76-77/Stern/Unstern/Interview/Michal Hvorecky

Michal Hvorecky, slowakischer Autor, war im März 2019 als Writer in Residence im Literaturhaus Niederösterreich, in Krems, zu Gast. Über Medienmanipulation und die Rolle der Slowakei in Europa nach Ende des Kommunismus sprach er mit Cornelia Stahl. 

 

In welcher Sprache träumen Sie? 

Deutsch ist meine Welt, Slowakisch meine Identität. Mein Großvater war Zipser Deutscher, kam aus dem Nordosten der Slowakei, in der Nähe der Hohen Tatra. Deutsch war damals eine Sprachinsel in der Slawischen Welt. Deutsch habe ich am Gymnasium und am Goethe-Institut gerlernt, und ich habe in deutschsprachigen Ländern gelebt. 

 

Im März 2019 waren Sie als Writer in Residence in Niederösterreich. Wie haben Sie diese Zeit produktiv genutzt? 

Vor einigen Jahren habe ich bereits schon einmal in Krems gelebt. Es war eine Art Rückkehr. Es besteht eine regelmäßige Kooperation zwischen dem Slowakischen Literaturzentrum in Bratislava und dem Literaturhaus Niederösterreich, und immer im März kommt ein Autor aus der Slowakei und schreibt an seinem neuen Werk in Krems an der Donau. Hier habe ich Zeit an meinem neuen Roman „Tahiti“ zu schreiben. Nach der Dystopie „Troll“ wird das ein utopischer Roman. Selten habe ich in meiner Lebenssituation mit drei Kindern und einem festen Job so viel Zeit, um an meinem Roman zu schreiben. 

 

Hannah Arendt sprach einmal von einem „Narren-Paradies“. In Ihrem aktuellem Buch „Troll“ entwerfen Sie ein Szenario von einem „Narren-Paradies“, in dem Internet-User den digitalen Medien hilflos ausgeliefert sind!   

Das Zitat von Hannah Arendt ist sehr passend und nach zwei Diktaturen Ausdruck einer Hoffnung, einer Zukunftsvision. In meinem Buch geht es um die nahe Zukunft Europas und um die Gegenwart. Ich habe mich von autobiographischen Erlebnissen von Internethass motivieren lassen. Ich war oft Zielscheibe von „Trollen“, von Hassangriffen. Osteuropäische Intellektuelle erleben oft Ähnliches, oder kritisch schreibende Journalisten. Ich glaube nicht, dass wir diesem Hass ausgeliefert sind. Wir haben noch viel Widerstandskraft, uns zu wehren und die Entwicklung zu bremsen. 

Die Möglichkeit, sich zu wehren, ist Hauptmotiv meines Buches. Im Mittelpunkt meines Romans stehen kaputte Helden, die versuchen, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Sie überlegen, wie man sich in so einer Trollingfabrik, integrieren kann, um sie von innen heraus systematisch zu zerstören.  Ich möchte das Ende nicht verraten, aber es geht um ein aktives Handeln, ein Verhalten, sich mit der Offline- und der Onlinewelt aktiv auseinanderzusetzen. Wenn wir den westlichen Lebensstil beibehalten wollen, und darin ist die Meinungsfreiheit eingeschlossen, müssen wir auch etwas dafür tun.  

    

Sie sprechen hier indirekt die Erosion der Meinungsfreiheit an. Wo sehen Sie die Freiheit des Wortes gefährdet? 

Die meisten NutzerInnen nehmen keine Unterschiede mehr wahr zwischen Fake-News und objektiven Daten. Sie erkennen keinen Unterschied zwischen Qualitätsmedien und gefälschten Seiten. Viele User haben keine Ahnung, dass sie sich gerade ein gefälschtes Video oder gefälschtes Bild ansehen. 

Es geht um die reale und um erfundene Welten. Gerade mit erfundenen Welten wird gespielt im Netz, und das ist gefährlich. Meinungsfreiheit wird dadurch eingeschränkt, die öffentliche Meinung wird beeinflusst mit Hilfe von Fake-News. Diese Vorgänge sind gesteuert, werden gezielt und sehr geschickt eingesetzt. Oftmals kommen die Informationen aus Russland, aber nicht nur. Es sind viele Länder davon betroffen: Iran, Saudi-Arabien und die USA, da man im Netz sehr schnell und kostengünstig eine breite Masse erreichen kann. 

 

Sie sprachen von künstlich erschaffenen Welten im Netz, auf die die User anspringen. Mir scheint, als wollten sie damit etwas kompensieren. Was könnte das sein? 

Das ist die allgemeine Unzufriedenheit. Wir leben in Europa, wo es unheimlich viel Ungerechtigkeit und Ungleichheit gibt. Das Vertrauen in die westliche Welt, in die Demokratie, sinkt in der Slowakei, aus der ich komme, jedes Jahr. Eine Statistik besagt, dass bei möglichen Neuwahlen junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren Neofaschisten wählen würden. Die junge Generation ist besonders von diesen Tendenzen beeinflusst, da sie nicht mehr die Aufmerksamkeit (und den Überblick) hat, um die Medien richtig zu verstehen. Es mangelt an Medienunterricht und dem Wissen um eine Demokratie in einer offenen Gesellschaft, in einer Zivilgesellschaft. 

Gerade junge Menschen sind besonders affin im Glauben daran, eine autoritäre Macht wäre besser als eine demokratische. Das ist besonders gefährlich, weil wir (im Osten Europas) immer geglaubt haben, gerade die junge Generation ist jene, die die Hoffnung bringt, die automatisch europäisch, prodemokartisch agiert. Die Erfahrung mit der offenen Welt, mit offenen Grenzen haben das Gegenteil bewirkt. Sie nehmen alles, was Europa gebracht hat als Selbstverständlichkeit, aber sie sind manipuliert von Fake-News und wünschen sich eher eine starke Hand, einen starken Führer an die Macht als eine demokratische Regierung. 

 

Vielen Dank für das Interview!  

 

 

Michal Hvorecky

Schriftsteller und Journalist, 1976 in Bratislava geboren, lebt ebendort, studierte Kunstgeschichte und semiotisch orientierte ästhetische Theorie an der Universität in Nitra, war Writer in Residence an der Universität von Iowa, USA. Auslandsaufenthalte in Belgien, Deutschland und Österreich. Publikationen:  Troll. Roman. Stuttgart: Tropen/Klett-Cotta. 2018; Tod auf der Donau. Roman. Stuttgart: Tropen/Klett-Cotta. 2012;  Eskorta. Roman. Stuttgart: Tropen/Klett-Cotta, 2009. (O.: Eskorta, Bratislava 2007), City: Der unwahrscheinlichste aller Orte. Roman. Berlin: Tropen Verlag, 2006. (O.: Plyš, Bratislava 2005), Jäger & Sammler. Erzählungen. Wien: Triton Verlag, 2004. Sein deutschsprachiges Theaterstück „Slowakisches Institut. Eine Satire“ wurde 2009 im Theater Forum Schwechat aufgeführt. Hinweis: Das Interview können Sie nachhören: Radio Orange, „Literaturfenster Österreich“, o94.at:  26.03.2019, 18:00 - 18:30 Eine Welt von Trollen beherrscht Europa. 

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