Bernadette Németh: Der Rest der Zeit. Rez.: Klaus Ebner
Klaus Ebner
Geschwister
Bernadette Németh: Der Rest der Zeit
Roman, 322 Seiten
Verlag Wortreich, Wien 2016
ISBN 978-3-903091-23-8
Die Ärztin Tünde wird an der Halswirbelsäule operiert, ausgerechnet zu Silvester, und das Risiko einer Querschnittslähmung steht im Raum. Das ist Ausgangspunkt und zugleich Rahmenhandlung des Romans »Der Rest der Zeit« der österreichischen Autorin Bernadette Németh, die nicht ganz zufällig ebenfalls Ärztin ist. Die Geschichte erzählt von drei Geschwistern, Tünde, Melinda und Adam, und deren Eltern, die während des Ungarnaufstandes nach Österreich gekommen waren. Es geht vordergründig um die Lebensbeziehungen der drei und hintergründig um die Art und Weise, wie man sich im Leben zurechtfindet und was man daraus macht.
Tünde wollte immer schon Schriftstellerin sein, doch der Arztberuf hat diesen Weg nahezu verbaut. Melinda ist Malerin, und sie möchte ihre künstlerische Tätigkeit nicht wegen des Kindes an den Nagel hängen, wie einst ihre Mutter es getan hat. Adam hingegen ist so etwas wie ein katholischer Fundamentalist mit haarsträubenden Vorstellungen; den Priesterberuf verlor er aber wegen seiner Liebe zu einer Frau, nun arbeitet er als Religionslehrer und versucht sich als Bücher schreibender Theologe. Alle drei stehen gewissermaßen vor Wendepunkten in ihrem Leben.
Den Hauptteil des Romans, dessen Schicksalswege abwechselnd ins Rampenlicht gelangen und fein miteinander verwoben sind, bildet wohl Tündes Geschichte. Die Leserinnen und Leser erfahren viel von der ärztlichen Ausbildung und von der Unbill, die einem da zustoßen kann. Was die Protagonistin in ihrer Turnuszeit und insbesondere in einem katholischen Spital erlebt, lässt inständig hoffen, dass die Autorin bloß seltene Einzelfälle zu einer ganzen Geschichte verbaut hat. Die Tatsache, dass sie selbst Ärztin ist, suggeriert freilich, dass es tatsächlich eine ganze Menge solcher unkollegialer, teamunfähiger, cholerischer und narzisstischer Mediziner in unserem Gesundheitssystem geben könnte, wie dieses Buch sie beschreibt.
Der Erzählfluss reißt mit, man möchte unbedingt wissen, ob und wie die von Bernadette Németh ausgelegten Fäden am Ende wieder miteinander verknüpft werden.