94 / Herz&Haut / Interview / August Staudenmayer: „Das Gefühl, dass etwas stimmt“

„Ich versuche eine Ordnung in die Sprache zu bringen“
August Staudenmayer (März 2023, Ö1, Leporello)

„Ich versuche eine Ordnung in die Sprache zu bringen“ resümierten Sie in der Sendung Leporello (März 2023), als Sie über Ihren neuen Prosaband „Alter Affe Angst“ sprachen. Wie gehen Sie vor als Zeichner? Bleiben Sie einem bestimmten Ordnungsprinzip treu?
Ordnungsprinzip würde ich nicht sagen, aber ich habe schon den Wunsch nach einer Ordnung, auch in meinen Zeichnungen. Da geht es nicht um eine inhaltliche Ordnung, sondern um die Ordnung an sich. Um das Gefühl, dass etwas stimmt. Es geht nicht um den Inhalt, also, was ich zeichne, sondern um das Gefühl, ob es richtig ist und stimmig, so wie es jetzt ist, passt. Es geht mir nicht darum, ob es figurativ ist oder ob es sich um eine abstrakte Zeichnung handelt. Es ist eine fast hysterische Sehnsucht danach, Ordnung zu schaffen.
Es ist auch bei den Texten so. Es ist nicht wichtig, worüber ich schreibe, sondern, dass es stimmt, was ich schreibe, von den Worten her und von der Sprache. Es soll immer das Ganze sein. Wenn ich eine Zeichnung anfertige und es kommen viele Zeichnungen vor, fühle ich, es könnte eine Welterklärung sein. Dann freue ich mich.

„Herz&Haut“, so lautet das Thema des etcetera Heftes 94. Könnte man die Leinwand des Künstlers ebenso als Haut des Künstlers betrachten?
Mit Leinwand habe ich keine Erfahrung, ich bin kein Akademiker. Ich zeichne schwarz auf weiß. Wie man eine Leinwand grundiert, habe ich niemals gelernt, und ich möchte es auch nicht lernen.

Sie zeichnen auf Papier. Fühlt es sich manchmal so an, als sei das Papier ein Teil Ihrer Haut?
Nein, aber es fühlt sich an wie ein Spiegel, wie ein Blick in den Spiegel. Diesen Blick in den Spiegel möchte ich gern darstellen.

Was sehen Sie, wenn sie in diesen Spiegel blicken?
Das ist immer das Spannende. Ich komme nie mit einem Motiv her. Ich habe noch nie erlebt, dass ich mir vorgenommen habe, etwas Bestimmtes zu zeichnen. Das macht die Hand. Oder die Verbindung zwischen Kopf und Hand.

Wenn sie sich an den Schreibtisch setzten, ist also noch nicht klar, was auf dem Papier erscheinen wird.
Ja, so ist es.

Die Formate, auf denen Sie zeichnen, sind großflächig angelegt. „Die Geschichten liegen auf der Straße“ sagten Sie einmal im Gespräch. Das gilt für die Literatur. Trifft das auch für Sie als Bildender Künstler zu?
Die Motive, die ich zeichne, wahrscheinlich ebenso. Schreiben ist Kopf und Zeichnen ist Körper. Beide Motive liegen auf der Straße, aber beim Schreiben setzte ich das Gehirn ein. Und beim Zeichnen setze ich den Körper ein. Ich zeichne oft bewusst linkshändig, obwohl ich Rechtshänder bin. Und das macht einen heißen Körper. Das macht einen Unterschied. Zeichnen macht einen heißen Körper. Das führt zu einer Unruhe, die manchmal so weit geht, dass ich Herzklopfen bekomme, weil es körperlich ist. Das ist der große Unterschied.

Ist das ein angenehmes Herzklopfen?
Genauso wie ein heißer Kopf unangenehm ist, ist das auch unangenehm. Genau wie beim Nachdenken. Das ist nicht angenehm. Aber ich habe nicht den Anspruch, dass es gut und angenehm ist. Ich bin ja nicht beim Wellness im Hallenbad. Das ist etwas anderes.
Ich habe ja auch eine psychiatrische Geschichte, und ich glaube, dass es mir sehr guttut, linkshändig zu zeichnen, zum Beispiel. Dieses unbekannte Feld.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, links zu zeichnen?
Ich habe mir mal mit Teewasser die Hand verbrannt (verbrüht). Ganz banal. Da zeichnete ich links und habe gemerkt, dass es noch körperlicher ist, weil es das Herz ist, vielleicht.
Da wurde ich richtig kindlich. Es wurde krakelig. Und später wollte die rechte Hand dann helfen. Ich habe mich gezwungen, mir nicht helfen zu lassen. So ein bisschen experimentieren, das tut ganz gut! Man kann sich ein bisschen quälen und sich dann trösten.

Mit jeder Pore unserer Haut sind wir von Gegenwart getränkt. Wie stoßen Sie auf andere Themen? Und wie können Sie diese künstlerisch umsetzen?
Bei der Literatur habe ich den Eindruck, dass ich die Themen nicht aufgreife, sondern nur bei den Ausdrucksformen der Sprache bleibe. „Alter Affe Angst“: das ist für mich das lustvollste, so zu schreiben, nämlich assoziativ, ohne auf den Inhalt zu achten oder auf Schlüssigkeit oder auf verstehbares Erzählen. Das interessiert mich nicht. Aber ich glaube, dass es trotzdem etwas erzählt. Auch wenn ich nur so schreibe, erzählt es ja auch etwas. Und der Blog, zum Beispiel, den ich schreibe, da muss ich verständlich schreiben. Das ist wieder eine ganz andere Herangehensweise. Und das macht einen heißen Kopf, weil das ist ein Blog. Das wollen die Leute verstehen. Da muss ich erzählend bleiben und verständlich. Nachvollziehbar. Also, wie sagt man: konsumierbar. Im Blog mische ich ein paar Geschichten dazu. Also, ich möchte verstehbar bleiben.

Was sagt das Lektorat dazu?
Das Lektorat, also Ralph Klever meinte dazu, er bekommt Herzklopfen beim Lesen, weil es sich nicht gleich erschließt, aber er meinte, das sei gut so. Mit dieser Art von Literatur werde ich nie viel verkaufen. Das ist mir aber völlig bewusst. Es ist, wie es ist: Ich kann keinen Krimi schreiben, aber ich habe auch keine Lust dazu. Es gibt ja schon einige Autor*innen in Österreich, die experimentelle Literatur schreiben.
In Berlin gibt es vielleicht eine größere Szene für experimentelle Literatur. Es gibt die Zeitschrift Idiome (Herausgeber: Florian Neuner und Ralph Klever), in der auch experimentelle Literatur Platz hat. In einer der letzten Ausgaben waren meine Texte abgedruckt.

In der Überarbeitung eines Textes geht es hauptsächlich um das Streichen. Wie überarbeiten Sie Ihre Bilder und Zeichnungen?
Es gibt kein Überarbeiten. Ich werfe sehr viel weg. Das ist manchmal sehr erlösend. Ich werfe sehr gern weg. Eine Zeichnung, die mir nicht gefällt, und beim zweiten Blick auch nicht, die schmeiße ich weg. Und das tut überhaupt nicht weh. Im Gegenteil: Das ist schön.

Sie sind also auch ein Meister im Loslassen.
Also, ich versuche es zumindest.

Die Autorin Ilse Kilic gab eine Zeitschrift für unbrauchbare Texte heraus. Gibt es vielleicht auch eine Mappe für unbrauchbare Zeichnungen?
Diese Arbeit will ich mir wirklich nicht antun. Ich habe konstant sechzig bis siebzig Bücher zu Hause und ich schmeiße auch regelmäßig Bücher weg. Ich bringe sie zum offenen Bücherschrank. Ich will nicht achthundert Bücher haben, sondern nur zirka sechzig bis siebzig Bücher. Das ist ausreichend für mich.

2013 begannen Sie mit dem Zeichnen, sind jetzt hier im Atelier 10, in der Ankerbrotfabrik in Wien. Seit wann sind Sie im Atelier 10?
Seit 2013, aber mit großen Unterbrechungen.

Wie sind Sie zum Zeichnen gekommen?
Durch die Psychiatrie. Ich war insgesamt zirka zweieinhalb Jahre in der Psychiatrie. 2017 war der letzte Aufenthalt. In der Tagesklinik begann ich mit dem Zeichnen. Eine Ergotherapeutin leitete mich an und ich fing an zu zeichnen. Und später riet sie mir zu einem Praktikum in einem Atelier. Sie hat mir also die Rutsche gelegt. Ganz banal. Dann habe ich den Florian kennengelernt, und er fand meine Sachen interessant, die ich zeichne und bat mich darum zu bleiben.

Wunderbar! Ich danke Ihnen für das Gespräch!

 

August Staudenmayer
Geb. in Herzogenburg, NÖ, lebt als Autor und Bildender Künstler im Atelier 10/Anker-Brotfabrik, in Wien. Er veröffentlicht Beiträge für das ORF-Radio, Kurztexte, Romane und Drehskripte, arbeitete mit dem Filmemacher Houchang Allahyari, mit dem er u. a. das Drehbuch für den preisgekrönten Film „Der letzte Tanz“ schrieb sowie eine Biografie über Ute Bock. Seine Texte werden vorgetragen von Schauspielern, etwa von Maria Hofstätter im Atelier 10 sowie beim Festival WALSERHERBST. Letzte Veröffentlichungen: „Der Türspion“ (2010), „Prosahagel“ (2015), „Alter Affe Angst“ (2023), alle Bücher erschienen im Klever-Verlag Wien.

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