Künstlerportrait: Robert Weber. Eva Riebler

 

 

 

 

 

 

Robert Weber
KÜNSTLERPORTRAIT

 

Eva Riebler führte das Interview mit dem Künstler des Heftes etcetera Nr. 40 „Viertel“ Robert Weber im Frühjahr 2010.

Lieber Robert, bei deinem Schaffen steht sowohl in der Plastik wie in der Malerei die Figur im Vordergrund. War das immer so?

Neben der Landschaftsmalerei, war mir die Figur immer wichtig. So entstanden auch meine figurativen Landschaften, die reduziert noch immer in meinen Arbeiten vorkommen.

Was interessiert/fesselt dich mehr, die Arbeit mit Metall oder die rasch hingeworfene Skizze?

Die hingeworfene Skizze.

Wieso beschränkst du dich auf die Farben Schwarz und Rot?

Diese Farben verstärken das grafische Element, das ich bevorzuge.

Hast du in deinen Anfängen farbiger agiert?

Nicht nur in meinen Anfängen, auch später habe ich oft kräftige Farben verwendet. Diese jedoch reduziert eingesetzt. Man sieht dies zum Beispiel bei den zwei Bildern mit Bäumen aus der Ausstellung „Von der Landschaft zur Figur“ 1992. Dabei ist mir das grafische Element sehr wichtig. Daraus hat sich auch die Metallskulptur entwickelt. Meine Skulpturen sind eigentlich dreidimensionale Zeichnungen. Es ist mir wichtig, dass die Skulpturen und Bilder eine Handschrift zeigen. Wahrscheinlich auch der Grund, warum ich Schwarz-Weiß arbeite. Rot, meine bevorzugte Farbe, versuche ich nur sparsam einzusetzen. Was mir aber nicht immer gelingt.

Wie kommst du zu deinen Bildtiteln?

Einfach über die Bilder. Bilder die immer und überall vorhanden sind. Sogar im Traum. Diese Bilder übersetze ich spontan. Skizzen mit Bleistift und Farbstift auf Papier. Daraus entstehen dann die weiteren Arbeiten. An einen Titel denke ich dabei überhaupt nicht. Er ist mir auch nicht wichtig. Obwohl ich mir oft zwischendurch Notizen mache bekommen die Arbeiten erst zum Schluss einen Titel. So wie Kinder einen Namen bekommen. Dass diese Titel einen starken Bezug zu den Arbeiten haben, kommt aus der intensiven Beschäftigung mit diesen.

z. B. bei deiner Skizze „Erinnerungen“ erzählst du eine ganze Geschichte …

Nein, ich erzähle keine Geschichten. Die Geschichten sind einfach vorhanden. Ich muss sie nur aufgreifen und in meine Welt transportieren. Dabei werden sie verfremdet und auf das Wesentliche reduziert. Während des Arbeitsprozesses lebe ich in dieser Welt. Das Formale und meine persönliche Handschrift sind mir dabei sehr wichtig.

Hast du auch das Gefühl, rechtzeitig aufzuhören ist schon das Zweitwichtigste?

Bei mir ist ein Bild erst fertig, wenn es verkauft oder aus meiner Reichweite ist. Dadurch habe ich schon sehr viele meiner Bilder übermalt und verändert. Auf Fotos konnte ich dann feststellen, dass die alte Version sehr gut war. Schade, jetzt hätte ich gerne beide. Man darf bei der Arbeit keine Angst haben und überlegen, ob man schon aufhören soll, nur weil einiges schon sehr gelungen scheint. Die Dichte bekommt es erst durch mehrere Arbeitsschritte. Dabei darf das Spontane nicht verloren gehen. Das ist die Kunst.

Arbeitest du in thematischen Zyklen?

Da ich immer an mehreren Bildern arbeite, entstehen dadurch Zyklen. Auch bei Einladungen zu thematischen Ausstellungen. Obwohl nur ein bis zwei Arbeiten gewünscht sind, verfolge ich das Thema weiter und kann nicht aufhören. So bin ich oft ein Getriebener.

Wie spornte dich das Thema VIERTEL an? Ideenfindung etc. …

In meiner Jugendzeit als Grafiker und Layouter hatte ich immer mit Themen zutun. Es hat mir immer viel Spaß ge­macht, mit den verschiedensten Themen herumzuspielen. Auch damit viel Geld zu verdienen. Dein Briefing zum Thema „VIERTEL“ hat mich am Anfang etwas verwirrt. Erst nach deinem dritten Mail konnte ich erkennen, dass es sich um ein fünfundzwanzig jähriges Jubiläum handelt. Ein Mustere­xemplar der Zeitschrift hast du mir wie versprochen leider immer noch nicht geschickt. So bin ich eigentlich wieder froh, mich in meine gewohnte Arbeit zu stürzen. In meine Bilder mit seinen verfremdeten und veränderten Figuren, die die verschiedensten Deutungen zulassen. Ein Gefühl der Freiheit.

Die Unklarheit, dass dies ein Jubiläumsheft ist, war auch bei der Info für die Autoren ein bisschen Absicht, damit ich nicht lauter jubilierende bis feierlich getragene Texte zugesandt bekomme, bzw. Einschränkung und Festlegung punkto Kreativität und Assoziation mit dem Begriff VIERTEL heraufbeschwöre. Dir kein „etcetera“ Heft zugesandt zu haben, ist natürlich unverzeihlich!

 

Robert Weber:
Geb. 1943 in Wien. Ausbildung an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt Wien bei Prof. Rudolf Pleban. Seit 1971 als freischaffender Maler und Grafiker tätig. Ab 1980 zweites Atelier in Scheiblingkirchen, NÖ. Dort entstehen die ersten dreidimensionalen Arbeiten. Materialbilder und Skulpturen aus Karton, Holz und Eisen.
1994 Einladung und Auftrag zu einer Outdoor-Skulptur für das C.J. Rodman Center for the Arts. Leitung eines Workshop-Seminars (Metallskulpturen) im Art Department of Ripon College, USA. Ausstellung von Skulpturen und Grafiken in der BRÜCKE im NÖ Landhaus 2009.
Mitglied der Wiener Neustädter Künstlervereinigung. Im Vorstand des Landesverbandes der NÖ Künstlervereine. Beirat für Bildende Kunst der Stadt Wiener Neustadt.
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Künstlerportrait: Robert Weber. Eva Riebler

37/ Künstlerportrait: Karin Frank. Heinz Pusitz

 

 

 

 

 

 

 

 

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Heinz Pusitz
KARIN FRANK
Portrait der Heftkünstlerin


Die bildende Künstlerin arbeitet vorzugsweise mit Holz und bemüht sich stets um eine "immer realistischere Darstellung von Körpern". Heinz Pusitz hat sie in ihrem Atelier besucht. Website: www.karinfrank.at

"Es wird geschissen, Berge und Seen von Scheiße, es wird geliebt, gevögelt, Paare treiben es treibend am See, es wird porträtiert. Die Landschaften bleiben davon nicht unberührt: Idyllisch ja, aber beackert, behauen und zu guter letzt bestreut; umgebogen zur Bühne, auf der die Natur des Gesellschaftlichen wiederkehrt" – so beschreibt Andreas Spiegl, Vizerektor der Akademie der bildenden Künste in Wien, die Werke von Karin Frank, von denen wir einige in dieser etcetera-Ausgabe präsentieren.

Die 1972 in Wien geborene Künstlerin absolvierte zunächst eine Ausbildung für Graphikdesign an der Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, von 1992 bis 1997 studierte sie schließlich an der Akademie der bildenden Künste, in der Meisterklasse von Michelangelo Pistoletto. 

Weil Frank mit Vorliebe mit Holz arbeitet, zieht der Kunstkritiker Spiegl Parallelen zu Thomas Bernhards Roman "Holzfällen": "Bernhard hat sich kein Blatt vor den Mund genommen. Die Sprache ist klar, unmissverständlich, manche würden sogar sagen: derb. Holzfällen ist für viele eine Abrechnung, für andere eine bloße Feststellung, eine Darstellung der Verhältnisse. Eine Sachverhaltsdarstellung." In diesem Sinne erkennt Spiegl auch in den Arbeiten von Karin Frank eine gewisse "Sachverhaltsmäßigkeit". "Ihre Motive, Personen und Szenen nehmen sich die Freiheit, nicht frei erfunden zu sein." Zum Detail bekenne sich die Künstlerin da, wo es notwendig sei: Etwa, wenn das Gesicht eines Mannes, der gerade die Welt "bescheißt", dem des gewesenen US-Präsidenten George W. Bush recht nahe kommt. "Die Realität von Scheiße und einer konsequenterweise beschissenen Realität, die Sprachlichkeit beim Ausdruck und beim Ausdrücken von Scheiße, diese wurstartige Verschwiegenheit als intime Artikulation, sind Sachverhalte." Über diesen Sachverhalten schwebe aber eine andere Sprache, eine, "die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Dinge wie sie sind, zu umschreiben, sie nur anzudeuten: um zu umgehen, worin man gerade steckt und steht".

Frank selbst sagt, sie bemühe sich stets "um eine immer realistischere Darstellung von Körpern, möchte aber nicht mit künstlich glatten Oberflächen arbeiten und gehe auch nicht in den Hyperrealismus". Ihre Arbeiten kreisen oft um Erotik, die sie als ihr "zentrales Thema" ansieht. Allerdings, so Frank: "Ich möchte nicht nur darauf festgelegt werden.“

Viele Einflüsse bezieht sie aus der Kunsttradition anderer Völker und aus anderen Kunstrichtungen. Ein Japan-Aufenthalt im Jahr 2006 im Rahmen eines Atelierstipendiums des Bundeskanzleramtes wird ihr so zur "erstklassigen Inspirationsquelle". 

Ein Jahr davor bekam sie das Staatsstipendium für bildende Kunst, 2002 den Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich für Bildende Kunst. 2007 wurden einige ihrer Werke auf der NÖ Landesausstellung in Waidhofen/Ybbs gezeigt.

Heuer waren ihre Arbeiten bereits in der "Galerie der Freischaffenden" in Wien sowie in der Kunstwerkstatt Tulln zu sehen. Ab 30. Oktober 2009 werden ihre Werke in der Galerie BAAL in Bielefeld (D) zu bestaunen sein.

Karin Frank: Geb. 1972 in Wien. Ausbildung zur Graphikdesignerin an der Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, von 1992 bis 1997 studierte sie schließlich an der Akademie der bildenden Künste, in der Meisterklasse von Michelangelo Pistoletto. mehr...

Künstlerportrait: Ahmet Bayazit. Schatten unserer Vergangenheit: Ingrid Reichel

 

 

 

 

Ingrid Reichel
SCHATTEN UNSERER VERGANGENHEIT

 

Anlässlich der etcetera- Ausgabe "Hinterhalt" hat sich Ingrid Reichel in den Untergrund St. Pöltens bewegt. Im Insider-Lokal "Underground" traf sie Ahmet Bayazit, der dort versteckt im Hinterhof in einer kleinen Werkstatt abgezogene Häute bearbeitet.

 

 

Nach einer scharfen Leberkassemmel - der schärfsten überhaupt - und einem von Walter, dem Urwirten schlechthin, selbst angemachten Chiliwodka sind meine Sinne gestärkt und meine Augen fokussieren auf jenen Mann, der zuerst einsam zeichnend an einem Tisch abseits sitzt und dann in der Dämmerung dieser ersten lauen, frühsommerlichen Nacht mit dem Feuer eine wunderbare theatralische Inszenierung im Garten des Hinterhofs vollbringt. Die Stunde des Geschichtenerzählens ist angebrochen, wir rücken näher. Vom lodernden Feuer kommt die Schattengestalt auf uns zu und setzt sich zu uns. Es seien Entwürfe von Figuren, an denen er arbeite, antwortet Ahmet Bayazit, der sich damit Zeit lässt, meine Neugierde zu befriedigen.

 

 

 

Es fließt noch mehr flüssiges Chili, bis wir Ahmets wahre Schattenwelt betreten dürfen. Durch einen von dunklen, wirren Bildern und anderen Werkmaterialien beengten, kurzen Gang betreten wir einen schummrigen, mit Sofas, Decken und Polstern ausstaffierten gemütlichen Raum. In der Mitte ein runder Tabletttisch im orientalischen Stil, der Unterbau von ihm selbst entworfen, gedrechselt und konstruiert, ein Aschenbecher und Kerzen darauf. In der linken Ecke ein etwa zweieinhalb Meter langes Puppentheater-ähnliches Konstrukt, gekleidet in roten Samt, bestickt mit Sonnen und Monden und umsäumt mit goldenen Fäden.

 

 

Ein weißes Baumwolltuch ist über die Kulisse gespannt. Gleich neben dem Theater und damit die rechte Ecke ausfüllend biegt sich ein Tisch unter der Last von Arbeit, Ideen, Entwürfen und Kreativitätsprozessen. Darüber hängt von der Decke ein Gestell, vollgefüllt mit ausgebreiteten, steifen Häuten. Holz, Werkzeug, Nähzeug, Farbe, Leinwände, Papier, ein paar Gläser, ein paar Getränke, eine Wasserstelle füllen die restliche Längsseite des Raumes. Weiche südamerikanische Klänge dringen an unsere Ohren. Aus den zwei Fenstern gegenüber strömt das Licht des noch immer lodernden Feuers im Garten und wirft Schatten;  Schatten, die uns schon als Kinder faszinierten, weil sie das Reale ungreifbar machen.

 

 

 

So ist die Stimmung, als ich mit Ahmet Bayazits Schattenfiguren Bekanntschaft schließe. Filigran, minutiös und detailliertest gearbeitete Figuren aus gegerbtem Kalbsleder, die beweglichen Körperpartien wie Kopf, Arme und Beine mit starkem Garn verbunden, mit Tusche gefärbt und bemalt, von hinten ein Holzstock montiert. Hinterhältig, gebeugte Kerle mit Gewehr oder Männer von Welt mit erhobenem Haupt und Regenschirm unterm Arm oder Laterne in der Hand, Frauen in Edeltracht mit Fächer, Fabelwesen und ein Haus mit Balkon werden von hinten beleuchtet, gegen das weiße Tuch gepresst. Dieses weiße Tuch erweist sich als eine Leinwand, eine Projektionsfläche also, auf der sich dem Zuschauer eine bewegliche und bunte Schattenwelt offenbart.

 

 

Die letzten originalen Schattenfiguren habe ich im Frühjahr in der Ausstellung „Schaulust. Die Kunst des Sehens und des Täuschens“ in der Kunsthalle Krems gesehen. Alte traditionelle balinesische, javanische, ägyptische, chinesische, indische, griechische und türkische Figuren in verblasster Farbenpracht schmückten die graue Wand hinauf zur damaligen Ausstellung.

 

Doch hier in St. Pölten, ganz im Verborgenen, erstrahlt die tot geglaubte Theaterwelt in neuem Glanz.

Es ist mehr eine Leidenschaft, sage ich, mehr als ein -  wie er es nüchtern formuliert - Hobby, welches er betreibt. Er nimmt statt der traditionellen dickeren Kamelhaut das weichere und seiner Ansicht nach ergiebigere Material: die Kalbshaut. Das noch handgefertigte Material ist wie das Schattentheater zu einer Rarität geworden. Seinen Vorrat an Häuten bezog er von dem "letzten Gerber" in der Türkei. Er ist mittlerweile schon über 80 Jahre alt. "Ich weiß gar nicht, ob er noch lebt."

 

Bayazit sucht nach einer alternativen Quelle in der Region und meint in Mariazell fündig geworden zu sein. "Alles ist leider eine Frage des Geldes." Die Häute werden einem mühsamen und langwierigen Prozess unterzogen. Nach dem Entfleischen und der Auflockerung des Hautfasergefüges werden sie in ein Kalkbad eingelegt, um sie dann von den Haaren durch mehrfaches Schaben zu befreien. Später erfolgen die Entfettung und die Entwässerung. Da rohe Haut hornartig trocknet, bekommt sie einen transparenten Charakter.

 

Eigenartig wirken diese Häute, so aufgeschlichtet über seinem Arbeitstisch - das Schweigen der Kälber in Erwartung auf Zuschnitt. Naht und Färbung scheinen geduldig auf das Leben auf der Bühne, hinter dem weißen Tuch zu warten.

 

 

 

Durch seine Tätigkeit im Festspielhaus ist der gebürtige Istanbuler mit allen Formen des Theaters vertraut. Vom Straßentheater über Gaukler hat er zum Ursprung, dem Schattentheater, zurückgefunden. Sein Augenmerk liegt im traditionellen Karagöztheater, welches nach der Hauptfigur benannt ist. "Der Legende nach ist Karagöz ein einfacher Bauarbeiter gewesen, der Hacivat, einen gebildeten Mittelstandproleten, beim Bau einer Moschee kennen lernte. Die beiden machten mehr Show als sie Arbeit verrichteten, und die Baustelle geriet außer Kontrolle. Auf Anordnung des Sultans wurden sie schließlich geköpft. Die Hinrichtung erwies sich jedoch als schwerer Fehler, denn tiefe Trauer machte sich breit. Und so forderte der Vizekanzler das Karagöz-Schattentheater, um die beiden zum Leben zu erwecken", erzählt er begeistert weiter.

 

 

Neben den beiden Hauptrollen Karagöz und Hacivat tauchen noch andere Charaktere der Istanbuler Gesellschaft und der verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen des Osmanischen Reiches, aber auch Randgruppenvertreter, sowie Fabelwesen auf. Die kontroversen Figuren ermöglichen Komik, Ironie und Satire. Die Stücke sind gespickt mit sozialkritischen Aspekten aus der spätosmanischen Zeit.

Auf der Ebene der sprachlichen Kommunikation wird der multikulturelle Kontext sichtbar. Dies sei im Übrigen der Unterschied zu den anderen Schattentheatern – die Figuren vertreten verschiedene Völker und Kulturen, so Bayazit. Auch in Größe und Spielart entwickelte sich das Karagöz-Schattentheater in seiner eigenen Osmanischen Art, fährt er fort: "Es gibt traditionell vier Szenen. Die Eröffnungsszene, die mit bestimmten Versen das Publikum auf den Ursprung hinweist und auf das Stück vorbereitet. In der zweiten Szene spielen die zwei Hauptfiguren Karagöz und Hacivat ihren Sketch, und erst in der dritten Szene kommen die anderen Figuren hinzu. Die vierte Szene ist dann die Verabschiedung und die Vorbereitung auf das nächste Stück."

 

Während des Stückes wird improvisiert, deswegen lässt sich nie eine exakte Länge des Stückes festlegen. Ohne weiteres sei es möglich, dass ein Karagözstück zwei Stunden dauert. Im Übrigen spielt immer nur einer, bestenfalls hat dieser einen Helfer zum Zureichen der Figuren, erzählt er angeregt weiter. "Früher war das Schattentheater mit Live-Musik und Gesang begleitet. Leider haben andere, moderne Formen der Unterhaltung, wie Kino und Fernsehen, diese alte Tradition getötet."

 

Ahmet Bayazit ist sehr kommunikativ, man spürt, dass ihm der Kulturaustausch zwischen den Völkern ein Bedürfnis ist. Für Nepp hat er nichts übrig. Bodenständigkeit ist für ihn kein Zeichen für Unflexibilität oder gar Brut von Intoleranz. Gerade durch Verwurzelung ergibt sich die Stärke für ein gemischtes Miteinander. Im Karagöz sieht er eine Möglichkeit, die Menschen damit zu konfrontieren.

 

Diesbezüglich hat er nicht nur viele Ideen, sondern auch Projekte laufen. Zum einen möchte er das klassische Stück "Die Hexen" aus dem Türkischen ins Deutsche übersetzen und es ins Heute transponieren. Auch Kinder sind ihm ein großes Anliegen. Das Stück hat natürlich einen moralischen Inhalt und handelt von der Schwere der Lüge. Gerade deswegen würden sich Die Hexen dazu eignen, für Kinder einen Bezug zu anderen Kulturen herzustellen bzw. zu helfen, die eigene nicht zu vergessen. Die Schwierigkeiten bei der Übersetzung zögern jedoch alles hinaus.

 

Ein weiteres Projekt und Anliegen ist Bayazit die Verschmelzung des Karagöz mit dem Wiener Milieu. Hierfür hat er sich mit Christian Qualtinger zusammengetan. Karagöz und Hacivat auf Wienerisch? Ja, das könnte klappen. Die beiden Gestalten erinnern sowieso an die Kabarettisten Ernst Waldbrunn und Karl Farkas. Doch leider mangelt es beiden an Zeit, um das Projekt zu realisieren.

 

Die Schatten der Nacht haben uns eingeholt. Doch da der nunmehrige Niederösterreicher seine Wurzeln nicht vergessen hat, kann er in seiner privaten Welt das orientalische Zeitgefühl weiterleben. Wir trinken noch etwas, rauchen gemeinsam eine Wasserpfeife und diskutieren weiter in die Nacht hinein. Die Zeit steht still…

Nichts drängt ihn, seine Projekte zu realisieren. Es soll ja ein Hobby bleiben…

 

Kurzbiografie: Ahmet Bayazit
Geboren 1965 in Istanbul, kam Bayazit später nach Wien, um Betriebswirtschaft zu studieren. Der für ihn auffällige Mangel an Kommunikation beim Einkaufen motivierte ihn, in der Strozzigasse ein Geschäft mit Kunsthandwerk zu eröffnen, welches seinen Handelsansprüchen - dem kommunikativen Handel - entsprach. Später übernahm er den 1. Wiener Makrokosmos, einen Bioladen. Seit 1996 arbeitet er in St. Pölten im Festspielhaus als Hausorganisator. Mehr als zehn Jahre beschäftigt er sich mit dem Karagöz und seinen Figuren. Seit ca. 2002 betreibt er eine Homepage: www.karagöz.at
Lebensmittelpunkt ist seine Familie, mit der er die Landluft genießt.

 

Anmerkung:
Ausstellungskritik "Schaulust. Die Kunst des Sehens und des Täuschens" von Ingrid Reichel auf www.litges.at
Underground: Josefstr. 1, Lokaleingang Dr.-Karl-Renner-Promenade, 3100 St. Pölten. Di bis Sa: 19 bis 4h

 

Kleine Geschichte des Schattentheaters:
Schattentheater gab es viele. Zu den ältesten gehört wohl das indonesische Wayang-Puppentheater, welches von der UNESCO unter die Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen wurde, sowie das chinesische Schattentheater píyǐngxì.

Von China über Südostasien nach Kleinasien etablierte sich im Mittelalter das Karagöztheater, welches heute noch während des Ramadan Tradition hat. Während der Osmanischen Herrschaft kam es nach Griechenland, wo es Karagiozis heißt. Nach Europa kam das Schattentheater wahrscheinlich jedoch direkt aus Asien. Hier ersetzte es als Laientheater vor allem im ländlichen Raum und für die Unterschicht das klassische Theater.

Große Beliebtheit erreichte das Schattentheater im 18. und 19. Jahrhundert in allen Teilen Europas. In seiner Blütezeit wurden in der Romantik vor allem in Frankreich mit „chat noir“ (schwarze Katze) und später in Deutschland mit den „Schwabinger Schattenspielen“ immer bewegungsfähigere Figuren entwickelt. Während asiatische Schattentheaterfiguren aus Pergament gefertigt sind und an Stäben bewegt werden, setzten sich in Europa Figuren aus Pappe, Holz oder Metall durch.

Moderne Schattentheater lösen sich mehr und mehr aus der Zweidimensionalität. Auch Film und Computeranimationen werden genutzt, was die Zuordnung der Theaterform allmählich verschwimmen lässt. mehr...

Künstlerportrait: Ahmet Bayazit.  Schatten unserer Vergangenheit: Ingrid Reichel
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