Heil-Froh / Etcetera 88 / Bericht / Art Brut International in Gugging

Ein Beitrag von Gabriele Müller.

Das Museum Gugging in Klosterneuburg zeigt in Kooperation mit dem portugiesischen Centro de Arte Oliva die Sonderausstellung „treger saint silvestre: the art brut collection“.
Bis 11. September 2022 sind 140 Werke von 83 Künstlerinnen und Künstlern aus 30 Ländern aller Kontinente zu sehen. Die älteste Arbeit stammt aus dem Jahr 1930, die jüngste aus 2021.
Die beiden Sammler, der mosambikanische Bildhauer António Saint Silvestre und der aus Zimbabwe stammende Pianist Richard Treger, gründeten 1980 eine Galerie in Paris. Zeitgleich begannen sie Werke der Art Brut und verwandter Stilrichtungen zu sammeln. Seit 2010 konzentrieren sie sich ausschließlich auf ihre Privatsammlung, die inzwischen mehr als 1.500 Werke von um die 350 Künstlern und Künstlerinnen umfasst. Ein wesentliches Merkmal der seit 2014 im Centro de Arte Oliva in São João da Madeira beheimateten Sammlung, ist ihre globale Ausrichtung. Exponate aus Brasilien, Paraguay, Kuba, der Elfenbeinküste, Senegal, Iran und Indien werden in regelmäßig wechselnden Themenausstellungen präsentiert.
Richard Treger und Saint Silvestre ließen sich von Museen mit Schwerpunkt auf der antiakademischen Kunst von Außenseitern beeinflussen. Die Bezeichnung Art Brut geht auf den französischen Maler Jean Dubuffet zurück, der auf die vom deutschen Psychiater Hans Prinzhorn bereits 1920 zusammengestellten Objekte aufmerksam geworden war. Mitte der 1940er Jahre startete Dubuffet seine Suche nach einer neuen Kunst, die befreit von bürgerlichen Zwängen und Prestigedruck sein sollte. Er besuchte Orte, an denen fernab vom damaligen Markt, Kunst produziert wurde. Die „rohe Kunst“ stammte von psychiatrischen Patienten, Kindern, Autodidakten mit kunstfernen Berufen oder verfertigte Volkskunst. Die Arbeiten
der Kinder und der Volkskunst schloss er später wieder aus. International ist heute auch der Begriff der Outsider Art gebräuchlich.
Stars des Genres sind zahlreich vertreten, etwa der in Chicago geborene Henry Darger (1892–1973) und der vielseitige Schweizer Adolf Wölfli (1864–1930). Kunstfreunde kennen auch den Franzosen Fleury–Joseph Crépin (1875–1948) oder den aus Böhmen stammenden Wiener Porzellanmaler Josef Karl Räder (1844–1917). Vertreten ist auch der deutsche Maler Paul Goesch, der 1940 in der NS–Tötungsanstalt Brandenburg ermordet worden ist.
Neben diesen gibt es viel zu entdecken. Michail Paules (1890er–1939) Zeichnungen entstanden in der psychiatrischen Klinik im russischen Saratov und thematisieren Krieg aus dem persönlichen Erleben. Vom Mexikaner Martín Ramírez (1895–1963) stammt eine mit feinen Linien gezeichnete Landschaft mit Reiter, die eindrücklich
zeigt, dass die Malerei „von innen“ nicht unbeeinflusst von der – indogenen – Kultur der Umgebung ist. Johann Korec (1937–2008) gehört zu den Künstlern, die vom Psychiater Leo Navratil (1921–2006), motiviert wurden. Von ihm stammt das 1937 gemalte und ausführlich vom ihm beschriftete Bild zweier nackter Radfahrer. Aktuelleren Datums ist etwa das Werk der 1971 geborenen Laila Bachtiar, die seit 2003 regelmäßig das offene Atelier Gugging besucht.

Die Besucher der Ausstellung erwartet eine Vielzahl an Techniken und Materialien, wie Aquarell, Acryl und Öl, Mischtechniken, Bleistift– und Kugelschreiberzeichnungen oder Collagen. Gezeigt werden Menschen und andere Lebewesen,
emotionale Zustände, historische, religiöse oder amouröse Themen, sowohl in abstrakten wie auch gegenständlichen
Werken. Eine 3m lange Skulptur ist vorort, aus gesammelten Recycling-Materialen bestehend, von Dexter Nyamainasche, mit dem Titel „Vereinigung der afrikanischen Staaten in Anbetracht der Welt“.

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Fleury-Joseph CrÇpin, O.T., 1940, Foto_ courtesy christian berst art brut
Fleury-Joseph CrÇpin, O.T., 1940, Foto_ courtesy christian berst art brut