Alois Eder
DER ABSCHIED VOM TENOR...
DIE KATZE IM SACK
George Feydeau
NÖ Landestheater, St. Pölten
Premiere 02.12.2006
Regie: Roman Kummer
Das Programmheft versorgt den Besucher mit einer Reihe von hochgestochenen Zitaten von Kafka über Herzmanovsky bis zu Pirandello, offenbar zur Untermalung des herauszuarbeitenden Hauptmotivs der Feydeau-Komödie: Niemand würde viel in Gesellschaft versprechen, wenn er sich bewusst wäre, wie oft er die anderen missversteht (Goethe), es verweist aber damit das Bedürfnis nach intellektuellem Widerhall einer Verwechslungskomödie ebenfalls teilweise auf den falschen Dampfer.
Denn wie es dazu kommt, dass der junge Dufausset (Thomas Mraz), vom Vater zum Studium aus Paris in die Provinz geschickt, von dessen Freund, dem Ersatzzucker-Fabrikanten Pacarel (Hanno Pöschl) hartnäckig mit dem von ihm im Rahmen einer Intrige angeworbene Tenor verwechselt wird, ist vielleicht auch infolge einer - straffenden? - Bearbeitung durch Isabella Suppanz nicht mehr ganz über die Bühne gekommen, nur dass es was mit einem Telegramm, das der Diener Tiburce (Helmut Wiesinger) nicht weitergeleitet hat, zu tun haben könnte, lässt der dritte Akt nach der Pause anklingen. Und damit fühlt man sich in der Boulevardkomödie dann leicht irritiert wie in jenen TV-Serienkrimis, wo der Drehbuchautor zuletzt auch nur noch zu würfeln scheint, wen er als Täter entlarvt, wo doch laut Einstein nicht einmal der Herrgott würfelt, statt in der traditionellen in der Quanten-Physik der Unterhaltung ...
Kein Wunder, dass Thomas Mraz, der falsche Tenor, die meisten Probleme mit seiner zweideutigen Rolle hat, muss er doch gleichzeitig auch die Ehegattinnen der Ehekrüppel Pacarel und seines Arztes und Freunds Ladernau (Herman Schmid) antörnen, und wird zuletzt auch noch als Sixtinienser-Eunuch ausgeschrieen, ohne im Happy-end wenigstens die Tochter Julie Pacarel (Karin Yoko Jochum) als Trostpflaster davonzutragen. Diese, Komponistin einer Oper, hat den Tenor-Fimmel ihres Vaters ausgelöst, weil der Parvenu annimmt, wenn er diesen mit einem Knebelvertrag an sich kettet, könne er der örtlichen Oper einen Deal schmackhaft machen: Überlassung des großstädtischen Publikumsmagneten gegen Uraufführung von Julies Oper ...
Aber immerhin: zwei Akte voll unbeschwerten Lachens vor der Pause, das kann schon konsolidierend wirken für eine Direktion und ein Publikum, die sich erst aneinander gewöhnen müssen. Feydeau (1862-1921) ist heute für Theater und ihr Publikum offenbar dasselbe wie die Doping-Droge für müde Pferde, die in seinem Stück als Methode diskutiert wird, auch einen schwächelnden Tenor wieder aufzumöbeln: Ingwer in den Hintern, oder einen Star wie Hanno Pöschl ins Ensemble ... Karl Dobravski, den man in der Pause treffen konnte, sieht das alles aus milder Pensionisten-Perspektive, auch er hätte in seiner aktiven Zeit kaum was an den Lachnummern verderben können, weder in der Herren- noch in der Dienerrolle. Auch sonst sieht man alte Recken im Premierenpublikum, Exdirektor Wolsdorff und Tochter neben Diplomkaufmann Binder etwa, aber auch Renate Kienzl mit Gatten. Und da schießt einem noch eine andere Erklärung für diesen vorweihnachtlichen Programm-Schachzug der neuen Direktion ein: Vielleicht ist das Stück auch eine unterschwellige Antwort auf die St.-Pöltner Nostalgie-Initiativen, die sich das Operetten-Genre an ihrem Stadttheater nicht durch den neuen Stahlpakt mit dem Festpielhaus nehmen lassen wollen? Der falsche Tenor - ein mehrfacher Schriftsinn?
Dessen hätte es für einen Applaus des vollen Hauses für die gelungene Ensemble-Leistung allerdings nicht bedurft. Die schrillen Damen (Katrin Stuflesser und Cornelia Köndgen) waren schrill, die alten Deppen waren dämlich, insgesamt also eine erfolgreiche Eroberung des kleinsten gemeinsamen Nenners des Publikums: Ma lacht! Freilich, im dritten Akt, wenn man sich fragt, worüber man eigentlich lacht, mit zunehmend schlechtem Gewissen. Noch dazu, wo man kaum Zeit gehabt haben wird, die hochgestochenen Begleittexte des Programmhefts zu studieren, das einem leider den französischen Originaltitel ebenso vorenthält wie das Entstehungsjahr, das wohl eher noch nicht in die Gründerzeit, sondern schon unter den Jugendstil fallen wird, wenn man die Kostüme der Ausstatterin Illona Glöckl richtig deutet, die leider auf den hemdsärmeligen Probenfotos aus der Werbung noch nicht zu sehen sind.
Allusionen wie die an Othello darf nicht sterben und ähnliche Produkte desselben Genres hätten vielleicht durch die größere Nähe wirksamere Geburtshilfe geleistet als Kafka & Co. - denn im Grunde ist ja der zunächst so unbeschwert lachende Kleinbürger im Theater durch die Bühnenlazzi genauso dupiert, wie Pacarel, Laderneau und Co. auf der Bühne: Sie lachen in ihrer vermeintlichen Unbeschwertheit - und das ist der Erkenntnis-Prozess, der sich erst nachher ankurbeln ließe - sozusagen auch auf eigene Kosten über sich selber...