Heil-Froh / Etcetera 88 / Bericht / Albertina Modern: Ai Weiei
Bericht von Eva Riebler
Ai Weiwei ist einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit, ein unermüdlicher Aktivist und Kritiker autoritärer Systeme. Er thematisiert das Wegsehen. Seine Sprache ist die Kunst. Die ALBERTINA MODERN widmet ihm nun seine bislang umfangreichste Retrospektive mit über 100 Werken und Objekten.
In Search of Humanity befasst sich eingehend mit dem Aspekt der Menschlichkeit und der künstlerischen Stellungnahme in Ai Weiweis Schaffen. Schon seine frühesten Werke sind von der Auseinandersetzung mit seinem Heimatland China geprägt, wo er als Kind durch die Verbannung seines Vaters, des großen Dichters Ai Qing, die Auswirkungen der Kulturrevolution miterlebte. Sie mussten in Abgeschiedenheit in dürftigen Erdhütten hausen. Als junger Mann ging er nach New York und gewöhnte sich an mit seiner Kamera Alltagsszenen auf der Straße festzuhalten. Im New Yorker East Village der 1980er-Jahre wurde er Zeuge und Dokumentarist der dortigen Protestbewegung. Wegen seines alten, kranken Vaters kam er zurück nach Peking. Er fotografierte Straßenszenen, zum Missfallen der staatlichen Behörden. In Peking waren es die unmittelbaren Nachwehen des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens, auf die er künstlerisch reagierte. Sein ausgestreckter Mittelfinger, den er bekannten Bauwerken als Repräsentationsobjekten der Macht entgegenhielt und damit Missstände anprangerte, wurde zu seinem Markenzeichen. Immer wieder sind es Machtstrukturen und die Mechanismen der Herrschaftsausübung, die der Künstler thematisiert, sei es die Zerstörung von Kulturgütern als Ausdruck der eigenen Überlegenheit oder die Ausübung von Manipulation, Zensur und Überwachung von staatlicher Seite. Unablässig schaut er stets dort genauer hin, wo er Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Gefahr sieht – bei Einschüchterungsmethoden der chinesischen Regierung, der Bedrohung von Journalisten sowie politischen Aktivisten über die Proteste in Hongkong und die massiven Restriktionen in Wuhan beim Ausbruch der Corona-Pandemie bis hin zur eigenen Inhaftierung im Jahr 2011. Er stellt seine Zelle mit den beiden ständig anwesenden Bewachern in Originalgröße nach. Der Betrachter kann sich eines Schauderns nicht erwehren, wenn er weiß, dass Au Weiwei 81 Tage darin verbrachte, ohne zu wissen, weswegen er angeklagt worden war.
Die aktuelle Situation Flüchtender auf der ganzen Welt betrachtet Ai als die vielleicht größte globale humanitäre Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, als enorme Herausforderung für uns als solidarische Gesellschaft – und sieht bei jedem und jeder einzelnen von uns die Verantwortung, zu handeln. Mit Ai Weiweis kulturellen Readymades, seinen Wandarbeiten, Skulpturen, Installationen, Fotografien und zahlreichen Filmen bietet die Ausstellung einen beeindruckenden Überblick über die mehr als vier Jahrzehnte währende Karriere des Künstlers und beinhaltet Schlüsselwerke aus allen Schaffensphasen.
Über Duchamp war Ai Weiwei zur Erkenntnis gelangt, dass ein Künstler aktiv sein muss. Vom Dadaismus übernahm er die Dekonstruktion. So zeigt er den chinesischen Massenartikel Fahrrad als unbrauchbar. Er türmt Fahrräder übereinander, drückt sie in den Boden und deformiert sie. Auch mit Tisch, Sessel oder Hocker geht er destruktiv um. Das macht seine Kunst so expressiv. Er überzieht eine Schaufel mit Pelz, die dadurch so unbrauchbar wird wie ein großes Sofa aus Stein. Das Sofa, Mittelpunkt in allen chinesischen Haushalten, wird so zu einem steinernen Monument des Vergessens.
In seinem großformatigen Bild aus Lego-Steinen verliert das populäre Lego seine kindliche Unschuld. Er stellt die 12 Tierkreiszeichen- Brunnenfiguren des Sommerpalastes, der von englischen und französischen Truppen geplündert worden war, wieder her und zeigt so, wie jedes Objekt mit unserem Leben verbunden ist. Er baut einen Spiegel unserer Gesellschaft und macht sein Anliegen nachvollziehbar: Nämlich - Die Suche nach Menschlichkeit.
Diese Ausstellung wurde wie die Eduard Munch Ausstellung in der Albertina von Dieter Buchhart kuratiert. Sie ist in der Albertina Modern am Karlsplatz Wien bis 4. September 2022 zu sehen.