Lawn. Rez.: E. Riebler
Eva Riebler
THEATER DER BILDER UND METAMORPHOSEN
LAWN
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
Österreich Premiere
Eine Koproduktion von Brisbane Powerhouse, Dancenorth und
Sasha Waltz and Guests
Choreographie und Tanz: Gavin Webber, Grayson Millwood,
Vincent Crowley
Dramaturgie: Adnrew Ross
Musik: Iain Grandage
Bühne und Kostüme: Zoe Atkinson
Lichtdesign: Mark Howett
Geschmeidig rollen die Tänzer auf dem Boden, über den Tisch, den Holzsessel oder Polstersessel und klettern auf Wänden hinauf und hinunter. Sie bedrohen einander, sind gewaltbereit und hören die akustischen Ausdrücke der Aggression aus der Nachbarwohnung mit. Die Wände sind dünn und mit Tapeten der 60er oder 70er Jahre beklebt. Lösen sich diese, kommen darunter die Tapeten der Vormieter zum Vorschein. Dies war im Februar des Jahres 1999 in Berlin ein Ausgangsmotiv für dieses Werk. Die drei australischen Tänzer bildeten damals eine Wohngemeinschaft und sahen erstaunt auf ein Hakenkreuz, als sie die Tapete von den Wänden lösten. Sie fühlten sich in den Wintermonaten mit wenig Sonnenlicht in dieser symbolträchtigen Stadt nicht sehr wohl, waren von Alpträumen geplagt, fragten sich, wer wohl der Vorgänger in dieser Wohngemeinschaft und wie glücklich oder unglücklich dieser war und pflegten außerdem ihr Heimweh. Als Ausländer waren sie sensibilisiert und idealisierten und verklärten aus der Entfernung ihr Zuhause. Der begriff LAWN bedeutet nicht nur „Rasen“, sondern auch „Situation und Zustand, verursacht durch Sonnenlichtmangel, unlogische Gedanken bis zu Wahnvorstellungen“. Beides wurde verdeutlicht. Der Rasen durch den wiesengrünen Polstersessel, den Schirm der Stehlampe, den mehr oder minder grünen Anzug und durch die Einspielung eines kleinen Rasenstückes am Ende der Vorstellung. Das Motiv der Wandlung war wichtig: Und zwar die Wandlung vom Ausländer zum Berliner oder Einheimischen, Ansässigen, der nicht auffällt, folgsam und widerspruchslos sich anpasst und den grünen Anzug, der vorerst am Kleiderhaken hing, anzog. Dieses Motiv wurde auch durch die Anspielung auf „Die Verwandlung“ von Franz Kafka verdeutlicht. Fette Kakerlaken krochen in der ersten Szene über Tisch und Boden, um mitleidslos getötet zu werden. Ob sie aus Madagaskar oder dem Landesmuseum nebenan waren, ist ungeklärt. Wie sie, krochen die Tänzer zeitweise über den Boden oder die Rückwand des Zimmers, wurden vom Erschlagenwerden bedroht und schälten sich aus ihrem Gewand oder schälten die Tapetenschichten ab. Somit symbolisierten sie die zahlreichen Schichten der menschlichen Existenz.
Die Bewegungen der Tänzer vermittelten in erster Linie ihr Menschsein und nicht die Idee des perfekten Tanzes. Die drei Tänzer hatten ihr Werk gemeinsam erarbeitet und umgesetzt und wollten bewusst machen, wie schmal die grenze zwischen Realem und Surrealem ist. Der Interpretationsspielraum ist breit gefächert, jedoch steht stets die zwischenmenschliche Bezogenheit im Vordergrund. Nicht nur Ernsthaftigkeit und ein klein wenig Humor sowie Traurigkeit und Heimweh wurden spürbar, sondern auch das Aggressionspotential und deren Auslöser sichtbar.
Jedenfalls konnte das Publikum eine perfekte Inszenierung, bei der Timing, Rhythmus und Bild stimmten, erleben.
Anschließend konnte im Café Publik mit den Tänzern diskutiert oder als Statist für die Produktionen der nächsten Woche, für „Remember Me“ mitgewirkt werden; oder man vertrieb die gebliebenen bedrückenden Eindrücke, indem man einer Wiener Band lauschte und hing den Gedanken einer möglichen Verwandlung nach.