.
ELFRIEDE STARKL
Das alles überschattenede Thema Covid 19 bremst alles Wilde. ausgenommen das Virus selbst!
Aufbrausendes wird durch den Grünen* gedämpft!
Wir müssen und werden da durch kommen!
Wann war ich zuletzt wild? Beim Schi fahren vor ein paar Jahren. Schnee passte, wenig Leute auf der Piste, Sonnenschein und Tageskarte alles bestens zum Sausen! Ein Glücksgefühl- atemlos-voll Licht und unendlicher Kraft. Die Falllinie hinunter, wild, schnell und doch kontrolliert. Den Fahrtwind genießend und den Herzschlag.
Der Berg und ich eine wilde Liebesgeschichte.
Einmal hat er mich doch abgeworfen, der gläserenen Berg. Ein kapitaler Sturz - Schier, Mütze ( damals noch ohne Sturzhelm) blieben liegen und ich hundert Meter runter geschlittert und endlich in etwas Flacherem Halt gefunden. Wie hart Eis sein kann- und doch, kein Bruch, kein blauer Fleck. Respekt vorm Berg blieb.
Das Wilde hat mir mein Alter genommen. Bin gar nicht traurig darüber. Und falls es unerwartet auftaucht, und ich bereit bin wage ich wieder einen Ritt auf dem Drachen!
*Veltliner
MILENA ORLANDO
wild, wilder, wild und nochmals wild
das Mondlicht leuchtet in goldenen Riffen
die Schritte zögernd, sie werden heller
ein Lächeln liegt auf meinen Lippen
wenn ich bei meinen Nachbarn
an ihren Häusern vorübergehe
eine wilde, wilder und nochmals wilde Lichterschau
blinkt mir ins Auge,
die Fenster und Fassaden in weißen Farbentanz
das Rentier auf staksigen Füßen steht am Rasen
und trieft im gleißenden Glanz
der Kopf gezähmt mit einem Zaumzeug
verrückt, surreal und wild
bis aus mir ein lautes Lachen
auf die Straße fällt
das Rentier ist aus Stroh und Holz
und Zaumzeug braucht es keines,
denn es flüchtet nicht
die zarten Rosen,
im ersten Frost und Blütenstolz in hellen Rot
mit Glitzerstaub aus Reif
von selber glühen
sind eingepfercht an ihren Ranken und Stielen
mit Lichterketten
und Plätze und Pflanzen
die bei Tag zum Verweilen und Balsam für die Seele und
das Auge hold
sind eingezäunt und leuchten
ein wildes Lichter Schloss
es blinkt und glitzert ruhelos
an meinem Auge und am Papier
die Adventzeit ist eine wild, wilder und nochmals wilde Zeit
wo Licht auf Lichter quellen
Corona konnte es nicht stoppen
das Lichtermeer
und brämt meine Seele
nach Ruhe und Beschaulichkeit
es ist das Tor einer wild, wilder und nochmals wilden Zeit