Erinnerung / Etcetera 96 / Heftkünstler / Franz Stanislaus Mrkvicka
NATUR hat für mich ein gewichtiges Erinnerungspotenzial! Im Sonstigen ist die Erinnerung ein HUND!
Eva Riebler interviewte den Heftkünstler Franz Mrkvicka in seiner Sommergalerie Zöbing, in St.Pölten und in Krems.
Trägt Deine Kunst zum Thema Erinnerung bei?
Ein Satz von Kierkegaard: „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.“
Mich interessierte immer die Lebensgeschichte, die persönliche Erinnerung. Vieles ist oktroyiert, das nenne ich soziale Erinnerung, z. B. etwas von einer Herrschaft in Auftrag Gegebenes, um die Erinnerung lenken zu können: also die Verfolgung politischer Ziele. Wie es ja punkto Kunst in Diktaturen der Fall ist. Die konkrete Kunst in Bild und Skulptur ist also ein Vehikel der Herrschenden!
Erinnerung ist ein Kunstgebilde!
Unzweifelhaft ist sie gesellschaftsrelevant!
Ich habe fast persönliche Erinnerungen an die Monarchie. Meine sehr geliebte Großmutter wurde 1884 in Wien geboren und hat mir als spätgeborenen Enkel viel erzählt, besonders an schulfreien Tagen. Da gingen wir in den Wienerwald – das war ein geschenkter Tag, gefüllt mit Natur und Geschichten! Natur hat für mich ein gewichtiges Erinnerungspotenzial! Auch meine Bilder haben verschiedenste Erinnerungen als Thema. Immer wieder entwickle ich eine große Herzenslust zu mir persönlich bekannten KünstlerInnen und ihren Werken.
Gibt es für Dich negative Erinnerungsstücke?
Unsere Tochter schrieb ihren Magister über Remigration Jüdischer Menschen im Vergleich Österreich und Deutschland. Die Recherche ließ mich schauern!
Auch wenn ich an Albert Drach denke …
Im Sonstigen ist die Erinnerung ein Hund …
Wie kamst Du zur Kunst?
Meine Mutter war eine passionierte Schneidermeisterin und war im Alter noch sehr rührig. Sie spielte im Altersheim Theater. Ich habe in der Volksschule den Kindergartenkindern zu Kasperltheater-Aufführungen verholfen, malte die Kulissen selber und spielte.
Sie förderte meine Kreativität und brachte mich indirekt mit 9 Jahren zur ORF Sendung „Kleine Zeichenkunde“. Vom damaligen Ministerium für Unterricht wurden einige meiner Goachen ausgewählt, um am weltweit ausgeschriebenen Jugendkunstwettbewerb in New Delhi teilzunehmen.
Das gab mir Auftrieb! So mit sechzehn konnte ich ein leerstehendes Architektenatelier im 6. Bezirk nutzen. Das war der Lohn für die Nachhilfe des Architektensohnes.
Ich malte noch ziemlich surreal, auch ein bisschen Natur und hörte den Bolero als Dauerschleife.
Woher nimmst Du die ideen für deine Arbeiten?
Schon früh ging ich gerne ins KHM. Im Tintoretto-Saal war ich besonders von dessen Bild „Susanna im Bade“ angezogen. Wegen des Lichts und der schön gemalten Geschmeide. Eindrücklich erinnere ich mich auch an eine nächtliche Schifffahrt zur Ausstellung „Die Kunst der Donauschule“ in Krems. Ähnlich geht es mir mit den beiden Secessionsausstellungen Max Beckmann und Jules Pascin, die ich in meinem Maturajahr gesehen habe. Es interessierte mich Hercules Seghers (Erfinder der Farbradierung), Antoine Watteau, Franz A. Maulbertsch, Rudolf von Alt, Pierre Bonnard, Alberto Giacometti, Fritz Winter, A. R. Fleischmann, Mark Tobey, Per Kirkeby, James Brown, Helen Frankenthaler, Joan Mitchell und unzählige andere.
Das Schöne ist, dass daraus sicher keine Schlüsse auf meine Arbeiten zu ziehen sind!
Ist die Landschaft fü Dich ein wichtiges Motiv?
Ich liebte in meiner Kindheit den Silbersee in Kritzendorf bei Wien. Die Tier- und Pflanzenwelt in und über Wasser war für mich faszinierend. Diese Zuneigung zu Aulandschaften ist geblieben. Das direkt Ansichtige, das Geheimnisvolle in der Verstrickung des Dickichts, die zauberhaften Spiegelungen der Tümpel, das Quaken der Frösche sind von einer gewaltigen Komplexität. Meine Versuche in Malerei und Zeichnung greifen gerne auf diese Wahrnehmungen zurück. Metapher für das Greifbare, für das Überraschende, von Widerstreit und Symbiose und von Wachsen und Vergehen.
Wieso maltest Du nie Akt?
Das würde mich auch heute nicht interessieren! Es geht ja meist nicht um den Akt, sondern um die Proportions-Striche.
Meine figürliche Geschichte waren die Masken. Es waren oft mehr Köpfe, dann wieder Masken mit dreiviertel Körpern … in Kohle und Pastell. Es wurden mittlerweile ca. 1000 großformatige Blätter.
Zählst Du Dich heute zu den Abstrakten Malern?
Nein. Mir ist es wichtig ungegenständlich zu sagen. Das Ungegenständliche steht bei mir für eine Sache, einen Gedanken, einen Schluss. Das Malerisch und Zeichnerisch gewissermaßen verschlüsselt zu übertragen, interessiert mich. Da denke ich an die Wahrnehmung von Licht. In meinen Dunklen Bildern, den Dämmerungsbildern und meinem Projekt der Entoptischen Bilder habe ich mich damit über Jahre auseinandergesetzt. In den neuesten Arbeiten verwende ich zunehmend das geschriebene Wort als hinweisendes Element.
Was bedeutet Entoptische Bilder?
Das ist der kurze Lichteindruck eines Starklichtes, das Bilder im Gehirn erstellt. Und an diese soll man sich anschließend erinnern und diese Erinnerung darstellen.
Wie siehst Du Deine Verantwortung als Künstler?
Über Kunst ins Allgemeine der Kultur hineinzuwirken.
Wie siehst Du die Künstler der 68er-Generation?
Langfristig haben sie etwas bewirkt. In weiterer Linie waren Künstler wie Joseph Beuys und auch die Fluxus-Künstler oder Daniel Spoerri wirksam.
Wie kann ein Künstler ein gutes Miteinander gestalten?
Gute Gespräche über die Kunst entwickeln ein soziales/ politisches Miteinander. In der Galerie versuchen wir mit unseren Artist in Residence zu leben.
Seit 10 Jahren lädst Du ein bis zwei Künstler als Artist in Residence ein ...
Ja. Der oder die sind wie ein Familienmitglied. Mein Atelier ist dann auch eine kleine Wohnung. Wir versuchen gemeinsam ein wenig den Umraum zu erkunden. Fix ist Grafenegg und ein Besuch in Hadersdorf bei Spoerri. Die Künstler sind sehr unterschiedlich und bilden im Rückblick eine tolle Kunstgemeinde. Als Beispiel nur die Südkoreanerin Hyunsung Park, Meisterschüler von Peter Kogler in München. Sie gestaltete Objekte teils mit Material aus Zöbinger Weingärten und rief großen Applaus bei der Botschaft ihres Landes hervor. Ihre Zeichnungen eröffneten uns den Zugang zu einer anderen Kultur. Wir haben immer noch Kontakte zu diesen weitgehend jungen Kollegen und Kolleginnen und gestalteten kürzlich eine Retrospektive dazu in der Galerie.
Kann Kunst sich mit neuer politischer Gegenwart auseinandersetzen?
Ich kann das gänzlich Neue nicht erkennen. Ich nähere mich gerne dem Thema über Literatur, dem schon überlegt Reflektierten. Die Gegenwart zu erkennen fällt sicher schwer. Social Media, mit Verlaub, ist oft ein Narrenhaus. Natürlich kommt der Qualitätsjournalismus der Sache schon näher.
Siehst Du einen Zusammenhang zwischen Kunst und Frieden?
Kunst darf nur im Sinne des Friedens denken. Wenn beispielsweise Denkmäler zu Ge-denkmälern werden, ist das ein partieller Ansatz. Ich denke an das Denkmal für die ermordeten Juden Europas von Peter Eisenman in Berlin.
Du gehst in Deiner Kunst der Frage nach der gerechten Gesellschaft nach?
Persönlich sind diese Fragen und die Suche nach Lösungen dafür in meinem Leben sehr wichtig. Mit meiner´Kunst werde ich das nicht lösen können.
Gehört das Scheitern zum Leben als Künstler?
Jeder scheitert ja sowieso. Im Scheitern gibt es neue Kräfte! Ja man scheitert ja ständig am Bild! Na ja, ganz so arg ist es mit dem Scheitern nicht. Mein Malprozess ist ja die Übermalung! Das aus meiner Sicht Gescheiterte entwickelt vielleicht beim Rezipienten die Lust einer Vervollständigung in seinem Sinn.
Führen Gefühlszustände zu künstlerischer Tätigkeit?
Ohne Zweifel nährt sich meine Kunst aus Emotionen, aber Wut und Zorn sind keine guten Ratgeber!
Verordnest Du Dir Disziplin?
Diszipliniert bin ich sicher. Schon alleine, weil ich jeden Tag male. Auch in der Zeit als ich als Ingenieur berufstätig war. Und zwar malte ich in meiner Technik: Ich verwende eine Mischung aus Wachsseife und Acryl als Pigmentbinder.
Hast Du künstlerische Strategien?
Ideen-gebende Themen folgen der Wahrnehmung. Individuell entwickelte Grundelemente bleiben durchgehen erhalten. Dunkle Bilder - Rote Bilder - Sequenzen, Leporellos und Guckkästen - Grüne Bilder - Serie Weiden - Unbekannte Landschaften - Entoptische Bilder - Bilder zu zeitgenössischer Musik - Bilder zur Dämmerung - Tatort Rom - Work in Progress - Resümee - Streifenbilder. Zu meinen Publikationen Historiker, Ethnologen, Galeristen einzuladen war mir immer wichtig. Dazu möchte ich die Verbindung zu Bodo Hell hervorheben. Eine besondere Freude bereitete mir die malerisch-zeichnerische Interpretation mittels eines großen Spontanbildes zeitgenössischer Musik, angeregt durch den Komponisten Albert Dambeck oder der Komponistin Ruth Zechlin.
Erklärst Du uns die Intuition zu den Masken und Maskenbildern!
In Passau hatte ich eine kleine Ausstellung mit dem Thema Spielobjekte in der Galerie Horst Stauber. Aus den gezeigten Phantasiewesen, die auch als ihre Schatten gezeigt wurden entwickelten sich die ersten Fabel-Gesichter. Ich nannte sie Masken. Feine Aquarelle waren das. Über die Jahrzehnte hinweg, bis heute, fesselt mich das Thema der doppelten Physiognomie. Der Disput zwischen Masken und den Maskierten. Durchaus tragbare Objekte aus einer Vielzahl an Materialien sind parallel entstanden. Stoff, Jutegewebe, Pappe, Holz, Materialfunde sind da Ausgangspunkt. Es überlagern sich Phantasieportraits und Masken. Seit den 80er Jahren immer noch Masken!
Du hast ein ausführliches, sehr aufwändiges Buch über die Entstehung und Bedeutung der Farbe Rot gemacht. Wenn Du bitte Wesentliches für uns zusammenfasst.
Für manche Leute ist Rot die Farbe der Aggressivität. Ich male mit lichtechtem Scharlachrot. Mit Indigo-Untermalung strukturiere ich. Die Erschließung des Raums erzeuge ich durch die Malmethode mit Wachsseife als Malmittel. Ich bin ein Feind des Firniss! Übrigens ein P.S. für Literaturfreunde: Ich besuchte die Orte, in denen Thomas Bernhard weilte und machte eine Interpretation zu Thomas Bernhards Frost. Und so entstanden ungefähr 80 Zeichnungen und Collagen für eine Veranstaltung der Passauer Thomas Bernhard Freunde.
Da bleibt mir nur mehr mich aufs Herzlichste zu bedanken und die mittlerweile Interessierten aufmerksam zu machen auf Dein Kommen am 5.6.24 zur Heftpräsentation in St. Pölten, Linzerstr. 16 um 18 Uhr! Auch da wird unser Gespräch interessant!
Franz Stanislaus Mrkvicka
Geb.1950 Wien: mutter schneidermeisterin, vater graveur (gest.1962). Dann interesse an der natur, ingenieursausbildung (bau), atelier bei freund ab 1966.1969: erste ausstellung in Wien, bis heute über 90 einzelausstellungen in Europa und Kanada. 1971 umzug nach Passau, parallel als ingenieur (oft wasserkraft) und künstler tätig, seit 1972 mit ehefrau Eva (elimentarpädagogin) zusammen.
84 einzelausstellungen: BRD, A, F, Ch und Canada. zuletzt im KV Speyer und im MMK Passau und in der 2013 mit seiner frau gegründeten sommergalerie Zöbing 2023 "One Day Show". hier bisher 55 ausstellungen, z. T. mit artists in residence.
themen: wahrnehmung, natur und landschaft, masken, bilder zu literatur und musik.
interessen: kunst, politik, zeitgenossische musik, kochkunst (buch 1996 Edition Thurnhof).