Autorenportrait: Uwe Bolius. Ingrid Reichel

Ingrid Reichel
Feindbild: Mutter
Ein Portrait und eine Rezension

 
Der 1940 in Linz geborene Autor Uwe Bolius hat nach seinem Roman „Hitler von Innen“ wieder ein sehr schwieriges Thema aufgegriffen. Schwierig nicht zuletzt, weil es Tabu behaftet und somit polarisierend ist. „Juttas Tod“ ist eine Erzählung, die sich vordergründig mit dem Sterben und der Sterbebegleitung befasst. Bolius spart in seiner Themenauswahl nicht sein privates Leben aus. Er gehört wohl zu den authentischsten Schriftstellern im deutschsprachigen Raum.

In diesem Buch geht es um Jutta, sie ist Bolius Schwester, sie ist an Krebs erkrankt und stirbt. Das ist die eine Seite des Inhalts. Der Krebs, der bekämpft werden soll, und schließlich die harte Erkenntnis der Unheilbarkeit. Das Warten der Erkrankten, das Warten der Angehörigen, die Unerträglichkeit des Wartens auf etwas, was nicht abwendbar ist und was unwiderruflich eintreten wird, das Warten auf den Tod. Für den Sterbenden steht der Verlust des Lebens im Vordergrund, für die anderen der Verlust eines geliebten Menschen. Doch bei diesem „langen“ Warten stellt sich nicht die Krankheit oder gar der Tod als Feind heraus, den es zu bekämpfen gilt, sondern das Leben selbst. Erst der Tod bringt die Menschen wieder zueinander, das ist eine Regel, die man spätestens auf jeder Beerdigung erleben kann. Wer die Option des Wartens auf den Tod bekommt, wird mit einer Zerreißprobe konfrontiert. Einerseits hat man Zeit Abschied zu nehmen, andererseits wird das Warten auf das Ende zu einer nervlichen Belastung. Stirb! Stirb! Stirb!, möchte man schreien, wenn das Leiden unerträglich wird. Schon Arthur Schnitzler beherrschte die hohe literarische Kunst, seine Leser Gefühlen der Ausweglosigkeit auszusetzen. Bolius steht ihm kaum nach.

Die andere Seite des Buches ist die Aufarbeitung seiner und Juttas Kindheit und Jugend, die Kriegs- und Nachkriegszeit, die Entbehrungen und harte Erziehung, die Sinnlosigkeit. Doch die menschliche Natur strebt nach Sinn und dies implementiert Schuld. Mit Schuld ist eine Zuweisung verbunden. Eine Krankheit wie Krebs kann nicht grundlos sein. Irgendetwas, irgendwer muss daran Schuld haben. Die Lebensumstände werden durchleuchtet. Das Warten auf den Tod stellt sich als Suche nach Schuld und Sühne heraus.

Die zwei Geschwister haben etwas aufzuarbeiten. Beide litten unter der Mutter. Eine Last, welche beide mit ins Erwachsenenleben schleppten und die erst angesichts des Todes mit einem Knall auf dem Tisch präsentiert wird. Der eine verdrängt mehr, der andere weniger. Bolius ist erbarmungslos, mit sich, seiner Schwester und seinen Lesern. Nicht Verarbeitetes wird ausgekotzt. Doch zuerst musste die Schwester sterben, und dann die Mutter. Bolius gehört nicht zu den Schnelldenkern und –schreibern oder gar zu den leichtfertigen Autoren, seinen Werken gehen lange seelische und geistige Auseinandersetzungen voraus. Bolius gräbt tief und liefert eine konzentrierte, aber leicht lesbare Arbeit. In knapp über 100 Seiten ist inhaltlich Stoff für über 1000 Seiten.

Die Mutter war Kriegswitwe und musste die Kinder alleine großziehen. Zur Hilfe stand aber die Großmutter väterlicherseits bereit, bei der die beiden Geschwister die glücklichsten Momente ihrer Kindheit erlebten. Die Mutter hatte kaum Zeit, war weder liebevoll noch besorgt um die Kinder. Trauma der Kindheit ist ein sexueller Übergriff eines Fremden (?) auf die 13-jährige Jutta, der weder zur Kenntnis genommen noch aufgearbeitet wurde.

Das Buch ist in drei Teilen aufgebaut: Eine Vor- und Zwischenbemerkung, die Geschichte der Mutter in „Kriegerwitwe“ und „Juttas Tod“, in der Bolius die Kindheit und Jugend sowie Juttas Ehe aufarbeitet. Bolius pendelt zwischen Ich-Erzählung und der distanzierten dritten Person. Die Kriegswitwe wendet sich direkt an den Leser, als ob es keine Betroffenen gäbe. Bolius schafft es, die Defizite der Individuen in einer Familie klar darzustellen: Das Kind, welches sich nach Anerkennung und Rückhalt sehnt und nicht erhält; die Mutter, die noch jung und attraktiv sich nach einem Partner sehnt, begehrt werden, aber ihre Selbständigkeit nicht aufgeben will und aus Egoismus ihre Kinder vernachlässigt, ihnen gehässig gegenübertritt und sie sogar abschiebt.

Wie sehr unterscheidet sich doch die Realität von dem Bild der liebenden Mutter mit ihrem Kind, die fürsorglich und still ihren Nachwuchs großzieht, das sich die Gesellschaft für die Frauen zurechtgerückt hat: Die Madonna mit dem Kind, das entzückte Kind im Schoße der Mutter mit dem entrückten Blick der Frau, die unbefleckt empfangen hat. Welch ein Vorbild, welche Frau kann da mithalten? Laut christlicher Tradition (und den restlichen Weltreligionen und Sekten auch!) gilt die Frau als unrein, als gescheiterte Existenz. Die hohen Anforderungen übertragen sich schleichend auf die Brut. Und so könnte bei kleinster Abweichung schnell die Mutter zum Feindbild werden. Bolius wirft, man sieht, mit seiner Erzählung viele Fragen in die verschiedensten Richtungen auf, ist ergreifend, aber kein bisschen sentimental.

Ein  h a r t e s  Buch, wie es nur ein Liebender schreiben kann, der mit seinen Nächsten fallweise mitgestorben ist.

 
Juttas Tod
Uwe Bolius
Erzählung
Hohenems: Limbus Verlag, 2010. 104 S.
ISBN: 978-3-902534-34-7

etcetera Nr. 43/ Feindbilder. Zwischen Barrikaden und Blockaden./ März 2011 mehr...

Autorenportrait: Uwe Bolius. Ingrid Reichel

Künstlerportrait: Daniel Spoerri. EAT-ART - Keine Kunst zum Essen. Ingrid Reichel

Daniel Spoerri
EAT-ART: Keine Kunst zum Essen

 

 

Daniel Spoerri, der Schweizer Künstler und Begründer der Eat-Art feierte am 27. März seinen 80. Geburtstag. Knapp davor eröffnete er das Speiselokal und Ausstellungshaus AB.ART in Hadersdorf am Kamp, NÖ. Im November würdigt ihn die Kunsthalle Krems mit einer Ausstellung.

 

Was Spoerri wohl bewogen hatte, mit 77 Jahren nochmals zu übersiedeln, aus Italien nach Wien? Einen alten Baum verpflanzt man nicht so gerne. Der vielbeschäftigte und mittlerweile medienscheu gewordene Künstler überlässt die Antworten Karin Pernegger, der Co-Kuratorin der Ausstellung in der Kunsthalle Krems. Als Künstlerperson habe Spoerri keine Wurzeln. Wo seine Kunst entsteht, dort lebt er auch. Hadersdorf am Kamp in seiner Abgeschiedenheit und Wien sind daher seine Heimkehr an die Donau. Vor 80 Jahren wurde er an der Donau geboren und ist dort aufgewachsen, nur 1000 km weiter unten. Gerade wenn Europa wieder und immer wieder in Frage gestellt wird, sind Menschen wie Daniel Spoerri ein Trost. Denn es gibt sie, die wahren Europäer.

Spoerri wurde 1930 in Galaţi in Rumänien geboren. Sein Vater Isaac Feinstein war Missionar der norwegisch-lutheranischen Kirche. Mit 12 Jahren (1942) floh er mit der Mutter und den fünf Geschwistern nach Zürich. Die gesamte Familie nahm den Namen der Mutter an. Und dann wurde Spoerri Tänzer. Zuerst besuchte er die Theatertanzschule in Zürich, dann bekam er ein Stipendium in Paris und wurde Erster Tänzer am Berner Stadttheater. Nach dem 2. WK war Tanz ein starkes Ausdrucksmittel. Immer mehr freundete sich Spoerri mit Künstlern an. Bereits 1949 lernte er Jean Tinguely und Eva Aeppli kennen. Nach dem Farbenballett, den surrealistischen Dramen, Verlagsarbeiten und verschiedenen Regiearbeiten wendet er sich immer mehr der Kunst zu und unterzeichnet 1960 als Mitbegründer das Manifest des „Nouveau Réalisme“. Während sich in Amerika die Pop-Art entwickelte, arbeitete man in Europa an einer neuen Annäherung der Wahrnehmungsfähigkeit des Realen. Die Grundideen basierten auf dem Dadaismus und dessen Manifest, welches sich gegen den Nationalsozialismus und den aufkeimenden Materialismus richtete. So bekam das Infragestellen bürgerlicher Wertsysteme nach den fatalen Folgen des 2. WK ein neues Gewicht. Ziel war, die erhabene Kunst von ihrem hohen Sockel zu stoßen, indem man Objekte aus dem Alltag in die Kunst integrierte. So entstanden objets trouvés, so genannte Fundstücke, Assemblagen, Akkumulationen und Decollagen und die Aktionskunst wurde geboren.

Für Spoerri und die nouveaux réalistes, die vorwiegend aus Autodidakten bestanden, folgten viele Einzel- und Gruppenausstellungen quer durch Europa bis nach Amerika. Spoerri wurde durch seine détrompe-l’œil (Bilder, die das Auge über einen Irrtum aufklären), Fallenbilder und spätere Wortfallen (pièges à mots) bekannt. Trotz vielseitigster Projekte wie „investigations criminelles“ (Morduntersuchungen), „le musée sentimental“ und dem Skulpturenpark „Il Giardino di Daniel Spoerri“ in der Toskana, um nur einige beim Namen zu nennen, rückte das Essen und das Kochen in den Mittelpunkt seiner Kunst. Bereits 1963 fanden Ausstellungen mit 723 Kochutensilien, eine 7-Minuten-Ausstellung „bis das Ei hart gekocht ist“ und „31 Variations on a meal“ statt. 1966/67 zog sich Spoerri auf die ägäische Insel Symi zurück. Dort entstand das gastronomische Tagebuch sowie la magie à la noix (Die Magie der Nuss) – 25 Zimtzauberobjekte (betextete Objekte) und die „Sammlung Hahn“.

Am 18. Juni 1970 ist es schließlich soweit, er eröffnet das Restaurant Spoerri in Düsseldorf und begründet damit die Eat Art. Spoerri ist überall und nirgendwo. Einerseits ist er im Tessin anzutreffen, dann wieder in Paris oder in Deutschland. Er reist nach Italien, England, organisiert verschiedene Bankette wie das „Diner für Karl Marx“ und schließlich begründet er „die Küche der Armen der Welt“. Der Tisch als abgegrenzter soziokultureller Background wird somit erweitert. Es ist ein ironischer Witz, beim Organisieren einfachen Essens für Reiche mit Armen, zu spüren. Es ist der erlebte Prozess einer Inszenierung. Der Tisch als Territorium tritt gegen jegliche autoritäre Instanzen an. 1972 wurde ein Jahr lang jeden Tag ein Tisch im Restaurant fixiert. Die Tischplatte nach dem Essen mit den aufgeklebten, verwendeten Objekten ist Zeugnis eines unwiderruflichen Moments eines Gemeinschaftserlebnisses. Das Festhalten dieses Moments kommt einem Lebenszyklus gleich, beinhaltet Leben und Tod, Lebenserhaltung und Verwesung. Zusätzlich haben Geschmacksinn und Nahrungsaufnahmegewohnheiten des Menschen in seinem Werk einen zentralen Punkt eingenommen. Spoerri spielt und irritiert durch Verfremdung der Speisen und Veränderung der Menüabfolge bei seinen Diners. So beginnt das Menu gleich wie ein Palindrom z.B. mit dem Kaffee, der eine dunkle Gemüsebrühe ist.

Seit 2007 hat Spoerri Wien für sich entdeckt. Und wenn der mittlerweile 80Jährige nicht auf Reisen ist, begegnet man ihm vielleicht am Flohmarkt beim Naschmarkt, wo er unermüdlich nach weiteren merkwürdigen Objekten für seine Fallenbilder sucht. 2009 erwarb Spoerri ein altes Klostergebäude in Hadersdorf am Kamp. Es befindet sich direkt am Hauptplatz Nummer 23 und trägt fortan den Namen „AB.ART“. Laut Daniel Spoerri verbindet der Name einerseits das Abartige und andererseits das „ab origine“, das Ursprüngliche. Am 20. März 2010 erfolgte die Eröffnung des Kunststaulagers, wie Spoerri es zu nennen pflegt. Über dem Esslokal ist ein großer Ausstellungsraum mit einer Rezeptbibliothek. Hier kann man sich über Speisezubereitungen mit unüblichen Zutaten wie Blut, Hoden, Lunge usw. informieren. Die Rezepte wurden von Daniel Spoerri und seinen Künstlerfreunden illustriert. Im Schauraum und in der ehemaligen Scheune werden Spoerris neue Assemblagen gezeigt, die aus seinem reichen Fundus auf seinen jahrelangen Flohmarktspaziergängen erstandenen Objekte bestehen. Auch konnte Spoerri die eher kunstmarktscheue mittlerweile 85jährige Eva Aeppli von einer Ausstellung ihrer lebensgroßen, genähten Figuren und Köpfe überzeugen.

Fotos der Werke von Daniel Spoerri wurden mit freundlicher Genehmigung der Kunsthalle Krems abgedruckt.

Ausstellung: Daniel Spoerri. Kunsthalle Krems 21.11.2010 – 20.02.2011
Dauerausstellung: AB.ART, Hadersdorf am Kamp

Daniel Spoerri
Geboren 1930 in Galati, Rumänien. 1942 Flucht der Familie nach Zürich. 1949 besucht Spoerri dort die Theatertanzschule. 1952 Tanzstipendium in Paris. Von 1954-57 arbeitet er als Tänzer: Erster Tänzer am Berner Stadttheater; Choreographie „Farbenballett“; Inszenierung von Picassos surrealistischem Drama „Wie man Wünsche am Schwanz packt“; Deutschsprachige Erstaufführung von Ionescos „Die kahle Sängerin“. Von 1957-59 arbeitet Spoerri als Regieassistent am Theater Darmstadt. Heirat mit Vera Mertz. 1957 publiziert er die Zeitschrift für konkrete Dichtung „material“ und wohnt in der Chambre 13 im Hôtel Carcassonne in der rue Mouffetard in Paris. 1959 lernt Spoerri den Wegbegleiter des Dadaismus und Surrealismus, den Objekt und Konzeptkünstler Marcel Duchamp kennen. 1960 mitunterzeichnet er das Manifest des Nouveau Réalisme“. Entstehung der ersten Fallenbilder. 1961 erste Einzelausstellung in Mailand. Es folgen Ausstellungen in Dänemark, Deutschland, Niederlande und New York. 1963 entstehen die ersten Détrompe-l’œil-Bilder und Sammlungen wie die Optique Moderne. Ausstellung „Restaurant der Galerie J“ in Paris. Es folgen Ausstellungen in New York, Deutschland, England, Schweiz und Italien. 1966-67 Rückzug auf die ägäische Insel Symi, wo u.a. das Kochtagebuch entsteht. Mit dem „Restaurant Spoerri“ und der dazu gehörigen „Eat Art Galerie“, die er in den 1968 Jahren in Düsseldorf gründete, wurde der Künstler zum Begründer der Eat Art. 1972 „Investigations criminelles“ (Morduntersuchungen). 1983-1989 Professur an der Kunstakademie München. Neben Regiearbeiten, Bühnenbilder, Dokumentarfilme mit der Lebensgefährtin Marie-Louise Plessen wird 1997 der Künstlergarten „Il Giardino di Daniel Spoerri“ in der Toskana eröffnet. Umsetzung seiner Assemblagen in Bronzeskulpturen. Lebt in Paris und Arcidosso in Italien. 2007 Übersiedlung nach Wien. 2010 Eröffnung des Kunststaulagers in Hadersdorf am Kamp.
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Künstlerportrait: Alex Katz. Von Amerika nach Österreich. Ingrid und Franz Reichel

Alex Katz
VON AMERIKA NACH ÖSTERREICH
Die Übersiedlung des graphischen Œuvres

 

Franz Reichel und Alex Katz
© Ingrid Reichel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Bereits im Herbst 2009 entschied sich der international renommierte amerikanische Künstler Alex Katz sein vollständiges graphisches Werk der Albertina zu vermachen. Die Albertina zeigte in der Ausstellung „Alex Katz: Prints“ einen Überblick des druckgraphischen OEuvres vom 27.05.2010-12.09.2010. Franz und Ingrid Reichel besuchten den jugendlich wirkenden und sympathischen 83-Jährigen, der maßgebend an der Entwicklung der Pop-Art beteiligt war, in Wien und trafen ihn vor der Ausstellungseröffnung in der Lounge im Hotel Sacher am 26.05.2010. Die Zusammenstellung der Fragen erfolgte durch Ingrid Reichel. Franz Reichel führte das Gespräch. Das Interview in Originalversion und die Kritik zur Ausstellung in der Albertina sowie zum Katalog finden Sie auf der LitGes Homepage.

Betrachten Sie Ihre Kunst als typisch amerikanisch?

Nein.
(Zu hören ist ein verlegenes Lachen, seitens der Interviewer.)

Sie sind im Amerika der 30er Jahre geboren und aufgewachsen, eine Epoche, die vom abstrakten Expressionismus stark beeinfl usst wurde. Die Frage ist: Haben Sie selbst jemals die Abstrakte der 40er und 50er Jahre in Ihrer Kunst verfolgt?

Nun, der abstrakte Expressionismus hat sich der Welt durch ein paar Menschen in N.Y. City geöffnet. Ich habe niemals abstrakt gemalt. Aber die Grammatik meiner Malerei kommt aus der abstrakten Malerei.

Was war die Ursache für die Distanz zu den Zeitgenossen und dafür in die entgegengesetzte Richtung zu arbeiten?

(Alex Katz lacht verschmitzt) Ich war mehr oder weniger eine unbedeutende Figur in der Welt der abstrakten Expressionisten.

Obwohl Ihre Arbeit keine Automatismen der Komposition und Impulse des Alltagslebens erlaubt, haben dennoch wie die Expressionisten Großformate gewählt.

Ja, sie waren inspirierend und eine Herausforderung für den Realismus in der bildenden Kunst, das war zeitgenössisch und es gab damals keinen zeitgenössischen Realismus im Großformat.

War das nicht für den Verkauf der Bilder hinderlich?

(Katz lacht) Die ersten zehn Jahre habe ich nette kleine Bilder gemalt, habe meine Techniken ausgebaut und dann begann ich in den 50er Jahren Figuren auf breitem Untergrund zu malen.
Die einzigen Menschen, die meine Kunst schätzten, waren Künstler und Schriftsteller, so entwickelte sich die Idee – bei den großen Köpfen – dass die Werke die Schnelligkeit der abstrakten Malerei aufweisen.
Soweit es mich betrifft, würden Menschen, die Wert auf ihre Einrichtung legen, keines meiner Bilder aufhängen.

Ist der Akt des Malens als reiner Prozess für Sie bedeutender als der Inhalt des Bildes?

Nun, der Inhalt des Werkes ist der Stil – das ist der Inhalt meiner Malerei. Der Akt der Malerei ist verbunden mit dem Stil. Der Akt der Malerei arbeitet mit deinem Unterbewusstsein, wissen Sie, das ergibt einen größeren Zusammenhang. Die Art wie gemalt wird, ist Teil des Stils. Das ist ein alter Hut, wissen Sie. Sie haben ein Thema und das Thema wird Inhalt und der Inhalt wird zur Form und die Form ist Inhalt … das ist der gute alte abstrakte Expressionismus. Es scheint mir, dass ich den Stil mehr als Inhalt, denn als Form bevorzuge.

Sind wir mit der Annahme richtig, dass der Inhalt ihrer Bilder keine Botschaft ist, sondern die Abbildung von Menschen als Produkt wahrgenommen, wie etwas, das konsumiert werden sollte.

Grundsätzlich ist es ein optisches Bild.

Schlichtweg Bilder?

Nur Bilder.
Bilder, Malereien sind grundsätzlich Gebrauchsgegenstände – aber dies ist ein zweiter Anhaltspunkt. Malereien sind zunächst da, etwas zu zeigen, was die Welt zu sehen hat. Das ist Malerei. Die erste Funktion und Aggression eines Werkes ist es, dir etwas sichtbar zu machen. Eine passive Malerei dient zum Dekorieren eines Hauses.

Aber ihre Werke wirken nicht aggressive. Denken Sie Ihre Malerei ist aggressiv?

Sie ist geschmackvoll. Jede Malerei aus N.Y. ist geschmackvoll oder gut genug, aber im Wesentlichen nicht dekorativ. Ein in erster Linie dekoratives Werk ist eines, welches nett über der Couch aussieht.

Aber Sie nennen sie aggressive?

Ja. Jede gute Malerei kann als dekorativ betrachtet werden. Meine Malerei ist sehr aggressiv, weil sie zeigt, was real ist.

Und das ist aggressiv?

Sagen Sie mir dieses Bild oder dieser Film oder Fotografien sind realistisch – realistisch ist variabel und durch die stärkste Person dominiert. Das ist aggressiv.

Betrachten Sie sich als Pop-Art-Künstler?

Ich bin pre-pop.

Sie sind pre-pop?

Ja, Warhol [1] und Wesselmann [2] wurden beide von mir beeinflusst. Ich wählte einen anderen Weg. Ich denke die Anwendung von populärer bildlicher Darstellung gibt der Malerei – der traditionellen Malerei - Vitalität. Ich bin grundsätzlich ein traditioneller Künstler. Aber die Pop-Art, ich meine die bildliche Darstellung: die Filme, das Fernsehen, die Werbeplakate und all das Zeugs waren wirkliche Inspirationen, es ist ein anderer Weg eine Leinwand zu gestalten und etwas daraus zu machen.

Wie sehen Sie die Verbindung zu Wesselmann?

Wesselmann nahm von mir …

Oh?

Ich war früher! Ich hatte die „großen Gesichter“ bereits 1962 entwickelt. Er hat die großen Gesichter nicht vor 1964 bis 1965 gemacht.

Und die Cut-outs?

Die Cut-outs [3], ich machte sie 1959. Er machte sie etwa 78. Warhols flight images datieren aus den 60ern, meine aus den 50ern… „Double Ada“ [4] entstand 1959, er machte sie später…

Wie sehen Sie die Tatsache, dass diese Maler besonders in Europa berühmter wurden als Sie?

Ich denke das ist … es war vom Standpunkt der Moderne leichter zu verdauen. Sie wissen, meine Werke sind nicht modern, sie sind zeitgenössisch. Und ich denke Warhol und Wesselmann gehören zur Moderne – das ist ein wesentlicher Unterschied und ich denke in dieser Hinsicht beachten mich mehr junge Maler.

Ich weiß nicht, wie es in Amerika war, aber in Europa wurden Sie in den letzten 10-20 Jahren berühmt.

Ja, in den letzten 20 Jahren explodierte es förmlich.

War es in Amerika auch so?

Nein. In Amerika war die Explosion der Stilrichtungen in den späten 50ern. Die Institutionen zeigten jedoch nie großes Interesse. Ich bekam nie Unterstützung renommierter Institutionen – weil die Werke in Konflikt mit der Idee der Moderne standen.

Warum ist dies nun anders?

Ich meine die Moderne gehört zum Faschismus, Kommunismus und zu allem möglichen Religiösen und sie hat einen fixen Standpunkt. Sie ist nicht veränderlich. Wie die Wahrheit, ist sie eine feste Größe. Modern zu sein, bedeutet für die unmittelbare Vergangenheit zu arbeiten. Schauen Sie, ich bewundere Kitagawa Utamaro. Thutmosis, ich schätze Ägyptische Skulpturen. Ich mag Filme, Werbetafeln. Ich mag Monet und Manet. Ich mag alles, was ich in meine Finger kriege. Dies ist sehr weit weg, militant modern zu sein. Der Großteil meiner Ausbildung, was die Moderne anbelangt, berief sich auf, natürlich kennen Sie: Malewitsch [5] und Mondrian [6] - selbstverständlich eine fantastische Malerei – aber sie glaubten an die absolute Wahrheit, die Abstrakte war absolute Wahrheit. Ich glaube nicht an eine Welt mit irgendwelchen Absolutismen.

Ihre Arbeit erfährt die gebührende Aufmerksamkeit in Europa seit den späten 90ern. Nun sind sie die Vaterfigur dieser künstlerischen Richtung geworden. Können Sie beschreiben, wie es dazu kam?

Ja. Nein, nein ... es passierte einfach. Zuerst kamen Menschen aus Polen und Osteuropa, um mich zu sehen, von überall her, es ist ein netter Trend. Sie kamen mit einer Idee … was will man da machen? Ich hatte zu Beginn keine Ahnung, ob die Werke überhaupt etwas taugten – gut oder schlecht. Ich wusste sie waren unkonventionell und meine Ideen ergaben Sinn für mich, obwohl sie instinktiv nicht vernünftig waren. Ich wusste, was ich wollte. So haben Leute, seit meiner Ju gend, immer von mir genommen. Nun bin ich eine ältere Person und sie bekamen eine Vaterfigur mit mir. Nein, ich möchte nicht mit den Kids wetteifern, ich möchte nicht ihr Vater sein.
(Alle lachen.)
Das ist eine Tatsache.

Warum haben Sie sich entschieden in die entgegengesetzte Richtung zu arbeiten: von der Malerei zur Druckgrafik, was ziemlich unüblich ist? Ich habe gehört, die Druckgrafik ist Ihnen wichtiger als die Ölmalerei…

Ein Druck ist der letzte Arbeitsschritt an einem Bild. Andere Leute arbeiten unterschiedlich. Ich finde gute Bilder sind schwer zu machen. Ich möchte nicht nur gute Malerei machen, ich möchte gute Bilder machen. Wenn ich ein gutes Bild gemacht habe, dann sage ich: Gut, das ist später meine Chance auf einen Druck. Viele Dinge passieren so eben nicht, z.B. Buchillustrationen. Aber grundsätzlich, wie das große Bild von Ada [7] unter dem Regenschirm, „Blue Umbrella“ („Blauer Regenschirm“) genannt, es ist ein großartiges Bild. Und so erschien es logisch, es zu einem Druck zu machen.

Ist es nicht leichter mit Druckgrafiken berühmt zu werden. Haben Sie nicht den schwierigeren Weg gewählt?

Nun, die Druckgrafiken sind verglichen mit den Gemälden grundsätzlich billig. Ab einem gewissen Zeitpunkt wurde mir klar, dass ich bereits einen Markt für Druckgrafiken hatte und ich sagte mir: Mach lieber Drucke und unterrichte! An der Yale University [8], übrigens der beste Job, den ich im ganzen Land jemals bekam, fragten sie mich nach drei Jahren: Wir würden Sie gerne im Kollegium haben. Ich hätte zweimal wöchentlich an Sitzungen teilzunehmen und so sagte ich: Bye-bye! Ich bin ein Vollzeitmaler. (Lacht)

War das Ausbilden nicht eine Herzensangelegenheit?

Es war eine intellektuelle Sache für mich zu unterrichten. Ich genoss es. Ich genoss es sogar sehr, weil man eine Menge malt, unbewusst, und es ist in deinem Kopf und ich war gezwungen, es später den Studenten zu erklären. Da waren ein paar helle Köpfe und ich habe viel zurückbekommen. Doch danach wurde es irgendwie langweilig.

Uns stellt sich in Anbetracht Ihrer amerikanischen Herkunft eine interessante Frage: Warum haben Sie Ihr gesamtes druckgrafisches Werk der Albertina vermacht?

Wissen Sie, die Albertina hat mich sehr unterstützt. Da war die große Schau mit den Cartoons [9], sie haben drei Gemälde gekauft. Ich hatte noch nie so eine große Unterstützung seitens amerikanischer Museen.

Und Sie fühlen sich sicher, dass dies die richtige Institution ist, es für die nächsten Generationen zu bewahren.

Ja! Die Ausstellung wird nach Asien gehen und das scheint mir der richtige Platz dafür. Meine Arbeit wird sehr anerkannt. Ich denke, ich bin jetzt in Europa mehr bekannt. Wirklich. Ich hatte eine Ausstellung in Kleve, Deutschland [10], wir hatten sehr viele Artikel in Magazinen und Zeitungen. Das bekomme ich in den Staaten jetzt nicht.

In den Staaten sind Sie nicht …

Sie betrachten mich als großen Maler, aber nicht mit diesem Publikum.

Haben Sie den Eindruck, dass sich die Aufnahme der Kunst in den Staaten von der in Europa unterscheidet?

Europa ist im Allgemeinen viel kultivierter als Amerika. Viel mehr!

Aber wir lieben die amerikanischen Museen. Sie sind topp!

Wir haben mehr Geld. (Lacht)
Nun, nach dem 2. Weltkrieg sind die Museen zum Hauptbestandteil des kulturellen Lebens und der Erziehung der Amerikaner geworden. Man unterrichtet Kunst, die Leute bekommen Kunsterziehung und Diplome in Kunst. Die Museen haben den Platz eines Symphonieorchesters eingenommen. Orchester in Amerika stehen gesellschaftlich am ersten Platz.

Die meisten dieser Museen sind privat wie Guggenheim.

Nein. Ja, das Guggenheim und das Whitney Museum sind privat, aber es gibt eine Menge nationaler Museen wie das Metrolpolitan in Philadelphia, Washington, Detroit und Chicago. Die Amerikaner scheinen…, es macht ihnen nichts aus eine Menge Geld auszugeben. Das ist der Unterschied, glaube ich. Amerikaner geben Unsummen für Kultur aus. Riesige Summen! Wenn ein Kerl 30 Millionen für ein Orchester oder ein Museum zur Verfügung stellt, dann ist das nicht ungewöhnlich.

In Österreich finden wir kaum einen Mäzen, der einem Museum so viel Geld gibt. Dennoch scheint Kunst in Amerika nicht so gewürdigt zu werden wie in Europa.

Ja, es gibt mehr Kultur in Europa. Aber wir haben eine ziemlich hohe Besucherzahl in Museen. Was machen Sie denn, wenn Sie nach N.Y. kommen? Sie besuchen ein Museum. Der Unterschied ist: Ich hatte in Köln eine Ausstellung und am selben Abend gab es vier Musikveranstaltungen. Wenn ich eine Ausstellung in einer Millionenstadt wie Baltimore habe, dann haben sie bestenfalls ein Fußballteam. Sie kennen keine Musik, das ist einer der Unterschiede. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel Kultur in Europa öffentlich zugänglich ist.

[1] Andy Warhol (1928-1987): US-Künstler und Vertreter der Pop-Art
[2] Tom Wesselmann (1931-2004): US-Maler und Objektkünstler, Vertreter der Pop-Art
[3] Cutouts: 1959 entstanden die ersten flachen im Raum stehenden bemalten Figuren.
[4] „Double Ada“: Porträt von Ada 1959, welches weder aus direkter Betrachtung noch von einem Foto aus entstand.
[5] Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch (1878-1935): Hauptvertreter der russischen Avantgarde, Wegbereiter des Suprematismus.
[6] Piet Mondrian (1872-1944): Niederländischer Maler der Kl. Moderne, Begründer der abstrakten Malerei.
[7] Katz heiratet 1958 in zweiter Ehe die Krebsforscherin Ada Del Moro, die sein wichtigstes Modell wurde.
[8] 1961-1963 Lehrauftrag an der Yale University, New Haven, USA
[9] „Alex Katz: Cartoons and Paintings“, Albertina, Wien 2005
[10] „Alex Katz: An American Way of Seeing“, Museum Kurhaus Kleve, Kleve, Deutschland, 2009 (Wanderausstellung: Finnland, Frankreich)

 

Kurzbiographie laut Katalog der Albertina zur Ausstellung „Alex Katz: Prints“ (Hatje Cantz Verlag, 2010):
Alex Katz
Geb. 1927 in Brooklyn, New York. Er studierte an der Cooper Union School of Arts, N.Y. von 1946-49 und an der Skowhegan School of Painting and Sculpture, Maine von 1949-50. 1950 übersiedelt er von Queens nach Manhattan, wo er in der Künstlerszene der 10th Street verkehrte, seinen Lebensunterhalt verdiente er durch Wandmalerei. Die erste Einzelausstellung erfolgte 1954 in der Roko Gallery in N.Y. Von da an entwickelte sich sein Malstil zu einer Farbflächenmalerei mit zentrierten Kompositionen. Ab 1958 gewinnt die Portraitmalerei an Bedeutung. 1964 überträgt Katz erstmals seine Bilder mittels Karton auf die Leinwand. Nach 10 Jahren Unterbrechung widmet sich Katz erneut der Druckgraphik. 1970 erster Aufenthalt in Wien. Erste Druckgraphikausstellung im Whitney Museum, N.Y. 1974. Erste Ausstellung in Europa: Marlborough Fine Art Gallery, London 1975. Viele Auszeichnungen und Anerkennungen im In- und Ausland.
Ausstellungen 2010:
Alex Katz Prints: Albertina Museum, Vienna; The Alex Katz Portraits: The National Portrait Gallery, London; Alex Katz New Works: Farnsworth Museum, Rockland, Maine. www.alexkatz.com

Die Werke wurden für das etcetera 41/ orte:wo/ Oktober 2010 mit freundlicher Genehmigung von der Albertina zur Verfügung gestellt. mehr...

Künstlerportrait: Alex Katz. Von Amerika nach Österreich. Ingrid und Franz Reichel