72/Tanz auf dem Vulkan/Interview: Franzobel
Eva Riebler interviewte den Wiener Autor Stephan Griebel - alias franzobel -, geboren in Vöcklabruck, der gemeinsam mit der Heftkünstlerin Sibylle Gusenbauer – ebenfalls aus OÖ, (Schwanenstadt) –zum Thema „Himmelskörper“ zusammenarbeitet. Beide planen für Juni 2018 im Geburtshaus von A. Kubin eine gemeinsame Ausstellung mit Lesung in Zwickledt, OÖ.
Du als literarischer Avantgardist, gehst seit 2014/5 mit Deinen Krimis den Weg Richtung Erzählliteratur. (Peter Henisch bestand z.B. immer darauf NUR Erzähler zu sein.) Was war der Auslöser?
Es war nie so ein bewusster Schritt, weil ich immer schon erzählt habe - auch in der experimentiellen Schreibweise z.B. die gr. Romana Skala Santa und das Fest der Steine, waren bereits narrativ - zum Anderen ist auch die Verlagsentwicklung so, dass es kaum noch Mittelständische Autoren gibt. Und: Es gibt Bücher, die sich sehr gut verkaufen oder die, die kaum noch wahrgenommen werden.
Bezeichnest Du Das Floss der Medusa als Dein Hauptwerk? Verlag Zsolnay 2017 mit 590 S.
Hauptwerk klingt, als wäre man fertig. Das Hauptwerk ist immer das nächste, das kommt. Vom Erfolg ist es sicher das erfolgreichste.
Die Medusa ist ein äußerst spannender Historischer Rechercheroman ohne abstrakte Sprach- und Sinnspiele. Dein Hundebuch „Hundshirn“ 1995 z.B. ist äußerst facettenreich ob der Sprachakrobatik und Hundeweisheit. Es umfasste nur 144 Seiten und ist prall gefüllt mit Ungewöhnlichem. Du hast es, glaube ich, allen Hunden gewidmet und aus ihrer Perspektive die Welt gesehen. Was war damals Deine Intention?
Meine erste Idee war, dass ich jahrelang diese Verbotsschilder fotografiert hatte, so bin ich auf den Hund gekommen!
Wie kam es zu Deiner spezifische Sprachbetrachtung? z.B. gab es im „Hundshirn“ Sätze, die exemplarisch locker und doch bezeichnend waren wie: S. 25 als der Hund Gulasch aufleckt: „Ein neues Spektrum tut sich auf, das Zeug krabbelt im Gaumen, kitzelt, brennt die Zunge rauf und schmeckt … nach jedem Zungenschlag beutelt sich, ehe der Geschmack ins Hirn gerät, mein Kopf.“
Das ist eine autobiografische Szene, das Gulasch, das meine Mutter dem Vater gekocht hat, habe ich einmal dem Dackel gegeben. Dadurch hat sich die Szene mir eingeprägt.
Wie kommst du auf die wunderbaren Metaphern?
Z. B. im Krimi Groschens Grab, 2015 „Wien lag wie eine offene Auster da“? Oder „Sein Gesicht war wie von einem Schweitzerkracher rasiert“?
Ja, ich komme von der Bildenden Kunst, daher diese bildhaften Vergleiche.
Hast du zu schreiben gelernt?
Man lernt durch jedes buch, das man liest oder es gibt Vorbilder, von denen man ausschaut
z. b. der Doderer mit Die Dämonen, Die Merowinger. Oder Die Blendung vom Canetti.
Der hat ja gesagt : Wer sich in die Familie begibt, geht in ihr unter!
Ich strample dass ich Luft bekomme, es geht.
Man bekommt ja auch Auftrieb in der Familie. Es sind Stürme und Korkreifen.
Wa hast du den General mit seinen schönen Wortverdrehungen her?
Man wartet, dass im nächsten Band, dieser wieder vorkommt.
Das Grundinventar des Inventars des Kommissariats bleibt gleich z.b. die aus Aschaffenburg herkommende Sekretärin. Kommt ein neuer Krimi heraus, bringen sie einen großen Bericht auf der Titelseite des Aschaffenburger Tagblattes.
Du kommst aus Vöcklabruck, wird im nächsten Krimi ein Vertreter dieser Stadt vorhanden sein?
Es wär` vielleicht einmal ein Thema! Elfriede Jellinek wollte einmal über Vöcklabruck schreiben, da gab es einen großen Aufstand, Demonstrationen, eine richtige Opposition!
Dein letztes Werk ist „das Floss der Medusa“. Du beleuchtest darin wesentliche Themen: darf man Menschenfleisch essen? Und setzt Aussagen in Bezug zu Worten der Bibel: S. 467 “Dies ist mein Fleisch. Nehmet und esset alle davon ... Was ist denn die Eucharistie anders als Kannibalismus?“
Ich finde die Kirche sehr grotesk, vor allem der Reliquienkult ist abstrus, jedoch beeindruckend! Es gab ja damals Edikte der Katholischen Kirche, dass man so wie die Juden in Extremsituationen Schweinefleisch, bzw. als Katholik Menschenfleisch essen darf. Wenn es das eigene Überleben erfordert, ist es keine Sünde mehr. Es gab damals viele Fälle mit den Wahlfängern.
Kirche ist, solange Macht ausgenützt wird, zu hinterfragen. Jedoch bin ich froh, dass es so friedensfördernde Positionen wie den Papst gibt!
Genauso wie Du die Vergangenheit recherchiert hast, beginnst Du die Zukunft einzuflechten: S. 469: „ In der Zukunft wird es Maschinen geben, die alle Arbeit verrichten, Fahrzeuge, die mit Heu und Wasser fahren. Schiffe ohne Segel, andere, die sich unter Wasser fortbewegen … vielleicht wird man fliegen …“ Was vor 200 Jahren natürlich nur Lacher erntete. Warum flechtest Du das ein?
Weil ich es interessant fand, sich in die Perspektive vor 200 Jahren einzudenken und mit der Gegenwart zu vergleichen. Die Dinge, die für uns völlig selbstverständlich, waren damals undenkbar, so dass sie nur lachen konnten.
Interessant finde ich, dass von „Säuberung“ statt von Mord gesprochen wird, wenn am Floß die Schwächsten beseitigt werden sollen, damit die Stärkeren eine größere Ration an Flüssigkeit (Wein) haben, damit diese eventuell noch 5 Tage überleben. Kann man sagen: Hier geht es um Vergangenheitsaufarbeitung?
Es ist eine Verwandtschaft da, von dem was sich auf dem Floß und im Holocaust abgespielt hat und auch in der Gegenwart sich abspielt.
Hast Du auch den Juden Kimmelblatt recherchiert? Deine Figuren sind unglaublich präsent und scharf gezeichnet.
Nein, den habe ich erfunden! Ich kenne ein paar Juden, die Witze erzählen und mit dem Jüdischsein kokettieren. Die Figur des Juden fand ich gut einzubauen. Er wird als erster liquidiert.
Du schreibst, dass auf dem Floß ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung war, die auch in der Zivilisation so handeln würden. (z.b. Leichen zu essen und Urin zu trinken..) s. 489: „Das Volk ist ein Hund, der in den Knüppel beißt statt in die Hand.“
Wenn`s ums Überleben geht, würden die meisten Kannibalen sein.
Du stellst die wesentlichen Fragen: z. B. :Was darf man angesichts des bevorstehenden Todes? Was bedeutet Moral, was unterscheidet uns Menschen von Tieren?
Nicht mehr sehr viel!
Hast du gut geschlafen, während Du am Buch geschrieben hast?
Meine Frau sagte, das Schreiben färbt auf meine Stimmung ab. Schließe das Buch ab, meinte sie.
Hat sich dieses Werk entwickelt – oder hast Du es so epochal vorgehabt?
Es hat sich selber geschrieben, nachdem das Grundgerüst da war. Die Personen der Neben-Stränge kamen von mir dazu. Der Schiffskoch und seine Gehilfen stammen von mir. Ca 60 von den 400 Personen, die historisch belegt sind, habe ich behandelt,
Du bist einerseits der Er- Erzähler, aber auch der Schiffsarzt Savigny, der seine Gedanken stets (schräg gedruckt) preis gibt - oder?
Der interessierte mich besonders, weil er die Prinzipien des Humanismus und der Aufklärung vertreten hat.
Dein nächstes Projekt ist einerseits ein dritter Krimi, oder gehst Du Richtung Bildende Kunst?
Aber nur im Nebenwerk!
Machst Du Dich jetzt klein mit deinen Keramiken? (Die Skulpturen werden im Juni/Juli in Zwickledt/OÖ im Alfred Kubin-Haus ausgestellt)
Ich wüsste nicht, woher die Zeit nehmen? Aber wer weiß?
Kommt im nächsten Krimi vielleicht ein Keramiker vor?
Zumindest ein Keramiksarg!
Ich danke Dir, dass Du Dir Zeit genommen hast!